Die Herrschaft der Schafe

Hannibal

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Ich lebe in einem Zoo. Da ist er wieder, dieser Blick – eine Mischung aus Entsetzen, Faszination und Abscheu. Es ist derselbe Blick, den die Menschen kriegen, wenn sie im Zoo einem Tiger gegenüberstehn und er sie mit seinen großen funkelnden Augen ansieht, voller Kraft und Lebendigkeit, bereit zu töten und es zu genießen. Ich weiß nicht, ob es dem Wärter auffällt, daß er mich jedesmal so ansieht, wenn er an meiner Zelle vorbei läuft. Vermutlich würde er sich schämen, käme es ihm zu Bewußtsein, und damit hätte ich wieder recht behalten: Ich lebe in einem Zoo, unter der Herrschaft der Schafe.
Es erstaunt mich, daß noch kein findiger Geschäftsmann auf die Idee kam, alle Psychopathen, Mörder und Vergewaltiger des Landes in einen Komplex zu stecken und Führungen gegen Entgelt anzubieten. Neben meiner Zelle wäre dann ein schönes Foto von mir, darunter ein interessant klingender pseudowissenschaftlicher Name für das, was ich angeblich bin, gefolgt von einer für die blökende Masse harmlos formulierten Beschreibung meiner natürlichen Verhaltensweisen und warum es besser ist, mich in einem Käfig zu halten. Nur Fütterungs-Shows gäbe es vermutlich keine. Welches Schaf will sich schon ansehen, wie ich eines von ihnen in Stücke reiße – und auf andres Getier steh ich leider nicht.
Sicherheit macht träge und unvorsichtig: So wähnten sich anscheinend auch unsre Vorfahren irgendwann zu sicher und wurden lahm und müde und hörten auf zu jagen, weil sie alles serviert bekamen – und letzten Endes schliefen sie ein aus Langeweile. Als sie wieder erwachten, hatten die Schafe sich so stark vermehrt, daß sie ihnen nichts mehr entgegen zu setzen hatten. Sie wurden kastriert, eingesperrt, gefoltert, masakriert und öffentlich gedemütigt. Die Herrschaft der Schafe hatte begonnen.
Fortan war alles verdächtig, was Krallen hatte und Reißzähne, wurde alles vernichtet, was kein Gras fraß und nicht dumm blökte. Schafe sind keine Raubtiere, deshalb ist es ihnen widerlich zu töten. Sie bringen den dazu, sich selbst zu töten, der ihnen nicht paßt – oder sie sperren ihn ein, wie mich. Es ist lediglich ihre Überzahl, die sie stark macht – ihre Überzahl und in Stäbe gegossner Stahl.
Warum aber sperren sie mich und meinesgleichen nicht in ein Loch tief unter der Erde? Warum geben sie jedem von uns Raum, Luft und Licht, warum lassen sie uns bewachen und versorgen uns medizinisch? Ich glaube kaum, daß es eine besondere Form von Grausamkeit sein soll. Dazu sind sie nicht fähig, geben sie uns doch sogar die Möglichkeit, einer von ihnen zu werden, wenn wir uns entsprechend operieren lassen. Sie sind so voller Mitleid, daß sie sogar unseren Schmerz mitleiden, gleich wie viele von ihnen wir vorher abgeschlachtet haben. Warum drehen sie Filme und schreiben sie Geschichten über uns?
Ist es Neid?
Was kann es andres sein!
Der Neid darauf, daß sie in der Nahrungskette nicht ganz oben stehn, daß wir Fleisch fressen können und Krallen haben, vor allem aber darauf, daß wir etwas in diesem Leben zu empfinden imstande sind, das sie niemals werden empfinden können: eine tiefe, sättigende Lust. Ihre Nerven würden sie nicht ertragen, sie sind zu dünn dafür. Sie würden heillos überreizt.
So sehr sie uns auch dafür hassen und verabscheuen, was wir sind – sie brauchen uns. Nur durch uns, unsere Taten, unsere Augen haben sie Einblick in eine Welt, die ihnen sonst gänzlich verschlossen bliebe: in die Freiheit der Lust. Das ist der wahre Grund, warum sie uns nicht tief unter der Erde einsperren, weit weg von ihren Blicken, und warum sie uns nicht einfach zu einem von ihnen verstümmeln ...
 

JuDschey

Mitglied
Hallo Hannibal,

gute Idee (wenn auch nicht neu), die Welt aus der Sicht eines Tieres zu beschreiben.
Da gibt´s leider nur einen großen, sehr großen Fehler.
Zitat: "Schafe sind keine Raubtiere, deshalb ist es ihnen widerlich zu töten." Zitat Ende.

Wenn Deine Schafe Menschen sind, stimmt der Satz nicht. Der Mensch ist das gefährlichste Raubtier auf diesem Planeten. Schon mal drüber nachgedacht, wieviele Schweine pro Jahr ermordet werden müssen, nur für Currywürste?
Von Tierversuchen, Kriegen, Atombomben und dem Beseitigen etlicher Arten auf diesem Planeten ganz zu schweigen.

Da Dein Tier ein menschenähnliches Bewusstsein hat, müsste es ihm schon irgendwie einleuchten, dass der Mensch das größte bzw. gefährlichste Raubtier ist. Und deswegen müsste Dein Tier auch ein wenig anders über seine Gefangenschaft reflektieren.

Mit freundlichen Grüßen
JuDschey
 

MDSpinoza

Mitglied
was hast Du gegen Fleischesser - die töten ihre Nahrung vor dem Essen. Zwiebeln und Gurken geht es da wesentlich schlechter, die werrden be lebendigem Leib in Stücke gehackt. Nur weil die dabei nicht zappeln und schreien können, hält sich der Veget-Arier für ethisch höherstehend. Das ist der Gipfel der Heuchelei.
 



 
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