Die Hilfe der Sophie

pit staub

Mitglied
Die Hilfe der Sophie


„ Deine Frau geht fremd!“ Der kleine, knorrig - dürr wirkende Mann mit dem zerklüfteten Raubvogelgesicht, grinst unverhohlen.“ Die, mein lieber Hermann, betrügt dich. Verarscht dich, nach Strich und Faden. Deine von dir heissgeliebt, und hochverehrte Gattin Sophie, setzt dir mächtige Hörner auf. So Riesengrosse, dass du darüber stolpern solltest. Und du, du Dummkopf merkst das nicht – wie du nie etwas zu bemerken vermagst. Ja Mensch, wo lebst du denn. Bist du noch zu retten. Alle wissen es, die ganze Stadt lacht über dich, nur – sagen tut dir das niemand. Saubere Freunde hast du. Seit du den Job in dieser mickrigen, in Konkurs abgesackten Immobilienfirma, verloren hast, interessiert dich nichts, und niemand mehr. Du benimmst dich, wie eine umnebelte Memme – bereit zum kampflosen Abdriften in ein rabenschwarzes, gähnendes Loch. Ich aber, du ahnungsloses Rindvieh, bin nicht gewillt, untätig mit an zu sehen, wie du - mein Freund - ausgenutzt, betrogen und zum Gespött gemacht wirst. Ich vermeine zu sehen, dass du alles unternimmst, dich selbst aufzugeben!“
Der knorrige Raubvogelgesichtmann wirkt erregt, hustet trocken, spuckt einige Tabakkrümel aus, verstummt, und mustert seinen Gegenüber auf eine seltsame Weise. Hermann sitzt da. Regungslos, als ginge ihn das alles nichts an. Mein Gott, denkt er, oh mein Gott, was tust du mir an. Seine Kehle ist trocken, sein Herz hämmert. Er riecht den herb – säuerlichen Geruch des Mannes, ekelt sich. Als ob das wichtig wäre, in solch einer Situation, denkt er, und warum erzählt mir dieser Mann, ein offensichtlich Abartiger, der behauptet mein Freund zu sein, diese unselige Geschichte? Ist denn der total übergeschnappt, hat der möglicherweise eine Schraube locker, oder einen Sprung in der Schüssel. Wahrscheinlich ist der scharf auf meine Sophie!
Noch vermag Hermann nicht zu erahnen, was da noch auf ihn zukommen sollte.

*

Heiss ist es, stickig und verraucht, in dieser Vorstadtkneippe zu Zürich. Die Beiden trinken Weisswein. Den mögen sie. Möglichst kühl, möglichst trocken, und vor allem in reichlichen Mengen. Hermann bestellt eine weitere Flasche, versinkt in dumpfes Grübeln. Was wohl, habe ich falsch gemacht, was findet Sophie plötzlich wieder an fremden Männern. Was um Himmels Willen ist mir da aus dem Ruder gelaufen. „ He Mann, komm schon, erzähle weiter, spuck es aus. Wer zum Teufel ist diese Wurzelsau, dieser Kretin? Den gedenke ich fertig zu machen, wenn es denn sein muss, den ruiniere ich. Ihm in die Eier zu treten wird mir ein Vergnügen sein. Der wird nie mehr fremde Frauen besteigen. Na los, wie heisst dieser Furz?“ Herman verstummt. Sein Kopf , tomatenrot angelaufen, pendelt wild hin und her. Speichel läuft ihm aus dem Mund, und seine Finger verkrallen sich, als ob ein Menschenhals in ihnen stecken würde.

„ Zuerst“, erwidert ihm der Raubvogelmann, „ Zuerst einmal beruhige dich. Das Pikante an der Sache ist, sie betrügt dich nicht mit einem Mann allein. Vielmehr, halt jetzt Hermann - ich bitte dich- die Luft an – vielmehr deine tolle Sophie arbeitet wieder - wie gehabt - in einem Puff. Verstehst du!“
Hermann reisst die Augen auf, verschluckt sich am Wein, und knallt das leere Glas auf den Tisch. „ Wie denn, wo denn, was denn - dieses Miststück, welch eine Schlampe! Gütiger Gott warum nur, warum muss ich das noch einmal durchstehen!“
Jetzt weint Hermann.

