Die Frau des Präsidenten

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Die Frau des Präsidenten (© Pierre Montagnard)

“Louise, bitte sagen sie meinem Mann, dass wir heute nicht im Speisezimmer frühstücken, sondern in der Bibliothek. Der Ausblick in den Garten, wo gerade die Bäume geschnitten werden, wird ihm nicht gefallen. Von der Bibliothek aus, sehen wir auf den Fischteich, das wird beruhigender auf ihn einwirken.”

“Muy bien Madam, ich werde es dem Herrn Präsidenten mitteilen.”

Sie saßen sich bereits gegenüber, als das Frühstück serviert wurde. Außer dem Kommen und Gehen des Bedienungspersonals war sonst niemand anwesend.

“Ich muss etwas Wichtiges mit dir besprechen,” begann Timea, die Frau des Präsidenten.

“Um elf Uhr habe ich eine Besprechung, wir haben also etwas Zeit, was hast Du denn Wichtiges vorzutragen Timea?”

“Du musst etwas unternehmen, Francisco, Deine sonst schon angeschlagene Reputation steht auf dem Spiel!”

Der Präsident, der gerade dabei war, sein Dreiminutenei abzuklopfen, hielt in der Bewegung inne und guckte Timea überrascht an;

“Meine Reputation? Ich bin Politiker Timea, meine Reputation als Staatsmann ist nicht schlechter, als die der übrigen europäischen Staatsmänner und Frauen.”

“Das ist ja gerade das Problem, ihr glaubt alle, ihr wärt etwa gleich gut, in Tat und Wahrheit aber, seid ihr alle gleich schlecht. Du bist außerdem der Staatsmann eines wirtschaftlich armen Landes. Deswegen wird Deine Reputation als noch schlechter eingestuft. Du musst etwas unternehmen Francisco, das Deine Reputation europaweit verbessert!”

Der Präsident steckte langsam sein beschädigtes Frühstücksei wieder in den Eierbecher zurück und guckte seine Frau ernst an.

“Und was schlägst Du mir vor?”

Timea legte Gabel und Messer an den Tellerrand, faltete ihre Hände unter ihrem Kinn zusammen und guckte ihrem Mann gerade in die Augen.

“Meines Erachtens solltest Du zwei Dinge angehen Francisco. Erstens, schlage den wichtigen Regierungschefs Europas vor, unverzüglich etwas Revolutionäres gegen den Terrorismus des IS in die Wege zu leiten. Schlage ihnen vor, Gesetze zu erlassen, die Einreise für Personen aus islamischen Ländern sofort verbieten. Schlage ihnen vor, dass sämtliche Reiseveranstalter der Luft, der See und der Straße, keine Personen mehr aus islamischen Staaten in ein europäisches Land transportieren dürfen.”

Der Präsident gluckste belustigt, nahm einen Schluck Kaffee, guckte dann wieder seine Frau an und sagte mit lauernder Stimme;

“Welcher Teufel hat dich geritten Timea, wer hat Dir diese Idee einverleibt? Das ist doch völlig utopisch, alle würden mich auslachen!”

“Es kann sein, dass ein paar dumme Ignoranten Dich auslachen, die meisten jedoch nicht. Wer Dir aber in großer Maße zujubeln würde, wären die Menschen von den Straßen. Die Bürger einiger Länder. Millionen aus Frankreich, Belgien, England und weiteren europäischen Ländern hättest Du auf Deiner Seite. Selbst wenn Dein Vorschlag abgelehnt würde, hättest Du auf einen Schlag Millionen von Sympathisanten. Deine Reputation würde in einen positiven Bereich umschlagen. Selbst die Katalanen würden Dich in einem neuen Licht sehen. Und dann könntest Du gleich einen zweiten wichtigen Schritt tun.”

Der Präsident schüttelte den Kopf, sagte jedoch;

“Also, meine Liebe, wenn Du Dir schon die Mühe machst, mich mit Vorschlägen einzudecken, dann lass den zweiten Teil auch noch auf mich los, es amüsiert mich, Dir zuzuhören.”

