Die Fabrik

5,00 Stern(e) 1 Stimme

Plejadus

Mitglied
D i e [ 2] F a b r i k​






Ankunft


"Dort!", sie deutete in die Ferne. "Sieht sie nicht wie ein Schloss aus? Sie thront, findest du nicht, dass sie thront?"
Pauline hatte mich vom Zug abgeholt, um mich, wie verabredet, zum Hotel zu begleiten. Und nun standen wir auf dem Bahnhofsvorplatz.
"Hm. Ich hatte sie mir größer vorgestellt."
"Nein, die Fabrik ist gewaltig, sie ist ziemlich weit weg, weißt du? Es täuscht. Du wirst sehen ... Taxi!"
"Sag mal, wieso halten wir nicht? Gibt 's hier noch ein anderes Hotel?", fragte ich Pauline verwundert, als wir kurz darauf an der einzigen Herberge des Städtchens vorbeifuhren.
"Nein, wir fahren zu mir. Paulines Couchdreiviertelpension. Einverstanden?"
"Aber ...“
"Passt schon."
Sie konnte sich wohl noch entsinnen, dass mir Hotels ein Grauen waren und erntete mein dankbarstes Lächeln.
Ein paar Minuten später hielten wir in einer engen Gasse vor einem Fachwerkhaus.
"Waren Sie schon einmal in der Fabrik?", fragte ich den Taxifahrer, der gerade damit beschäftigt war, mein Gepäck aus dem Wagen zu wuchten.
"In der Fabrik? Ich? Habe nichts zu tun mit der Fabrik", antwortete er, klappte den Kofferraum zu, stieg ein und fuhr davon.


Pauline


"Was meinte der Kutscher damit, dass er mit der Fabrik nichts zu tun habe?", fragte ich Pauline, später, als wir vor einer Tasse Tee an ihrem Küchentisch saßen.
"Ich weiß nicht, er wirkte kurz angebunden, komisch. Vielleicht, dass dort keine Touren hinführen oder so? Keine Ahnung."
"Warst du schon einmal dort, Pauline?"
"Nein ... doch. Also nicht in der Fabrik. Ich hab da ein -, zweimal etwas abgegeben, am Tor. Ich mach manchmal so Kuriersachen, weißt du? Wenn man dort anliefert, legt man das Gut in einen Schacht neben das Portal, berührt einen Knopf und geht. Das funktioniert alles vollautomatisch. Ich kenne niemanden, der da ein oder aus ginge."
"Du meinst, dort ist niemand?"
"Das habe ich nicht gesagt. Ich habe nur gesagt, ich kenne niemanden ..."
Pauline schien seltsam gereizt, und ich beschloss, das Thema fürs Erste ruhen zu lassen, auch wenn mir ihr Verhalten rätselhaft erschien. Immerhin hatte sie mich eingeladen, hierherzukommen, sie zu besuchen und dabei am Telefon nicht selten von der Fabrik geredet oder besser: über die Fabrik, so dass ich bei der Anreise im Zug bald häufiger daran dachte, als an sie, Pauline, die alte Freundin aus den Tagen meiner chronisch chaotischen Scheinstudentenzeit. Das mochte auch daran gelegen haben, dass Pauline, obwohl sie davon redete, doch nie etwas Greifbares, annähernd Konkretes von der Fabrik erzählt hatte. Als wäre diese ein heißer Brei, dessen Hitze nur zu bannen war, in dem man ihn mit möglichst vielen, nichtssagenden Worten befächerte.
So verlief der Abend dann bei Plaudereien über alte Zeiten und Freunde, ohne dass die Rede noch einmal auf die Fabrik kam. Irgendwann umschlich uns die Müdigkeit, und Pauline klappte mir gähnend das Gästesofa aus.
Dann küssten wir uns zur Nacht wie Freunde; und doch, trog mich nicht alles, so war dieser Kuss keiner, der die Küssenden trennen wollte - es war ein Kuss, nicht zwei. Das verhieß den Tagen, die da folgen sollten, eine verlockende Aussicht.

