Die Gegenwart aus der Sicht von Morgen: Halle - Rotterdam (Schreibaufgabe)

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Sendling

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Halle – Rotterdam



Bernburg an der Saale, 07:30, 14. Januar 2028



Ein kalter Wind fegte die verwaiste Bundesstraße hinunter und trieb die letzten Fetzen des morgendlichen Frühnebels vor sich her. Kern richtete den Feldstecher prüfend auf den Horizont. Ja, im Norden waren die ersten Häuser des südlichen Ortsrandes nun deutlicher zu sehen. Im Süden nichts Neues, auf beiden Seiten der Straße immer noch hektische Aktivität, wo sich die Überlebenden des Vortags hastig eingruben. Zwei Panzerkompanien – was davon übrig war - und vielleicht noch knapp 500 Mann regulärer Infanterie aus verschiedenen Einheiten der ehemaligen Bundeswehr, dazu alles, was die Rechten innerhalb der letzten vierundzwanzig Stunden hatten zusammenkratzen können. Insgesamt schätzte er die Stärke des Gegners auf kaum mehr als 2000 – bunt zusammengewürfelt, höchst unterschiedlich bewaffnet und von bestenfalls bedingtem Kampfwert. Dem, womit sie es heute zu tun bekommen würden, waren sie jedenfalls in keiner Weise gewachsen. Er lächelte grimmig. Fast taten sie ihm leid. Das Meldungssignal des comlinks in seinem rechten Ohr riss ihn aus diesen Gedanken.

„General, incoming call from outside. Some woman wants to talk to you personal, claiming she’s a friend of yours. She says she is currently in Halle.”

“Did she give a name?”

“Yes, but the lieutenant didn’t get it straight. Could be Hanna or something. Didn’t ask for a last name either. Sorry, Sir.”

Kern grinste in sich hinein. „Put her through.“

„Copy. Out.“

Es knisterte kurz, dann kam ihre Stimme, deutlich verrauscht zwar, aber doch verständlich.

„Paul?“

„Hanna? Schön, dich zu hören! Geht’s dir gut?“

Sie atmete hörbar auf. „Endlich! Ich hatte schon befürchtet, ich komme nie durch. Du hast ja keine Ahnung, wie oft ich’s versucht habe.“

„Ich kann’s mir denken, Hanna. Ich bin erstaunt, dass sie die Verbindungen nicht längst alle unterbrochen haben. Anscheinend ist denen nicht klar, wie wichtig das ist.“

„Es ist schlimm, hier, Paul, die Leute sterben in den Straßen.“

Er unterdrückte einen Fluch. „Morgen früh, spätestens, sind wir da. Ihr müsst bis morgen durchhalten.“

„Viele werden eine weitere Nacht in ihren kalten Häusern nicht überstehen, wir sind seit Tagen ohne Trinkwasser und die letzten Lebensmittel aus dem Umland kamen vor fast drei Wochen herein. Für die Verwundeten und Kranken haben wir keine Medikamente mehr. Wenn ihr nicht bald kommt, könnt ihr nur noch Leichen bergen. Wo seid ihr?“

„Darf ich dir nicht sagen, sie hören vielleicht mit“, knurrte er durch zusammengebissene Zähne. „Aber wir sind nahe, sehr nahe sogar. Wir werden den äußeren Belagerungsring heute durchbrechen, dann ist es noch ein Tagesmarsch. Wir kommen mit allem, was wir haben. Ich habe einen großen Konvoi mit Versorgungsgütern zusammengestellt, der euch über die ersten Tage helfen wird. Den bringen wir spätestens morgen Früh `rein, du hast mein Wort darauf. Durchhalten, Hanna, du weißt, ich brauche dich.“

„Ich hoffe, ihr schafft es Paul. Gibt es etwas, was wir tun können?“

Er dachte kurz nach. „Nein, eigentlich nicht. Haltet euch so gut es geht bedeckt und haltet die Stellung. Morgen früh werden wir die Außenbezirke säubern – vielleicht schon heute Nacht. Ihr werdet es merken, wenn wir da sind.“

„Wenn wir sonst nichts tun können, werden wir beten. Für uns und für euch.“

„So wie wir. Alles Gute, Hanna – und bleib am Leben!“

„Ich werd’s versuchen. Das gilt aber auch für dich. Alles Gute, dir und euch allen!“ Sie legte auf.

Noch eine Stunde. Vorbei die Zeiten, da man auch bei völliger Finsternis Laser- oder GPS-gelenkte Waffen in vordefinierte Zielkoordinaten lenken konnte. Die Dunkelheit hätte den alten Leopard-II Panzern mit ihren Wärmebildgeräten heute nur einen unnötigen Vorteil verschafft, also würde der Angriff bei vollem Tageslicht beginnen.
Angespannt starrte er in das Halbdunkel zu den feindlichen Linien hinüber. Um ihn herum ereignete sich die konzentrierte Geschäftigkeit, die man von einem vorgeschobenen Befehlsstand in einer solchen Situation erwarten konnte. Ein bestimmtes Geräusch, ein sich rhythmisch wiederholendes Klappern hob sich jedoch von den übrigen Geräuschen ab und ließ ihn aufhorchen. Er drehte sich um und suchte die Ursache, die er im Gewehrmagazin eines jungen Soldaten fand, das wieder und wieder aus der Waffe gelöst wurde, nur um anschließend wieder hörbar eingesetzt zu werden.

„Nervous, soldier?“

Der Mann reagierte zunächst nicht und fuhr mit seiner Tätigkeit unbeirrt fort, ohne auch nur den Kopf zu heben. Kern sah, dass er sehr jung war, wahrscheinlich keine zwanzig und ziemlich blass.

„Nervös, Soldat?“

Englisch war seit Bestehen der Republik Amtsprache und in den Streitkräften Pflicht, was aber nicht bedeutete, dass es schon deshalb jeder beherrscht hätte. Tatsächlich zeigte der Sprachwechsel Wirkung: Der junge Mann sah - in seiner Muttersprache angesprochen – überrascht auf.

„Äh, ja…ziemlich…“, sagte er leise.

Kern nickte. „War ich auch, als ich zum ersten Mal in den Kampf musste.“

„Sie? Wirklich?“

„Ja, sicher, was dachtest du denn? Auch beim zweiten Mal noch. Ganz streift man das nie ab, es ist ja auch ein Schutz, damit man nicht leichtfertig wird.“

Stumm sah ihn der Junge an, das Magazin verharrte vergessen in der rechten Hand.

„Wie heißt du?“

„Jan Rodewald.“

„Und wie alt bist du, Jan?“

„Achtzehn.“

„Hm.“ Kern dachte kurz nach. Wie war es wohl für einen, der die alte Zeit gar nicht mehr kennen gelernt hatte? Konnte er auch nur ahnen, was der Menschheit verloren gegangen war?
Konnte man so einem begreiflich machen, wie strahlend die Welt war, als es Energie und Treibstoff noch im Überfluss zu geben schien, so reichlich, dass der Himmel an klaren Tagen kreuz und quer mit den Kondensstreifen ziviler Flugzeuge überzogen war? Eine Illusion, natürlich, gegründet auf Unrecht und Gier, wie sich ja erwiesen hatte, als sie mit Feuerwerk und Knall an der Wirklichkeit zerschellte, aber dennoch…

„Sir…stimmt es, dass sie Autofahren können?“

Er lachte. Mit einer solchen Frage hatte er nun wirklich nicht gerechnet – dann aber wurde ihm klar, dass man ja schon mindestens Mitte dreißig sein oder einem Spezialberuf angehören musste, um diese Fertigkeit noch erlernt zu haben.

„Ja, es stimmt. Nicht gut allerdings, ich konnte mich nie allzu sehr dafür erwärmen.“ Darüber also redeten Rekruten heutzutage, wenn sie unter sich waren.

„Wirklich? Ich meine, wirklich nicht?“

„Nein“, erwiderte Kern Schulter zuckend, „es schien mir schon vor dem Krieg irgendwie verschwenderisch.“

Am verständnislosen Blick des anderen konnte er ermessen, wie viel sich seither verändert hatte.

„Wo kommst Du her?“

„Ich komme nirgendwo her“, kam die trotzige Antwort. „Ich bin in einem Flüchtlingslager in der Nähe von Oldenburg geboren worden.“
„Und deine Eltern?“

„Mein Vater starb kurz vor meiner Geburt, meine Mutter kurz danach. Beide Krebs.“ Das Thema war ihm offensichtlich unangenehm.

Krebskranke Flüchtlinge also, die zum Sterben nach Norddeutschland gekommen waren, vermutlich Holländer, aus der Zeit, als es die Niederlande noch gab. Der Sohn war heute achtzehn, geboren also wohl 2010, gezeugt wahrscheinlich 2009, im Jahr von Rotterdam.

„Sie kamen aus den Niederlanden?“

Der Junge wirkte jetzt deutlich gequält. „bitte, Sir…können wir das nicht…ich meine…ich weiß es nicht und ich will es auch nicht wissen. Jeder hat doch irgendwelche Leichen im Keller und niemand spricht gerne darüber.“

„Leichen im Keller?“ Kern war perplex. „Wie meinst du das?“

„Ich meine, im Lager redete niemand darüber, keiner fragte einen, wo man herkam, wo die Eltern oder wo sonst irgendwer herkam. Von Niederlanden weiß ich nichts, wie kommen sie darauf?“

„Wie ich darauf komme?“ Seine Verwirrung nahm zu. „Nun, ich habe achtzehn Jahre zurückgerechnet und mir darüber Gedanken gemacht, dass deine Eltern schon um 2009 herum Flüchtlinge gewesen sein müssen – früher als die meisten. Und sie starben an Krebs – da schien mir der Zusammenhang mit den Niederlanden nahe liegend.“

„Was für ein Zusammenhang? Was für Niederlande? Keine Ahnung, wovon sie sprechen, Sir.“, erwiderte der Junge, aufkeimenden Ärger im Gesicht.

