Die Erkenntnis eines Mannes, die zu spät kommt...

Rei

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Die Erkenntnis

Heute war es soweit: wir konnten die erste Motorradtour des Jahres machen, bei der meine Freundin Saskia nicht mehr Beifahrerin meines Bruders war (mein Motorrad ist für zwei Personen einfach zu klein), sondern selbst fahren konnte. Wenn ich noch daran denke, wie lange wir auf sie eingeredet haben, damit sie sich endlich für den Führerschein anmeldet! Sie schwärmte immer so vom Motorradfahren, fuhr auch mal schwarz auf dem großen Parkplatz beim Einkaufszentrum, aber sie hatte sich nie getraut, den Schein wirklich zu machen. Aber jetzt hatte sie ihn seit drei Wochen in der Tasche, doch das Wetter hatte uns immer einen Strich durch die Rechnung gemacht.

Unsere Maschinen knatterten im Hof um die Wette, als sie warmliefen. In der Zwischenzeit überprüfte mein Bruder die Zustände der Ketten und Räder, während ich meiner Freundin den Kopfhörer der Gegensprechanlage, wie man sie von den Harley-Fahrern her kennt, unter den Helm klemmte. Ihre Augen strahlten mich dabei freudig aus dem Helm heraus an. Sie war aufgeregt, da sie heute zum ersten Mal ihre eigene Maschine fahren würde, die seit etwa vier Wochen auf sie wartete. Ich weiß noch, wie sehr sie sich dieses Motorrad gewünscht hatte und werde nie ihren Gesichtsausdruck vergessen, als wir es ihr zum Geburtstag in einer gemeinsamen Aktion mit ihren Eltern, meinen Eltern und unseren sämtlichen Freunden schenkten. Und beinahe genauso sah sie mich jetzt wieder an. Das tat meiner männlichen Seele unheimlich gut, da eine solche Frau mich liebte. Wie oft hatte mein Bruder zu mir gesagt: „Daniel, du bist ein Glückspilz.“ Der Kopfhörer saß fest, das Mikrofon befestigte ich am Kinnstück des Helmes. Zuletzt steckte ich noch ein weiteres Kabel in das kleine Funkgerät, an dem ein Drücker befestigt war, mit dem man die Sprechanlage aktivieren konnte. Den Drücker band ich ihr mit Klettband an den behandschuhten Zeigefinger, so daß sie bequem mit dem Daumen dagegen drücken konnte, um die Sprechfunktion zu aktivieren. Mein Bruder und ich machten uns ebenfalls startklar, dann testeten wir die Geräte. Sie waren alle auf die gleiche Frequenz eingestellt, so daß jeder mithören bzw. sprechen konnte. Allerdings waren die Sprechkanäle der anderen Funkgeräte gesperrt, wenn einer von uns seinen Sprechknopf drückte. Die Geräte funktionierten, und es konnte losgehen.

Wir fuhren erst ein wenig durch die Stadt, damit meine Freundin sich an ihre neue Maschine gewöhnen konnte, die etwas bulliger als die Fahrschulmaschine war. Als sie damit gut klar kam, verließen wir die Stadt auf einer Landstraße. Es war eine einfache Strecke: lange Geraden und langgezogene Kurven, in denen meine Freundin immer den Sprechknopf drückte und lauthals lachte. Wie ich diese Frau liebte! Mein Herz lachte mit ihr und ich war sehr zufrieden mit meinem Leben.