Ehe ich mich bettete, trat ich noch einmal ans Fenster und schaute in die Nacht. Paulines Wohnung befand sich im Dachgeschoss des mehrstöckigen, mittelalterlichen Hauses, und so ging der Blick weithin über den Ort, dessen viele warm-gelbe Leuchtpunkte mich in eine heimelige Geborgenheit tunkten, bestärkt durch die sie umfassende Dunkelheit. Dort, fernab, jenseits aller Lichter, waren die Konturen des Hügels mit der Fabrik darauf zu erahnen - als Schatten vor nächtlicher Schwärze.


Am Fenster


Am nächsten Morgen zeigte sich die Kehrseite der Dreiviertelcouchpension, mir schmerzten sämtliche Knochen, und es bedurfte einiger halbschläfriger Gymnastikeinlagen, dem Gefühl zu entrinnen, ich würde von einem launischen Skelett bewohnt. Schließlich schlurfte ich ins Badezimmer. Dort hing ein Zettel am Spiegel. Wie klassisch, dachte ich und las:
'Hi, bin schon auf der Fabrik, Du Schnarchnase! Später / P'
Auf der Fabrik? Ich rieb mir die Augen, und las noch einmal:
'Hi, bin schon auf dem Markt, Du Schnarchnase! Später / P'
Warum in aller Welt hatte ich Fabrik, gelesen? Ich schüttete mir erst einmal einen Schwall Wasser ins Gesicht - nein, Markt. stand da, einfach nur: 'Markt'.
Auf dem Küchentisch hatte Pauline mir ein Frühstück bereitet, doch mich zog es zum Fenster. Ein unbestimmter Drang nötigte mich gleichsam, dem Bild der vergangenen Nacht das des neuen Tages hinzuzufügen. Unwillkürlich betrachtete ich beginnend nur die Dächer der kleinen Stadt, den Kirchturm, der in nahezu ebenbürtiger Höhe nicht weit entfernt zwischen ihnen emporragte. Erst jetzt getraute ich mich, den Blick über das Meer der orangen und gelben Dachziegel zu heben, auf die Fabrik. Es war gut zu erkennen, wie sich ein hellgraues Straßenband gradlinig aus dem Ort hinausschob, bald sich krümmte und bog, den Hügel hinaufwand und oben an der Fabrik vor einem Tor abrupt endete.

Wie ein Schloss?

Sie hatte eigentlich nichts sonderlich Bedrohliches mehr, nun, da sie dem hellem Tageslicht preisgegeben, so auf der Anhöhe ...

Es thront!

