Die Cousinen

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Daunelt

Mitglied
Die Cousinen


In ihren weißen Kleidern werde ich sie nicht finden, der Garten ist ein einziges Meer aus Tulpen und Narzissen, die duftenden Fliederbüsche, blendend hell, lassen keine andere Farbe gelten. Ich rufe nach ihnen, aber der Ton vergeht wirkungslos in der Mittagssonne. Nur die Lerchen, unsichtbar am blauen Himmel, sind ein perlendes Echo. Es hilft nichts, ich muß sie suchen, das Blütenmeer durchwaten, bis zum Knie reicht es mir. Die Hitze flirrt, der Schweiß läßt das Hemd am Körper kleben. Es ängstigt mich, daß ich niemanden sehe, ein leerer Garten in strahlendem Weiß, nur von Insekten und Vögeln bevölkert. Ich irre von einem Ende zum anderen, bis dorthin, wo der Garten in das Gelb der Felder übergeht und von der Sonne betäubte Rehe träge kauern. Verzweiflung und Mutlosigkeit steigen in mir auf und ich schluchze wie ein Kind.

Ohne meine Cousinen kann ich nicht nach Hause zurückkehren. Ob sie sich verstecken, um mir einen Streich zu spielen, ob sie aus dem Garten entflohen sind oder ein Verbrecher sie entführte: es ist doch im Grunde dasselbe. Das unbekannte Maß an Zeit, daß unserer Gemeinsamkeit gegeben ist, wird geschmälert, und ich will mit ihnen zusammen sein, es ist kein großer und kein exaltierter Wunsch. In meine Angst mischt sich Wut - nicht auf sie, auf ihre Sorglosigkeit, ihren Übermut - sondern auf die gnadenlose Uhr, die selbst hier im sommerlichen Frieden des Gartens tickt. Noch mal gehe ich die überwucherten Wege ab, zwinge mich zur Ruhe. Rosenkäfer wiegen sich in den Blüten, eine Eidechse huscht an den Mauerresten entlang, Libellen stehen für Augenblicke vor meinem Gesicht, drehen dann blitzartig ab. Es ist, als wollten sie mir beim Suchen helfen. Der Tag ist ein Koloß aus Licht, dem sich die Natur beugt. Erschöpft lasse ich mich in das Grün fallen. Grauenvoll ist es, allein zu sein und verlassen von denen, die man liebt. Alles wird bedeutungslos und es bleiben nur Schmerz und Verzweiflung. Ich überlege, wie viele Tage ich treiben werde, wenn ich heruntergehe an den Fluß und mich auf die kalte Reise zum Meer mache, wo alles einerlei wird. Es zieht mich zu den Fliederbüschen, einen Zweig voll weißer und lila Blüten will ich mit mir nehmen. Etwas aus dem Garten soll mich begleiten und mit mir driften, damit ich nicht nackt bin. Hier unter den duftenden Ästen finde ich meine Cousinen.

Da liegen sie in Gras und Farn in ihren luftigen Kleidern, friedlich schlafend. Ihre Busen heben und senken sich gleichmäßig, die schönen Hände haben sie ineinandergelegt, über die sanften Gesichter geht ein Traum. Die Erleichterung läßt mich zittern, eine Welle von zärtlicher Zuneigung durchströmt mich. Ich setze mich vorsichtig, um sie nicht zu wecken und betrachte still ihre Schönheit. Ein Schmetterling taumelt heran, setzt sich auf einen der halb geöffneten Münder. Es ist, als würde er ihren süßen Atem trinken und erheitert und gestärkt fliegt er im Sonnenlicht davon.
 
H

Haki

Gast
hallo daunelt,

das ist ein wortgewaltiges feuerwerk an lyrischer kurzprosa...
mir fällt momentan nicht viel mehr dazu ein, aber in diesem text schaffst du es, mich sprachlich vollkommen von dir zu überzeugen. zum inhalt will ich gar nicht erst übergehen... wirklich sehr gut gelungen!