„Du weißt nicht, was die Niederlande waren?“ Fassungslos starrte er den Jungen an.

„Nein, Sir, und es interessiert mich auch nicht. Kann ich jetzt weiter machen?“

Für einen Augenblick schloss Kern entsetzt die Augen, dann drehte er sich abrupt um, während in seinem Geist jener Film ablief, der ihn seit neunzehn Jahren jede Nacht mindestens einmal aus dem Schlaf riss.

Schon Jahre zuvor hatte ihn eine unerklärliche Unruhe ergriffen, wenn er nachts durch die Straßen seiner Stadt wanderte. Dann, im August 2007 hatte seine Freundin ihm zum Geburtstag einen Hubschrauberflug geschenkt, etwas, das er sich schon sehr lange gewünscht hatte. Als er dann mit ihr in der lauten, engen Maschine über seiner Heimat schwebte und auf den riesigen Ölhafen blickte, den größten Europas, als er die gewaltigen Raffineriekomplexe, die großen Lagertanks und das unüberschaubare Netzwerk von Rohrleitungen sah, da wurde ihm schlagartig klar, dass dieser Ort keine Zukunft haben konnte, dass er ihm den Rücken kehren musste, wenn ihm sein Leben lieb war.

2007: Der Krieg im Irak stand im vierten Jahr und die Konflikte der kommenden Jahre begannen sich abzuzeichnen, während die Weltwirtschaft unter der Bankenkrise sanft zitterte, aber noch nicht schwankte, Russland zur unerklärten Diktatur wurde und die Preise für Öl und Gas ungeahnte Höhen erklommen. Wer hatte damals geahnt, dass es noch so viel schlimmer kommen würde? Paul Sebastian Kern hatte es geahnt. Im Januar des folgenden Jahres verließ er die Stadt und ging nach Deutschland, ließ sich in Leer nieder, nah genug der alten Heimat und gleichzeitig, wie er dachte, weit genug entfernt. Er hatte Deutsch gelernt und auf das Beste gehofft.

Besaß der Iran seine eine, einzige Atombombe, die im Frühjahr 2009 als Reaktion auf die massiven Israelischen Luftangriffe den gesamten Norden des Landes verwüstete schon im Jahr 2007? Von denen, die das hätten wissen können, war dank der israelischen Vergeltung niemand mehr am Leben. Wahrscheinlich war es keine im Iran entwickelte Bombe, sondern ein altes russisches Baumuster, auf dem nuklearen Schwarzmarkt als Rückversicherung beschafft. Gab es das iranische Atomwaffenprogramm, das die Israelis so fürchteten, tatsächlich? Vielleicht, wahrscheinlich, möglicherweise? Auch über diese Frage hatte der Krieg das Leichentuch ewiger Unaufklärbarkeit gebreitet. Der Rauch am Golf verzog sich nicht, sondern verteilte sich, breitete sich aus und trübte weltweit das Sonnenlicht um einige Prozent. Die so geschwächte Sonne schien auf eine Welt, die durch dieses unvorstellbar große Blutopfer in zwei einander unversöhnlich gegenüberstehende Lager geteilt war. Kein Land der Erde konnte in dieser Phase des Geschehens und angesichts dieser Ereignisse Neutralität waren. Ein ungleiches Ringen begann, das auf der Seite des ‚Westens’ mit Geld, scharfer Diplomatie und – wo beides nichts half – mit Waffengewalt geführt wurde, während die andere Seite mit der systematischen Störung der weltweiten Öl- und Gasversorgung dagegen hielt.
Georgien hatte in diesem unerklärten Krieg den ersten kurzen und dramatischen Auftritt als Schlachtfeld, da es dank der Baku-Tiflis-Ceyhan Pipeline gleichsam im Zentrum der Frontlinie stand. Pakistan, seit dem Mord an Butho ohnehin sturmreif, folgte, und Afghanistan, der Irak, Saudi Arabien sowie die übrigen Golfstaaten schlossen sich an. Bis zu den als Terrorakten islamischer Fanatiker getarnten russischen Angriffen auf die Ölförderung in der Nordsee war es dann nur noch ein kurzer Weg, ein Weg, der schließlich und endlich, über einige Stationen auch nach Rotterdam führte, zwangsläufig führen musste.

Im comlink knackte es erneut.

„General Kern?“

„Yes?“

„Major Savid, 23rd recon reporting. Possible soft spot close to riverbank. Ground conditions there soaked and muddy, not supporting heavy equipment of theirs, suitable for our MWUs, though.”

“Mines?”

“Not likely, Sir.”

“Why?”

“We kept a close watch right from when they started digging. So far we haven’t seen them doing it.”

“As predicted earlier, yes. They’ve probably run out of stock. Just as well. Proceed as planned, Major.

“Understood. Out.”

Er wandte sich zu seinem Kommunikationsoffizier um. Der junge Soldat hinter ihm, der ihn noch immer mit offenem Mund anstarrte, war vorübergehend vergessen.

„Captain?“

„Sir?“

„I want a secure broadcast channel.”

Der Mann reichte ihm ein zusätzliches Mikrofon. „Ready, Sir“

Kern räusperte sich und nahm das Mikrofon.

„This is General Colonel Paul S. Kern, Commander in Chief of the Armed Forces of Global Republic.
Soldiers! Men and women of the Second Integrated Armygroup!
Twenty minutes from now, you will move forward to break the siege of Halle.
I have just received word on the conditions in the city. Halle is dying. Its citizens are dying due to lack of food, lack of water, lack of everything needed to keep human beings alive.
We will end that today.
As you will rise to fight the last remnants of this last warlord’s army, you will remember all the things they have done in the past, all the things we have found in Hannover and Braunschweig and all the other places. But I want you to remember something else also:
You are not like them.
They have tortured and killed prisoners and civilians, you haven’t so far and you will not do today.
They stand for racism, intolerance and injustice. You try to salvage what civility you can from the wreckage of the old world, to build a new and better one.
You will stay strong. You will keep your resolve. You will not sway nor falter on the last yards of this hard and bitter race that we have been running together for all those years.
The day has come to put an end to this civil war that has drowned all our nations, all our societies in a sea of blood. You can do that today.
Today, you can truly build one new and united society, one new and united nation, one peaceful and united world. And you will succeed!”

Das musste genügen, dachte er, während er das Mikrofon zurückreichte. Die Predigt zum zivilen Verhalten hatten sie aus seinem Mund schließlich oft genug gehört. Vermutlich zu oft. Die historische Größe dieses Tages blieb den meisten von ihnen trotz seiner Hinweise wahrscheinlich verborgen, waren sie doch in ihrer Mehrheit deutlich zu jung. Bis auf die höheren Offiziersränge hatte ja praktisch niemand die alte Zeit noch bewusst erlebt. Zwanzig kurze Jahre, und all das war nur noch Legende. Gerüchte übers Autofahren… er schüttelte den Kopf. Nur gut, dass er den Rekruten nie von den Staus zur Urlaubszeit erzählt hatte. Er nahm sich vor, den jungen Jan nach dem Kampf mal für eine Geschichtsstunde ins Hauptquartier zu zitieren. Falls der den heutigen Tag überlebte. Als er sich nach ihm umdrehte, konnte er ihn allerdings nirgendwo mehr entdecken. Innerlich seufzend legte er im Graben die paar Schritte bis zum vorderen Aussichtspunkt zurück, es wurde schließlich Zeit.

Minuten später begann sich das Vorfeld, von Kern observiert, mit Soldaten zu füllen. Der Infanterist der neuen Zeit war allerdings schon optisch eine gänzlich andere Erscheinung, als seine Kollegen zwanzig Jahre zuvor, trug – oder besser, wurde getragen – von einer so genannten MWU, einer ‚Mechanized Walker Unit’. Das Ding war nicht viel mehr, als eine Art gegen leichte Waffen gepanzerter Anzug mit unterstützenden Elektromotoren für Arme und Beine – angetrieben von einem Hybridmotor mit Brennstoffzelle. Man war damit nicht unbedingt schneller, als ein sprintender Mensch in Sportschuhen, aber ganz sicher schneller als einer mit zusätzlichen 100 Kilo Gepäck auf dem Rücken. Einen mit voller Geschwindigkeit im Zickzack rennenden MWU-Infanteristen mit einer Panzerkanone, einem Raketenwerfer oder einer anderen wirksamen Waffe zu treffen, war an sich schon sehr schwierig. Jede Panzerbesatzung hatte es aber fast immer mit mindestens zehn, fünfzehn oder gar zwanzig gleichzeitig zu tun. Für die gegnerische Infanterie sah es meistens noch schlechter aus, da sich mit bloßen Sturmgewehren praktisch nichts ausrichten ließ.

Heute kam noch hinzu, dass der Gegner nur noch über wenig Artillerie verfügte, für seine Panzer und Schützenpanzer wenig oder gar keinen Treibstoff mehr hatte und im Verhältnis zwanzig zu eins unterlegen war. Der Verlauf des Gefechts spiegelte die Verhältnisse wieder, wie Kern zufrieden feststellte.
Nur der Einbruch der Dunkelheit hatte den Gegner am Vortag vor der völligen Vernichtung bewahrt – und die Tatsache, dass sich die Panzer schneller zurückziehen konnten, als die MWU-Infanterie hinterherkam. Bei dieser hastigen Flucht hatten sie aber offenkundig die letzten Reste an Sprit verbraucht, denn die Panzer standen weder sonderlich günstig verteilt, noch machten sie Anstalten, im Verlauf des Gefechts die Stellung zu wechseln. Binnen einer halben Stunde standen neun Leopards in Flammen und die Reste der Infanterie hatten den Zusammenhalt verloren. Der Widerstand zerfaserte.
Kern atmete auf. Eine Woge der Erleichterung erfasste ihn. Das war es also, nach fünfzehn Jahren Kampf. Von diesem letzten Schlag würde sich die militante Rechte in Mitteleuropa nicht mehr erholen können. Ihre letzte Zentrale war schon vor Tagen gefallen, ihre Kampftruppen waren aufgerieben, zersplittert, auf der Flucht.