Sie beherrschte ihn, den Hügel, keine Frage. Eine Mauer umgab den Komplex, dessen Gebäude fenster- und farblos darüber hinaus ragten wie angeschrägte Monolithen. Die ganze Anlage wirkte bleiern; aber nicht ihre Ausdehnung schien gewaltig. Eher war es, als lastete die Fabrik gar allzu schwer auf der Erhebung, und man erwartete jederzeit, Zeuge ihres mählichen Einsinkens zu werden.
Zwei Brötchen und einen Kaffee später klimperten Schlüssel und ein ironisch gemustertes, hingeflötetetes: "Na, schon wach, Dreiviertelcouchgast?", drang vom Flur zu mir herüber.
"Nein, nur ein Viertelwach", gab ich zurück.
Pauline hatte die Arme voller Tüten, aus denen grün und bunt Obst und Gemüse quoll, als sie in die Küche einfiel und schien überhaupt in einer Energiewolke herumzuschwirren; sie überschüttete mich mit Fragen nach den Umständen meines Morgens, ob ich denn den Zettel gefunden hätte, was ich davon hielte, einen kleinen Stadtbummel zu unternehmen und so fort.
"Stadt? Welche Stadt?", fragte ich mit der gespielten Arroganz eines Metropolenbewohners.
"Na, diese Stadt eben, Großdorftrottel! Sind 's dir der Häuser hier nicht genug? Es gibt viel zu sehen!"
"Die Fabrik?"
Pauline schaute mich mit angespitztem Blick an.
"Nein, die Fabrik ist nicht die Stadt. Und die Stadt ist nicht die Fabrik. Ich meinte die Stadt!"
Sie sagte das in immer noch fröhlichem, gut gelauntem Ton, doch mir war, als schrumpfte ihre Wolke zusehens dahin.
"Pauline, was ist mit der Fabrik? Du hattest mir, bevor ich auftauchte, in einem fort davon erzählt. Die Fabrik hier, die Fabrik da. Und jetzt scheint es, als würdest du sie fortwährend hinter deinem Rücken verbergen, wie ein unpassendes, peinlich gewordenes Geschenk?"
Pauline lud ihre Marktbeute auf einer Küchenanrichte ab und setzte sich zu mir an den Tisch.
"Weißt du, ich lebe nun gerade einmal seit zwei Jahren hier. Als ich her zog, da gab es die Fabrik bereits, und sie sah eigentlich genauso aus wie heute. Die Fabrik ist hier, niemand kann daran vorbeischauen. Ich habe es dir ja schon am Bahnhof gesagt, wie ein mächtiges Schloss thront sie dort. Aber glaube mir, niemand hier im Ort fühlt sich davon auch nur irgendwie ... irgendwie berührt, so scheint es jedenfalls. Das habe ich schnell herausgefunden, denn natürlich hatte ich am Anfang, genau so wie du, nur Augen für den Hügel, für diese sonderbare und unglaubliche Präsenz dort oben. Klar wollte ich alles darüber erfahren, doch was ich erfuhr, war nicht viel ..."
Pauline schraubte nachdenklich die Thermoskanne auf und schenkte sich einen Kaffee ein; dann fuhr sie fort:
"Eigentlich schien niemand viel zu wissen und seltsamerweise reduzierten sich die Informationen über die Fabrik eher, als dass sie sich zu etwas verdichteten, je mehr ich danach fragte, und bald schwand mein Interesse, als wickle mich etwas in einen Kokon, verstehst du?"
"Nicht so recht ..."
"Ja, es ist eben seltsam. Seltsames ist nicht gut zu verstehen. Aber es ist so, heute weiß ich kaum mehr als vor zwei Jahren. Und das, was ich in Erfahrung bringen konnte ..."
"Ist was?"
"... ist viel dürftiger und nicht viel mehr, als das du siehst, wenn du hier zum Fenster heraus schaust. Es ist eine Fabrik, sie liegt außerhalb der Stadt auf einem Hügel, sie ist von einer hohen Mauer aus Beton umgeben, sie hat eine Zufahrt, ein Tor, neben welchem sich ein Schacht für geringere Anlieferungen befindet ..."
"Und ein Knopf."
"Ja, genau, und ein Knopf", wiederholte sie leise, als wollte sie sich damit von weiteren Beschreibungsverpflichtungen abschalten.
"Das ist alles? Was geschieht denn dort? Ich meine, das muss doch bekannt sein?"
Pauline erhob sich und ging zum Fenster.
"Ist halt eine Fabrik. Die Leute sagen, dass dort nahezu alle Prozesse vollautomatisiert ablaufen. Deswegen hat sich auch nie jemand aufgeregt, dass hier keine Arbeitsplätze entstanden sind, es war von Anbeginn klar. Manchmal öffnen sich die Tore für Lastwagen."
"Die was befördern?", bohrte ich, obgleich ich spüren konnte, dass sich Paulines Energiewolke unterdessen komplett verflüchtigt hatte.
"Spezielle elektronische Module, Konstruktionsteile, Verbundstücke für andere, ähnlich autonome Industrien - all die komplizierten Sekundärbauelemente, ohne die andere Industrien gar nichts fertigen könnten . Maschinenbauteile für Maschinen, die Maschinen bauen, die Maschinen bauen - was weiß ich, so etwas halt; es gibt nicht nur dies eine Schloss auf der Welt. Das ist jedenfalls, was ich gehört habe; es wird gesagt, dass die Fabrik sowohl betrieben als auch verwaltet wird von einer selbständig handelnden, künstlichen Intelligenz.”
“Also Roboter?”
“Ich denke, sie weisen sie an, sie treffen Entscheidungen, dort in ihrer Fabrik. Angeblich ... aber egal, lass uns jetzt lieber bummeln gehen, was meinst du?"
"Wenn du deinen Satz zu Ende bringst, bummle ich doppelt, sonst gar nicht."
Pauline, genervt und zugleich froh über ihren halben Sieg, leerte ihre Kaffeetasse und fuhr fort:
"Es wird manchmal behauptet, dass das, was man von der Fabrik wahrnähme, nur ein kleiner, sichtbarer Teil sei, etwa so wie bei einem Eisberg."
"Du meinst den Hügel?"
"So - mehr weiß ich nicht. Hinfortgebummelt, sonst verklapp ich die Couch im Baggersee!"