“Francisco, das ist kein Amüsement, bitte höre auf mich, setze Dich mit den Katalanen zusammen, gib ihnen ihre Unabhängigkeit, schlage ihnen Geschäfte vor, offeriere ihnen Erleichterungen für Zweigniederlassungen in ganz Spanien für ihre Industrieunternehmungen. Beweise ganz Europa Deine Intelligenz. Mache sie zu unabhängigen Verbündeten, nicht zu unterjochten Feinden. Es sind Spanier wie wir. Die wenigsten des übrigen Europas wissen, dass es eine katalanische Sprache gibt, kaum jemand weiß, dass in ganz Spanien nur in Katalonien Autobahngebühr erhoben wird. Die Katalanen finanzieren das gesamte Autobahnnetz Spaniens, eines Tages werden sie sich dagegen auflehnen. Wenn wir von Barcelona an die französische Grenze über die Autobahn fahren, kostet das hin und zurück mehr, als beispielsweise im teuersten und reichsten Land Europas, der Schweiz. Dort werden einmal jährlich Autobahngebühren erhoben. Eine simple Vignette, die man ans Autofenster klebt. Die Kosten dafür sind 40.- Franken oder etwa 35.- €. Für ein ganzes Jahr, mit unbeschränkter Anzahl Kilometer. Abgesehen davon, dass dort die Straßen in tadellosem Zustand sind, gibt es keine Zahlstellen, wo man Schlange stehen muss, zahlen muss und womöglich Probleme mit den Apparaten hat. Was sagst Du dazu Francisco?”

Der Präsident hatte keine Lust mehr auf sein Frühstücksei, welches nun ohnehin schon kalt geworden war. Er schüttelte den Kopf und sagte;

“Seit wann zerbrichst Du Dir den Kopf über all diese Dinge, Du verstehst doch nichts von der Brisanz und den Zusammenhängen, die Dinge sind dermaßen komplex und schwierig, außerdem würde ich in Kastilien mein Ansehen aufs Spiel setzen, das kann ich nicht. Es geht gar nicht.”

“Siehst Du, Francisco, das ist genau das, was ich meine. Ihr steckt alle den Kopf in den Sand, ihr lässt den Dingen freien Lauf und wenn euch dann alles über den Kopf wächst, greift ihr zu Maßnahmen, welche die Dinge nur verschlimmern. Ihr seid Staatsmänner und Frauen Europas, über euch gibt es niemand mehr, ihr seid verantwortlich für das Wohlergehen eurer Bürger. Als der Terror nach Paris kam, danach nach Brüssel und schließlich nach London, habt ihr außer Trauerreden, Schweigeminuten und den Versand einiger Trauertelegramme, nichts unternommen, gar nichts! Es genügte euch, den Bevölkerungen mitzuteilen, dass da und dort ein Terrorist verhaftet, oder erschossen wurde, damit hängt ihr euch eine Medaille an die Brust und wartet auf die nächsten Gräueltaten von Mördern, die in Europa nichts verloren haben. Anstelle, etwas Nutzbringendes in die Wege zuleiten, unternehmt ihr unsinnige Schulreisen, so, wie dieser lächerliche G 20 Gipfel in Hamburg an dem als einzige Errungenschaft, Straßenschlachten, Verletzte und erheblicher Sachschaden resultierte.”

“Ich muss dich bitten Timea, nun aufzuhören damit.”

“Nein, ich höre nicht auf, sie haben sich zum Ziel gesetzt, diesen Zustand zu verändern, denn sie sind nicht bereit zu warten, bis auch bei uns so ein Unheil passiert. Sie werden mit ihren Vorschlägen die wichtigen europäischen Staatsmänner und Frauen anschreiben.”

“Du hast gute Absichten Timea, aber das wird auf keinen Fall stattfinden und was heisst sie? Wer sind sie?”

“La reunión Anti-terror feminista de España, kurz: RATFE genannt.”

Der Präsident erblasste. “Davon habe ich noch nie etwas gehört, kennst Du denn jemand davon?”

Ja, aber nur vage, zwei Damen haben mich anlässlich der Inauguration eines Modegeschäftes zum Kaffee eingeladen und mich angefragt, ob ich vielleicht bereit wäre, ihrer Organisation beizutreten.”

Der Präsident war nun kalkweiß im Gesicht und sagte mit fast heiserer Stimme; “Du bist doch diesem Verein nicht etwa beigetreten?”

“Nein, natürlich nicht, ich kann Dir ja nicht so in den Rücken fallen, aber ich musste es Dir sagen, Du gehst sehr schwierigen Zeiten entgegen Francisco, deswegen hatte ich gehofft, dass ich dich dazu bewegen kann, meine Vorschläge wenigstens zu überdenken. Du musst etwas tun!”