„Captain, get me General Winters!“

“Yes, Sir.”

Es dauerte etwas, offenbar war der General noch ziemlich beschäftigt. Schließlich aber hörte er die vertraut kratzige Stimme im comlink.

„Winters.“

„Pete, I need your assessment. Can we get the convoy running?”

“With some care, yes. It’ll need a tough escort, but yes.”

“Good enough for me, Pete. See to it, will you? I’ll be with the escort.”

“You, Sir? General, are you sure you should be doing this? There’s plenty of others and it’s still a bit risky.”

“I thought you’d just told me we could do it, didn’t you? Anyway, I’ll tag along, so you’d better make sure that it is safe.”

“Yes, General, as you wish. Will do. Out.”

Während er sich auf den Weg zu dem improvisierten Unterstand machte, der als Lager für Reserve-MWUs fungierte, ärgerte er sich über Winters’ Versuch, ihn von der Begleitung des Konvois abzubringen. Allein der Gedanke! Hielt ihn der Mann schon für so alt, dass er auf dem Schlachtfeld nichts mehr taugte? Kopfschüttelnd zwängte er sich in eine der MWUs, die entlang der hastig gezimmerten Bretterwand aufgereiht waren. Es war ein neueres Modell, mit verstärkter Kohlefaserpanzerung und verbesserten Kommunikationssystemen. Rasch prüfte er Optik, Sensoren, Waffen und den Ladestand der Energiesysteme, dann verlagerte er sein Gewicht und machte ein paar erste, prüfende Schritte. Perfekt.

„Command: This is MWU four-three-two-one-seven-eight, callsign Daimyo, leaving HQ-reserve. Authorisation gold-alpha-omega-nine-two-nine. Link me in!”

“Copy, Daimyo. Now linked. Good hunting, Sir!”

Auf verwilderten Feldern eines aufgegebenen Landwirtschaftsbetriebs westlich der Straße sammelte sich der Konvoi. Die meisten Güter ließen sich problemlos in kleinen Lastcontainern auf den Rücken der MWUs verteilen. Maximal konnte man so pro Soldat etwa 200 Kilo zusätzlich transportieren. Aus Gründen der taktischen Beweglichkeit beschränkte man sich allerdings auf 100 bis höchstens 150 Kilo pro Einheit. Für große Stücklasten und den Transport auf Straßen gab es allerdings eine effektivere Methode:
Man verwendete alte LKW-Anhänger, die man speziell für die Koppelung an ein Zuggeschirr modifiziert hatte. Zwanzig eingespannte MWU-Infanteristen zogen selbst bei leichter bis mittlerer Steigung praktisch alles.
Schon 2013, als sich beim Zerfall der Bundesrepublik die Reste der Bundeswehr auf die in Entstehung begriffenen Milizen verteilten, hatte es für die noch einsatzfähigen Fahrzeuge nur noch sehr begrenzte Treibstoffvorräte gegeben. Alle Seiten hatten diese argwöhnisch behütet und so gut wie möglich rationiert, aber da selbst Diesel-Benzin noch ein wichtiger Grundsstoff der chemischen Industrie sein konnte, hatte die erste Regierung der Global Republic im Winter 2019 entschieden, konventionellen Treibstoff nur in extremen Ausnahmefällen als Brennstoff zu verwenden. Mittlerweile gab es ja wieder so etwas wie eine systematische Ölförderung, wenngleich auf niedrigem Niveau, aber nun hatte man praktisch keine einsatzfähigen Lastfahrzeuge mehr, die man damit hätte betreiben können. Die meisten waren schon vor Jahren als Ersatzteillager oder schlicht im Zuge der Altmetallsammlung ausgeschlachtet worden – und die, die in Betrieb blieben, waren mehrheitlich der Zerstörung im Kriegseinsatz anheim gefallen. Schade, dachte er, heute wären sie nützlich gewesen.
Mehr als dreißig LKW-Hänger mit vorgespannten MWUs warteten bereits, zweitausend Last-MWUs waren um sie herum verteilt und dieser große Hilfstransport war seinerseits auf allen Seiten durch mehr als tausend weitere MWU-Infanteristen geschützt.
Kern, noch immer trunken vor Erleichterung, reihte sich unmittelbar hinter der ersten Gruppe des Vorauskommandos in die Linie der eskortierenden MWU’s ein. Vorsicht und vorausschauendes Handeln waren eine Sache, die großen Ereignisse dieses historischen Tages nicht an der Spitze seiner Truppen zu erleben, kam für ihn jedoch nicht in Frage.

„General? This is Winters. We’re ready to move out on your mark, Sir.”

“All right, Pete, get us moving. You’ll retain command, though. I think I’ll just tag along for this one. Execute! Daimyo out.”

Einen Augenblick später kam Winters Startkommando über comlink.

„Commander SupCon-H to all SupCon-H units! Stay together, stay in formation, come what may. Keep alert! SupCon-H Escort: I want immediate report on all suspicious activity – but if need be, take them out first. Move it! Now!”


Der Konvoi setzt sich in Bewegung. Die Bundesstraße entlang geht es in schnellem Marschtempo, die Gespanne nutzten die bröckelnde Fahrbahn, während Last- und Eskort- MWUs zu beiden Seiten der Straße weit auseinander fächern. Verstummt sind die Kanonen der Panzer, aber noch immer ist die Luft erfüllt von fernem Kampflärm, ist in mittlerer Distanz noch das Feuer leichter Waffen zu vernehmen. Dem stetigen Informationsstrom, der ungefragt in Kerns Ohr rieselt, während er sich anstrengen muss, mit den jüngeren Soldaten Schritt zu halten, kann man entnehmen, dass es noch immer vereinzelte Widerstandsnester gibt. Vorbei geht es an brennenden Panzern und gepanzerten Mannschaftstransportern, an halbfertigen Schützenlöchern, die ihren Urhebern kein Glück gebracht haben, an verlassenen, verfallenen, heruntergekommenen Häusern und Wirtschaftsgebäuden. Beißender Rauch brennenden Treibstoffs, gemischt mit anderen, deutlich widerwärtigeren Anteilen, behindert die Sicht und ist sich nicht zu schade, in jede Ritze zu kriechen, um den Weg in die Helme zu finden.

Immer wieder muss er sich in Erinnerung rufen, warum er das hier macht, sich die Gründe im Geist gebetsmühlenartig wiederholen, damit der Strom der verinnerlichten Notwendigkeit nicht abreißt, wie die Strömung unter der Tragfläche eines Flugzeugs. Nur jetzt nicht einknicken, all den Bildern und Gerüchen zum Trotz, die in der Wiederholung stets nur schlimmer statt erträglicher zu werden scheinen. Das Ende eine Schlacht ist immer furchtbar. War es nicht schon Wellington, der behauptet hatte, es gäbe nichts Schlimmeres, als eine gewonnene Schlacht – mit Ausnahme einer verlorenen? ‚Anfänger’ denkt er mit düsterer Belustigung, während aufsteigender Ekel das Grinsen im Ansatz unterbindet. Nur jetzt nicht reiern wie ein Rekrut, verdammt! Schweiß rinnt ihm übers Gesicht, kondensiert, da die Lüftung mit dieser Menge nicht Schritt halten kann, auf dem Helmvisier und beeinträchtigt die Sicht zusätzlich. Ein echter Geistesblitz war das mal wieder gewesen, den Konvoi persönlich eskortieren zu wollen. Er wird langsam zu alt für diesen Unsinn.

Zwanzig Jahre zuvor hatte die Welt im Großen und Ganzen noch relativ friedlich ausgesehen – wenngleich natürlich nur aus der recht willkürlichen Perspektive eines saturierten Westeuropäers. Dass man schon seit längerem auf einer Insel der Stabilität in einem großen Meer aus kleinen wie größeren Kriegen, aus Not und Elend lebte, das freilich drang kaum ins Bewusstsein der meisten, die mit ihren eigenen Nöten wachsender sozialer Ungleichheit genug zu tun zu haben glaubten. Dass das Gebäude der internationalen Beziehungen längst schon unter der Last der Konflikte ächzte und stöhnte, ging im allgemeinen Wehklagen über nationale Probleme unter. In Vergessenheit geraten war zudem, dass es sich beim Welthandel in dieser Spätphase der globalisierten Wettbewerbswirtschaft um ein Kartenhaus handelte, welches seinerseits auf dem Dach des Gebäudes besagter internationaler Beziehungen ruhte. Als das Letztere unter dem Ansturm der Konflikte in Brand geriet und schließlich einstürzte, war auch das Erstere nicht mehr zu retten. Es war – für manche nicht überraschend – das Erdöl, das den Brennstoff für diese Feuerbestattung lieferte, wenngleich die tieferen Ursachen vielfältig waren. Sie reichten zurück bis in die späten achtziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts, als man in Deutschland und Westeuropa, vor allem aber in den USA aus einer Siegerlaune heraus die Chance verspielte, eine tragfähige und belastbare Weltfriedensordnung zu schmieden. Bereits zehn Jahre danach, im Winter 1999 war diese Chance nur noch Erinnerung, war der weitere Weg, wennschon nicht im Detail, so doch zumindest von seinen äußeren Rahmenbedingungen her, vorgezeichnet. Dass die Versorgung mit fossilen Brennstoffen, welche die Weltwirtschaft am Leben hielt, letztlich zum entscheidenden Schlachtfeld werden würde, war logisch und folgerichtig – jedoch keineswegs zwingend. Spätestens seit dem dritten Golfkrieg und der Besatzung des Irak durch US-geführte Truppen war diese Entwicklung allerdings stark beschleunigt und in ihrer späteren Auswirkung unabwendbar geworden.

