Die Beobachtungen des Monsieur Lafitte

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Fugalee Page

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»La Gioconda« besitzt wohl das berühmteste Lächeln der Welt, doch wenn man im Louvre eine Weile vor ihr steht und sie betrachtet, dann scheint es fast, als lächelte sie einen nicht nur an, sondern auch ein klein wenig aus.


»Monsieur Lafitte, ich möchte Sie im Namen der Regierung in unserem schönen Lande ganz herzlich willkommen heißen.«
Als müsste er dies auch körperlich noch aufs Heftigste unterstreichen, gab der Commissario seinem leicht verduzten Gegenüber zwei dicke Begrüßungsküsse auf die Wangen. Auch Lafitte war froh am Ziel seiner Reise angekommen zu sein und erwiderte die Grußbotschaft, jedoch mit deutlich weniger Emotion. Auch galt sein Interesse weniger dem schönen Land, als vielmehr einer ganz besonderen Dame.
Am 21. August 1911 hatte sich im Louvre in Paris ein dreister Raub ereignet. Leonardo da Vincis berühmtes Bild »Mona Lisa« war gestohlen worden. Wegen Reinigungs- und Instandsetzungsarbeiten war der Diebstahl erst am folgenden Tag entdeckt worden. Trotz umfangreicher Ermittlungsarbeit der Polizei, war das Gemälde erst zwei Jahre nach dem Diebstahl wieder aufgetaucht. Urheber des spektakulären Raubs war der italienische Dekorationsmaler Vincenzo Peruggia gewesen. Nach seiner Festnahme hatte er den Ermittlungsbehörden zu Protokoll gegeben, er habe lediglich aus patriotischen Gründen gehandelt, und eines der größten italienischen Kunstwerke wieder in die Heimat holen wollen. Nach zähen Verhandlungen sollte nun das Gemälde aus den Uffizien zurück in den Louvre überstellt werden. Doch hatte man sich wegen der enormen Bedeutung des Kunstwerks etwas einfallen lassen. Um erneuten Schwierigkeiten aus dem Weg zu gehen, war das Bild aus den Uffizien an einen geheimen Ort gebracht worden, wo es nun, in einer ebenso geheimen Mission, in die französische Heimat verfrachtet werden sollte.
»Commissario, ich bin sehr erfreut, dass unsere beiden Länder sich über die Besitzverhältnisse im klaren sind. Sie können sicher sein, dass wir das Gemälde mit der Wertschätzung behandeln werden, welches ihm gebührt.«
Dabei musste Lafitte allerdings an die äußerst delikate Bemerkung eines französischen Künstlers denken. Dieser hatte sich vor einiger Zeit zu einem äußerst respektlosen »Elle a chaud au cul« verleiten lassen. Doch Lafitte würde sich hüten, dies hier offiziell zu erwähnen.
»Gewiss, gewiss, Monsieur Lafitte. Unsere beiden großen Nationen werden auch in Zukunft ein freundschaftliches Verhältnis zueinander haben, und dieses auch zu pflegen wissen.«
Lafitte wich vorsichtshalber einen Schritt zurück, da er befürchtete, dem Ausspruch des Commissario könnte ein erneuter, noch intensiverer Kontakt folgen. Der Italiener schien davon jedoch keine Kenntnis zu nehmen und setzte seine Lobeshymne fort.
»Ich muss Ihnen im Übrigen noch ein großes Kompliment aussprechen, Monsieur Lafitte. Ihre Aussprache ist für einen Ausländer wirklich bemerkenswert. Wüsste ich es nicht besser, so meinte ich ein kalabresischer Landsmann stünde vor mir.«
Lafitte bedankte sich höflich, doch er wusste, dass Vorsicht geboten war. Trotz aller Freundlichkeit, galt es sein Gegenüber nicht zu unterschätzen. Erst wenn das Gemälde wieder an seinem Platz hing, würde er sich entspannen können und zur Ruhe kommen. Er würde dem Commissario nicht verraten, dass er mit der Mentalität der azzurri bestens vertraut war. Auch schien ihm der Commissario ein äußerst listiges Kerlchen zu sein. Seine leicht einfältige Art, die seinen Kontrahenten in Sicherheit wiegen sollte, konnte Lafitte nicht täuschen. Für so eine delikate Aufgabe hatten die Italiener sicher ihren besten Mann ausgewählt, und mit einem gewissen Gefühl des Stolzes, musste er sich eingestehen, dass sein Land wohl genauso gehandelt hatte.
Beide nahmen am Schreibtisch des Commissario Platz und der Italiener setzte die Unterhaltung fort.
»Monsieur Lafitte, ich bin sehr erleichtert, dass ihnen die italienische Lebensart und Denkweise so sehr vertraut sind. Dies macht mir die Sache doch wesentlich leichter, denn ich muss Ihnen gestehen, dass die ganze Angelegenheit, nun ... wie soll ich sagen ...«, er räusperte sich, »... doch sehr delikat ist.«
Lafitte hatte sich demnach nicht geirrt. Er hatte doch gleich geahnt, dass hier etwas auf ihn zukommen würde. Schließlich handelte es sich bei seiner Mission um keine harmlose Urlaubsreise. So erwartete er mit Spannung die Geschichte, die der Italiener ihm auftischen wollte.