Das Wetter war herrlich und hatte unzählige andere Biker auf ihre Maschine getrieben, so daß wir kaum aus dem Grüßen herauskamen. Wir genossen den Sonnenschein, drehten die Motoren hoch und brausten durch die Gegend. Es war einfach zu herrlich! Meine Freundin wurde langsam übermütig, überholte meinen Bruder und mich und ließ sich dann wieder zurückfallen, so daß ich voraus, sie in der Mitte fuhr und mein Bruder das Schlußlicht bildete. Ich gab Gas und zwang meine Maschine um die Kurven, so daß ich die beiden bald hinter mir gelassen hatte. Der Wind trieb mir die Tränen in die Augen, bis ich langsamer machen mußte, da ein Auto vor mir fuhr. Ich wurde ungeduldig, da es so langsam war, als ich etwas über meinen Kopfhörer hörte. Anfangs wußte ich nicht, was es war. Es klang fremdartig und seltsam, bis ich endlich verstand, was die Stimme sagte: „Thomas!“. Bis dann zu mir vordrang, daß es die Stimme meiner Freundin war, war ich schon um eine weitere Kurve. Aber sie klang so anders! Rauh, röchelnd, keuchend. Mir wurde heiß und kalt. Ich schaute in den Rückspiegel, aber ich konnte sie nicht sehen. Ich war schon zu weit weg von ihr. Doch bei ihrem einen Schrei blieb es nicht. Sie schrie wie von Sinnen, ich drehte fast durch vor Angst. Panisch drückte ich meinen Sprechknopf, doch sie blockierte ihn. Bis ich auf die Idee kam, zu wenden, waren schon wieder zwei Kurven zwischen uns. Ich wendete, drehte den Gashahn bis zum Anschlg auf und fuhr auf dem Mittelstreifen wie ein Gestörter, um Autos zu überholen und möglichst schnell bei ihr zu sein. Inzwischen war das Röcheln lauter geworden, ihre Stimme undeutlich, aber ich hörte meinen Bruder: „Saskia, ich nehm dir den Helm ab.“
„Nein.“ keuchte sie. „Nein, es tut mir alles weh. Thomas... sag was liebes.“ Ihre Stimme war nur noch ein Flüstern. Mir liefen die Tränen über die Wangen vor lauter Sorge, so daß ich gar nicht mitbekam, was sie da eigentlich sagte. Ich hörte nur den Klang ihrer Stimme und war so voller Angst, daß ihr etwas zugestoßen sein könnte.
„Ich liebe dich, Saskia.“ drang an mein Ohr. Schlagartig wurden mir die Worte bewußt. Auch, daß sie die ganze Zeit nach meinem Bruder gerufen hatte, kam so langsam in meinem Hirn an.
„Ich liebe dich auch, Thomas.“ flüsterte sie schwach, dann hörte ich noch ein leises Schnaufen.
„Nein.“ kam Thomas weinerliche Stimme an mein Ohr. „Nein, Saskia!“
Ich war endlich am Unfallort angekommen. Autos standen quer, das Motorrad meiner Fraundin lag unter einem Benz eingeklemmt. Sie lag etwa fünf Meter davon entfernt, umringt von neugierigen Menschen, die ihr den Platz zum Atmen nahmen.

Ich sprang vom Motorrad, ließ es fallen, riß mir den Helm vom Kopf, schmiß ihn von mir weg, schubste die Leute zur Seite und kniete mich neben Saskia. Aber ich kam zu spät, sie war tot. Ich schloß ihre hellen Augen, die mich vor nicht einmal zwei Stunden noch so erwartungsvoll angestrahlt hatten. Wie ich diese Frau geliebt hatte! Aber was war mit ihr gewesen? Was mit Thomas? Ich sah meinem Bruder in die Augen, die mit Tränen gefüllt waren. Und da sah ich es: er hatte diese Frau auch geliebt. Aber dieses Erkennen kam ebenso spät wie mein Verstehen, daß sie ihn geliebt hatte, und nicht mich.

ã Rei 240700
 

maskeso

Mitglied
Lösch das doppelte Posting!!!!!

Das kenne ich doch! Noch von der alten Leselupe? Aber die Story ist es schon wert, wieder veröffentlicht zu werden. Dabei finde ich sie recht schwach, etwas langweilig und klischeehaft - bis zum Ende. Der Schluss reisst alles wieder raus. Es ist sicher nicht die schönste Geschichte die ich je gelesen habe, aber ebenso sicher eine der Nachdenkenswertesten (was ein Wort..).
 

Andrea

Mitglied
4 von 10 Punkten

Ich fand sie schon damals etwas suspekt. Sprachlich ist sie solide geschrieben, auch wenn ich gestehen muß, daß sie mich niemals packt. Aber daß der Freund nicht sofort beim Namen seines Bruders elektrisiert ist, es nicht sofort begreift - also bitte! Genauso seltsam wie die Tatsache, daß er vorher von seiner glücklichen Beziehung schreibt und der Leser erfährt, daß zumindest Saskias Beziehung nicht ganz so erfüllt gewesen sein dürfte...
 

micl

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Eigentlich ganz passabel,bis auf die bereits bemängelten sachlichen Fehler.
Mir will nur nicht in den Kopf, warum die Erkenntnis zu spät kommt. Meiner Meinung nach kommt sie gerade Recht, denn wie kompliziert und letzlich unauflösbar wäre die Situation geworden, wenn er auch über den Tod hinaus geglaubt hätte, er wäre von dieser Frau geliebt worden.
 

Rei

Mitglied
ja, die geschichte habe ich schon in der alten leselupe veröffentlicht, deshalb kennt ihr sie wahrsheinlich schon.

ich danke euch jedenfalls für eure kritik, aber das ganze ist auch eine thematik, die ich so nicht beurteilen kann. auch wenn meine andere geschichte auch von diesem thema "freundin-liebt-bruder" handelt. ich habe mit der thematik gespielt und möglichkeiten aufgezeigt, auch wenn ich die situation bei weitem nicht beschreiben kann, wie es ich anfühlt, einen menschen zu lieben, den ich nicht lieben darf. aber ich werde mich nochmal dransetzen und an ider geschichte feilen.

rei
 



 
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