Unabwendbar…das Wort klebt lästig im Vordergrund seiner Gedanken, während es ihm immer schwerer fällt, den Anschluss an die Führungsgruppe zu halten. Klar, ein Kommando von ihm, und der Konvoi würde sofort das Tempo drosseln, aber das kommt nicht in Frage. Halle wartet – und jetzt, da er nun einmal so töricht gewesen ist, unbedingt bei der Befreiung dabei sein zu wollen, gibt es kein Zurück mehr. Jede Stunde zählt, da ist es völlig ausgeschlossen, höchstpersönlich für eine absolut unnötige Verzögerung verantwortlich zu werden. Oder eine Gruppe der Eskorte zu seinem eigenen Schutz abzuziehen und mit ihnen den Konvoi zu verlassen, was die andere Option wäre. Einen weiteren sanften, mit schwärzlichen Trümmern zerstörten Kriegsgeräts übersäten Abhang hinauf – und auf der anderen Seite wieder hinunter. Die anderen sind nun gut zwanzig Meter voraus – und Kern weiß, dass er das Tempo nicht viel länger wird halten können. Er lässt sich weiter und weiter zurückfallen, bewegt sich auf diese Weise langsam von vorne nach hinten durch den Konvoi hindurch. Die Soldaten seiner Eskortgruppe bemerken es, aber sie wissen ja, wer das da ist, in der ungekennzeichneten Reserve-MWU – und keiner traut sich, nach dem Grund zu fragen. Der General wird schon wissen, was er tut. Die Last-MWUs dahinter wissen nicht, mit wem sie es zu tun haben, nur das permanent gesendete Rang-Signal von Kerns MWU sagt ihnen, dass es sich um einen vorgesetzten Offizier handelt – der mutmaßlich die Marschordnung des Konvois im Auge behalten will. Auch sie stellen keine Fragen. Zu den Gesetzmäßigkeiten der menschlichen Aufmerksamkeit und Fähigkeit zur Konzentration zählt es, dass der Torwächter, dem eingeschärft worden ist, unbedingt jeden Eindringling von außen am Betreten des Grundstücks zu hindern, kaum geeignet ist, gleichzeitig einen Ausbrecher am Verlassen des Grundstücks zu hindern. Sicher, die MWUs der Nachhut sind wachsam – nur eben in die falsche Richtung Drei Anläufe braucht er, zweimal wird er angesprochen, dann ist er nach hinten durch den Schirm gerutscht, geht hinter der halb eingestürzten Ziegelwand einer abgebrannten Scheune in Deckung und schaltet die Positions- und Rangsignalsender ab. Geschafft! Drei Minuten gibt er sich, um zu Atem zu kommen, vor allem aber, damit der Konvoi außer Hörweite ist. Gegen die Wand gelehnt schließt er die Augen und versucht, die Selbstvorwürfe niederzuringen.

„Command: This is Kern. I have left the Konvoi, will return to HQ shortly. ETA 30 minutes. Tell General Nowak to take over until I’m back. Do you copy?`”

„Copy Sir. You’ll be back in thirty minutes, General Nowak takes temporary command.“

Die Stimme klingt einigermaßen überrascht, die entscheidende Frage wird sich aber dankenswerter Weise verkniffen. Kern atmet auf. Krystyna Nowak ist zuverlässig, klug, vorsichtig und nötigenfalls kreativ-gerissen. Er kennt sie seit Jahren und hat jedes Vertrauen in ihre Fähigkeiten, für den Fall, dass mit seiner eigenen Rückkehr etwas schief gehen sollte.
Die Schultern straffend stößt er sich von der Wand ab, geht einen Schritt und hört das Geräusch, das ihm sagt, dass er tot ist, das Geräusch, das der Druckzünder einer schweren Landmine hervorruft, wenn er sich bei Wegfall des Drucks wieder nach oben bewegt. Und so den Sprengsatz auslöst, der nun in einem weißen Feuerball auf ihn zugerast kommt.
Er spürt noch einen dumpfen Schlag, dann versinkt er in Schwärze.

Als er zu sich kommt, ist der Schmerz weiß, glühend und schließt seinen Geist in eine enge, nadelbewährte Zelle ein. Sein Körper ist eisig und reglos, auch den Kopf kann er nicht heben, was ihm den Blick auf seine in den Trümmern der MWU steckenden Beine erspart. Gnädiger Schock schickt ihn erneut ins Tal der Besinnungslosigkeit.

Noch einmal erlangt er das Bewusstsein, oder doch zumindest das, was davon übrig ist. Der Schmerz ist nicht mehr so schlimm jetzt und das Gefühl der Kälte hat ihn verlassen. Denken ist anstrengend, als müsse er jeden Gedanken erst durch eine poröse Schaumstoffwand drücken, um ihn auf der anderen Seite klar fassen zu können. Bilder stellen sich ein, Geräusche, Gerüche, Erinnerungen, Szenen der Vergangenheit. Blass sind die Bilder. Spielende Kinder, Gesichter von Freunden…über allem liegt erneut das Vorgefühl des Unheils, die drückende Ahnung einer unausweichlichen Katastrophe.
Wieder ist es früher Morgen, wieder ist es Herbst, wieder ist die Luft klar, der Himmel noch in tiefblaue Dämmerung gehüllt, wieder steht er am großen Dachfenster seiner Leeraner Wohnung und blickt nach Westen. Wie so oft schon. Und dann, wie in jeder einzelnen Nacht seither, kneift er die Augen zusammen, geblendet von unerträglicher, gleißender Helligkeit, die über all die Meilen dazwischen noch immer stark genug ist, um zu schmerzen und Erblindung befürchten zu lassen. Die Helligkeit wird nachlassen, das weiß er und auch blind ist er nicht. Er weiß, was ihn erwartet, wenn er die Augen öffnet, aber er kann nicht anders, genauso, wie er jedes Mal am Fenster stehen bleibt, bis es ihm die Druckwelle in tausend Scherben ins Gesicht schleudert. Er weiß, dass er vor fast zwanzig Jahren nicht auf die Druckwelle gewartet hat, sondern geistesgegenwärtig in den Keller flüchtete, aber in seinen Albträumen nützt ihm das nichts. In seinem Traum ist der Rauchpilz sichtbar, kündet turmhoch und flammend vom Ende der Welt. Er weiß, dass es so nicht gewesen sein kann. Wenn er wach ist, erinnert er sich nur an eine seltsam geformte und sehr schwarze Wolke am fernen Horizont. Fünfundzwanzig Kilometer hoch stieg der Rauchpilz damals, der Lichtblitz war noch in vielen hundert Kilometern Entfernung sichtbar und noch bis Oldenburg gab es später Tote durch den direkten Fallout. Das alles weiß er, ebenso, wie er weiß, dass er in Leer an diesem Tag zwei Freunde verlor, die von fliegendem Glas förmlich in Stücke gerissen wurden. Eine zuerst an hoch liegenden Wolken und dann an plattem Land reflektierte Druckwelle kann erstaunliche Distanzen überwinden. Als der Traum endet, wie er enden muss, sinkt er erneut in Dunkelheit.

Einmal noch, ein letztes Mal, erwacht er zu einer Art Halbschlaf. Lächeln würde, er, wenn das noch ginge. An diesen Tag hat er nicht mehr oft gedacht, unscharf waren die Erinnerungen, zu schwierig die Aufgaben, zu viel ist geschehen seither, aber klar und deutlich sind die Bilder jetzt. Ein heller Tag. Er sieht das fast unnatürliche Blau des ruhig liegenden Mittelmeeres unter einer fiel zu hellen ägyptischen Sonne in der unerträglichen Mittagshitze flirren. Um ihn all die Stimmen, jeder redet, alle wollen irgendetwas, jeder und jede etwas Anderes, viel zu viele erwarten viel zu viel von ihm. Aber das war damals. Heute hat er Muße, die Szene zu betrachten, zu zusehen, wie aus dem wirren Durcheinander der Delegationen allmählich so etwas wie eine Ordnung entsteht, wie – langsam wie ein Kristall in Salzlösung – ein Konsens zu wachsen beginnt. Als Konferenz oder auch als der Frieden von Alexandria, als der Tag, an dem der Leichnam der UNO beerdigt und die Global Republic als ihre Nachfolgerin errichtet wurde, ging dieser Tag in die Geschichte ein. In Wahrheit war es beides nicht, denn dem beschlossenen Frieden überall zur Geltung zu verhelfen, das wird erst morgen vollendet sein – und es war auch nicht eine Konferenz, sondern es waren viele Monate voller Konferenzen. Er weiß das, denn er war dabei, als es geschah, hatte seinen Anteil, leistete seinen Beitrag. Mehr als zwei Milliarden Menschen hatten bis zu diesem Tag ihr Leben verloren, aber weitere hundert Millionen starben selbst noch danach, ohne dass die Republik ihnen dieses Schicksal hätte ersparen können. Und es ist dieser Augenblick, in dem er durch die letzte, entscheidende, erfolgreiche Verhandlungsrunde gleitet und weiß, dass es gelingen wird, in dem er erkennt, wie sich sein Leben zu einer leichten, unbeschwerten Heiterkeit fügt, wie das Gute und das Schlechte, das Bittere und das Schwere, wie all die erlebte Grausamkeit und Trauer ihre angemessenen Plätze in einem großen Plan einnehmen, der seinem Leben die Ordnung und den Sinn verleiht, die er so lange vergeblich gesucht hat. Morgen ist Frieden und der Frieden braucht nicht länger Generäle. Sie, die anderen, die jüngeren, werden es besser machen. Morgen ist Frieden.
 

