Die Fabrik ihrer Träume

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Krom

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Die Fabrik ihrer Träume

Vom Küchenfenster aus habe ich einen guten Blick auf die Fabrik. Die Hitze verzerrt die Konturen des Betonbaus, macht ihn zu einem unbestimmt geträumten Eindruck, an den man sich nach dem Erwachen nicht mehr erinnern kann.
Eine Gestalt bewegt sich über den Fabrikhof. Das Hitzeflimmern entstellt auch sie, so dass für mich nur ein beweglicher Schatten zum Betrachten bleibt.
Die Gestalt hält inne als sähe sie zu mir hinauf, sie winkt, meint unter Umständen mich, setzt ihren Weg fort.
„Gibt es da draußen was Interessantes?“, will Marianne wissen.
„Nein, gar nichts.“

Noch nie sah ich Autos auf dem Hof oder Arbeiter die Fabrik betreten. Fast glaube ich, dieses Gebäude ist bereits als Ruine errichtet worden, als ein Monument der Nutzlosigkeit.
Doch die Fabrik ist nicht untätig. In der Nacht, wenn alle anderen Lichter verloschen sind, glüht es hinter den großen Fenstern und Maschinen erwachen stampfend zum Leben. Ein Kaleidoskop aus Farben umgibt dann die Fabrik, es reicht bis in den Himmel und breitet sich über den Horizont aus.

Kleine grüne Spinnen bevölkern die Decke meines Schlafzimmers. Vermutlich leben sie in dem wilden Wein, der an der Hausfassade wächst und irgendetwas hat sie aufgescheucht.
„Ich will, dass die weggehen“, sagt Marianna. „Die sollen verschwinden.“
„Das kann ich nicht.“ Ich drehe mich zur Seite und schließe die Augen.
Nach einiger Zeit höre ich Marianna aufstehen. Sie rumort in der Küche herum, kommt schließlich zurück.
Als ich die Augen öffne, sehe ich sie auf einem Küchenstuhl stehen und mit Besen und Kehrschaufel die Spinnen von der Decke fegen.
Mit der Schaufel geht sie zum Fenster und kippt den krabbeligen Kehricht hinaus.
„Das war ´s“, sagt sie.
Aus dem Fabrikschlot schießt ein Lichtblitz in den Himmel.

Das Telefon klingelt. Marianna steht unter der Dusche, deshalb nehme ich den Hörer ab.
„Hallo?“
„Leg nicht auf.“
Die Stimme kommt mir bekannt vor.
„Wer ist da?“
„Du sollst nicht auflegen.“
Ich lege auf.
Marianne kommt aus dem Bad. Wassertropfen glitzern auf ihrem Körper.
„Wer war das?“
„Falsch verbunden, glaub ich.“

Nachts kehren die Spinnen zurück.
„Mach sie weg!“, verlangt Marianne.
„Die tun uns doch nichts.“
„Ich will, dass du sie wegmachst!“
Ich drehe mich zur Seite.
Kurze Zeit später steht Marianne auf und fegt wieder Spinnen von der Decke. Diesmal wirft sie die Tiere nicht hinaus, sondern zertrampelt sie; Arachnidenkörper werden zu grünem Schleim, abgetrennte Beine zucken auf dem Teppich.
„Die kommen nicht wieder“, sagt sie.
Ich schließe die Augen.
In der Fabrik stampfen die Maschinen.

Am nächsten Morgen ist Marianne verschwunden. Es gibt weder einen Abschiedsbrief noch eine Erklärung, nicht einmal eine zuschlagende Tür habe ich gehört.
Das Telefon klingelt und ich gehe ran.
„Weißt du, was es ist?“ Die Stimme, der ich kein Gesicht zuordnen kann. „Willst du es sehen?“
„Wer bist du?“
Ein Knacken und die Leitung ist tot.

Die Maschinen in der Fabrik dröhnen so laut, dass ich mir die Ohren zuhalte. Das Hämmern, Stampfen und Rattern, dringt durch meine Handflächen, lässt meinen Schädel vibrieren und meine Zähne klappern.
Das Haus bebt. Die Fenster zerspringen und meine Gedanken fallen auseinander.
Wir sind der Belastung nicht gewachsen.

