Die Birnenfrage (Hörbuch)

Art.Z.

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Hier könnt ihr die Geschichte hören:

http://www.youtube.com/watch?v=Axk0fup8e70&feature=youtu.be

Die Birnenfrage

In der Versammlungshalle der Stadt herrschte ein hektisches Treiben. Menschen liefen umher, diskutierten, stritten und gestikulierten wild mit den Händen.
„Ich will die alte, gute Lampe wiederhaben!“, rief die rüstige Häkelladenbesitzerin, Frau Bonder. „Von diesen neuen Dingern habe ich schon seit Jahren zu hohen Blutdruck und Blasenprobleme.“
„Ja, Hilde hat Recht! Bei mir zu Hause sieht es aus, wie in einem Leichenschauhaus“, pflichtete ihr die Tangotanzlehrerin Mizi bei. „Und meine Blumen verwelken wie in der Sahara“, unterstütze sie Magnata, die örtlich ansässige Damenmannschaft-Kugelstoßtrainerin.
Von der Bühne aus betrachtete Herr Maier, der Bürgermeister, das demokratische Chaos. Insgeheim wollte er diese Versammlung schnell hinter sich bringen, da er heute Nacht mit seiner Gemahlin verabredet war, um ihren gemeinsamen Hochzeitstag zu feiern. Vor seinem inneren Auge drehten und wirbelten die Reizwäschestücke, die seine Babsi ihm am Vorabend gezeigt hatte und heute nur für ihn anziehen wollte.
„Konzentrier dich Tiger, gleich ist diese unsinnige Versammlung vorbei. Gleich kannst du ran an den Speck. Gleich. Gleich.“ Er schüttelte seinen Kopf, im kläglichen Versuch seiner Gelüste Herr zu werden und setze zum Reden an. Der leicht überdurchschnittlich ausgeprägte Bauch des Tigers, der zu keiner Extramahlzeit nein sagte, drückte gegen das Rednerpult, so dass er sich nach vorne lehnen musste, um das Mikrofon erreichen zu können.
„Herrschaften, Herrschaften“, begann er, „beruhigen Sie sich doch! Es gibt keinen Grund zur Aufregung. Lassen Sie uns vernünftig über dieses Thema sprechen und ich bin mir sicher, dass wir schnell eine zufriedenstellende Lösung finden werden.“
Kein Mensch in der Halle beachtete ihn. In der hinteren Reihen bahnte sich eine Schlägerei an, da der Hundezwingerbesitzer Hugo offensichtlich anderer Meinung als der Katzenfriseur Pruno war.
„RUUUUUHHHHEEEE!“, schrie der Bürgermeister ins Mikrofon, dass seine gewaltige Wampe in harmonisch Wellen mitschwang.
„Verdammt nochmal, kann man hier denn keine zivilisierte Abstimmung durchführen?“
Sein Wutausbruch zeigte die gewünschte Wirkung: Die Reihen ordneten sich und die Menschen nahmen wieder ihre Plätze ein.
„Nun, wir haben uns heute hier versammelt, um darüber abzustimmen, ob die 60 Watt Glühbirne wieder eingeführt wird.“ Wieder regten sich laute Stimmen im Saal: „So ein Unsinn, du hohle Birne, denkt doch an die Umwelt … Energiefresser, das ist doch nicht zeitgemäß … nein, die alte Birne war viel besser, ich hab schon seit Jahren zu hohen Blutdruck und Blasenprobleme.“
„Herrschaften, Herrschaften, beruhigen Sie sich bitte“, bat der Bürgermeister mit einer langsamen aber eindeutigen Handbewegung. „Wir werden jetzt abstimmen und in wenigen Minuten erfahren wir, wie es weiter geht. So, ich werde jetzt fragen, wer dafür und wer dagegen ist und Sie geben Ihre Stimme mit einem kurzen Handzeichen ab. Gibt es noch Fragen?“
„Ja!“ Frau Binger, die Fahrradkettenreinigerin, meldete sich zaghaft. „Kann man sich auch der Stimme enthalten?“
„Wofür bist du dann hergekommen, du Leuchte!?“, fragte Ingo, der Pferdemasseur, provokant.
„Ich bitte Sie, bewahren Sie einen gewissen Grundton der Höflichkeit, Herrschaften.“ Der Bürgermeister sah entnervt und frustriert aus. „Ja, man kann sich der Stimme enthalten. Natürlich, das ist Demokratie.“
„So ein Unsinn“, dachte er sich, „früher gabs so was nicht bei uns – Abstimmungen, Mehrheiten – so ein Schwachsinn. Ach, war das schön früher.“
„Also, wer ist dafür, dass die 60 Watt Glühbirne wieder eingeführt wird? Bitte jetzt melden.“
Eine deutliche Mehrheit hob die Hand.
„Wer ist dagegen?“
Ein paar wenige, überzeugt trotzige Hände taten ihren Protest kund.
„Will sich jemand der Stimme enthalten? – Niemand. Gut, dann haben wir ein amtliches Abstimmungsresultat. Ab dem ersten Januar des nächsten Jahres darf die 60 Watt Glühbirne wieder benutzt werden. Damit ist die Versammlung beendet. Ich wünsche Ihnen eine gute Nacht.“
Er beeilte sich von der Bühne zu gehen und verschwand rasch in Richtung seines Autos, mit einem Leuchten in den Augen, voller Vorfreude auf das bevorstehende Schäferstündchen.
 



 
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