Sendling

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Dem eigenen Text mehr Aufmerksamkeit und Aufrufe zu verschaffen, indem man sich selbst eine Antwort schreibt, ist natürlich äußerst schlechter Stil. Ich lehne es als unlauteres Verhalten ab, distanziere mich davon und gelobe, niemals und unter keinen Umständen so tief zu sinken... es sei denn, mir ist danach.

Zu meiner Rechtfertigung würde ich gerne eine Reihe gewichtiger Gründe anführen, es ist nur so, dass ich's nicht tun werde. ;)

Was den Text betrifft, so interessiert mich besonders, ob der Wechsel zum epischen Präsens die erhoffte, verdichtende Wirkung erreicht, die ich mir davon verspreche - und ebenso, wie die Entscheidung gesehen wird, die Dialoge teilweise tatsächlich auf englisch zu schreiben. Ich bin mir darüber im klaren, dass man das 1. nicht mit anderen Sprachen tun kann, weil deren Verbreitung zu gering ist und dass 2. eine mögliche Rechtfertigung sich nur auf die Gattung der Science Fiction beziehen kann, wo man unter der speziellen Leserschaft entsprechende Kenntnisse durchaus vermuten darf (insbesondere, soweit es das weithin geläufige 'Militänglisch' betrifft).

Davon abgesehen möchte ich darauf hinweisen, dass ich auch negative Bewertungen, die von einem (auch kurzen) Kommentar begleitet werden, als Ausdruck von persönlicher Integrität und Rückgrat begrüße. :D
 

jon

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Teammitglied
Spät, aber dafür halbwegs gründlich …

Am Anfang störte mich das Englische noch nicht, auch wenn ich (obwohl ich SF-Leser bin) vieles eher erraten musste statt es halbwegs zuverlässig übersetzen zu können. Bei dem Teil nach „der Junge kommt wahrscheinlich aus den Niederlanden“ begann es mich zu stören, weil ich noch mehr raten musste, hier und da reichte es nicht mal dazu, sodass ich mit dem Gefühl weiterlas, irgendwas Wichtiges könnte mir entgangen sein. Spätesten bei der Rede war es mir dann definitiv zu viel – der Lesefluss floss nicht (sondern strudelte um unbekannte Vokabeln oder stürzte gar „aus der Story ins Dunkel des Mystischen“ ;) ).

So richtig gut begründet finde ich den Zeitenwechsel nicht. Das vorher war ja auch „Jetztzeit-Film“ und keine Erinnerung, die Kern kurz vor dem Abmarsch noch mal durch den Kopf geht …
… und auch im Nachhinein, da ich die Story nun zu Ende las, ist der Wechsel nicht begründet. Es gibt keine Zäsur, die den Wechsel rechtfertigt – die Strukturen bleiben gleich, die Erzählebene wechselt nicht, die Spannung steigt nicht …

Details (Rechtschreib- und Kommafehler mal nicht mitgerechnet, die halten sich ohnhin in Grenzen)

Es knisterte kurz, dann kam ihre Stimme, deutlich verrauscht zwar, aber doch verständlich.
„deutlich verrauscht“ wäre nur sinnvoll, wenn es etwas mehr als so schwach rauschte, dass man weniger Hörstarke es gar nicht wahrgenommen hätten. Dann ist aber „doch verständlich“ nicht sehr sinnvoll – wenn es nur „na gut, man hört, dass es rauscht“ ist, dann geht man automatisch davon aus, dass es verständlich ist. Das war jetzt ganz schön „verwürcht“, vielleicht hilft es, wen ich mal schreibe, was ich geschrieben hätte: „… Stimme, (etwas) verrauscht zwar aber doch verständlich.“/„… Stimme, Ziemlich verrauscht, aber noch verständlich.“


„Viele werden eine weitere Nacht in ihren kalten Häusern nicht überstehen,
… ich denke, sie sterben „in den Straßen“? Das klingt eher nach „sie werden abgeschossen“, „die Krankheit/das Gift überrascht sie“ oder „sie sind auf der Flucht und kommen nur bis dahin“. „In den Häuser“ ist eher „sie ziehen sich zurück, aber es hilft nichts“.


ereignete sich die konzentrierte Geschäftigkeit,
Klingt seltsam, als wäre es ein kurzer Ausbruch von Geschäftigkeit …


Konnte man so einem begreiflich machen, wie strahlend die Welt war, als es Energie und Treibstoff noch im Überfluss zu geben schien, so reichlich, dass der Himmel an klaren Tagen kreuz und quer mit den Kondensstreifen ziviler Flugzeuge überzogen war? Eine Illusion, natürlich, gegründet auf Unrecht und Gier, wie sich ja erwiesen hatte, als sie mit Feuerwerk und Knall an der Wirklichkeit zerschellte, aber dennoch…
Moment … Was genau war die Illusion? Die Kondenstreifen? Grammatisch zwar nahe liegend, inahltlihc aber ehr Quatscht. Also: Dass es Treibstoff und Energie im Überfluss gab, war nur Illusion. Aber wie kann der Überfluss auf Unrecht und Gier gegründet sein? Ich ahne irgendwas wie „die Thematik Energie/Treibstoff ist mit viel Unrecht und Gier verbunden“ … aber das ganze schwiemelt mir doch zu sehr.


einem Spezialberuf angehören musste,
Kann man einem Beruf angehören? Einer Berufsgruppe ja, aber einem Beruf?


„Ich komme nirgendwo her“, kam die trotzige Antwort.
Der Trotz kommt mir etwas unvermittelt. Wenn der Junge vorher schon rumgepatzt hätte, aber er „himmelt“ Kern ja fast an …


Schon Jahre zuvor hatte ihn eine unerklärliche Unruhe ergriffen, wenn er nachts durch die Straßen seiner Stadt wanderte. Dann, im August 2007 hatte seine Freundin ihm zum Geburtstag einen Hubschrauberflug geschenkt, etwas, das er sich schon sehr lange gewünscht hatte. Als er dann mit ihr in der lauten, engen Maschine über seiner Heimat schwebte und auf den riesigen Ölhafen blickte, den größten Europas, als er die gewaltigen Raffineriekomplexe, die großen Lagertanks und das unüberschaubare Netzwerk von Rohrleitungen sah, da wurde ihm schlagartig klar, dass dieser Ort keine Zukunft haben konnte, dass er ihm den Rücken kehren musste, wenn ihm sein Leben lieb war.
Das muss ich mal so als „Ahnung des Helden“ hinnehmen – plausibel erscheint es mir nicht.

2007: Der Krieg im Irak stand im vierten Jahr
Ich glaube, hier wäre ein Gedankenstrich besser als der Doppelpunkt. Der klingt eher nach Bericht, der Gedankenstrich passt eher zu „Kern erinnerte sich. 2007 – das war das Jahr, als …“

verließ er die Stadt und ging nach Deutschland,
Welche Stadt? Rotterdam? Das rate ich mal …

Er hatte Deutsch gelernt und auf das Beste gehofft.
das Beste hoffen ODER auf das Beste warten / auf das Beste spekulieren

Wahrscheinlich war es keine im Iran entwickelte Bombe,
war es keine im Iran entwickelte Bombe gewesen,

“Mines?”

“Not likely, Sir.”

“Why?”

“We kept a close watch right from when they started digging. So far we haven’t seen them doing it.”

“As predicted earlier, yes. They’ve probably run out of stock. Just as well. Proceed as planned, Major.

“Understood. Out.”
Hier musste ich raten … Was könnte wohl „Not likely“ heißen? „started digging“ – womit begannen die? Aus was für ‘nem Stock sind die rausgerannt? Nein im Ernst: Ich könnte Wörterbücher zu Rate ziehen, aber das macht sich mitten in einer Geschichte nicht gut.

Der junge Soldat hinter ihm, der ihn noch immer mit offenem Mund anstarrte, war vorübergehend vergessen.
Wieso starrt er ihn an?

Der Mann reichte ihm ein zusätzliches Mikrofon.
Zusätzlich zu was?

this last warlord’s army,
Fällt mir an dieser Stelle: Wenn Halle die letzte Bastion des Bösen ist, dann ist die Geheimhaltung, von wo aus Kern mit Hannah spricht, (vorn im Text) Quatsch. Wenn die Bösen hören, dass irgendwer „die Stadtbewohner“ befreien will, dann ist klar, dass es um Halle gehen muss (ist ja die letzte Bastion).
Ich weiß ja nicht, von welchem Halle zu sprichst, aber es ist wohl kaum so große, dass es viele Möglichkeiten gäbe, sich von den Belagerern unentdeckt so weit zu nähern, wie es Kerns Truppe gelang.


