Die Ehr abkaufen

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Walther

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Die Ehr abkaufen


Ich fühle mich so alt und richtig leer
Und kann die Schreckensbilder nicht mehr sehen.
Dass wir nach allem immer weiter gehen,
Das kann ich nicht verstehn, werds niemals mehr.

Die’s überlebten, denen bleibt das Flehen,
Es bleibt der Schmerz und dann voll Hass ein Meer.
Der Krieg ist stets nur eine Wiederkehr
Von Qual und Mord. Ruinen bleiben stehen.

Und tief im Innern sind nur Trümmerhaufen,
Die Angst, sie nistet sich in Herz und Seelen.
Man sieht die Kinder durch die Bomben laufen,

Man hört die Schreie, wenn sich Menschen quälen.
Dann will man seinem Gott die Ehr abkaufen
Und für die Welt sich ein Erbarmen stehlen.
 

Höldereden

Mitglied
Hi Walther,

nur eine frage, hast du die sonette-form extra gewählt? Würde ja zu der memento mori aussage passen.
Ich finde übrigens die letzte strophe besonders gut:
[red]"Dann will man seinem Gott die Ehr abkaufen
Und für die Welt sich ein Erbarmen stehlen."[/red]

Liebe grüße,
Höldereden
 

Walther

Mitglied
Moin Höldereden,

die Sonettform ist bewußt gewählt. Das Sonett ist DAS Diskursgedicht, so auch hier:

* Strophe 1: Innensicht
* Strophe 2: Außensicht
* Strophe 3: Innen im Außen
* Strophe 4: Moral von der Geschicht

Das ist die grobe Struktur.

Was auf den ersten Blick daherkommt wie ein einfaches Betroffenheitsgedicht - klassisch Note "5" -, ist aber wegen einiger Aspekte dann doch keines, u.a. wegen des letzten Verspaars, wie Du dankenswerterweise hervorhebst. Denn in diesen beiden Versen wird das ganze Dilemma des Kriegs im Heiligen Land (für mind. 3 monotheistische Religionen) deutlich, aber auch, daß der Gott keiner der Religionen, der sowieso der gleiche ist, für das Herhalten kann, will und wird, das dort in seinem Namen geschieht.

Daneben habe ich noch zwei deutsche Redewendungen miteinander verwoben, weshalb es zu diesem Sonett noch eine zweite, explizitere Version gibt. Vielleicht findet dieses Bonbon ja noch ein LL-Leser heraus, dann poste ich als Bonbon auch diese andere Version, die es in meinen Augen zu einfach gemacht hätte, die Zielrichtung des Gedichts zu entschlüsseln.

Und ein bißchen etwas muß man ja den Lesern auch als Geheimnis zur Entdeckung lassen. Denn sonst wäre es ja das Betroffenheitsgedicht mit der berühmten Note - "das habe ich schon anderswo besser gelesen, geht aber so" = "5" -, so ist es von Dir wenigstens eine "6" = "geht schon so, könnte aber doch noch ein wenig besser werden, um richtig gut zu sein". Dafür übrigens danke. Wer hier postet, kommt sowieso nicht mit dem Anspruch, richtig gut zu sein, sonst wäre er ja wer und schon in der Buchhandlungsauslage. Wenigstens ich tue das nicht. Daher ist diese "6" schon fast ein Lob, das ich sehr gerne und dankbar entgegennehme. Denn besser werden sollten wir alle immer, denn wer rastet, der rostet, das gilt auch für die (Gelegenheits)Dichter(Dillettanten) aller Tage. Wie meiner einer, also.

Liebe Grüße

W.
 



 
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