Die Bekenntnisse des Skinheads Berger

AlexT

Mitglied
Ich sehe, alle wundern sich, wie ich als halber Jude ein Rechtsradikaler und Skinhead werden konnte. Nun, es gibt eine banale Wahrheit: Die Eltern spielen nicht die letzte Rolle in dem, was aus einem wird. Und meine hatten solche Charaktere, dass man es seinem schlimmsten Feind nicht wünschen kann, mit zwei solchen Leuten zu leben. Gut, es kommt vor, dass jemand einfach nicht mit einem Berg von Muskeln oder einem wahnsinnig starken Charakter geboren ist. Aber man muss doch einen gewissen Stolz haben, ein Verlangen, stärker zu werden, nicht zu kriechen, sondern zu fliegen, zumindest als Mann! Von wegen. Meine Eltern waren beide so etwas wie Menschen im Futteral, sie hatten Angst vor allem und jedem. Angst vor Erkältung, wenn sie bei weniger als fünfzehn Grad Plus ohne einen Riesenhaufen Klamotten aus dem Haus gingen, Angst, Auto zu fahren, Angst vor jedem Konflikt, konnten noch nicht mal offensichtlicher Dreistigkeit was entgegensetzen. Und sie hatten Angst vor jeder großen Angelegenheit im Leben, zum Beispiel vor jeder großen und verantwortlichen Arbeit, waren der Meinung, dass sie das sowieso nicht packen. Das Widerlichste war, dass sie sich ihrer Schwäche und Angst vor dem Leben überhaupt nicht schämten, im Gegenteil, sie waren gerne schwach! Sie hatten irgendwie einen perversen Spaß daran, ohnmächtig und eingeschüchtert zu sein, und wollten, dass ich genauso bin. Sie wollten mich vor allem schützen, was man sich vorstellen kann, und fanden in jedem Fall einen Grund, warum ich dieses oder jenes nicht packe. Als ich sieben wurde, haben sie gesagt, dass ich noch zu klein bin, um zur Schule zu gehen, dass ich zu schwach bin und mit den Anforderungen nicht klarkommen würde, und haben erreicht, dass ich ein weiteres Jahr in der Vorschule bleiben musste. Als ich an einem Lauf über 1000 Meter teilnehmen wollte, haben sie das verboten, weil ich angeblich eh mitten auf der Strecke vor Erschöpfung umkippen würde. Als ich versucht habe, ihnen irgenwas vorzusingen, habe ich kaum einen Ton von zehn getroffen, weil sie mich selbst dazu gebracht hatten, mir nix zuzutrauen. Und dann haben sie gesagt: „Du kannst nix, du hast kein Gehör“. Sie haben mir immer wehgetan und hinterher selber getröstet – sei nicht traurig, du bist ein süßes Kindchen und so. Scheiß süßes Kindchen... Und das hat mich in meine zweite und wirkliche Familie geführt, in die Nordische Bruderschaft. Als ich auf YouTube ihr Werbevideo sah, gab es etwas, was mir auf Anhieb gefiel: Die Fotos, die zeigen sollten, wie toll der weiße Mann ist, strahlten keinen Kult von Schwäche und Kränklichkeit aus, sondern von Vitalität und Kraft. Ich konnte die Leute überzeugen, dass mein Familienname an keiner jüdischen, sondern einer lange vergessenen deutschen Abstammung liegt, und wurde aufgenommen. Dort entwickelten wir uns als Kämpfer, trainierten in verschiedenen Sportarten und Kampfkünsten, machten Krafttraining, stärkten uns körperlich auf jede Art und Weise. Und in der Freizeit führten wir ein vollblütiges Männerleben, vögelten, soffen und sangen aus vollem Hals. Dort fand ich zum Glauben an die eigene Kraft. Und ich hatte dort endlich die Möglichkeit, kein „süßes Kindchen“ zu sein, sondern ein starker Mann, der fähig ist, einem richtig eine rein zu hauen, und vor dem man Respekt haben sollte. Und als ich – wer hätte das gedacht? - zum Anführer unserer kleinen lokalen Gruppierung wurde, bemühte ich mich, unsere Tätigkeit auf die zu richten, die sie wirklich verdient haben. Unter anderem auch auf meine Eltern, ja. Dafür, dass sie es überhaupt wagen, die Welt im Allgemeinen und mein Leben im Speziellen mit ihrem beschissenen Geist der Schwäche voll zu stinken. Nicht dass ich sie je im Krankenhaus besucht hätte, bloß nicht. Aber wenn sie dann doch an unseren Schlägen krepiert sind, bin ich nur froh, dass noch zwei solche Fäulnis verbreitenden Kotzbrocken verschwunden sind. Die ganzen scheiß Italiener, Juden und andere Kanaken gehen mir persönlich am Arsch vorbei. Wenn dein Geist in Ordnung ist, ist alles in Ordnung. Sogar für Arschficker habe ich Verständnis – manche Männer zieht's nun mal zu anderen Männern, ist natürlich schade, kann man aber nicht ändern. Pech gehabt. Aber passiven und aktiven Gehirnfick verzeihe ich nie. Davon wird mir genauso schlecht wie von Scheiße, die als Essen serviert wird. Ich hasse und vernichte jeden Befürworter des Kultes von Schwäche – ja, richtig, vernichte. Das höchste Gefühl ist es, mit dem Baseballschläger einen Hieb zu versetzen, an dem man stirbt wie eine erschlagene Fliege. Es ist schwer, den Schädel auf diese Weise so zu zerdeppern, dass das Gehirn wirklich gegen die Wand fliegt, aber ein gut berechneter punktgenauer Schlag für einen sofortigen Tod ist durchaus möglich. Ja, ich bin ein Faschist. Und was mich zum Faschisten gemacht hat, ist der Ekel vor einer kranken Lebensphilosophie und die natürliche Anziehung zum gesunden arischen Geist. Und um diesen Geist in sich zu haben, muss man, wie Sie sehen, noch nicht mal unbedingt arisches Blut besitzen.
 