Der Verlauf des Gefechts spiegelte die Verhältnisse wieder, wie Kern zufrieden feststellte.
Moment! Das Gefecht hat doch gar nicht begonnen …

denn die Panzer standen weder sonderlich günstig verteilt, noch machten sie Anstalten, im Verlauf des Gefechts die Stellung zu wechseln.
… oder doch?

und dieser große Hilfstransport war seinerseits auf allen Seiten durch mehr als tausend weitere MWU-Infanteristen geschützt.
Vor wem geschützt? Sagtest du nicht, die Bösen hätten sich alle in/um Halle verschanzt und seien eben geschlagen worden?


die Gespanne nutzten die bröckelnde Fahrbahn, während Last- und Eskort- MWUs zu beiden Seiten der Straße weit auseinander fächern.
nutzen
Warum fächern die auseinander? Ist das nicht unclever? Das verlängert doch die zu verteidigende Linie …

ist die Luft erfüllt von fernem Kampflärm,
Jetzt bin ich ganz durcheinander: Die haben doch die letzten Bösen gerade in die Knie gezwungen. Oder?

, dass es noch immer vereinzelte Widerstandsnester gibt.
Ach so! Die Info wäre vorher hilfreich gewesen. Vielleicht dort, wo Kern den Konvoi losschickt. Winters könnte etwas sagen wie „Wollen wir nicht warten, bis alle Widerstandnester ausgeräumt sind?“

halbfertigen Schützenlöchern, die ihren Urhebern kein Glück
Wer ist der Urheber eines Schützenlochs? Urheber ist doch der Erfinder, oder?

brennenden Treibstoffs,
Wo kommt der denn plötzlich her? Ich hatte den Eindruck, niemand hat mehr welchen …

Zwanzig Jahre zuvor hatte die Welt im Großen und Ganzen noch relativ friedlich ausgesehen
Mooment! Du bist eben in die Gegenwart gewechselt, die einzige Begründung ist, dass es jetzt richtig zur Sache geht – aber nein, du schiebst schnell noch mal so einen „was bisher geschah“-Rückblick ein. Stilmäßig keine gute Idee, denk ich.


. Dass man schon seit längerem auf einer Insel der Stabilität in einem großen Meer aus kleinen wie größeren Kriegen, aus Not und Elend lebte, das freilich drang kaum ins Bewusstsein der meisten, die mit ihren eigenen Nöten wachsender sozialer Ungleichheit genug zu tun zu haben glaubten. Dass das Gebäude der internationalen Beziehungen längst schon unter der Last der Konflikte ächzte und stöhnte, ging im allgemeinen Wehklagen über nationale Probleme unter. In Vergessenheit geraten war zudem, dass es sich beim Welthandel in dieser Spätphase der globalisierten Wettbewerbswirtschaft um ein Kartenhaus handelte, welches seinerseits auf dem Dach des Gebäudes besagter internationaler Beziehungen ruhte. Als das Letztere unter dem Ansturm der Konflikte in Brand geriet und schließlich einstürzte, war auch das Erstere nicht mehr zu retten. Es war – für manche nicht überraschend – das Erdöl, das den Brennstoff für diese Feuerbestattung lieferte, wenngleich die tieferen Ursachen vielfältig waren. Sie reichten zurück bis in die späten achtziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts, als man in Deutschland und Westeuropa, vor allem aber in den USA aus einer Siegerlaune heraus die Chance verspielte, eine tragfähige und belastbare Weltfriedensordnung zu schmieden. Bereits zehn Jahre danach, im Winter 1999 war diese Chance nur noch Erinnerung, war der weitere Weg, wennschon nicht im Detail, so doch zumindest von seinen äußeren Rahmenbedingungen her, vorgezeichnet. Dass die Versorgung mit fossilen Brennstoffen, welche die Weltwirtschaft am Leben hielt, letztlich zum entscheidenden Schlachtfeld werden würde, war logisch und folgerichtig – jedoch keineswegs zwingend. Spätestens seit dem dritten Golfkrieg und der Besatzung des Irak durch US-geführte Truppen war diese Entwicklung allerdings stark beschleunigt und in ihrer späteren Auswirkung unabwendbar geworden.
Dieser Abschnitt machte mich – entschuldige bitte – gähnen. Die konkreten „Rückblicke“ vorn waren noch spannend. Dass die dort geschilderte „Waffe Erdölversorgung“ auch Europa treffen würde, weiß man. Das hier wirkt (auch) deshalb eher wie ein moralischer Zeigefinger als wie eine „Vorgeschichte“. Wenn du schon den Kontrast jetzt/damals haben willst, dann würde ich ihn (auch weil du ja auf „action“ geschaltet hast) es reduzieren auf „Kern drängen sich Erinnerungen an Europa vor zwanzig Jahren auf. Angesichts des momentanen Chaos waren es damals nahezu paradiesische Zustände. Bis auch dieser Kontinent unabwendbar in die Strudel der Kriege gezogen wurde. Unabwendbar – das Wort…“

Absatz, in dem Kern „nach hinten durchrutscht“ – Ich glaube, da sollten ein paar Absätze rein. Vor allem erschien es mir unangemessen auswalzend beschrieben (erst recht gemessen an der „Beschreibung“ der ach so wichtigen Schlacht vorhin.)


Krystyna Nowak ist zuverlässig, klug, vorsichtig und nötigenfalls kreativ-gerissen. Er kennt sie seit Jahren und hat jedes Vertrauen in ihre Fähigkeiten, für den Fall, dass mit seiner eigenen Rückkehr etwas schief gehen sollte.
Zum ersten Mal wird eine Figur so detailiert eingeführt – und das fast am Ende der Story wo sie nie wieder auttaucht. Nicht sehr sinnvoll, oder?

(Die letzten Absätze mit den „noch mal Erinnern“-Episoden)
… oooch, das war’s? Noch mal ein bisschen „was bisher geschah“ (ohne Knalleffekt) und dann ist Kern einfach so tot? Deswegen – für diese Erinnerungen – musste er (mal literarisch-dramaturgisch gesehen) sterben? Auf so blöde Weise auch noch? Warum denkt er in seinen letzten Züge nicht an Freunde, an Hannah oder an den Jungen, der leugnet, Niederländer zu sein? Neenee, irgendwie ist der Spannungsbogen schlagartigt unter der Last der „Geschichtslektion“ zerbröckelt. Sehr schade.
(Geschichten sollten immer in erster Linie Geschichten erzählen – und zwar „spannend“. Historie kann mittransportiert werden, darf aber die Geschichte nicht erschlagen …)
 

Sendling

Mitglied
Zunächst vielen Dank, jon, für Deine ausführliche Kritik.

Ich werde mir Mühe geben, und versuchen, auf die meisten Anmerkungen zu antworten (wenngleich nicht in einer einzigen Antwort sondern in mehreren)

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Es knisterte kurz, dann kam ihre Stimme, deutlich verrauscht zwar, aber doch verständlich.
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„deutlich verrauscht“ wäre nur sinnvoll, wenn es etwas mehr als so schwach rauschte, dass man weniger Hörstarke es gar nicht wahrgenommen hätten. Dann ist aber „doch verständlich“ nicht sehr sinnvoll – wenn es nur „na gut, man hört, dass es rauscht“ ist, dann geht man automatisch davon aus, dass es verständlich ist. Das war jetzt ganz schön „verwürcht“, vielleicht hilft es, wen ich mal schreibe, was ich geschrieben hätte: „… Stimme, (etwas) verrauscht zwar aber doch verständlich.“/„… Stimme, Ziemlich verrauscht, aber noch verständlich.“

Du sagst, es wäre nur sinnvoll, wenn...aber eine Begründung dafür findet sich nicht. Wenn Du die Dinge so auseinanderpflückst, dann wäre es meiner Ansicht nach gut, den Sinn zu benennen, den es Deiner Auffassung nach nicht erfüllt. Ich gehe nicht automatisch davon aus, dass man Gesagtes versteht, wenn da steht, dass man hört, dass es rauscht. Deutlich ist mehr als etwas - und wenn Du meinst, dass man auf 'deutlich' verzichten kann, warum dann nicht auch auf 'etwas' verzichten? Es ist im Grunde Kleinkram, aber ich kann es halt nicht nachvollziehen, zumal es exemplarisch für einige der Kritikpunkte steht, wie etwa für die Frage, ob man Urheber eines Schützenlochs sein kann.
Man kann selbstverständlich, denn der Urheber ist niemand anders, als der Schöper einer Sache, was bereits aus Begriffen wie dem 'Urheberrecht' deutlich hervorgeht.

quote:
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„Viele werden eine weitere Nacht in ihren kalten Häusern nicht überstehen,
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… ich denke, sie sterben „in den Straßen“? Das klingt eher nach „sie werden abgeschossen“, „die Krankheit/das Gift überrascht sie“ oder „sie sind auf der Flucht und kommen nur bis dahin“. „In den Häuser“ ist eher „sie ziehen sich zurück, aber es hilft nichts“.

Ich bin verwundert: Ist die Wirklichkeit immer entweder rot oder blau? War es jemals so, dass alle Menschen mit Leiden und Sterben, insbesondere dem eigenen, in der gleichen Weise umgegangen wären? Natürlich müssen manche auf die Straße, selbst wenn es für die meisten in ihren Häusern marginal erträglicher sein mag - und natürlich ist die zusätzliche Anstrengung dann in einer derartigen Grenzsituation für einige zuviel. Jeder Bericht über jedes beliebige Ghetto oder Lager unseres oder des vergangenen Jahrhunderts sollte genügen, um zu erkennen, dass Hanna hier nur die üblichen (und leider allgmein bekannten) Umstände des Elends beschreibt.