*

„ Lass gut sein, beruhige dich, reiss dich am Riemen!“ Die Stimme des „ Knorrigen“ wirkt hart, unpersönlich, zynisch. „ Schliesslich bist du an diesem Scheiss nicht ganz unschuldig. Geht der in ein Freudenhaus, bumst und geniesst, was durchaus nachvollziehbar ist. Dass du aber diese Frau gleich heiraten musstest, vermochte in uns - deinen Freunden - schon damals, schieres, wenn nicht gar blankes Entsetzen auszulösen. Ich aber, Hermann, versuche jetzt zu retten, was noch zu retten ist. Dir zu helfen erachte ich als meine verdammte Pflicht. Das bin ich dir schuldig. Du unternimmst nun folgendes: Gehe nach Hause – unverzüglich – und schmeisse deine Sophie, falls die gerade greifbar ist, aus deiner Wohnung. Und zwar ohne Wenn und Aber. Lasse dich keinesfalls auf Sentimentalitäten, Heucheleien, aberwitziges Anflehen oder gar Tränen ein. Auf etwaige Versöhnungsversuche reagierst du mit Hohn, Spott und eiskalter Ablehnung. Züchtige sie nicht, fasse sie nicht an. Das könnte gegen dich verwendet werden. Denkbar wäre ihre Luderklamotten aus dem Fenster zu werfen. Ein deftiges, wenn nicht gar säuisches Schimpfwort mit auf den Weg, erachte ich als angebracht und vonnöten. Diese Sprache wird die verstehen. Das der, der Arsch auf Grundeis geht, ist so sicher wie der Ostersegen des Pontifex. Los, hau schon ab mein Freund!“

Hermann tut sich schwer zu verstehen, was da mit ihm passiert. Er will das nicht. Er sitzt da und kann nicht begreifen, dass plötzlich Alles seinen Sinn verlieren soll. Hat seine Sophie, diese wunderschöne Frau mit den sanften Augen, den zart – fordernden Händen, dem exorbitanten Busen, ihm nicht die ewige Treue versprochen. Dass sie niemals zuvor in ihrem bewegten Leben, einen Mann so selbstlos, und tief – innig geliebt habe. Hat sie nicht bei jeder Gelegenheit erklärt, dass nur er im Stande sei, bei ihr intensiv – heftige Glücks und Lustgefühle hervorzurufen. Auch hätte sie einen erlösenden Orgasmus früher nur vom Hörensagen gekannt. Das Leben das sie damals geführt habe, sei so sehr verwerflich gewesen, und dass sie das zutiefst bedaure.

Hermann friert jetzt, trotz der schwülen, dumpfen Hitze in dieser Züricher Kneippe. Er steht auf, wirft einen verächtlichen Blick auf den „ Knorrigen“ und verlässt das Lokal. Das Grinsen des Anderen vermag er nicht mehr zu sehen. Wie sollte er auch.

*

Dunkle, drohend – schwarze Gewitterwolken hängen tief über dem Zürichersee, über der seit Tagen unter der enormen Hitze leidenden Stadt. Es wird Regen geben, sagen die Leute, und freuen sich.
Hermann lässt seinen Wagen stehen, besteigt eine Strassenbahn – irgendeine - und fährt ziellos durch die Stadt. Was – bloss - soll ich tun, denkt er, und überhaupt ist das alles wirklich wahr? Will mich dieser vorsichhinstinkende Kretin möglicherweise verarschen. Für kurze Zeit keimt Hoffnung in ihm auf. Der steht auf meine Frau, ist scharf auf meine Sophie, der will sich möglicherweise in ihr verströmen. Gewiss, das wird es sein. Doch dann kommen sie wieder, die Zweifel, die nagende Ungewissheit. Ihm wird übel, und er hat Angst, Angst sein Ein und Alles zu verlieren.

*

„ Spät kommst du, Schatzerl!“ Sophie, mit bald 36 Jahren immer noch eine wunderschöne und begehrenswerte Frau, begrüsst ihren Hermann mit einem flüchtigen, doch zärtlichen Küsschen. „ Ich , mein Süsser, habe mit dir zu reden. Mithin dir eine Mitteilung zu machen. Aber komm - bitte - zu mir ins Bett. Ich brauche nun vorerst deine Wärme, deinen starken Körper, deine zarten Hände, die mich stets zu erregen vermögen. Kurz, ich will mich dir hemmungslos hingeben, dich verwöhnen, dir tiefe Glückseligkeit verschaffen.