Joneda

Mitglied
abstoßend

die Negierung von konfliktscheu
ist nicht Mord,
simple , menschenverachtende Zerstörung,
wobei man auch hier nie
satt wird,
die Negierung von konfliktscheu
ist ein verantwortungsvolles Leben zu führen,
sich nicht zu scheuen,
sich auseinanderzusetzen.

der Protagonist sucht nicht den Konflikt
um eine Auseinandersetzung zu führen,
eine wirkliche Lösung zu finden,
der Protagonist ist genauso feige,
wie er seinen Eltern vorwirft zu sein,
wobei er dementsprechend
selber Leben zerstört,
die "angeblich" in seinem Verantwortungsbereich liegen.

furchtbare Schlußfolgerung,
wow, mich gruselt
 

AlexT

Mitglied
Ich sage nicht, dass ich das gut finde, was der Protagonist macht. Ich zeige einen psychologischen Weg auf, was den Menschen in so jemanden verwandeln kann. Einen, den es gibt, der aber oft genug ignoriert wird. Anziehend soll diese Entwicklung auch niemand finden, im Gegenteil.
 

AlexT

Mitglied
Und außerdem verabscheut der Protagonist nicht Konfliktscheu, sondern Schwäche im Allgemeinen. Und hungert nach dem Gegenteil davon. Leider hat er ein etwas begrenztes Verständnis von Stärke und Kraft und darum geht das Ganze etwas schief. Aber mal ehrlich, es gibt viele junge Männer, denen es ähnlich geht.
 
A

Ava Casal

Gast
Hallo Alex,
es gibt auch Mädchen/Frauen die auf diesem Level laufen, aber immer noch auf dem Weg von Möglichkeiten.

Mit der Schwäche von Anderen umzugehen ist nie einfach und ich kann den Denkmechanismus Deines Protagonisten nachvollziehen.
Doch Stolz und Ehre sollte auch eine Grenze haben. Er verliert in seiner grenzenlosen Wut diese und überschreitet jedes menschliche Gefühl, ohne zu spüren das er sich damit selber zerstört.

Deine Prosa finde ich eine gute Anlehung.


LG Ava
 

AlexT

Mitglied
Hallo Ava,

na, das freut mich doch, da hat jemand den Weg meines Protagonisten schon ziemlich gut verstanden :) Tja, wenn sich Wut aufstaut, tendiert sie dazu, ins Grenzenlose zu mutieren :(( Traurig, aber Fakt.
 



 
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