Die Entwicklungsgeschichte einer Entscheidung von sportpolitischer und persönlicher..

wowa

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Die Entwicklungsgeschichte einer Entscheidung von sportpolitischer und persönlicher Tragweite, dargestellt als nächtlicher Prozess
Eine Rekonstruktion


Prolog:
Die genfer Kantonspolizei fand vorgestern am Ufer des gleichnamigen Sees die Kleidungsstücke und Ausweißpapiere des Arkady S. Sein Leihwagen stand auf einem nahegelegenen Parkplatz.
Herr S. ist der aktuelle Trainer des bekannten deutschen Fußballvereins `Burning Flamingos`.
Über den persönlichen Verbleib des Arkady S. machte die Polizei keine Angaben.
(Zitat Neue Zürcher Zeitung)
------- … --------

Er schaltete den Computer aus und starrte auf den Monitor. Es war still im Haus und auf der Straße. Ein leises Schaben an der Balkontür ließ ihn herumfahren. Hinter der Scheibe stand ein Flamingo, groß, feuerrot und sah ihn an.
Leise fluchend schüttelte er den Kopf und schloss kurz und heftig die Augen. Das Tier verschwand, der Balkon war leer, die Nacht schwarz. Mittlerweile konnte er mit derartigen Erscheinungen umgehen, sie hatten ihren Schrecken verloren, er nahm sie als ein Symptom der angespannten Situation. Die Geschehnisse entwickelten ihre eigene Dynamik und sein Einfluss schwand, soviel war klar.
„Herr S.,“ sagte der Vorstandsvorsitzende heute Morgen, „die Lage ist besorgniserregend. Sie sind ein Teil des Problems. Nach unserem Eindruck haben Sie den Kontakt zur Mannschaft verloren. Sie können diesen Eindruck korrigieren, sicherlich, würde uns freuen, aber denken Sie daran : Viel Zeit haben Sie nicht mehr.“
Deutliche Worte, der Vorstand nahm Abstand. Nur normal nach einer Negativserie, wie die `Burning Flamingos` sie hingelegt hatten. Das nächste Spiel dürfte in dieser Beziehung die Krönung werden.
Arkady seufzte und trank einen Schluck Wodka.
Seine Spieler hassten ihn, das hatte dieser Vorstandsfuzzi ganz richtig beobachtet. Sie mochten weder seine Aufstellung noch seine Trainingsmethoden. Beispielsweise ließ er sie vor jeder Einheit ein wenig Seilspringen, um die Leichtfüßigkeit zu fördern. Die Spieler murrten, sie seien doch keine Boxer. Schließlich konnte er nur Kraft seiner Autorität die Maßnahme durchsetzen. Gebracht hat es nichts, es reihte sich weiter Niederlage an Niederlage.
Entsprechend schriller wurde das Wutgeschrei der Zuschauer. Die organisierten Fans stimmten obszöne Schmähgesänge an und großflächige Transparente bezichtigten ihn der Unfähigkeit.
Die unvermeidlichen Pressekonferenzen spiegelten den Verlauf der Saison. Anfangs galt eine wohlwollende Schonfrist, doch mit den ausbleibenden Erfolgserlebnissen wurden die Fragen drängender, bohrender. Er blieb bei seiner Linie und gab den unerschütterlichen Optimisten, verbindlich, freundlich, aber in der Sache hart. Seine Einstellung war stets professionell, auch in heiklen Situationen; notfalls variierte er das bereits Gesagte eloquent ein weiteres Mal.
„Wir werden das Spiel in Ruhe analysieren und dann…, das Spiel muss aus den Köpfen…, abhaken…, wir müssen jetzt nach vorne schauen.“
Die Zeitungsleute reagierten zunehmend zynisch und demontierten ihn in ihren Kommentaren.
Ebenso das lokale Fernsehen.
Und nicht nur das. Die öffentliche Meinung begann perfiderweise, seine Körpersprache auf dem Platz zu analysieren. Die war offenbar vielsagender als seine Statements. An dem Punkt war er verwundbar.
„Arkady lässt die Flügel hängen: leerer Blick, ratlos, gramgebeugt,- Flasche leer!“
Dieser Satz aus irgendeinem Fachblatt war ihm im Gedächtnis geblieben, wohl wegen des `gramgebeugt`. Eine neue, unverbrauchte Vokabel, die sie in seinem Fall wahrscheinlich für überaus originell hielten.
Diese Schweine!
Er stand auf, lief im Zimmer auf und ab und ballte die Fäuste.
Die Gelassenheit, mit der er seine Plattitüden publikumswirksam zu Protokoll gab, war Fassade, Mimikry, Tarnung. Das wusste jeder, der ihn kannte. Trotzdem oder gerade deshalb kam es auch im privaten in der letzten Zeit zu merkwürdigen Ausreißern. Einen guten Freund, der ihn bei einem seiner seltenen Kneipenabende ganz harmlos fragte, ob er es nicht mal mit einem 4/4/2 (1) versuchen wolle, schlug er wortlos nieder.
Er hatte sie alle so satt!
Abrupt stoppte er seinen hektischen Bewegungsdrang, langte nach dem Telefon und drückte die Nummer seines Co-Trainers. Es meldete sich die mailbox, der Mann schlief schon. Arkady war es lieber so.
Er schilderte kurz und anschaulich einen heftigen grippalen Infekt und übertrug seinem Mitarbeiter die Organisation der Trainingseinheiten und überhaupt alles weitere, bis er wieder gesund sei. Das könne dauern.
Nach diesem Anruf fühlte er sich merklich besser. Er hatte eine Entscheidung getroffen, das Hamsterrad würde sich in Zukunft ohne ihn drehen.
Am Morgen in aller Frühe leerte er sein Konto, kündigte die Wohnung, überwies noch drei Monatsmieten und stieg in den nächsten Zug nach Basel. Dort deponierte er sein Geld bei einer dieser diskreten Banken und schlief sich erst mal aus.
Ein paar Tage später abends am Genfer See las er in einer frisch erschienenen französischen Sportzeitung einen ausführlichen Bericht über die `Burning Flamingos` und ihren eindrucksvollen Sieg, mit dem niemand gerechnet hatte.
„Arkady, das ist eine gute Nachricht. Kein Grund für extreme Emotionen. Du musst jetzt nach vorne schauen,“ sagte er zu sich selbst und blickte hinaus auf das schwarz glänzende Wasser.


(1) 4/4/2 - taktisch defensive Mannschaftsaufstellung im Fußball: 4 Verteidiger, 4 Mittelfeldspieler, 2 Stürmer.
 

Sebahoma

Mitglied
Hallo wowa,

deinen Text finde ich gut und ich habe ihn gerne gelesen. Die Anspannung, die auf dem Prot liegt, kann man gut nachvollziehen.

Allerdings finde ich, dass das Wort Prozess nicht ganz passt, denn darunter verstehe ich eine längere Phase und Entwicklung als sie hier vorkommt. Vielleicht könnte der Trainer schon früher im Text mal daran denken, einfach zu fliehen und davon träumen, wie schön es wäre, dem Druck zu entkommen. Erst nur als verrückte Idee, dann als ernste Überlegung und schließlich als festen Plan.

Ist aber nur so ein Gedanke von mir. Wenn du magst, versuche ihn umzusetzen, wenn nicht, ignoriere ihn.

Viele Grüße,
Sebahoma
 



 
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