Hermann schweigt. Während er sich, wie um Zeit zu schinden, langsam, fast widerwillig entkleidet denkt er daran, wie viel sie ihm bedeutet. Er ahnt, dass er von dieser warmherzigen, sinnlichen Frau niemals loskommen kann. Abstürze, Alkoholexzesse, schwerste Depressionen würden folgen. Sein Leben geriete ihm dann, wie schon vor einigen Jahren, völlig aus dem Ruder. Er erinnert sich plötzlich an Episoden, die sie ihm erzählt hat, aus ihrer Jungmädchenzeit, auch an die späteren, harten, bisweilen gnadenlosen Jahre, die ihr Leben so sehr zu prägen vermochten.
In einem Bauerndorf, in der österreichischen Steiermark, als Sophia - Katharina Litten aufgewachsen, war sie schon früh, die Begierde der männlichen Dorfjugend gewesen. Auch ältere Männer, bis hin zum Greis, waren, was kein Wunder war, scharf auf sie. Ihr hübsches Gesicht, ihr offenes und zutrauliches Wesen, im Einklang mit einem wohlgeformten Körper, sowie ihr damals schon üppiger Busen, vermochte Landauf, Landab für Unruhe und nicht selten für Verwirrung und raue Raufhändel zu sorgen. Der Örtliche, sich derb – bieder gebende Fleischermeister, sprach aus was alle dachten: „ Sophia Litten hat wohl im Dorf die grössten Titten.“ Sophia selbst aber machte sich nichts aus solchen Sprüchen. Schon früh begann sie ihren Körper zu erahnen, zu erforschen, ja auch zu lieben. Keine Frage, Sex, den möglichst häufig und mit viel Fantasie, vermochte sie ungemein zu erfreuen. Nach einer abgebrochenen Frisösinnen Lehre „ erbarmte“ sich ein dubioser, schleimiger, zumeist stenzenhaft gekleideter Akt, oder eben Pornofotograf - ihrer. Der war, wie sich später heraus stellte, ein skrupelloser Mädchenhändler, ein Zuhälter, eine abartige Sittensau. Sophia vermeinte diesen Kretin zu lieben, und folgte ihm, zumal er ihr die Heirat versprochen hatte, nach Wien. Was sie dort erwartete war die Hölle. Ausgenutzt, gedemütigt, geschlagen. Gezwungen auf den Strich zu gehen, und täglich anzuschaffen, überkamen sie immer häufiger schwerste Depressionen. Exzessiver Alkoholgenuss und Röhrchenweise Tabletten führten zwangsläufig zu einem längeren Aufenthalt in der Psychiatrie. Eines schönen Tages verschwand sie dort, so zu sagen bei Nacht und Nebel.
Sie fuhr nach München, arbeitete, da sie sehr schnell, sehr viel Geld verdienen wollte, einige Monate unter dem Namen Sophie Mayr als Bedienung, in einer Absteige. Wieder trat ein schräger Vogel in ihr Leben. Der Kreis war geschlossen,.... das Milieu hatte sie wieder. Der Kerl verliess sie, nach gut einem Jahr – sie verliess München.

Ihre sprichwörtliche Gutmütigkeit, ihr nach wie vor intakter Glaube an das Gute im Menschen, liess sie in der Folge immer, und immer wieder zum Spielball fieser, gieriger und perverser Elemente werden. Das war in Stuttgart so, in Frankfurt und Hamburg. Sie schien damals das Böse förmlich anzuziehen. Mittlerweile 30 Jahre alt, hatten aber all das Widerwärtige, die Unbill und Schmach, die Schande, und der zuweilen grenzenlose Schmerz, ihrer Grandezza nichts anhaben können. Sie war eine reife, schöne Frau geworden.

Zwei Jahre später, lernte sie – an einer Hotelbar - einen gutaussehenden, nicht unvermögenden Schweizer Geschäftsmann kennen. Der nahm sie mit in die Schweiz, nach Basel, was sie zu Freudensprüngen veranlasste. Endlich, dachte sie, endlich hat der liebe Gott ein Einsehen. Endlich vermag auch ich einen Zipfel des Glückes zu erhaschen. Sie erinnerte sich religiöser Werte, spendete reichlich Geld einer Institution für gefallene Mädchen, trat dem Kirchenchor und dem Gemeinnützigen Verein bei. Sie fühlte sich, nach vielen Jahren zum ersten Mal , als vollwertiges und geachtetes Mitglied der Gesellschaft. Bis zu jenem unheilvollen Tag, als sie nach einer Messe im Basler Münster, sowie einem anschliessenden Stadtbummel, mit einem goldenen Halskettchen für Max, ihren Mann, unerwartet früh nach Hause kam. Max und ein blutjunger, braungebrannter Schönling lagen, eng umschlungen, stöhnend und nackt auf dem monströsen Ehebett. Die Beiden hatten sie nicht kommen hören
Die Welt der Sophie schien nun endgültig einzustürzen. Tagelang wohnte sie in einem Frauenheim, sass auf einem zerwühlten Bett, stierte in’ s Leere und sprach kein Wort. Sie fasste den Entschluss ihr Leben ihrem Schöpfer zurückzugeben. Pater Ambrosius, ein österreichischer Kapuziner vermochte sie dann, so zu sagen in letzter Minute, davon abzubringen.