Nach längerem Schweigen sagte der Präsident; “Wer sind diese Leute, wo residieren sie?”

Das kann ich Dir nicht sagen, ich weiß es nicht, aber zu Deiner Beruhigung soviel; es ist eine Gesinnungsvereinigung. Noch keine etablierte Organisation, vielleicht kommt sie auch gar nie richtig zustande.”

“Also gut Timea, ich danke Dir für Deine Ausführungen und auch dafür, dass Du offen zu mir warst, ich werde bestimmt über Deine Vorschläge nachdenken, ich muss gehen.”

Der Präsident erhob sich, küsste seine Frau auf die Stirn und verabschiedete sich von ihr, ohne gefrühstückt zu haben. An der Tür drehte er sich nochmals zu ihr um und fragte;

“Wann werden die im Garten mit der Arbeit endlich fertig sein?”

“In zwei Tagen Francisco, das sagte mir heute der Gärtnermeister, dann können wir wieder im Speisezimmer frühstücken.”

“Das ist gut, wir sehen uns am Abend.” Damit verließ er die Bibliothek.

Timea blieb noch eine geraume Weile am Tisch sitzen und dachte über das Gespräch mit ihrem Gatten nach, bis sie von der eintretenden Louise aus ihren Gedanken gerissen wurde;

“Darf ich abräumen Madame?”

“Ja, bitte Louise, geben sie nachher den Pflanzen hier neben dem Bücherregal Wasser und lassen Sie die Lamellen an den Fenstern herunter.”

“Sehr wohl, Madame.”

***


Fünf Monate danach saß Timea alleine in der Bibliothek und starrte mit verweinten Augen auf die Mattscheibe des Fernsehers. Den Massakern von Barcelona und Cambrils standen nebst den vielen Toten, die üblichen Trauerreden, vorgetragen von mit einstudierten Trauergesichtern zur Schau gestellten Staatsmännern und Frauen sowie anberaumten Schweigeminuten, versandte Beileidstelegramme gegenüber. Kerzen, Blumen, Schmerz und Trauer.

Timea erschrak über ihre eigenen Worte, die ihr entfuhren;

“Wann werdet ihr verdammten Feiglinge von Staatsoberhäupter endlich Courage zeigen und etwas Angemessenes unternehmen? Was seid ihr doch für verantwortungslose Marionetten!”

Timea wurde von einem Weinkrampf befallen, der endlos anhielt. Bevor die Nacht einbrach, erhob sie sich und traf eine Entscheidung. Sie würde in Erfahrung bringen, ob die Damen von RATFE noch auffindbar wären. Sie würde versuchen, sie zu finden.


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Hallo Pierre,

mir gefällt dein Text wirklich gut. Vor allem muss ich sagen, es ist ein sehr mutiges Thema das du da angepackt hast - hoch aktuell. Auch den Charakter der Frau des Präsidenten finde ich gelungen. Erst dachte ich, sie sei eine intrigante Ehefrau, die hinten rum die Strippen zieht. Wie sich aber zeigte, hatte sie nur gute Absichten. Sehr gelungen, welche Wendung dieses Gespräch nimmt. Ich denke da wäre noch viel mehr drin.

Gruss
Ariane
 
Buenas tardes Ariane

Herzlichen Dank für Deine positive Stimme, habe mich sehr darüber gefreut. Lange überlegt, ob ich nicht etwas Ausführlicheres verfassen soll, entschied ich mich dann doch für diese Kurzfassung.

Eigentlich sind Kurzgeschichten nicht mein Genre, da ich aber auf dieser Plattform schon viele gute Ideen gesichtet habe, wollte ich mich auch einmal mit ein paar Versuchen beteiligen. Die Resonanz viel jedoch sehr dürftig aus, was möglicherweise eben daran liegt, dass ich damit nicht ankomme.

Als 100 prozentiger Pazifist und totaler anti Politiker fehlt mir jedoch auch das Rüstzeug, um über so ein Thema kompetent zu schreiben. Was die "Frau des Präsidenten" anbelangt, kann ich dahinter stehen und auch den "Kopf" hinhalten!

Nochmals vielen Dank für Deine Mitteilung und viel Freude beim lesen und schreiben.

Liebe Grüße Pierre
 



 
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