Die Flucht

Tirec5000

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Die Flucht

Ranec trieb sein Pferd noch schneller an, obwohl schon weißer Schaum dessen Körper bedeckte und vor Anstrengung graue Nebelwolken bei jedem Atemzug aus seinen Nüstern quollen. Es war ein verregneter Tag. Ranec konnte kaum die Augen aufhalten, so heftig kam der Regen aus den Weiten des Himmels geplatscht. Während er seinem Pferd noch einmal die Sporen in die Seite gab, begann Ranec darüber nachzudenken, was gewesen wäre, wenn er die Räuber nicht bei dem Überfall auf die Kutsche gesehen hätte. Vielleicht wäre er jetzt schon bei seinem Bruder, zu dem er ursprünglich wollte, angelangt. Dann müsste er nicht so aufpassen, dass er von einem der vielen Äste des Waldes, durch den er schon eine Ewigkeit geritten war, vom Pferd geschleudert wurde. Jagdschreie von vielen Männern rissen ihn aus seinen Gedanken.
Ranec konzentrierte sich wieder darauf, dass er das Gleichgewicht auf dem vor Angst dahinjagenden Hengst behielt. Er ritt so lange, dass er den Regen kaum mehr wahrnahm, jedoch die Angst vor seinen Verfolgern immer noch in ihm tobte.
Plötzlich wieherte der Hengst auf. Ranec hatte sich darauf konzentriert, dass er nicht von dem Tier stürzte, jedoch nicht darauf, wohin der Hengst lief. Jetzt war es geschehen. Der vom Regen völlig schlammige Boden hatte unter dem Hengst nachgegeben und das Tier stürzte schwer. Ranec stieß noch einen gellenden Schrei aus, bevor er vom Rücken des Pferdes geschleudert wurde und hart auf dem Boden aufkam. Dann verlor er die Besinnung.
Als er erwachte und sich aufrichten wollte, durchzuckte ihn im rechten Arm ein Schmerz, wie ein Blitz. Doch sein verletztes Körperteil war nicht das einzige, wo Blitze zuckten. Überall zuckten Blitze über den Himmel und der Donner dröhnte und klang in seinen Ohren nach. Und dann hörte er außer dem Gewitter laute Männerstimmen. Seine Verfolger waren schon sehr nahe. Verzweifelt blickte er sich um. Was sollte er tun, um seinen Verfolgern zu entkommen? Da kam ihm die rettende Idee. Er eilte zu einem gut zu besteigenden Baum und kletterte hoch. Dann wartete er, gut versteckt im Laub, gespannt auf das, was geschehen sollte. Er sah ein paar Reiter unter dem Baum vorbeireiten. Sie erblickten Ranec nicht.
Nach einiger Zeit hörte er sie in der Ferne wieder rufen; erst dann durfte er sich bewegen, um es sich bequemer zu machen. Er kletterte jedoch noch nicht hinab, denn er fürchtete, sie könnten vielleicht zurückkehren.
Eine Zeitlang blieb Ranec auf dem Baum sitzen, aber seine Verfolger zeigten sich nicht mehr. Es hörte sogar auf zu gewittern und zu regnen. Der Wald sah wieder friedlich und ruhig aus und fast war es nicht zu glauben, dass in den letzten Stunden so viel geschehen war. Er schaute nach unten und weil er sich jetzt sicher fühlte, kletterte er hinunter und begann vorsichtig durch den Wald zu gehen. Ständig schaute er sich um. Doch nichts rührte sich. Er ging durch den schlammigen Boden, während es langsam zu dämmern begann und die ersten Nachttiere zu schreien anfingen. Doch plötzlich hielt er erschrocken inne. Dann ging er jedoch weiter, in dem Glauben, er hätte es sich nur eingebildet. Nach einer Weile blieb er abermals erschrocken stehen. Er hatte es sich nicht eingebildet. Ganz in der Nähe heulte ein Wolf. Ranec bekam Angst und lief in ein Gebüsch, um sich zu verbergen. Er lies sich nieder und hielt den Atem an. Da spürte er einen leichten, aber warmen Windhauch im Nacken. Er bekam eine Gänsehaut, die sich von seinen Beinen, über seinen Rücken, bis zu seinem Hals ausbreitete.
