Die Hände des Pianisten

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Die Hände des Pianisten


© Rolf-Peter Wille


(Diese leicht satirische Geschichte spielt in Taiwan. Ähnlichkeiten mit verstorbenen Personen sind zufällig.)


Meine Hände zittern so stark, daß ich kaum diese Zeilen schreiben kann, wenn ich an die unheimliche Geschichte des Pianisten P. denke. Und dabei hatte Herr P. sogar seine Hände versichern lassen… Das mag natürlich etwas lächerlich klingen. Doch weiß man, daß berühmte Filmschauspielerinnen zuweilen ihre Beine versichern lassen. Fast jeder Geiger, der eine wertvolle Stradivari oder Guarneri del Gesù spielt, läßt selbstverständlich sein Instrument versichern — und niemand nimmt daran Anstoß. Die Hände sind das Werkzeug des Pianisten. Sie helfen ihm beim Broterwerb, und ich finde es recht weise, daß Herr P. seine Hände versichern ließ.

Doch ich sollte lieber den Pianisten P. vorstellen, denn wahrscheinlich wissen Sie, lieber Leser, gar nicht mehr, was ich mit meinen konfusen Andeutungen überhaupt bezwecke. Sie müssen mich jedoch entschuldigen, denn die Geschichte von P. hat mich fast gänzlich verwirrt. Da er ein Kollege von mir ist, nehme ich nämlich besonderen Anteil an seinem Schicksal. Uns allen kann ja täglich etwas ganz ähnliches widerfahren. Viele von Ihnen kennen natürlich Herrn P. Er ist so berühmt hierzulande, daß er allgemein der ‘Liszt von Taiwan’ genannt wird — und nicht nur seines virtuosen Spiels wegen. P. ist ein recht gutaussehender, doch etwas nervöser, junger Mann. Er ist stets modisch gekleidet, von außergewöhnlich guten Manieren und überhaupt ein Liebling des Publikums, insbesondere des weiblichen Teils vom Publikum.

Mit wachsendem Ruhm wurde P. jedoch immer nervöser. Man weiß ja allgemein, wie gehetzt manch ein berühmter Musiker heute lebt: Konzerte, Aufnahmen, Interviews, Taxi, Flugzeug, etc., etc., etc. Doch dies war es eigentlich nicht, was die nervösen Erscheinungen des jungen Herrn P. verursachte. Es waren vielmehr seine zahlreichen Verehrerinnen, die ihm überhaupt keine Ruhe ließen. Man kennt die Hartnäckigkeit und den Übereifer der Mädchen hier. Sie gönnten P. auch nicht eine einzige Sekunde der Ruhe und Erholung, deren er doch so dringend bedurft hätte. Nicht allein, daß er nach jedem Konzert drei Stunden lang Autogramme geben mußte, nein, auch im Hotelzimmer stand das Telephon keinen Moment still, und einige ganz verwegene Verehrerinnen hatten sogar schon versucht, durchs Fenster zu klettern. P. wagte es natürlich niemals zu protestieren, da sich dieses nicht mit seinen guten Manieren vereinbart hätte. Überhaupt war er ein recht sensibler Jüngling, der ganz dem Bild eines romantischen Musikers entsprach. Er wurde immer dünner und fahriger und entwickelte ein nervöses Augenzwinkern. Dies machte ihn allerdings noch beliebter bei seinen Verehrerinnen, die fälschlicherweise annahmen, daß er ihnen zuzwinkerte. Jede von ihnen glaubte, sie müsse den armen Jüngling beschützen.

Schließlich legte sich P. einen Leibwächter zu, der jedoch alleine nicht gegen die Flut all dieser hartnäckigen Schülerinnen und Studentinnen ankam. Man wird leicht verstehen, daß P. unter diesen Umständen überhaupt keine Zeit mehr zum Üben finden konnte und fast dem Verzweifeln nahe war. Das nervöse Augenzwinkern griff auch allmählich auf seine Hände über, die ein nervöses Zittern entwickelten. Dies mag sicherlich auch vom vielen Autogrammschreiben herrühren. Auf jeden Fall bekam der arme P. bald einen manischen Tick, die Kontrolle über seine Hände zu verlieren. Er lief nur noch mit weißen Handschuhen herum, und jedesmal, wenn er jemandem die Hand geben mußte, zählte er später insgeheim nach, ob auch noch alle Finger vorhanden waren.