ein sich verneigender,
haki
 
G

Gelöschtes Mitglied 8846

Gast
Hallo Daunelt,

ein sehr weicher, fast anschmiegsamer Text, der beim Lesen vor meinen Augen flimmerte. Das hier ist meine Lieblingsstelle:
Ich überlege, wie viele Tage ich treiben werde, wenn ich heruntergehe an den Fluss und mich auf die kalte Reise zum Meer mache, wo alles einerlei wird. Es zieht mich zu den Fliederbüschen, einen Zweig voll weißer und lila Blüten will ich mit mir nehmen. Etwas aus dem Garten soll mich begleiten und mit mir driften, damit ich nicht nackt bin.
Ein paar kleine Anmerkungen habe ich trotzdem:
Die erste bezieht sich auf die weißen Kleider (muss es dort nicht heißen: mit oder durch ihre?)und die Blumen die du beschreibst, Tulpen gibt es wohl ganz selten in weiß und Narzissen gibt es auch in gelb. Flieder in weiß und in verschiedenen lila Tönen.
Reichen die Blüten wirklich bis zum Knie?
An einem Fliederbusch sind nicht weiße und lila Blüten zugleich.
Das Fremdwort "exaltierter " will mir nicht zu diesem Tag passen.
Vielleicht magst du ja über das Eine oder Andere nachdenken.

Ansonsten sehr gerne gelesen.

Lieben Gruß
Franka
 

Daunelt

Mitglied
Lieber Haki, liebe Franka !

Vielen Dank für Eure freundlihen Zeilen, die mich wirklich sehr berührt haben. So etwas tut nach einem Tag, an dem man sich mit ätzenden Dingen und Widerlingen herumärgern mußte, echt gut. Zu Deiner Kritik, Franka: das Wort "exaltiert" nehme ich heraus, bei dem Zweig mit den weißen und lila Blüten hätte ich natürlich von "Zweigen" sprechen müssen, wird geändert. Ich stelle mir den - sicherlich in der Realität nicht existierenden - Garten weiß vor, weil es etwas von Reinheit und Unschuld an sich hat, genau so wie die beiden Mädchen und die Liebe des Schreibers zu ihnen. Ich habe im Vorfeld schon einige botanische Unmöglichkeiten entfernt und will gerne versuchen, mit ein paar Veränderungen noch etwas mehr "die Kurve" zu kriegen.

Eine gute Nacht wünscht
Daunelt
 

Daunelt

Mitglied
Die Cousinen


In ihren weißen Kleidern werde ich sie nicht finden, der Garten ist ein einziges helles Meer aus Tulpen und Narzissen, die duftenden Fliederbüsche, blendend weiß und lila, lassen kaum eine andere Farbe gelten. Ich rufe nach ihnen, aber der Ton vergeht wirkungslos in der Mittagssonne. Nur die Lerchen, unsichtbar am blauen Himmel, sind ein perlendes Echo. Es hilft nichts, ich muß sie suchen, das Blütenmeer durchwaten, fast bis zum Knie reicht es mir. Die Hitze flirrt, der Schweiß läßt das Hemd am Körper kleben. Es ängstigt mich, daß ich niemanden sehe, ein leerer Garten im strahlenden Licht, nur von Insekten und Vögeln bevölkert. Ich irre von einem Ende zum anderen, bis dorthin, wo der Garten in das Gelb der Felder übergeht und von der Sonne betäubte Rehe träge kauern. Verzweiflung und Mutlosigkeit steigen in mir auf und ich schluchze wie ein Kind.

Ohne meine Cousinen kann ich nicht nach Hause zurückkehren. Ob sie sich verstecken, um mir einen Streich zu spielen, ob sie aus dem Garten entflohen sind oder ein Verbrecher sie entführte: es ist doch im Grunde dasselbe. Das unbekannte Maß an Zeit, daß unserer Gemeinsamkeit gegeben ist, wird geschmälert, und ich will mit ihnen zusammen sein, es ist kein großer und kein unerfüllbarer Wunsch. In meine Angst mischt sich Wut - nicht auf sie, auf ihre Sorglosigkeit, ihren Übermut - sondern auf die gnadenlose Uhr, die selbst hier im sommerlichen Frieden des Gartens tickt. Noch mal gehe ich die überwucherten Wege ab, zwinge mich zur Ruhe. Rosenkäfer wiegen sich in den Blüten, eine Eidechse huscht an den Mauerresten entlang, Libellen stehen für Augenblicke vor meinem Gesicht, drehen dann blitzartig ab. Es ist, als wollten sie mir beim Suchen helfen. Der Tag ist ein Koloß aus Licht, dem sich die Natur beugt. Erschöpft lasse ich mich in das Grün fallen. Grauenvoll ist es, allein zu sein und verlassen von denen, die man liebt. Alles wird bedeutungslos und es bleiben nur Schmerz und Verzweiflung. Ich überlege, wie viele Tage ich treiben werde, wenn ich heruntergehe an den Fluß und mich auf die kalte Reise zum Meer mache, wo alles einerlei wird. Es zieht mich zu den Fliederbüschen, Zweige voll weißer und lila Blüten will ich abbrechen. Etwas aus dem Garten soll mich begleiten und mit mir driften, damit ich nicht nackt bin. Hier unter den duftenden Ästen finde ich meine Cousinen.

