Die Frau, die in mir wohnt

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PeDSch

Mitglied
Die Frau, die in mir wohnt
Macht Frühjahrsputz
Poliert blind gewordene Sichtweisen
Räumt Schubladen auf
glättet verzerrte Erinnerungen
entfernt verkrustete Gewohnheiten
kehrt Worthülsen zusammen

Die fleischfarbenen Gummihandschuhe
Zieht sie dieses Mal nicht an
Sie will ihn spüren
Den Dreck
Den sie aufwühlt
Will ihre Finger tief hineinstecken
In den Unrat
In die halb verwesten Karteileichen
Ihre Untoten begreifen
Alles muss raus
Der Mief der letzten 20 Jahre
Der Seelenmüll
Die Halbwahrheiten
Der Selbstbetrug

Die Frau, die in mir wohnt
Reißt die Fenster auf
Füllt ihre schmerzenden Lungen mit klarer Luft
Ihre tränenden Augen mit Klarheit
Sie lässt Licht ins Dunkel
Schaut ganz genau hin
Untersucht jede Schramme, jede Kerbe
Jeden dunklen Fleck
Jede tot geglaubte Verletzung
Sie deckt sie nicht mehr zu
Mit bunten Trostpflastern
Und falschen Hoffnungen

Kein Erbarmen
Tief durchatmen
Geisterjäger haben keine Angst

Die Frau, die in mir wohnt
Schaut erschöpft auf ihre Hände
Sie schmerzen
Als hätte sie jedes Gespenst
Eigenhändig erwürgt
Sie schaut in den spiegelblank gescheuerten
Grund ihrer Seele
Und
Findet
Sich

Sieht sich
Zum ersten Mal
Ganz deutlich

Und lächelt sich zu.
 
H

Hakan Tezkan

Gast
hallo,

schöne bilder dabei, leider zu wenig verdichtet. für mich hätte es prgnanter, knapper ausfallen müssen. mache mal ein besispiel anhand deiner 2.strophe:

Die fleischfarbenen Gummihandschuhe
Zieht sie dieses Mal nicht an
Sie will ihn spüren
Den Dreck
[strike]Den sie aufwühlt[/strike]
Will ihre Finger tief hineinstecken
[strike]In den Unrat
In die halb verwesten Karteileichen
Ihre Untoten begreifen[/strike]
Alles muss raus
[strike]Der Mief der letzten 20 Jahre
Der Seelenmüll
Die Halbwahrheiten
Der Selbstbetrug[/strike]
verstehst du, was ich meine? du findest quasi bilder und erklärst sie mit abstrakten begriffen wie 'seelenmüll' oder 'selbstbetrug'...

aber dein text hat potential, da steckt für mich viel drin. lohnt sich, ihn zu überabeiten...

bin gespannt, ob du dazu bereit bist...zumal das alles nur (m)eine meinung ist.

lg,
hakan
 

presque_rien

Mitglied
Hi PeDSch,

ich schließe mich Hakan an - im Positiven wie im Negativen. Mir gefallen die Grundidee und viele Bilder, aber bei dem Gedicht musst du auch etwas Frühlingputz machen ;)!

Die erste Strophe finde ich gut, die würde ich nicht kürzen, aber vielleicht noch mehr "verbildlichen", z.B. statt "blinde Sichtweisen" sowas wie "beschlagene/matte", usw. (Ich würde auch die Verse 5-7 groß schreiben, ich glaub, das ist ein Flüchtigkeitsfehler).

Auch bei Strophe zwei würde ich nicht ganz so viel kürzen wie Hakan, sondern vielleicht so:

Die fleischfarbenen Gummihandschuhe
Zieht sie dieses Mal nicht an
Sie will ihn spüren
Den Dreck
Den sie aufwühlt
Will ihre Finger tief hineinstecken
In die halb verwesten Karteileichen
Ihre Untoten begreifen
Alles muss raus

Strophe drei würde ich schon stärker kürzen (oder ändern), die finde ich nicht so stark:

Die Frau, die in mir wohnt
Reißt die Fenster auf
[strike]Füllt ihre schmerzenden Lungen mit klarer Luft[/strike]
[strike]Ihre tränenden Augen mit Klarheit[/strike]
[strike]Sie lässt Licht ins Dunkel[/strike]
Schaut ganz genau hin
Untersucht jede Schramme, jede Kerbe
[strike]Jeden dunklen Fleck[/strike]
Jede tot geglaubte Verletzung
Sie deckt sie nicht mehr zu
Mit bunten Trostpflastern
[strike]Und falschen Hoffnungen[/strike]

Und danach zerfällt das Gedicht leider ein Bisschen, wird zu lose und beschreibend, insbesondere z.B. im "Als hätte sie" - warum distanzierst du dich hier plötzlich von der Bildebene?

Da würde ich einfach versuchen, einen kurzen, starken Schluss zu formulieren. Der Vers

Geisterjäger haben keine Angst

gefällt mir übrigens sehr!

Lg presque
 

Joh

Mitglied
Hallo PeDSch

sich endlich selbst erkennen, ob aus Vernunft oder Verzweiflung und die Innenfrau resolut aufräumen lassen, in Deinem Text, ist diese Thematik sehr nachempfindbar beschrieben. Ein paar kleine Streichungen finde auch ich angebracht, also hier die dritte Vorschlagversion, vielleicht magst du etwas davon verwenden:

Die Frau, die in mir wohnt
Macht Frühjahrsputz
Poliert blind gewordene Sichtweisen
Räumt Schubladen auf
glättet verzerrte Erinnerungen
entfernt verkrustete Gewohnheiten
kehrt Worthülsen zusammen

Die fleischfarbenen Gummihandschuhe
Zieht sie dieses Mal nicht an
Sie will ihn spüren
Den Dreck
Den sie aufwühlt
Will ihre Finger tief hineinstecken
In die halb verwesten Karteileichen
Ihre Untoten begreifen
Alles muss raus
Der Mief der letzten 20 Jahre
Der Seelenmüll
Die Halbwahrheiten
Der Selbstbetrug der letzten 20 Jahre


Die Frau, die in mir wohnt
Reißt die Fenster auf
läßt Licht ins Dunkel
Füllt ihre Augen mit Klarheit
Schaut ganz genau hin
Untersucht jede Schramme, jede Kerbe
Jede tot geglaubte Verletzung
Sie deckt sie nicht mehr zu
Mit bunten Trostpflastern
und falschen Hoffnungen

Tief durchatmen
Geisterjäger haben keine Angst

Die Frau, die in mir wohnt
Schaut erschöpft auf ihre Hände
Sie schmerzen
vom eigenhänigen Erwürgen der Gespenster
Sie schaut in den spiegelblank gescheuerten
Grund ihrer Seele
und
findet
sich
lächelt sich zu.


ein gruß an Dich, Johanna
 

mitis

Mitglied
auch ich finde die idee des gedichtes gut. wenn es ein prosatext wäre, müsstest du nicht einmal allzu viel kürzen. mir sind die bilder nicht zuviel. jedes einzelne hat seine berechtigung. die frage ist nur, ob es ein gedicht sein muss.

ich begreife den text als eine art "befreiungstext", wobei mir das "erleichternde moment" des loslassens etwas zu wenig deutlich wird.

speziell am ende hatte ich ein problem:

Die Frau, die in mir wohnt
Schaut erschöpft auf ihre Hände
Sie schmerzen
Als hätte sie jedes Gespenst
Eigenhändig erwürgt
Sie schaut in den spiegelblank gescheuerten
Grund ihrer Seele
Und
Findet
Sich

Sieht sich
Zum ersten Mal
Ganz deutlich

Und lächelt sich zu.
für mich passt das eher kühle (und gründliche) bild des spiegelblank gescheuerten grundes ihrer seele nicht ganz mit der leichtigkeit des plötzlichen lächelns zusammen. ich stelle mir unter einem spiegelblank gescheuerten "grund der seele" etwas kaltes, leeres, glattes, unantastbares vor.

fazit: für mich liegt der fokus in diesem "befreiungstext" (wenn es denn einer sein soll) zu eindeutig auf den schweren lasten, die es abzuschütteln gilt.
das lächeln kommt zu unvermittelt, und passt nicht zur kälte der blankgescheuerten seele. von der logik her passt das bild schon, aber gefühlsmäßig nicht so gut, jedenfalls nicht für mich. ich hoffe, du verstehst was ich meine.
 