Eines Tages nun mußte P. ein wichtiges Konzert im Nationalen Konzertsaal vorbereiten. Der ‘Mephisto Walzer’ von Liszt stand auf dem Programm, und P. hatte sich für ein paar Tage in einem Übezimmer im ‘Backstage’ Bereich des Nationalen Konzertsaals eingeschlossen, um die recht schwierigen und gefürchteten Oktavsprünge zu üben.

P., der schon lange nicht mehr geübt hatte, war es gar nicht mehr gewohnt, alleine in einem Zimmer zu sein. Ihm wurde richtig unheimlich zumute. Er stürzte sich wild entschlossen auf den Mephisto Walzer und überspielte seine Angst mit immer rascheren Oktavsprüngen. Bisweilen wurde ihm dabei recht wollüstig zumute. Er verspürte eine ganz eigenartige Macht, und fast war es ihm, als wenn seine Hände bereits selbst als Mephisto über die Tastatur tanzten. Er konnte überhaupt nicht mehr aufhören, und seine Hände wirbelten allmählich ganz von selbst in der Luft herum, ohne daß er die Bewegung stoppen konnte.

Während die Finger von P. früher ganz artig die richtigen Fingersätze ausführten, fuhren sie nun wie verrückt in alle Richtungen über-, unter- und durcheinander — zum größten Entsetzen des armen P. Er lief alsbald mit fuchtelnden Armen auf den Korridoren des Nationalen Konzertsaals herum. Doch war es ihm unglaublich peinlich, daß ihn andere Leute in diesem elenden Zustande erblicken würden. Was blieb ihm also anderes übrig, als sich schnell in den Überaum zurückzubegeben.

Dort angelangt legte er sich auf die Couch und versuchte, seine Hände zu entspannen. Diese kribbelten jedoch und juckten wie wild. Wie zwei tollwütige Spinnen zuckten und zappelten sie ihm am Leib und im Gesicht herum, versuchten alle Knöpfe auf- und zuzuknöpfen — ein Glück wirklich, daß seine Verehrerinnen nicht anwesend waren. Nach kurzer Zeit wurden die Hände immer dunkler. Grauenvolle, schwarze Haare sproßten aus den Fingern hervor, und auf den Handrücken bildeten sich jeweils zwei große Augen, die P. böse anglotzten, wie man dies ja übrigens auch schon in der Erzählung ‘Die schwarze Spinne’ von Gotthelf gelesen hat. Der arme P. wollte aufschreien vor Angst und Entsetzen. Die beiden Spinnen jedoch hatten sich in ihrem Bestreben nach Unabhängigkeit bereits ganz vom Körper P.’s abgelöst. Ein Umstand, der einige separatistisch gesinnte Politiker hoffentlich zum Nachdenken ermuntern sollte.

Die eine Spinne stürzte sich sofort aufs Klavier und haute den Mephisto Walzer herunter, während die andere mit einem Filzstift P.’s Autogramme auf alle Wände kritzelte.

Schließlich fielen die Spinnen sogar übereinander her und versuchten, sich gegenseitig zu verschlingen. P. jedoch rannte in höchster Panik aus dem Übezimmer und eilte dem Notausgang zu. Zum Glück kannte er den Weg sehr gut, da er hier schon oft vor seinen Verehrerinnen geflohen war. Die Spinnen aber, die sich inzwischen schon vermehrt hatten, hüpften und krabbelten an Fußboden, Wänden und Decken des Korridors flink hinterher. Einige flogen sogar durch die Luft. P. rannte so schnell, daß sich wohl schließlich auch noch seine Beine verselbständigt hätten. Endlich hatte er den Ausgang erreicht. Wie überaus groß war jedoch sein Entsetzen, als er ihn von ungefähr hundert seiner treuesten Verehrerinnen versperrt sah. Sie standen bereits mit gezückten Kugelschreibern und Papier da, um P.’s Autogramme zu erjagen. Was P. allerdings nicht erwartet hatte: Die Spinnen stürzten sich nicht auf ihn sondern auf die Verehrerinnen, die wie hysterisch auseinanderstoben, so daß P. unbehindert ins Freie gelangen konnte. Die Monsterspinnen aber, in manischer Wildheit, entrissen den Mädchen die Kugelschreiber und verdroschen sie damit, während andere ihre Hälse würgten und wieder andere im Mephistorhythmus wütend Autogramme auf die Leiber kritzelten, die sich vor Schmerz und Wollust wanden.