Exkursion


So bummelten wir also los, und ich vergaß fürs Erste die Fabrik und all das, schüttete lieber eine gute Portion fröhlicher Hormone aus und balzte um Pauline herum wie eine verknallte Samenzelle ums hüpfende Ei. Wir beschauten die Altstadt, ihren Marktplatz, die gotische Kirche, Läden voll gierig buhlender Ware, knautschig-krumme Gassen und landeten endlich in Paulines Lieblingscafé, welches sich 'Zum Schwanenglück' benannte. Nun, in der Tat waren zwei dieser Vögel zugegen, im Teich, der nach hinten heraus ans Café grenzte, einem trübsinnigen, algenverseuchten Loch, das in der Nachmittagshitze lieblich-süßlich vor sich hin brütete, zu einem Viertel überbaut von der Biergartenterrasse, auf welcher wir uns so dann pflanzten.
"Ich glaube, da ist noch Luft nach oben, was das Schwanenglück anbelangt", sauergurkte ich, das dümpelnde Paar im Blick.
"Glaube nicht, dass die fliegen können", sagte Pauline und bestellte zwei Eiscafé.
Der Biergarten war gut bevölkert, an einem Tisch saß ein kleiner, rundlicher Mann mit Hornbrille, schwer vertieft in ein Buch; ein anderer kam hinzu, und die beiden begrüßten sich wie zwei, die sich noch nie zuvor gesehen hatten.
In bauchige Kelche gepferchte Milcheisberge tauchten vor uns auf, und ich betrachtete verzückt Paulines Weg, einen Eiscafé zu vernaschen. Sie gab dem Trinkhalm - wenngleich nur leichten - Vorzug vor dem Löffel und gönnte sich hierzu hin und wieder eine taktische Pause, nicht nur, dem Eis Gelegenheit zu geben, sich zu verflüssigen, sondern auch ihrer Wollust, sich zu bauschen.
Purer Sex, dachte ich.
"Was?"
"Ach, nichts ... kennst du eigentlich das Buch 'Als die Gedanken Lesen lernten'?"
Die Fabrik war selten zu sehen, meist verbauten die eng gedrängten Altstadtgemäuer den Blick, nur manchmal war die Sicht frei auf den Hügel. Als wir heimkehrten, dunkelte es schon, und meine Hand lag in Paulines.
Der Kuss zur Nacht geriet zum Inferno, und wir verschmolzen weit jenseits jeder Dreiviertelklappcouch, sanken dahin, Touristen im Chaos des Urknalls, zwei tanzende Sterne der Nacht - und die Zeiten feierten ewige Wiedergeburt.
Ich habe keine Ahnung, weshalb ich Pauline nach den genauen Ausmaßen des Schachtes der Fabrik fragte, als wir wieder zurück waren.
"Eins-fünfzig mal eins-fünfzig, ungefähr ... warum?", fragte sie - aber da war es bereits zu spät.
Als Pauline am nächsten Morgen das Badezimmer aufsuchte, hing dort wieder ein Zettel. Nur hatte ihn diesmal nicht sie dorthin geklebt, sondern ich. Was draufstand ist nebensächlich. Pauline las es, als hätte sie ihn selbst verfasst. Und dann putze sie sich die Zähne.
Woher ich das weiß? Auch nebensächlich.


*


Der Zug setzt sich in Bewegung, und bald hat er die kleine Stadt hinter sich gelassen, Felder rauschen vorbei, Zäune, Wälder. Der Zug gleitet durchs Land, und ich sitze in diesem Zug, und ich rieche nach Pauline. Ich glaube das fest, aber es ist nicht so. Es ist noch nicht lange her, dass mir dies dämmerte. Aber damals, damals hätte man es mir nicht ausreden können. "Doch", hätte ich gesagt: "Doch."
Kann ich mich überhaupt daran erinnern? Es sind Bruchstücke, hunderttausend Teile eines Puzzles, dessen einziger Zweck zu sein schien, in nicht einer einzigen Verbindung zusammenzupassen. Ich erinnere mich, dass sie wuchs, desto näher ich ihr kam. Oder war es, dass ich schrumpfte? Vor dem Tor, es war seltsam, ich konnte gar nicht ermessen, wo es anfing, wo es aufhörte. So, als sei es geschaffen, einer Unendlichkeit den Zugang zu eröffnen. Ich spüre noch meine Verlorenheit, nicht, angesichts der schwindelerregenden Dimensionen; diese waren ohnehin unbegreiflich. Es war ... dass ich keinen Halt finden konnte, da war nichts, und mehr noch, dass ich wusste, jeder Versuch, einen Halt zu finden, war ein von vornherein aussichtsloses Wollen. Nicht allein war es hoffnungslos, - es existierte noch nicht einmal die vage Chance, diesen Zustand zu bedauern. Als stünde ich vor dem leeren Grab der Hoffnung.
Ich kann sagen, dass ich irgendwann in den Schacht geschlüpft bin und den Knopf neben dem Lieferantenschacht gedrückt habe. Es ist keineswegs so, dass ich mich daran erinnere, nein.
Aber ich bin nicht in der Lage, mir irgendetwas anderes vorzustellen.