Erneut wurde sie in eine psychiatrische Klinik eingeliefert. Nachdem ihr dort ein Hilfspfleger versucht hatte, an die Wäsche zu gehen, entliess man sie umgehend als geheilt. Es wurde ihr ein Job in einem Kaufhaus in Aussicht gestellt. Nur kein Aufsehen, hatte es geheissen.

Die Arbeit, die sie dann tatsächlich erhielt gefiel ihr, und ................. das Leben hatte sie wieder. Vorerst , und wenngleich, nicht ohne weitere, tiefe Spuren zu hinterlassen. Das Weinen Nachts allerdings, vermochte niemand zu hören.

Durch Einen, für sie damals, eher glücklichen Zufall, lernte sie einige Wochen später Madame Beatrice kennen. Eine Dame aus allerbesten Kreisen, eine echte Lady mit Charme, Esprit, einem messerscharfen Verstand und vor allem mit einem guten Herzen. Die beiden Frauen fanden sich auf Anhieb sympatisch. Lady Beatrice besass, oder eben besitzt mehrere Swinger – Clubs, Nachtbars und Amüsierbetriebe im Inn und Ausland. Diese grossartige, überaus menschliche Frau, nahm fortan die Sophie unter ihre Flügel. Gluckenhaft so zu sagen.
Und dort, in einer dieser Bars, fügte eines Abends das Schicksal Regie.

Ich vermochte in kurzer Zeit, tiefe Zuneigung zu dieser Sophie zu empfinden. Schon bald erkannte ich, dass ich ihr nicht gleichgültig war. Ich lebte zu dieser Zeit bisweilen in einem Märchentraum. Meine Besuche in dieser Bar und später auch bei ihr zu Hause wurden für uns zu etwas Grossem. Etwas was wir beide bis zur Stunde nur vom Hörensagen gekannt hatten. Wir wurden Eins in völliger Harmonie. Es war die wahre, die ganz grosse Liebe.

*

Während Hermann nun versucht seine gedankliche Zeitreise abzubrechen, zu vergessen was er am Nachmittag hatte hören müssen , kriecht er zu Sophie - in ihre weitgeöffneten Arme. Sie merkt mit fraulichem Instinkt, dass etwas vorgefallen sein musste. Irgend etwas war da vorgefallen, sie spürt, dass er von der Geschichte weiss. Und das ist gut so, denkt sie, sehr gut, und dass, das Spiel jetzt beginnen kann. Das dieses Spiel – möglicherweise – mit fatalen Folgen für einen, wenn nicht gar mehreren Beteiligte enden könnte, vermag sie nicht zu erkennen. Noch nicht. “ Mein lieber Hermann,“ zärtlich nimmt sie sein blasses, gutgeschnittenes Gesicht in ihre Hände, zieht ihn an ihre vollen Brüste: „ Oh du mein grosses, starkes Bärchen.“ Sie spricht mit ihrer seltsam rauchigen, tiefen Stimme, die er an ihr so mag.“ Ahnst du, wie sehr, wie tief und auch inbrünstig, ich dich zu lieben vermag. Du bist mein stolzer Ritter, mein Fels in der Brandung, und nur du bist der Held all meiner Träume.“ Hermann beginnt zu weinen, leise erst, dann hemmungslos. „ Ist ja gut, ist ja gut Schatzerl“, flüstert sie, und beginnt seine Tränen zu trocknen. „ Dringe nun ein, in mich. Ich bin bereit dir – uns – höchste Wohllust und Glückseligkeit zu verschaffen. Jetzt gleich – wenn du – das auch willst.
Hermann will.