PeDSch

Mitglied
@alle

Danke für eure Kritik und/oder Verbesserungsvorschläge! Jede/r hat mit Sicherheit seine Berechtigung, aber
Wie soll ich es denn jetzt machen? Nehme ich Version a, b oder doch c??? Mixe ich die Vorschläge und setze sie neu zusammen? Streichhölzer ziehen? Oder jeden Tag eine andere Version MEINES Textes einstellen, die einem von euch dann eventuell gefällt, weil es seinen Bildern nahe kommt? Mh.... Was für eine Herausforderung!
Ich werde, ihr verzeiht es hoffentlich, eure Ratschläge also nicht annehmen und es so lassen, weil es genau so ist, wie ich es wollte. Insgesamt habe ich es mehrere Monate "sacken" lassen und immer wieder an bestimmten Bildern herumgefeilt, um sie mit meinem Gefühl in Einklang zu bringen. Seitdem sind über 3 Jahre vergangen und ich finde mich in dem Gedicht... Prosa-Gedicht... Text... Was-weiß-ich... immer noch wieder, was nicht bedeutet, dass ich es nicht irgendwann einmal doch überarbeite *g* ... Nochmals Danke für eure Aufmerksamkeit.

@ Mitis:
Zitat: << das lächeln kommt zu unvermittelt, und passt nicht zur kälte der blankgescheuerten seele. von der logik her passt das bild schon, aber gefühlsmäßig nicht so gut, jedenfalls nicht für mich. ich hoffe, du verstehst was ich meine.>>
Anmerkung: Wenn der Müll und der Dreck deine Seele nicht mehr bedeckt, in welcher Farbe strahlt sie dann? (Hätte beinahe Potential für ein neues Gedicht *g*).
Und... ein Lächeln kann ganz verschiedene Aspekte haben. Es gibt ein wehmütiges Lächeln, ein aufmunterndes Lächeln, ein glückliches Lächeln, ein Lächeln-Lächeln etc....
Nimm für mein Bild ein überraschtes, vorsichtiges "da-bist-du-ja!" Lächeln, mit einem spritzer Melancholie und einem nahe am körperlichen Zusammenbruch befindlichen "geschafft!", dann passt es vielleicht.
----

@presque_rien

Zitat: >> z.B. statt "blinde Sichtweisen" sowas wie "beschlagene/matte".... (Ich würde auch die Verse 5-7 groß schreiben, ich glaub, das ist ein Flüchtigkeitsfehler). <<

Anmerkung: Ja, das stimmt. Es sind Flüchtigkeitsfehler und werden korrigiert. Gut... Man sagt: "Die Augen sind die Spiegel der Seele." Spiegel bekommen manchmal "blinde" Flecken. Blinde Flecken = nicht reflektieren zu können, daher "blinde gewordene Sichtweisen".... ja, ich weiß, ein bisssschen um 3 Ecken herum gedacht (vielleicht arbeiten meine Synapsen aber auch nicht richtig *g*).

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@joh
Zitat: >> Schaut erschöpft auf ihre Hände
Sie schmerzen
vom eigenhänigen Erwürgen der Gespenster... <<

Anmerkung: Ne, da ist was falsch angekommen. Wenn du zum Beispiel stundenlang einen Schrubber, Besen oder Wischlappen in der Hand hattest, um etwas zu Säubern, was auch mit einem Superfettlöser nicht so einfach weggeht, dann tun deine Hände einfach weh... Es ist ein körperlicher Schmerz, der sich so anfühlt als ob...
Ich habe die Gespenster nicht "erwürgt"... ich habe sie vertrieben, indem ich sie mir genau angesehen habe... ich habe sie ins Licht "gezerrt".