Er drehte sich ganz langsam um und erstarrte. Er blickte direkt in die dunklen, voll Hass gefüllten Augen eines Wolfes. Er öffnete den Mund, wo jedoch kein Ton herauskam. Dann, vor Angst unfähig nachzudenken, sprang er auf und ergriff die Flucht. Er rannte immer weiter, die Geräusche der schnellen Pfoten des Wolfes im Ohr. Dann stieß er einen laut hallenden Schrei aus. Der Wolf war gesprungen und hatte seine Zähne tief in des Opfers Bein gegraben. Mit einem Ruck, an dem Bein des zappelnden Ranecs, hatte der Wolf sein Opfer am Boden. Ranec sah den Wolf über sich, wie er die Zähne bleckte und ein tiefes Knurren aus seinem Rachen kam. Er schloss die Augen und wartete auf den tödlichen Biss, der ihm die Schlagader am Hals durchtrennen würde. Er wusste nicht, wie lange er so dalag. Er wusste nur, dass plötzlich um ihn herum Stille herrschte. Weder Wolfsgeheul, noch Vögel waren zu hören. Nur sein schneller Atem, der vor Angst fast schon wie Seufzer aus seinem Mund hervorkamen. Langsam öffnete er die Augen. Was er sah, lies in seinen Augen einen Schimmer von Hoffnung aufleuchten. Der Wolf war neben ihm zusammengebrochen und war tot.
Ranec richtete sich auf und sah, dass ein Pfeil tief in des Wolfes Hals eingedrungen war. Ranec starrte den toten Wolf so gebannt an, dass er erst nach eine sehr langen Zeit aufsah, um seinen Retter anzusehen, der inzwischen vor ihm stand. Er war völlig in einen schwarzen Umhang mit Kapuze eingehüllt. Etwas sehr geheimnisvolles ging von ihm aus. Er sagte nichts. Stand einfach nur da. Doch dann hob er die Hand und gebot dem Verletzten ihm zu folgen und ging los. Ranec humpelte so schnell es ging hinter dem Fremden her. Schon nach einer sehr kurzen Strecke, dachte Ranec, dass er vor Schmerz zusammenbrechen würde. Doch da sein Retter ihn zu Eile antrieb, biss er die Zähne zusammen. Bald fing die Nacht zu schwinden an und es wurde heller.
Ganz unvermittelt hörte nach einiger Zeit der Wald auf und eine große Lichtung erstreckte sich vor den Beiden. Und was darauf war, lies Ranec den Atem anhalten.
Ein Schloss, wie es prachtvoller kein zweites gab stand friedlich und ruhig auf dem großen Platz. Dahinter ging wie ein riesiger Feuerball die Sonne auf. Vor dem Schloss tauchten bewaffnete Leute auf und gingen auf sie zu. Ranec erschrak, als er die finsteren Gesichter sah. Doch als die umhüllte Gestalt neben ihm eine Handbewegung machte, zogen sich die Wachen zurück. Dann winkte er Ranec zu, woraufhin die beiden das Schloss betraten. Sobald sie in dem Gebäude standen, nahm der Fremde seine Kapuze ab und Ranec konnte zum ersten Mal sein Gesicht sehen, woraufhin er große Augen bekam. Sein Retter hatte lange blonde Haare und blaue Augen. Er war eine Sie!
Mit sanfter, klarer Stimme sagte sie, dass er ihr folgen sollte. Ihr Vater erwarte ihn bereits, da die Wachen vorgeeilt waren und ihn angekündigt hatten. Ranec folgte der schönen Frau durch viele Räume und Gänge, bis sie endlich in dem größten und schönsten Raum des Schlosses angelangt waren, wo sich der Besitzer des Schlosses aufhielt. Er zog seine Tochter an sich und küsste sie sanft auf die Wange.
Ranec hoffte, dass er ihn genauso höflich und mit offenen Armen empfangen würde. Und als sein Retterin ihrem Vater erzählte, wie sie ihn gefunden hat, da machte sich ein Lächeln auf seinem Gesicht breit. Anschließend erzählte Ranec ihm von den Räubern, die er gesehen hatte. Danach lies er Ranec verarzten. Ebenso bekam Ranec ein schönes Zimmer und ein Bad, wo er sich zuerst duschte und dann erschöpft in sein Bett fallen lies.
Als Ranec am nächsten Tag aufwachte, war es bereits nach Mittag. Er stand auf, wusch sich kurz, zog sich an und folgte den Wachen, die vor seiner Tür standen in den Speisesaal.
Der Schlossherr und seine Tochter hatten bereits gegessen und hatten die freudige Nachricht für Ranec, dass die Räuber von den Wachen gefangen wurden und im Kerker saßen.
Nachdem Ranec gegessen hatte, stellet ihm der Schlossherr eine Eskorte zusammen, die ihn nach Hause zu seiner Familie brachte.
Ranec dachte noch Jahre danach an diese geheimnisvolle Schloss mit seinen Bewohnern und erzählte sein Abenteuer viele Male seinen Kindern.
 



 
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