»Monsieur Lafitte, ich möchte den Diebstahl, diesen wirklich dreisten Raub, in keinem Falle rechtfertigen und schon gar nicht gut heißen ...«, der Commissario bemühte sich ein recht betroffenes Gesicht zu machen, »... doch wie sie ja bereits wissen, lag dem Diebstahl kein finanzielles Motiv zugrunde.«
Lafitte, der dem Commissario gegenüber saß und jedes Detail dessen Körpersprache mit gewohnheitsmäßiger Routine analysierte, fragte sich, worauf sein italienisches Pendant hinaus wollte.
»Lieber Kollege, wir Italiener besitzen einen sehr ausgeprägten Nationalstolz. Nur so ist es überhaupt zu erklären, wie es zu dem vorliegenden Fall kommen konnte.«
Der Commissario wischte sich mit einem Tuch über die Stirn. Die Art wie der Italiener um den heißen Brei herumredete, ließ Lafitte erkennen, dass die beiden Gesetzeshüter offensichtlich verschiedene tempi bei der Bearbeitung eines Falles bevorzugten. Eine Verschärfung des selbigen konnte dem Gespräch sicher nicht schaden. Allerdings war Lafitte darauf bedacht, den gleichen Ton anzuschlagen, da auch er sein Gegenüber in Sicherheit wiegen wollte.
»Lieber Kollege, ich bin darüber informiert, dass Peruggia nicht aus reiner Habgier handelte, sondern das Motiv eher in patriotischem Besitzneid begründet lag. Doch war ich gleichfalls überzeugt, dass dieses Thema durch unsere Regierungen hinreichend geklärt sei, und schließlich ändert es auch nichts an dem Tatbestand des Diebstahls. Eigentlich bin ich nur angereist, um das Gemälde wieder an seinen rechtmäßigen Platz zu befördern.«
Damit hatte Lafitte das Drumherum beendet. Er verlangte nach der langen Reise endlich Klarheit, und nach der wohlverdienten Nachtruhe.
»Oh Monsieur Lafitte, non intendevo questo!« Der Commissario machte einen bestürzten Eindruck.
»Sie haben mich völlig missverstanden. Selbstverständlich sollen Sie das Objekt der Begierde umgehend erhalten, und zu ihrem Schutze wird alles in meiner Macht stehende getan. Es ist nur so, dass ich nicht sicher bin, welches das Richtige ist.«
»Ripeta, per favore!« Lafitte vermutete erst nicht richtig verstanden zu haben, schließlich unterhielt er sich nicht alle Tage in italienischer Sprache. Doch seine Nachfrage bestätigte das Gehörte.
»Commissario, wie soll ich das verstehen?«
»Nun ja, es ist nicht una bella Lisa, welche wir besitzen. Es sind deren gleich zwei!«
Lafitte hielt es nun nicht mehr auf seinem Platz.
»Come dice? Sie haben zwei Mona Lisas? Ist das ihr Ernst?«
»Ich fürchte ja!« Der Commissario zuckte mit den Schultern.
Lafitte ließ sich wieder auf den Stuhl fallen und schüttelte den Kopf. Er hatte sich ja alles mögliche vorgestellt, aber diese Geschichte übertraf nun doch seine kühnsten Erwartungen. Er wollte gerade etwas erwidern, als der Commissario zu erklären versuchte.
»Ich kann mir vorstellen, was Sie jetzt denken, aber lassen Sie mich Ihnen sagen, wie es zu diesem grande fiasco kommen konnte. Der schändliche Dieb hatte natürlich erwartet, irgendwann entdeckt zu werden und wollte Vorsorge treffen. Sie müssen wissen, dass unser Land auch heute noch über ganz außergewöhnliche Künstler verfügt. Leider haben nicht alle einen felsenfesten Charakter. So fand Peruggia ein ganz famoses Talent, welches den Pinselstrich des alten Meisters quasi in flagrante nachahmen konnte. Dieses zweite Gemälde tauchte erst vor kurzem auf, und selbst unsere Fachleute sind sich nicht einig, bei welchem der beiden Gemälde es sich um das Original oder die Fälschung handelt.«
Darin bestand also der Haken an der Sache. Der Dieb hätte wohl zu einem späteren Zeitpunkt seine Replik in Umlauf gebracht, und das Original behalten. Doch so leicht ließ sich Lafitte nicht überrumpeln. Zu lange lag er schon im Clinch mit den Tricksern und Betrügern dieser Welt. Und er hatte ja noch einen Trumpf in petto. Doch diesen würde er erst morgen früh ausspielen.
»Wo befinden sich die Gemälde jetzt?«, wollte Lafitte wissen.
»Hier im Keller dieses Gebäudes. Wollen Sie die Bilder gleich sehen?«
»Nein, ich bin von der Reise doch ziemlich erschöpft. Wenn Sie einverstanden sind, werde ich gleich morgen nach dem Frühstück einen Blick auf die Bilder werfen.«
Der Commissario lächelte spitzbübisch als er entgegnete: »Entschuldigen Sie meine Bedenken, aber fühlen Sie sich denn in der Lage, das Rätsel um das Original und die Fälschung zu lösen, nachdem nicht einmal unsere besten Spezialisten …?«
Lafitte, der schon zur Tür gegangen war, drehte sich nochmals um und blickte dem Commissario gelassen entgegen.
»Keine Sorge, mein Lieber. Ich bin nicht alleine gekommen! Ich habe jemandem dabei, der es wissen wird.«
Der Italiener sah ihm nach, und verspürte plötzlich ein leichtes Unwohlsein in der Magengegend.