In der Fabrik arbeiten Maschinen und Förderbänder auf Hochtouren, Funken sprühen, alles dampft vor Hitze.
Ich wandere von Halle zu Halle und glaube schon, das einzig Menschliche inmitten dieser Anlage zu sein, da finde ich Marianne.
Schläuche aus Ohren, Nase und Vagina verbinden sie mit der größten Maschine. Mariannes Blut fließt durch diese Schläuche; sie ist Teil der Maschinerie und ich frage mich, wer ohne den anderen weiter bestehen könnte.
Als ich ihre Wange streichle, schlägt Marianne die Augen auf.
„Ich will, dass die weggehen.“ Kleine grüne Spinnen fallen bei jedem Wort aus ihrem Mund. „Leg nicht auf. Die kommen nicht wieder. Du sollst nicht auflegen. Weißt du, was es ist?“

Ich trete aus dem Fabriktor in den Hof. Flimmernde Hitze umhüllt mich.
Im Haus gegenüber steht jemand am Fenster. Obwohl ich sie nicht deutlich sehen kann, weiß ich, dass die Gestalt dort drüben mich beobachtet.
Ich winke ihr zu, dann gehe ich weiter.
Die Fabrik liegt hinter mir, genau wie Marianne und die niemals zur Ruhe kommenden Maschinen.
 
Hallo Krom,

in dem Text ist wieder einiges Schönes, aber ich glaube, hier hast du ein wenig zu schnell geschossen. Der Text ist mir persönlich zu kurz. Er kann nicht seine volle Kraft entfalten. Dazu wäre mehr Handlung notwendig. Bisher liest sich der Text eher wie ein Exposé, allerdings erinnert er mich ein wenig an den Film "Der Maschinist". Allerdings nur sehr vage und vielleicht nur, weil Maschinen und ein Werk darin eine Rolle spielen. Die Geschichte könnte allerdings interessant und sicher gut werden, wenn du dir mehr zeit dafür nehmen würdest, die Personen konstruieren, die Orte mit Leben erfüllen würdest.
So ist es nur ein Schattenspiel.

Grüsse, Marcus

Allerdings sehr gut gefallen haben mir wieder:"Mariannes Blut fließt durch diese Schläuche; sie ist Teil der Maschinerie und ich frage mich, wer ohne den anderen weiter bestehen könnte."

und: "Wir sind der Belastung nicht gewachsen."

Du hast anscheinend ein Gespür für wichtige Sätze.
 

Krom

Mitglied
Hallo Marcus,

der Text wurde von mir etwa ein Jahr vor "Die Straße" geschrieben.

Natürlich hast du Recht. Es gibt keine Handlung im eigentlichen Sinn und die Figuren sind nicht mehr als Schattenspiele - übrigens eine sehr schöne Bezeichnung.

Ich muss zugeben, dass ich manchmal allzu handlungsorientierte Geschichten mit genau charakterisierten Figuren nicht ausstehen kann. Der jeweilige Autor wirkt auf mich dann wie ein Vertreter, der mir Dinge verkaufen will, die mich gar nicht interessieren.

Ich bedanke mich für deine Kritik und wünsche alles Gute,

Krom
 

Ralf Langer

Mitglied
hallo krom,

ein guter spannungsbogen, der diesen text zusammenhält,
ohne ih aufzulösen:

hier das wechselspiel von beobachter und beobachtetem am fenster
einerseits und auf dem hof andererseits.

das spiel mit der arachnophobie gefällt mir.
allerdings hätte ich mir hier eine etwas konkretere auflösung
gewünscht,wofür sie stehen!

mich erinnern die maschinen im übrigen an die axolotl tanks
im roman zyklus "der wüstenplanet" von frank herbert.

letztlich bin ich aber auch der meinung meines vorrednders,
das dies stück länger sein darf, wenn nicht sogar muß!

lg
ralf
 

Krom

Mitglied
Hallo Ralf,

vielen Dank für Deine Kritik.

Hm, wenn Du und Marcus übereinstimmend meinen, dass die Geschichte länger ausfallen sollte, dann könnte ich tatsächlich über eine Erweiterung nachdenken. Ich frage mich nur, ob die Story für eine "Langfassung" genug Substanz hat.

Nun ja, lassen wir uns überraschen.

Viele Grüße,
Krom
 

Ralf Langer

Mitglied
hallo krom,

nur als starthilfe:

was hat die frau getan, vorher,
das sie an die maschinen angeschlossen wird.

wo ist die verbindung zwischen der gleichgültigkeit des mannes
in bezug auf die spinnen an der decke
und den spinnen die ihr aus dem mund krabbeln.

warum sucht der mann die frau in der fabrik..
wen hat der mann zu anfang vom fenster aus beobachtet?

welcher art ist die beziehung des mannes zur maschine?

wieso ist er so seltsam unbeteiligt?

mit der "beantwortung" dieser fragen ergäbe sich ein noch
dichterer text

ralf
 



 
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