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ereignete sich die konzentrierte Geschäftigkeit,
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Klingt seltsam, als wäre es ein kurzer Ausbruch von Geschäftigkeit


Ein stilistisches Element, dass ich von Terry Pratchet übernommen habe, da es mir gut gefällt. Interessant, dass man es auch so verstehen kann, ich schätze den Eindruck der Distanzierung vom Geschehen, den ich darin sehe.



quote:
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Konnte man so einem begreiflich machen, wie strahlend die Welt war, als es Energie und Treibstoff noch im Überfluss zu geben schien, so reichlich, dass der Himmel an klaren Tagen kreuz und quer mit den Kondensstreifen ziviler Flugzeuge überzogen war? Eine Illusion, natürlich, gegründet auf Unrecht und Gier, wie sich ja erwiesen hatte, als sie mit Feuerwerk und Knall an der Wirklichkeit zerschellte, aber dennoch…
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Moment … Was genau war die Illusion? Die Kondenstreifen? Grammatisch zwar nahe liegend, inahltlihc aber ehr Quatscht. Also: Dass es Treibstoff und Energie im Überfluss gab, war nur Illusion. Aber wie kann der Überfluss auf Unrecht und Gier gegründet sein? Ich ahne irgendwas wie „die Thematik Energie/Treibstoff ist mit viel Unrecht und Gier verbunden“ … aber das ganze schwiemelt mir doch zu sehr.

Die hier von Kern gedanklich vertretene Position ist in unserer Gegenwart bereits bekannt und ziemlich verbreitet, so dass sich der Einwand meine Erachtens erübrigt. Man muss ihr nicht zustimmen, kennen sollte man sie.


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einem Spezialberuf angehören musste,
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Kann man einem Beruf angehören? Einer Berufsgruppe ja, aber einem Beruf?

Tut mir leid, dass ist offensichtlich unbegründet. Es gibt so viele Definitionen von Beruf und Berufsgruppe, dass es kleinlich wäre, hier die Verwendung einer einzigen, spezififischen zu fordern.


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„Ich komme nirgendwo her“, kam die trotzige Antwort.
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Der Trotz kommt mir etwas unvermittelt. Wenn der Junge vorher schon rumgepatzt hätte, aber er „himmelt“ Kern ja fast an …

Das ist interessant, in meiner Vorstellung war nichts von anhimmeln...werde nochmal genau hinsehen müssen, was man da missverstehen kann.


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Schon Jahre zuvor hatte ihn eine unerklärliche Unruhe ergriffen, wenn er nachts durch die Straßen seiner Stadt wanderte. Dann, im August 2007 hatte seine Freundin ihm zum Geburtstag einen Hubschrauberflug geschenkt, etwas, das er sich schon sehr lange gewünscht hatte. Als er dann mit ihr in der lauten, engen Maschine über seiner Heimat schwebte und auf den riesigen Ölhafen blickte, den größten Europas, als er die gewaltigen Raffineriekomplexe, die großen Lagertanks und das unüberschaubare Netzwerk von Rohrleitungen sah, da wurde ihm schlagartig klar, dass dieser Ort keine Zukunft haben konnte, dass er ihm den Rücken kehren musste, wenn ihm sein Leben lieb war.
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Das muss ich mal so als „Ahnung des Helden“ hinnehmen – plausibel erscheint es mir nicht.


Fakt ist: Du nimmst es eben nicht als eine Ahnung hin, sonst hättest Du die obigen Zeilen nicht geschrieben. Vielleicht wäre es gut, zu erfahren, was genau daran unplausibel sein soll? Dass der Held diese Ahnung hat, oder die Befürchtung, dass alle zentralen Einrichtungen, die die Energieversorgung Europas betreffen, im Rahmen eines Energiekonfliktes zum Ziel werden könnten? Letzteres könnte ich noch nachvollziehen, immerhin ist das geschilderte Geschehen nur ein Szenario unter
mehreren. Das die Befürchtung aber so unrealistisch wäre, dass eine diesbezügliche Ahnung der Figur unplausibel wäre, das ist abwegig.


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verließ er die Stadt und ging nach Deutschland,
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Welche Stadt? Rotterdam? Das rate ich mal …

Die Stadt ist bereits kurz vorher eindeutig identifiziert. Ich finde es dem Gedächtnis des Lesers durchaus zumutbar, diesen Umstand über ein paar Zeilen hinweg gespeichert zu halten.


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Wahrscheinlich war es keine im Iran entwickelte Bombe,
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war es keine im Iran entwickelte Bombe gewesen,

Wenn ich das hätte sagen wollen, hätt' ich's getan. Es soll ja deutlich werden, dass man darüber bis zum aktuellen Zeithorizont keine hinreichende Klarheit erlangt hat, was in Anbetracht der als darauf folgend angedachten Ereignisse im Grunde genommen kaum anders gedacht werden kann.

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“Mines?”

“Not likely, Sir.”

“Why?”

“We kept a close watch right from when they started digging. So far we haven’t seen them doing it.”

“As predicted earlier, yes. They’ve probably run out of stock. Just as well. Proceed as planned, Major.

“Understood. Out.”
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Hier musste ich raten … Was könnte wohl „Not likely“ heißen? „started digging“ – womit begannen die? Aus was für ‘nem Stock sind die rausgerannt? Nein im Ernst: Ich könnte Wörterbücher zu Rate ziehen, aber das macht sich mitten in einer Geschichte nicht gut.


Gut, das nehme ich mir an: Ich habe die Verbreitung englischer Sprachkenntnisse offenkundig wüst überschätzt. Herrje, man muss ihn ja nicht mögen, den Clancy (ich mag ihn auch nicht), aber kennen und gelesen haben? Und was ist mit Pratchet? Douglas Adams? Das kann man doch teilweise gar nicht wirklich übersetzen, weil es dann die Hälfte der Qualität verliert... Für mich wäre das allein Grund genug, mich einfach mal am Original zu versuchen, aber ich gebe zu: Das ist und bleibt Geschmackssache.

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Der junge Soldat hinter ihm, der ihn noch immer mit offenem Mund anstarrte, war vorübergehend vergessen.
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Wieso starrt er ihn an?

Weil er sich abrupt umgedreht und anderen Dingen zugewendet hat, wie unmittelbar zuvor geschildert. Die meisten Leute würde das vermutlich überraschen und nur wenige wären begeistert.


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Der Mann reichte ihm ein zusätzliches Mikrofon.
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Zusätzlich zu was?

Zum comlink, von dem ja permanent die Rede ist?


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this last warlord’s army,
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Fällt mir an dieser Stelle: Wenn Halle die letzte Bastion des Bösen ist, dann ist die Geheimhaltung, von wo aus Kern mit Hannah spricht, (vorn im Text) Quatsch. Wenn die Bösen hören, dass irgendwer „die Stadtbewohner“ befreien will, dann ist klar, dass es um Halle gehen muss (ist ja die letzte Bastion).
Ich weiß ja nicht, von welchem Halle zu sprichst, aber es ist wohl kaum so große, dass es viele Möglichkeiten gäbe, sich von den Belagerern unentdeckt so weit zu nähern, wie es Kerns Truppe gelang.

Es tut mir leid, das sagen zu müssen, aber ein Belagerungsring umfasst 360 Grad. Nicht nur die Entfernung selbst ist wichtig, sondern auch die exakte Position. Diese taktischen Informationen wird kein Militär freiwillig preisgeben, nicht einmal dann, wenn er genau wüsste (was hier nicht der Fall ist), dass es keinen Schaden mehr anrichten kann. Sogar die Frage, von wo genau Kern spricht, kann selbst in dieser Lage für den Gegner unter Umständen noch von Wert sein.
Dass Kerns Truppe kommt, ist natürlich bekannt, aber Du willst mir nicht ernstlich erzählen, dass dies von den hundert in diesem Zusammenhang wichtigen Faktoren der einzig entscheidende wäre?


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Der Verlauf des Gefechts spiegelte die Verhältnisse wieder, wie Kern zufrieden feststellte.
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Moment! Das Gefecht hat doch gar nicht begonnen …

Das kann nicht Dein Ernst sein, oder doch?


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und dieser große Hilfstransport war seinerseits auf allen Seiten durch mehr als tausend weitere MWU-Infanteristen geschützt.
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Vor wem geschützt? Sagtest du nicht, die Bösen hätten sich alle in/um Halle verschanzt und seien eben geschlagen worden?


Von 'Alle' war nie die Rede und in der Realität funktionieren Bürgerkriege so ja auch nicht (was ich hier mal als Wissen voraussetze). Eine geschlagene Armee ist unter umständen immer noch eine gefährliche Armee. Im Allgemeinen wird davon ausgegangen, dass eine Kampfeinheit irgendwo zwischen 25 und 50% Verlusten ihre Einsatzfähigkeit verliert. Das heißt aber nicht, dass dann alle Individuen dieser Einheit mit dem Töten aufhören, sondern nur, dass für die meisten der Erhalt des eigenen Lebens ab diesem Punkt gegenüber der Erreichung etwaiger Einsatzziele in den Vordergrund tritt. Bei einer bunten Bürgerkriegstruppe wie der geschilderten tritt dieser Zustand sehr wahrscheinlich deutlich früher ein - was bedeutet, dass die Säuberung des Geländes nach der Schlacht erheblichen Aufwands bedarf. Daher auch der anhaltende Kampflärm.
Mag sein, dass ich da zuviel militärgeschichtliches Basiswissen voraus gesetzt habe.


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die Gespanne nutzten die bröckelnde Fahrbahn, während Last- und Eskort- MWUs zu beiden Seiten der Straße weit auseinander fächern.
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nutzen
Warum fächern die auseinander? Ist das nicht unclever? Das verlängert doch die zu verteidigende Linie …

Die 'zu verteidigende Linie' ist in Anbetracht der oben geschilderten Umstände selbstverständlich kreisförmig, da ein Kreis das beste Verhältnis von Fläche zur Länge der umfassenden Linie bildet. Davon abgesehen: Wie dicht möchtest Du dich neben jemandem bewegen, der von einer RPG-Granate getroffen wird? Abstand ist das Gebot der Stunde...