Am nächsten Morgen wartete der Commissario schon sichtlich aufgeregt auf seinen ausländischen Besuch. Kurz nach neun Uhr betraten Lafitte und eine zweite Person das Büro des italienischen Beamten.
»Buon giorno, Commissario!«, begrüßte ein bestens gelaunter Lafitte den hinter dem Schreibtisch sitzenden. »Darf ich Ihnen Professor Lefebvre vorstellen. Er war gestern nach der Ankunft zu erschöpft gewesen und hatte gleich das Hotel aufgesucht. Der Professor ist eine Koryphäe in Sachen da Vinci, und wird uns bei der Lösung des Problems sicher behilflich sein können.«
Der Commissario begrüßte auch den zweiten Landesgast. Der Italiener schien sich heute nicht mehr so wohl zu fühlen. Er wirkte sehr blass und tiefe Augenränder zeichneten sich ab, die auf eine unruhige Nacht schließen ließen.
»Darf ich Sie bitten, mir in das Nebenzimmer zu folgen«, wies der Italiener auf die angrenzende Tür. »Wir haben die Bilder aus den sicheren doch dunklen Kellerräumen, herauf ans Tageslicht gebracht.«
Der Commissario, ein Wachmann, Lafitte und der Professor betraten das angrenzende Zimmer und sahen sich den Gemälden gegenüber. Obwohl nur eines davon echt sein konnte, war es ein unbeschreibliches Gefühl dem Original so nahe zu sein. Der Professor schritt als erster aus der kleinen Gruppe auf die Bilder zu. Der Commissario zeigte der Wache mit einer Geste, dass dies schon in Ordnung sei.
Die Untersuchung dauerte keine zehn Minuten. Dann gab der Professor seine Expertise zum Besten.
»Ohne Zweifel ein netter Versuch, doch ganz gewiss handelt es sich bei dem rechten Bild um eine Fälschung. Mich wundert nur, dass dies den italienischen Experten nicht aufgefallen ist.« Der spöttische Tonfall in der Stimme des Gelehrten war nicht zu überhören.
Für Lafitte sahen die beiden Gemälde absolut identisch aus, doch schließlich war er nicht der Fachmann. So musste er die entscheidende Frage hier und jetzt stellen:
»Professor! Sind Sie sich ihrer Sache auch ganz sicher?«
Der Professor stellte sich kurz auf die Zehenspitzen, wohl um seinen Worten die nötige Größe zu verleihen.
»Meine Herren, ich bin mir absolut sicher! Sehen Sie doch selbst!« Lefebvre machte eine beschwörende Geste, so als wolle er alle Anwesenden auf seinen Vortrag einstimmen.
»Wie kein anderes Gemälde verkörpert die Mona Lisa perfekt da Vincis Konzept der Einheit von Wissenschaft und Kunst.« Er deutete mit dem Finger in Richtung seines Originals.
»Da Vinci benutzte das sogenannte ›sfumato‹, eine Verschleierung der dargestellten Konturen. Dann die Darstellung der Mona Lisa aus zwei leicht unterschiedlichen Blickwinkeln, um somit den Effekt des binokularen Sehens nachzuahmen, wodurch er die größtmögliche, plastische Wirkung erzielte.«
Der Professor schien entzückt und sich nun vollkommen in seinem Element befindend.
»Im allgemeinen wird angenommen, dass es sich bei dem Porträt um die Gemahlin des florentinischen Edelmannes Francesco del Giocondo handelt, weshalb das Gemälde auch ›la Gioconda‹ genannt wird. Ich vermute jedoch, dass in der Mona Lisa letztlich gar keine wirkliche Frau dargestellt ist. Vielmehr hat da Vinci wohl versucht eine Art Idealporträt zu kreieren, in dem sich Kunst und Wissenschaft zu einer perfekten Symbiose ergänzen.«
Das Fachwissen des Professors verfehlte auch bei Lafitte seine Wirkung nicht. Die Odyssee des Bildes schien somit beendet.
Doch war dem französischen Kriminalisten auch eine Unruhe anheim gestellt. Lafitte spürte, dass hier etwas nicht stimmte. Er verfügte über eine analytische Beobachtungsgabe. Bewusstes und unbewusstes floss unentwegt auf ihn ein.
Lafitte betrachtete die beiden Gemälde, und wie schon so oft, ließ er die Puzzleteilchen dieses Falles mit Hilfe seines genialen Verstandes an die richtigen Stellen wandern.