Die Fabrik


Da verlasse ich Ort und Zeit, und alles, was an Ort und Zeit sich begreift! Vergreift! Alles ist hinfällig. Es existiert kein natürlicher Bezug zwischen mir und der Fabrik oder zwischen der Fabrik und Pauline, er ist konstruiert, das Werk des sarkastischen Affen, genau so, wie die vermeintliche Spannung oder Nicht-Spannung zwischen der Stadt und der schlosshaft in ihrer Nähe befindlichen Fabrik. Was immer das ist, 'die Fabrik' - es ist keine Situation, die hier nicht zu recht endete! Schon meine Ankunft ist mir, nun, da ich alles überblicke, oder glaube zu überblicken, oder hoffe, glauben zu können, es zu überblicken - ein Fehler. Nie hätte ich herkommen dürfen! Wie konnte es kommen? Es gibt zwei Ufer, die durch nichts zu überbrücken sind. Ein mit einer scharfen Klinge ins Dasein, ins Allsein geschlitzter Spalt, der Unvereinbarkeiten gebiert. Wer will hier eine Brücke bauen, die im Luftschwall tosenden Affen-Gelächters birst? Über die niemand je schritte, weil niemand ganz ohne Sinn ist?
Warum hielt der Zug überhaupt in diesem (von der Fabrik abgesehen) völlig unbedeutenden Städtchen (Schwanenglück) mit seinem Bahnhof dritter Ordnung und einem Drei-Taxen-Stand davor, warum? Es gibt gute Gründe, dass es eine weise Entscheidung gewesen wäre, nicht an diesen Ort zu reisen; und nicht wenige gute Gründe, die den Zug hätten veranlassen können, einfach durchzufahren, den sich bereits auf dem Weg befindlichen Irrtum so zu korrigieren; wer weiß schon, wohin der Reise?
Und Pauline? Natürlich habe ich das Wiedersehen mit ihr genossen, sprach ich von Wiedersehen -? Ich fühle mich fast entprivatisiert, öffentlich begafft von jenen, die mit widerlichem Gleichmut, als wären es Gleiswächter, Jahr und Tag ihre Lebenszeit abschreiten; ins geschwätzige Licht geschoben, als übe jemand billigen Zwang aus, mich zu verleiten, das alles aufzuschreiben. Doch schon dies: eine Lüge!
Geschieht innerhalb eines Irrtums etwas Wunderbares - hebt es seine Natur, ein Irrtum zu sein, auf?
Mir geht es nicht gut, Kälte, Leere - nein, das wären mir jetzt noch traute Schwestern zur Seite mit Körben von zu Fühlendem. Aber hier ist nichts, nur Irrtum, nur -
"Komm! Steig ein! Schnell!"
"Pauline?"
Pauline hatte die Beifahrertür aufgestoßen. Ich stieg in den Wagen.
"Du hast ein Auto?"
"Ich hab 's mir von einer Freundin geliehen. Mach die Tür zu, wir müssen ... du musst hier weg!"
Und schon jagte Pauline die gewundene Hügelstraße hinunter. Kurve um Kurve in atemloser Raserei. Gerade verschwand die Spitze des Kirchturms hinter dem Horizont vor uns.
"Pauline!"
"Hatte ich es dir nicht gesagt? Es täuscht ...!", lachte sie und raste der nächsten Kurve entgegen.
 



 
Oben Unten