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brennenden Treibstoffs,
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Wo kommt der denn plötzlich her? Ich hatte den Eindruck, niemand hat mehr welchen …

Um Himmels willen! Niemand? Davon habe ich nichts geschrieben und davon zu schreiben wäre wohl auch nicht sehr klug gewesen. Wann wäre unter solchen Umstanden ein wirklich restloser Verbrauch wirklich aller Treibstoffvorräte sämtlicher Fahrzeuge vorstellbar? Man stelle sich vor:

Einer der Panzer hat als erster keinen Sprit mehr. Gut, die ganze Truppe kann anhalten und man verteilt die vorhandenen Reste gleichmäßig, indem man bei allen Fahrzeugen nachsieht, abpumpt, misst... Das macht man einmal, wenn überhaupt, häufiger nicht. Zur Erinnerung: Der Feind ist einem auf den Fersen - auch wenn man schneller ist, Zeit zu verschenken hat man nicht. Also sucht man sich beim nächsten mal, wenn ein-zwei Panzer leer sind, eine halbwegs geeignete Position - und gräbt sich ein.


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Zwanzig Jahre zuvor hatte die Welt im Großen und Ganzen noch relativ friedlich ausgesehen
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Mooment! Du bist eben in die Gegenwart gewechselt, die einzige Begründung ist, dass es jetzt richtig zur Sache geht – aber nein, du schiebst schnell noch mal so einen „was bisher geschah“-Rückblick ein. Stilmäßig keine gute Idee, denk ich.

Hier musst Du mir helfen...Du findest den Wechsel stilmäßig keine gute Idee. Einverstanden, kann man vielleicht so sehen. Die Begründung aber erscheint mir unplausibel, denn ein echtes 'darum geht das nicht' führst Du ja nicht an. Statt dessen sagst Du nur, zu welchem Zweck man das Deiner Ansicht nach ausschließlich tun darf. Also, warum nur zu diesem und keinem anderen Zweck?


quote
Dieser Abschnitt machte mich – entschuldige bitte – gähnen. Die konkreten „Rückblicke“ vorn waren noch spannend. Dass die dort geschilderte „Waffe Erdölversorgung“ auch Europa treffen würde, weiß man. Das hier wirkt (auch) deshalb eher wie ein moralischer Zeigefinger als wie eine „Vorgeschichte“. Wenn du schon den Kontrast jetzt/damals haben willst, dann würde ich ihn (auch weil du ja auf „action“ geschaltet hast) es reduzieren auf „Kern drängen sich Erinnerungen an Europa vor zwanzig Jahren auf. Angesichts des momentanen Chaos waren es damals nahezu paradiesische Zustände. Bis auch dieser Kontinent unabwendbar in die Strudel der Kriege gezogen wurde. Unabwendbar – das Wort…“

Ich entschuldige natürlich nicht, denn dazu habe ich ja keinen Anlass. Es ist einfacher, sich dem Anschein nach zu entschuldigen, als darauf zu verzichten, im selben Atemzug den Anlass zur Entschuldigung zu geben.

Davon abgesehen: Wer sagt Dir, dass dies ein action-Text ist? Ich etwa? Der Text ist so angelegt, die eingangs geweckte Leser-Erwartung eines Actiontextes zu enttäuschen. Das geschieht bewusst. Und geschichtliche Rückblenden sollen tabu sein? Bei dieser Schreibaufgabe? Sollte es nicht so detailliert und realistisch wie möglich sein?
Ich akzeptiere, dass wir über die Frage des Realismus offenkundig diametral verschiedene Auffassungen haben, aber mir scheint doch, dass hier die emotionale Ablehnung die fachliche Kritikfähigkeit arg beeinträchtigt.

Ich werde mir die Kritik noch mehrmals durchlesen, um zu sehen, was ich hätte besser machen können. An manchem, Was Du sagst, mag mehr dran sein, als ich in der ersten, emotionalen Reaktion finden kann. Du wärst mir allerdings eine größere Hilfe gewesen, wenn Du Deine offensichtliche Abneigung gegen die hier (als eine von mehreren möglichen) vorgestellte Zukunftsprognose weniger deutlich zum Maßstab erhoben hättest.
 

Sendling

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Nachtrag...


"Absatz, in dem Kern „nach hinten durchrutscht“ – Ich glaube, da sollten ein paar Absätze rein. Vor allem erschien es mir unangemessen auswalzend beschrieben (erst recht gemessen an der „Beschreibung“ der ach so wichtigen Schlacht vorhin.)"

Die Schlacht nimmt keinen wichtigen Platz in der Geschichte ein und soll es auch nicht. Mit der Leser-Erwartung mag sich das anders verhalten, aber als geschichtsinteressierter Mensch sehe ich den Spannungsbogen eher in der Darstellung des historischen Kontextes, als in der 'action', die aus meiner Sicht nur Rahmen ist. Die Schlacht verrät über Kern nur wenig Interessantes, deshalb handele ich sie kurz ab, während sein Verhalten vor und nach dem Start des Konvois viel über ihn preisgibt.



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Krystyna Nowak ist zuverlässig, klug, vorsichtig und nötigenfalls kreativ-gerissen. Er kennt sie seit Jahren und hat jedes Vertrauen in ihre Fähigkeiten, für den Fall, dass mit seiner eigenen Rückkehr etwas schief gehen sollte.
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Zum ersten Mal wird eine Figur so detailiert eingeführt – und das fast am Ende der Story wo sie nie wieder auttaucht. Nicht sehr sinnvoll, oder?

(Die letzten Absätze mit den „noch mal Erinnern“-Episoden)
… oooch, das war’s? Noch mal ein bisschen „was bisher geschah“ (ohne Knalleffekt) und dann ist Kern einfach so tot? Deswegen – für diese Erinnerungen – musste er (mal literarisch-dramaturgisch gesehen) sterben? Auf so blöde Weise auch noch? Warum denkt er in seinen letzten Züge nicht an Freunde, an Hannah oder an den Jungen, der leugnet, Niederländer zu sein? Neenee, irgendwie ist der Spannungsbogen schlagartigt unter der Last der „Geschichtslektion“ zerbröckelt. Sehr schade.
(Geschichten sollten immer in erster Linie Geschichten erzählen – und zwar „spannend“. Historie kann mittransportiert werden, darf aber die Geschichte nicht erschlagen …)

Dazu: Wie oben bereits erwähnt, lernt man über Kern indirekt (etwa durch sein Verhalten im Konvoi oder in Bezug auf Hanna, Jan, etc.. ) eine Menge, viel, viel mehr etwa, als über Krystina Nowak. Sie mit diesen Eigenschaften zu kennzeichnen, ist für das Verständnis von Kerns Verhalten übrigens zwingend erforderlich (und nur deshalb überhaupt da). Wenn man nämlich keinen brauchbaren Stellvertreter hat, muss man sich seinen Stolz und derart extravagantes Verhalten unter allen Umständen verkneifen. Im Übrigen enthält der Name eine Botschaft...oder besser: Einen Teil davon, auch wenn ich nicht damit gerechnet habe, dass jemand danach googelt.

Und warum denkt er nicht an Freunde, Hanna? Nun ja...

"Sie, die anderen, die jüngeren, werden es besser machen..."

Es ist ein Detail, dass nur Durch Deine Kritik relevant wird, aber ich hatte mir dies als einen Gedanken an Hanna und andere vorgestellt. Abgesehen davon zeigt der ganze Text Kern als eine hochgradig politische Person, deren Leben an vielen Stellen durch politisch-historische Ereignisse wesentlich geprägt wurde. Er ist offenkundig traumatisiert (an mehreren Stellen wird darauf referiert, dass er jede Nacht vom Angriff auf Rotterdam träumt) - und sein politisches Leben kann nur als Verarbeitung all dieser Einflüsse gedacht werden. Man kann, psychologische Grundkenntnisse vorausgesetzt, aufgrund der im Text enthaltenen Informationen auf eine gewisse, stellenweise ins fanatische tendierende Reduktion seines Selbst auf die politische Person schließen. Natürlich denkt er an den Erfolg seines lebenslangen Bemühens, hofft auf ihn, hält sich daran fest. Wie sollte das anders sein?

Die Weise seines Todes...ist für mich eine Veranschaulichung des Umstandes, dass jedes kleine Detail, jede Sorglosigkeit tödliche Folgen haben kann. Im Übrigen kann eine solche Persönlichkeit den Krieg bestenfalls körperlich überstehen. Sein Tod am letzten Tag des Krieges ist daher ein folgerichtiges und rundes Ende - und vielleicht das Beste, worauf er hoffen konnte.
 

jon

Mitglied
Teammitglied
Ok, das war eine sehr emotionsgeladene Reaktion, die ich gut nachvollziehen kann. Die Entgegnungen zeigen mir aber im Detail, dass wir in Sachen Sprachpräzision verschieden ticken (Urheber ist praktisch der, der sich das ausdenkt und als erster baut – nicht der "Bauarbieter", der die millionste Kopie anfertigt. Nur mal so als Beispiel). Auch was Spannungsbögen und Figurenmanagement angeht, bist du offenkundig auf einem ganz anderen Dampfer als ich. In den meisten Fällen hast du das Problem, das ich ansprach, gar nicht verstanden. Da wundert es mich auch nicht, dass du auf die seltsame Idee kommt, ich hätte etwas gegen diese Zukunftsversion (ich hab natrülich was dagegen, dass es so kommt, aber nichts dagegen, dass jemand sie so kommen sieht, weil ich es für eine glaubwürdige Vision halte). Alles in allem vermute ich mal, dass wir keine fruchtbaren Gespräche zustande bringen werden – also spar ich mir die Zeit.
 



 
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