Jedes der beiden Gemälde lehnte an einer Staffelei in gleicher Höhe und Ausrichtung. Lafitte ließ seinen Blick durch den Raum schweifen. Manchmal musste man einen Schritt zurück tun, um das Ganze zu überblicken. Irgendetwas störte Lafitte an dem kleinen Raum, und mit einem Mal erkannte er, was ihm sein Bewusstsein mitzuteilen versuchte. Der Raum selbst schien eine einzigartige Komposition zu sein, jedoch eine sehr linkslastige.
Der Teppich, auf dem die kleine Gruppe stand, wies ein ganz eigenartiges Muster auf. Die eingewebte Struktur ließ einen schon fast an eine optische Täuschung glauben. Er war nun so ausgelegt, dass der Eindruck entstand, als würden die Linien in geordneten Bahnen leicht nach links laufen.
Die Doppelfenster an der hinteren Wand des Zimmers. Seltsam, die rechte Fensterscheibe hatte schon lange kein Leder mehr gesehen, während das Sonnenlicht klar durch die andere Scheibe strahlen konnte. Und gerade dieses Licht spielte nun wieder eine wesentliche Rolle bei der Betrachtung der Bilder. Obwohl beide Gemälde in den Genuss der Morgensonne kamen erschien das linke Bild, durch den momentanen Stand der Sonne, leicht im Vorteil.
An einer Seite des Raumes stand ein Tisch, auf dem ein asiatisches Zwillingspärchen aus Porzellan Platz gefunden hatte. Nur seltsam, dass sich die linke Figur bester Gesundheit erfreute, während der anderen, vermutlich wegen eines Sturzes, ein Arm fehlte.
Doch mit besonderer Finesse schien die Wand hinter den Gemälden arrangiert. Hier hatte der Commissario selbst ein Bild aufgehängt. Eine eher unbedeutende Komposition, auf der sich eine italienische Landschaft abzeichnete. Das Bild hing nicht mittig an der Wand, eher im rechten Drittel. Doch das Entscheidende war, dass es leicht schief hing. Nicht sehr, nur ein klein wenig. Doch man nahm es zur Kenntnis. So entstand an jener Wandseite, vor dem die rechte Mona Lisa positioniert war, eine gewisse Disharmonie, die sich einem unweigerlich aufdrängte und auf das rechte Gemälde übertrug.
Alle diese Beobachtungen waren rein nebensächlich, wenn man sich auf die beiden Gemälde konzentrierte. Ein Mann wie der Professor, würde sie demnach nur nebenbei wahrnehmen, aber sie dennoch unterbewusst in seine Entscheidung einfließen lassen.
Lafitte überlegte weiter. Die meisten Menschen schrieben mit »rechts« und auch der Mensch als Ganzes tendierte in diese Richtung. Doch gerade Lefebvre war Linkshänder! So schien die linke Seite etwas ganz Natürliches für ihn zu sein. Sicher hatte der Italiener nach seiner gestrigen Bemerkung überprüft, wer sich noch im Hotel eingeschrieben hatte. Wahrscheinlich hatte er die ganze Nacht damit zugebracht, alles über den Professor und seine Eigenarten herauszufinden. Schließlich verfügte der Commissario über die besten Kontakte. Vermutlich war ihm dann auch diese kleine Eigenart nebst der Arroganz des Gelehrten zugetragen worden. So schien es Dank des Professors und mit Hilfe dieses Zimmers gelungen, die angereiste Truppe mit »links« zu überlisten.
Lafitte hatte den Commissario demnach nicht unterschätzt. Nein, weit mehr noch. Dem Italiener war selbst ein Meisterwerk gelungen. Nie und nimmer würde Lefebvre von seiner Meinung abweichen. Verletzter Stolz würde es nicht zulassen, sich einzugestehen, von miesen Tricks überlistet und fehlgeleitet worden zu sein. Der Professor würde weiterhin dem linken Gemälde den Vorzug geben, denn Lafittes Beobachtungen könnten schließlich alle durch Zufall begründet sein. Nein, nur der Commissario und Lafitte selbst, würden die Wahrheit und die Hintergründe dieser gemeinen Intrige kennen.
Es musste etwas geschehen. Lafitte kombinierte blitzschnell. Da kam ihm ein abenteuerlicher Gedanke. Wo sich doch beide Bilder wie ein Ei dem anderen glichen. Bestand nicht gerade in diesem Umstand die Chance zur Lösung des Problems? Was, wenn es keine Vergleichsmöglichkeit mehr gäbe? Letztendlich brauchte Frankreich ein Original, ganz gleich, wie »originell« dieses auch sein mochte. Und so erkannte Lafitte schließlich, was zu tun war.