Da liegen sie in Gras und Farn in ihren luftigen Kleidern, friedlich schlafend. Ihre Busen heben und senken sich gleichmäßig, die schönen Hände haben sie ineinandergelegt, über die sanften Gesichter geht ein Traum. Die Erleichterung läßt mich zittern, eine Welle von zärtlicher Zuneigung durchströmt mich. Ich setze mich vorsichtig, um sie nicht zu wecken und betrachte still ihre Schönheit. Ein Schmetterling taumelt heran, setzt sich auf einen der halb geöffneten Münder. Es ist, als würde er ihren süßen Atem trinken und erheitert und gestärkt fliegt er im Sonnenlicht davon.
 
O

Orangekagebo

Gast
Hallo Daunelt,

hat mich sehr angesprochen, Dein Text. Ich sehe sie förmlich schlafen.
Den Schmetterling würde ich persönlich weglassen. Dadurch werden nur Klischees bedient, was dieser Text wirklich nicht muss.
Bin auf Deine Änderungen gespannt!

LG, Karsten
 

Daunelt

Mitglied
Hallo Karsten,

Danke für den Kommentar. Änderungen habe ich schon vorgenommen, besonders was die angesprochenen "botanischen Ungereimtheiten" angeht. Der Schmetterling ist Klischee, keine Frage, aber ist der Gedanke nicht schön und stimmig ? Ich überlege noch.

Liebe Grüße

Daunelt
 
O

Orangekagebo

Gast
Nein, lass´ ihn, Daunelt. Er passt zum Text!!!

Gern bewertet und gelesen.

LG, Karsten
 
H

Haki

Gast
hallo daunelt,

ich war mir nicht ganz sicher, welche Wertung ich dir nun geben möchte. Habe lange geschwankt und wollte nicht unüberlegt werten. Nun ist dies aber getan und verzeih mir, dass ich so lange brauche...

liebe grüße,
haki
 

Daunelt

Mitglied
Hallo Haki,

freue mich immer über ein Feedback, egal ob gleich oder später. Danke für Deine Wertung und ein schönes Wochenende !

Liebe Grüße
Daunelt
 

petrasmiles

Mitglied
Hallo Daunelt,

ich finde es immer wieder erstaunlich wie manche Autoren es schaffen, vor unseren Augen ein Gemälde entstehen zu lassen - oder eine Filmszene aus einem historischen Kostümfilm aus einer Zeit, in der Unschuld so noch darstellbar war.
Ein zauberhafter Text, der Kuß des Schmetterlings ist stimmig.

Liebe Grüße
Petra
 

Daunelt

Mitglied
Hallo Petra,

Danke für Deine freundlichen Worte. Leider habe ich oft mit ziemlich ätzenden Vögeln und wenig angenehmen Situationen zu tun. Solche Texte sind mir eine gewisse Hilfe, ich stelle mir etwas für mich schönes und zugleich trauriges vor, es läßt sich damit einiges verdrängen. Allerdings macht es mich auch sehnsüchtig, ich hätte gerne wirklich einen solch magischen Garten und solch elfengleiche Cousinen. Die Realität hat leider keinen Platz für Romantik, hier regieren Bügelwäsche, langweilige Besprechungen und das trübe Gefühl, bald schon wieder ein Jahr älter zu werden.

Liebe Grüße
Daunelt
 

Sweetrebell

Mitglied
hallo daunelt

habe an den Blüten gerochen, die Wärme gespürt und dem Schreiber über die Schultern geschaut um seinen Blick auf die schlafenden Cousinen zu stehlen ;)

lg
sweetrebell
 

Eve

Mitglied
... eine wahrhaft lyrische Geschichte. Ich fühle mich in der Zeit zurück versetzt, was wohl an den weißen Kleidern und dem Fliedergarten liegt ;-)

Schöne Sprache!

Viele Grüße,
Eve
 

Daunelt

Mitglied
Danke Eve, danke Sweetrebell für Euer Feedback. Ich versetze mich gerne in eine solche Zeit zurück. Ein Dichter hätte damals wohl auch mehr Ansehen genossen als heute...Andererseits: es gab auch nicht unbedingt Klos mit Wasserspülung und Medikamente gegen dieses und jenes. Wäre es nicht schön, eine Synthese aus den damaligen und den heutigen Vorteilen zu haben ?

Seufz !
Gute Nacht
Daunelt
 



 
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