Nun ja — das ist das traurige Ende der Geschichte: Die Verehrerinnen waren alle erwürgt — sie hatten es ja auch nicht besser verdient. Die Spinnen hatten sich zu Tode gekritzelt. Die Versicherung zahlte natürlich nichts, da es keinen Paragraphen über die Verwandlung von Händen in Spinnen gab. Und P.? — Nun, den hat man seither nicht wieder gesehen, und niemand weiß, wo er sich versteckt hält.

Die Moral der Geschichte? — Meine Klavierschüler kennen sie bereits auswendig: Oktaven stets langsam üben!



(PS: Der Autor distanziert sich von dieser Erzählung. Das Erwürgen von Autogrammjägerinnen ist unmoralisch! Außerdem ist es wissenschaftlich erwiesen, daß sich Hände nicht von selbst in Spinnen verwandeln, oder umgekehrt!)
 
P

Parsifal

Gast
Hallo Rolf-Peter,

herzlichen Glückwunsch und ganz großes Lob für diese köstliche Groteske! Von fern erinnerte sie mich an die Geschichte von Hector Berlioz über das Klavier, das soviel Liszt intus hatte, daß es plötzlich von selbst spiele, immer wilder und wilder, bis es schließlich in seine Einzelteile zerfiel.

Apropos Oktaven: die habe ich von niemandem so spielen hören und sehen wie von Horowitz. - Übrigens spielen in Amerika schon 15jährige die grausam schwere Toccata von Schmumann, weil sie sich, wie die Lehrer versichern, später nicht mehr an das Stück herantrauen.

Herzliche Grüße
Parsifal
 
Hallo Parsifal,

vielen Dank! Mein Gott, ist es nicht sehr frueh in Deutschland? Bist Du noch auf oder schon auf? Die Berlioz Geschichte ist fantastisch. Es hat hier auch einmal ein Klavier gegeben (Yamaha, wenn ich mich nicht irre), das die Waldstein Sonate von selbst weiterspielte, obwohl die Pruefungskandidatin bereits aufgestanden war.

Kennst Du den Spruch von Rosenthal? Er hatte Horowitzs Hamburg oder Berlin Debut mit dem Tschaikowsky Konzert (+Oktaven) gehoert und bemerkte trocken: "Ja, Octavian mag er sein, aber nicht Caesar..." Uebrigens die taiwanesischen Octavianinnen haben es hier jetzt auf Islamey von Balakirew abgesehen. Es ist das Modestueck (aber die Kraft haben sie leider nicht dafuer).

Viele Gruesse,

Rolf-Peter
 
A

Arno1808

Gast
Dein Pianist

Hallo Rolf-Peter,

meinen Glückwunsch zu dieser gelungenen Erzählung!
Ich habe sie mit wirklich wachsender Begeisterung gelesen.

Nur an einer Stelle kam ich etwas ins Stocken, weil der Satz mir komisch erschien:

'Einige flogen sogar durch die Luft. P. rannte so schnell, daß sich wohl schließlich auch noch seine Beine verselbständigt hätten.

...daß sich...hätten

Würde hier nicht 'als ob sich... hätten' besser passen?

Aber nochmals: eine wirklich tolle Geschichte!

Gruß

Arno
 

Zefira

Mitglied
Huh!
Gräuslich!
Da bin ich aber froh, daß sich MEINE Hände, wenn ich am Klavier sitze, regelmäßig in Dreifingerfaultiere verwandeln...
(oha, das scheint eine neue Geschichte zu werden...)

Kleiner Vorschlag:
"...Auf jeden Fall bekam der arme P. bald einen manischen Tick, die Kontrolle über seine Hände zu verlieren"
- da würde ich statt "Tick" lieber "Angst" oder etwas Ähnliches setzen. Bei Tick denke ich automatisch an Zuckungen, was zu dem anschließenden Nebensatz nicht paßt.


"Ein Umstand, der einige separatistisch gesinnte Politiker hoffentlich zum Nachdenken ermuntern sollte"
Das ist zwar witzig, haut den Leser aber an dieser Stelle total heraus. Vielleicht setzt Du es besser in Klammern, damit man gleich sieht, daß es ein untergeordneter Einschub ist?
Ansonsten: eine tolle Geschichte. So langsam glaube ich, Du lebst nicht in Taiwan, sondern im Irrenhaus....