»Va bene! Commissario, wir haben das Rätsel wohl gelöst, und werden das Gemälde heute noch verladen. Wir hoffen auf den Geleitschutz, den Sie uns freundlicher Weise zusagten.«
In das Gesicht des Commissario schien wieder Farbe zu kommen, und er wirkte nun deutlich lebhafter.
»Selbstverständlich, liebe Freunde. Die Wachen werden Ihnen bis zur Landesgrenze den höchstmöglichen Schutz gewähren.«
»Dann bleibt eigentlich nur noch eines zu tun«, sprach Lafitte und ging entschlossenen Schrittes auf die angebliche Fälschung zu. Mit einem Messer, das er unbemerkt geöffnet hatte, versetzte er der vermeintlichen Kopie mehrere Todesstöße.
Der Professor hatte sich instinktiv vor »sein« Original gestellt, da er befürchtete, Lafitte sei wahnsinnig geworden und wolle auch dieses zerstören. Der Commissario blickte mit Entsetzen und weit geöffnetem Mund auf das zerstörte Bild und hielt sich am Wachmann fest, der seinerseits nicht wusste, wie er reagieren sollte.
»Was, was ... haben sie getan?«, ächzte der Commissario.
Doch Lafitte reagierte völlig gelassen.
»Nun, ich denke, dies war auch im Sinne der italienischen Regierung«, sprach Lafitte mit einer Seelenruhe, als sei überhaupt nichts geschehen. »Die beiden Bilder sahen sich dermaßen ähnlich, da schien es das Beste, die Fälschung zu zerstören. Es hätte sonst womöglich weitere kriminelle Subjekte auf den Plan gerufen und diese dazu verleitet, die Fälschung doch als echten da Vinci in Umlauf zu bringen. Sind Sie da nicht auch meiner Meinung, lieber Kollege?«
Ein spitzbübisches Grinsen huschte über das Gesicht das Franzosen. In diesem Moment erkannte der Italiener, dass der Flic, was die Gemälde betraf, zu einem ganz persönlichen Urteil gelangt war. Mit einem leidenden Gesichtsausdruck, der noch Reste von blankem Entsetzen widerspiegelte, blickte er auf das zerstörte Bild und entgegnete schließlich völlig kraftlos, mit gesenktem Haupt »Ja ... Sie haben wohl Recht!«