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@hakan
zitat: >> verstehst du, was ich meine? du findest quasi bilder und erklärst sie mit abstrakten begriffen wie 'seelenmüll' oder 'selbstbetrug'...aber dein text hat potential, da steckt für mich viel drin. lohnt sich, ihn zu überabeiten...<<
Dein Beispiel:
Die fleischfarbenen Gummihandschuhe
Zieht sie dieses Mal nicht an
Sie will ihn spüren
Den Dreck
Will ihre Finger tief hineinstecken
Alles muss raus...

Anmerkung: Ne, verstehe ich nicht. Also alle Bilder weg, oder was??? So weiß dann auch wenigstens keiner, was oder wo ich gerade aufräume *g*? Könnte also auch meine Gefriertruhe sein. Diese überarbeitet Strophe liest sich, aus dem Zusammenhang gelöst, eher wie das Tagebuch einer Psychopathin... Das bin ich nicht *g*.
---


Zum Abschluss:
Ich möchte nicht arrogant erscheinen, weil ich eure Vorschläge nicht annehme, aber diese/meine Texte sind für mich wie Fingerabdrücke und etwas sehr Intimes. Das kann gefallen, muss aber nicht.
Ich habe schon einmal an einer anderen Stelle gesagt, dass ich mich nicht für perfekt halte und dass ich auch gar nicht den Anspruch hege, denn mein Leben ist es auch nicht. Wie immer und überall gibt es Menschen, die mich begreifen und andere, die einen Beipackzettel brauchen.
Wem sollte ich aber gerecht werden, wenn nicht mir selber?

Fazit: Für den, der´s mag, kann´s ganz bezaubernd sein, der Rest macht sich sein´ eignen Reim (oder so *g*).
 

PeDSch

Mitglied
Die Frau, die in mir wohnt
Macht Frühjahrsputz
Poliert blind gewordene Sichtweisen
Räumt Schubladen auf
Glättet verzerrte Erinnerungen
Entfernt verkrustete Gewohnheiten
Kehrt Worthülsen zusammen

Die fleischfarbenen Gummihandschuhe
Zieht sie dieses Mal nicht an
Sie will ihn spüren
Den Dreck
Den sie aufwühlt
Will ihre Finger tief hineinstecken
In den Unrat
In die halb verwesten Karteileichen
Ihre Untoten begreifen
Alles muss raus
Der Mief der letzten 20 Jahre
Der Seelenmüll
Die Halbwahrheiten
Der Selbstbetrug

Die Frau, die in mir wohnt
Reißt die Fenster auf
Füllt ihre schmerzenden Lungen mit klarer Luft
Ihre tränenden Augen mit Klarheit
Sie lässt Licht ins Dunkel
Schaut ganz genau hin
Untersucht jede Schramme, jede Kerbe
Jeden dunklen Fleck
Jede tot geglaubte Verletzung
Sie deckt sie nicht mehr zu
Mit bunten Trostpflastern
Und falschen Hoffnungen

Kein Erbarmen
Tief durchatmen
Geisterjäger haben keine Angst

Die Frau, die in mir wohnt
Schaut erschöpft auf ihre Hände
Sie schmerzen
Als hätte sie jedes Gespenst
Eigenhändig erwürgt
Sie schaut in den spiegelblank gescheuerten
Grund ihrer Seele
Und
Findet
Sich

Sieht sich
Zum ersten Mal
Ganz deutlich

Und lächelt sich zu.
 

Joh

Mitglied
Ich kann das gut verstehen, man ist hier so an intensive Textarbeit gewöhnt, daß man gar nicht mehr auf die Idee kommt, etwas einfach nur so zu nehmen, wie es ist. Wenn ich mir den Thread so ansehe, war es ein richtiges Überfallkommando. Ich werde es mir merken *g*.

ein Gruß an Dich, Johanna
 
H

Hakan Tezkan

Gast
hallo,

kann ich auch verstehen. nach mir ist ja wirklich eine flut ausgebrochen.
zu meiner verteidigung:
ich habe den part immer noch im kontext gelesen...
ein wenig mehr könnte man stehen lassen, aber die bilder habe ich nicht gestrichen. "seelenmüll" ist für mich ein abstrakter begriff. auch "halbwahrheiten" und "selbstbetrug". oder entsteht bei dir ein bild, wenn du diese wörter hörst?...*g*

ich duck mcih weg...:)

lg,
hakan
 



 
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