:confused: Zefi
 

herb

Mitglied
Hallo Rolf-Peter,

ich sah mal im Fernsehen einen Film über Horowitz, jetzt begreife ich, dass er auf dem Höhepunkt seiner "ersten" Karriere, diese plötzlich abbrach und, ich glaube zwölf Jahre lang in tiefe Deprssionen verfiel, und in dieser Zeit sein Zimmer nicht mehr verließ, wie in einer Höhle lebte,
erst im Alter trat er wieder in die Öffentlichkeit und begannn seine "zweite" Karriere, wieder so erfolgreich, aber mit der Weisheit des Alters all diese Dinge von sich "abprallen" ließ, doch sicher wird dir das bekannt sein
 

Antaris

Mitglied
Prima gesponnen!

Hallo Rolf-Peter,

eigentlich müsstest Du Deine Begabung zur Ironie richtig hoch versichern können *G* die Geschichte gefällt mir richtig gut.

Mit feurigen Grüßen

Antaris
 
Hallo Arno,

vielen Dank für Dein Lob! 'Einige flogen sogar durch die Luft. P. rannte so schnell, daß sich wohl schließlich auch noch seine Beine verselbständigt hätten, "wenn er immer noch weiter gerannt wäre," hätte ich wohl hinzufügen sollen.

Gruß,

Rolf-Peter
 
Hallo Zefira,

ja, das "Taiwan" meiner Erzählungen ist schon ein Irrenhaus. Aber zum Glück bin ich ja der Direktor…

Hast Du tatsächlich die Flegeljahre gelesen? Es soll viele Beziehungen zu den Papillons geben.

Rolf-Peter
 
Hallo herb,

Horowitz hat, glaube ich, einige Pausen in seiner Karriere gemacht. Einmal ging er mit seinem Schüler Ivan Davis in ein Restaurant. Horowitz war natürlich sehr scheu und beauftragte Davis, ihn zu verleugnen, falls Verehrer, Autogrammjäger, usw. ihn belästigen sollten. Plötzlich näherte sich eine Gruppe junger Menschen dem Horowitzschen Tisch und erkannten - Ivan Davis. Nach diesem Vorfall hat Horowitz seine Karriere wieder aufgegriffen…

Gruß,

Rolf-Peter
 
Hallo Antaris,

vielen Dank für Dein Feuer! Es ist zu spät, leider, für eine Versicherung meiner Ironie, da mich die Wirklichkeit hier inzwischen überholt hat…

mit störrischen Grüssen,

Rolf-Peter
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
hallo,

auch von mir ein ganz großes lob für diese - nun, ich denke doch - horrorgeschichte. ich kann mir das alles sehr gut als film vorstellen. bekommt 10 punkte und einen logenplatz in meiner sammlung. ganz lieb grüßt
 
Vielen Dank, liebe Flammarion, fuer's Lesen, Kommentar, Punkte. Die Idee mit den Spinnen stammt uebrigens von Jeremias Gotthelf Die schwarze Spinne. Diese wunderschoene, religioese Horrornovelle behandelt eine sechshundert Jahre alte Sage aus der Zeit der Pest.

Viele Gruesse,
Rolf-Peter
 
Ein weiterer kafkaesker Abstecher in die Welt der ganz normalen Verwandlungen mit verwickelten Auswüchsen

Du hast etwas geschafft: Daß ich von der Geschichte fortgerissen werde, gierig lese und das analytische
Studentenfutter links liegen lasse.

Aber warum wurde der Pianoman mit den ungewöhnlichen Eigenschaften am Schluß nicht mehr gesehen?
Er könnte doch auch einen Verlag gründen mit so vielen neuen Mitarbeitern!
dd
 
Magenknurren

Hallo dd,

jetzt wo's kein Studentenfutter mehr gibt, fuehle ich ploetzlich Magenknurren... :)
Vielen Dank fuers Lesen! Es ist uebrigens komisch, dass dieser Pianistentyp nicht selten ist, denn hier fuehlten sich gleich zwei Pianeure von mir parodiert, obwohl ich einen noch gar nicht kannte, als ich diese Geschichte schrieb.

Viele Gruesse,
RP
 



 
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