Wenig später war das Gemälde sicher verladen.
»Arrivederci!« Lafitte verabschiedete sich vom Commissario mit einem kräftigen Händedruck und nahm ihm das Versprechen eines Gegenbesuchs ab.
»Wenn erst das Original wieder da hängt, wo es hingehört, sollten wir eine Flasche des besten Weines öffnen.«
Der Commissario lächelte gequält und blickte alsbald dem kleinen Konvoi nach, der sich auf den langen Weg nach Paris machte. Dann begab er sich zurück in das Gebäude, verschloss die Türe und stieg hinab in den Keller. Dabei wischte er sich mit einem Tuch den Puder aus dem Gesicht. Auch die Schminke und die aufgemalten Augenränder waren plötzlich wie durch ein Wunder verschwunden. Die Schauspielerei im Laientheater seines Vetters Luigi hatte wieder einmal gute Dienste geleistet. Auf dem Weg in den Keller dachte der Commissario an seinen französischen Kollegen. Er fragte sich noch immer, weshalb sich Lafitte so merkwürdig verhalten hatte. Weshalb hatte der Franzose dem Zimmer so viel Beachtung geschenkt? Erst hatte der Commissario ja befürchtet, Lafitte sei ihm auf die Schliche gekommen. Doch irgendwie hatte sich der Flic durch seine Schlauheit dann selbst ein Bein gestellt.
In einer unscheinbaren Kammer angekommen, nahm der kleine Italiener den Schleier von einem Gemälde und blickte in das wohl berühmteste Lächeln der Welt.
Peruggia hatte den Fälscher zwar angewiesen nur una copia anzufertigen. Doch hatte das Lächeln der Schönen den Künstler offenbar auf wundersame Weise inspiriert und so zu Höchstleistungen angetrieben. So hatte der Fälscher beschlossen, die Dame gleich im Terzo um sich zu scharen.
»Scusi«, dachte sich der Commissario, als er das Original betrachtete, welches die Kellerräume nie verlassen hatte. Wir Italiener haben nun einmal einen besonders ausgeprägten Nationalstolz. Was hatte der französische Kollege noch gleich gesagt? »Wenn das Gemälde wieder da hängt, wo es hingehört«, wollte er eine Flasche des besten Weines mit ihm köpfen.
Nun, diesen Wunsch wollte er dem Franzosen auf keinen Fall abschlagen. Er entkorkte eine Flasche Rotwein, prostete symbolisch dem überlisteten Flic zu, und sprach mit feierlicher Stimme:
»Und den besseren Wein haben wir auch, Basta!«
 
M

MichaelKuss

Gast
Ein bisschen langatmig, aber in guter Kenntnis der feinen französisch-italienischen Animositäten (besser gesagt: "nationalen Kabbeleien") geschrieben. Wer noch nie im Louvre war und auch wenig über subtile italienisch-französische Feinheiten weiß, könnte seine Schwierigkeiten mit dem Text haben. Ich würde ein paar mehr Absätze hinein bringen, wegen der Lesbarkeit. Gerne hätte ich dir eine Neun gegeben, aber es fehlt mir für einen Krimi die Spannung und der überraschende Moment (die Schlitzäugigkeit ist fast voraussehbar und kein Spannungsmoment); dafür ist die Story historisch und vom Witz her eine Neun wert, meint
Michael
 

Fugalee Page

Mitglied
Hallo Michael,

es freut mich, dass die Geschichte auf dich wie beabsichtigt gewirkt hat.
Auf reine Spannung war sie auch nicht ausgelegt. Ich glaube, der Leser merkt recht schnell, worauf die Sache hinausläuft. Es sollte einfach ein vergnügliches Kopf-Duell zweier Beamten sein. Und die Frage steht im Raum: Wer zieht am Ende den Kürzeren?
Mir gefiel der Gedanke, dass sich zu guter Letzt einer der beiden selbst überlistete. Auch im wirklichen Leben soll es ja hin und wieder vorkommen, dass sich ein besonders „intelligenter“ Mensch selbst ein Bein stellt.

Ein Blick auf meine Geschichtenliste zeigt mir, dass ich dich auch mit anderen Storys unterhalten konnte. Das freut mich. Der Einfachheit halber: Hier nun für alle deine Bewertungen ein dickes „Merci“.
Weshalb du gerade bei „Monsieur Lafitte“ deine Visitenkarte hinterlassen hast, ist mir nach einem Blick auf deine Website auch klar geworden.
Auch du scheinst das Nachbarland ins Herz geschlossen zu haben. Ebenfalls ein Lob für „Frankreichkontakte.de“. Ich hab zwar zur Zeit nicht vor auszuwandern, aber für jemanden, der sich mit diesem Gedanken trägt oder wirtschaftliche Kontakte aufbauen will, tut sich hier ja ein ganzes Füllhorn voll nützlicher Tipps und Anregungen auf. Na ja, wer weiß, sollte sich eines Tages meine Traumfrau als Französin entpuppen, hätte ich keine Probleme meinem Herz zu folgen und die Zelte hier abzubrechen. So hab ich mir die Seite vorsichtshalber mal abgespeichert. ;)

Ach, eines noch: Die Mona Lisa im Louvre ist tatsächlich ein Fälschung. Das Original gelangte auf Umwegen in meinen Besitz. Aber ich möchte dich bitten, das niemandem zu verraten.

À bientôt
Monsieur Page
 

Der Autor

Mitglied
Hi Fugalee Page,

ich fand die Idee sehr schön, vor allem, dass sich hier nicht um einen Mord, sondern ausnahmsweise um ein außergewöhnliches Opfer handelt. Das mit dem Katz-und-Maus-Spiel, den du mit eingearbeitet hast, war auch nicht schlecht, jedoch hättest du in diesem Spiel etwas Spannung einbauen können, etwas prickelndes, das uns neugierig macht weiter zu lesen.
Vielleicht verstehst du ja was ich meine.
Außerdem ist mir da noch eine Lücke aufgefallen.
Wenn dieser Franzose müde war wegen der langen Reise, wieso bleibt er nicht zunächst im Hotel, wie der Professor es getan hat, statt zum Comissario zu gehen. Das Gemälde hätte er ja so oder so nicht ohne den Gutachten des Da Vinci Gelehrten mitnehmen können, oder dich?
Falls ja, dann frage ich mich, wieso der Prof,Lebvre oder wie auch immer überhaot mit nach Italien gekommen ist?
Im großen und ganzen ist diese Geschichte jedoch gelungen
(Also zerbricht fir nicht also sehr den Kopf darüber ;-)
Ich gebe dir dafür 8 Punkte.
 
M

MichaelKuss

Gast
Hallo Monsieur Page

Ein Glück das du die richtige Mona Lisa bei dir im Keller hast. Denn dieses Lächeln muss man sich in aller Ruhe (und ungestört von lispelnden Japanern) stundenlang anschauen, um es auch nur annähernd in die Nähe des Verstehens bringen zu können. Es ist eines der faszinierendsten, eines der hinterhältigsten, wohl das unergründlichste Lächeln einer Frau. Wenn wir immer so leichthin sagen "Verstehe einer die Frauen! Sie sind von einer unergründlichen Vielseitigkeit und Widersprüchlichkeit!" dann trifft das wohl am deutlichsten beim Lächeln der Mona Lisa zu. Leonardo hatte eben nicht nur etwas von Technik verstanden, meint
Michael Kuss
 

Fugalee Page

Mitglied
Hallo ihr beiden,

na da wird’s aber Zeit für eine schnelle Antwort.
Hi Yasin,

freut mich, wenn ich dich unterhalten konnte und danke für die Bewertung.
Die Sache mit der Spannung hatte Michael ja auch schon angesprochen. Weiß nicht, wie ich das ändern könnte. Die Spannung sollte halt darin bestehen, dass der Leser wissen wollte, wer am Ende die Nase vorn hat.
Wenn dieser Franzose müde war wegen der langen Reise, wieso bleibt er nicht zunächst im Hotel, wie der Professor es getan hat, statt zum Commissario zu gehen. Das Gemälde hätte er ja so oder so nicht ohne den Gutachten des Da Vinci Gelehrten mitnehmen können, oder dich?
Falls ja, dann frage ich mich, wieso der Prof. Lefebvre oder wie auch immer überhaupt mit nach Italien gekommen ist?
Das war in meiner Phantasie ganz einfach so:
Nachdem der Franzose den älteren Gelehrten im Hotel abgeliefert hatte, wollte er vorab schon mal die Lage peilen. Er ahnte wohl schon, dass sein italienisches Pendant irgendwas im Schilde führte.
Im großen und ganzen ist diese Geschichte jedoch gelungen
(Also zerbricht dir nicht allzu sehr den Kopf darüber ;-)
Nein, den Kopf zerbrochen hab ich mir beim Schreiben. :) Jetzt ist es einfach nur interessant zu sehen, wie sie auf andere wirkt, um somit einen Blick in eure Phantasiewelt zu werfen.

und

@MichaelKuss
Da kann ich dir nur zustimmen. Dieses Gemälde hat schon etwas. Desto länger man sich ihr „sanftes“ Lächeln betrachtet, desto schelmischer wirkt es auf einen.
Ich bewahre das Original jedoch nicht im Keller auf. Majestät fordert nicht nur ungeteilte Aufmerksamkeit, ihr ist auch nach natürlichem Licht. So hängt sie still, aber alles andere als brav, in meiner bescheidenen Wohnstube. Manchmal ist das beste Versteck das offensichtliche. ;)

Salam Yasin
À bientôt Michael

F. P.
 



 
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