*

Ja wollen tut er, der Hermann. Doch trotz den enormen, lasziven, teils zärtlich, teils wild – animalischen Bemühungen der Sophie – ihr „ Spatzerl“ versagt kläglich. Zu tief vermag der Schock der letzten Stunden, die Schmach und die ohnmächtige Hilflosigkeit in ihm nachzuhallen. „ Es tut mir so leid Sophie,“ beginnt er mit kleinlauter Stimme: “ Ich weiss wirklich nicht, was mit mir los ist – heute. Vielleicht die Sache mit dem Job, ich fühle mich – gelinde gesagt beschissen. Man hat mich benutzt, ausgenutzt und weggeworfen, wie eine Tüte mit faulem Obst. Das Wissen aber, um deine doch wohl ewigwährende Liebe zu mir – mein Engel - lässt mich hoffen, hoffen auf viele weitere Jahre der innig – harmonischen Zweisamkeit und Verbundenheit, in guten wie in schlechten Tagen. Du, meine Teure, denkst bestimmt genau so – oder?“ Hermann verstummt. Er mustert seine Frau verstohlen, fast lauernd, und was er zu sehen vermag, gefällt ihn nicht – gefällt ihm durchaus nicht. Sophie wirkt plötzlich verschlossen, ihre vollen Lippen verziehen sich - spöttisch wie im scheint – ihr Blick irritiert ihn - masslos. Er vermeint Kälte in ihren Augen zu sehen – Kälte und Abweisung, und denkt, dass er das nicht verdient hat. Das Selbstmitleid packt ihn erneut.

„ Jetzt, Hermann – ich bitte - dich, lege einen alten Elvis auf – etwa Love me Tender – dann mache mir – uns – einen Drink. Drei Daumenbreit eingeschenkt – mindestens - dazu viel Eis. Den wirst du brauchen können. Der wird dir helfen, das zu verstehen, was ich dir nun umgehend gewillt bin, zu erklären. Noch etwas, mein Lieber. Dieses Gespräch gedenke ich als Monolog zu führen – also – ich bitte dich – unterbrich mich nicht. Was ich nun von dir will: Zuhören, Vertrauen, Zustimmen, und................... Akzeptieren! Du hast – denke ich – keine Wahl. Verstehst du?“

Hermann nickt traurig. Noch vermag er nicht zu ahnen, dass das Vermeintliche, so und in dieser Form, nicht auf ihn zukommen wird. Vielmehr wird er einer Situation entgegen sehen müssen, mit der er niemals rechnen konnte. Wie sollte er.

*

„ Ich, Hermann, biete Hilfe an. Ich bin gewillt das für dich – für uns - zu tun. Uneigennützig und selbstlos – so zu sagen. Beatrice, meine ehemalige Chefin, und eben auch liebste Freundin, weilt seit einigen Tagen zur Kur. Sie hat mich gebeten, für sie – stellvertretend – während einiger Wochen, zwei ihrer Nachtbetriebe und einen Massagesalon zu überwachen, zu kontrollieren, das Inkasso zu machen, die Mädchen zu betreuen, und so weiter. Etwelche Freier selbst bedienen, muss ich nicht – würde aber möglicherweise gerne gesehen. Ich lasse mich da überraschen. Nun ja, da habe ich völlig freie Hand. Auch wird mir der „ Heisse Rico“ - du erinnerst dich - der mit der herb – männlichen Ausstrahlung, den Versace Klamotten, und dem tollen Ferrari, zur Seite gestellt. Mithin als Leibwächter und Beschützer. Mit dem fühle ich mich sicher – in eben diesen Zeiten.“

Hermann sitzt da, den Kopf in seinen Händen vergraben, und bringt kein Wort hervor. Warum auch. Er weiss, dass Sophie tut was sie will, und vielleicht auch, was sie nicht lassen kann. Erneut überfällt ihn tiefes, heftiges Selbstmitleid, und er denkt, dass der Raubvogelmann die Wahrheit gesagt hat, und er tatsächlich ein Versager sei. Hermann ist plötzlich müde –entsetzlich müde.
„ Weißt du mein Lieber,“ fährt Sophie fort: „ Weißt du auch, dass uns, verursacht durch deine Willenschwäche, dein Unvermögen in deinem Job, dem darausfolgenden Rausschmiss, ein finanzielles Debakel droht. Ich bin nicht gewillt, untätig zusehen zu müssen - die Hände im Schoss – wie wir langsam aber sicher den Bach runter gehen. Diese Gelegenheit, jetzt Geld – in beachtlicher Menge - zu schaufeln, werde ich wahrnehmen. Ob dir das nun passt oder nicht. Willst du etwa auf Urlaub in Marbella und St. Moritz, vielleicht auf deinen tollen Wagen verzichten? Willst du zusehen, wie aus mir aus mir eine alte, frustriert – verbitterte, lustlose, unzufriedene Frau wird? Nein mein Guter. Soweit werde ich das nicht kommen lassen – ich nicht – niemals!“

Hermann ist zu tiefst verletzt, verzweifelt. Er möchte schreien, und bringt keinen Ton hervor. Das kann nicht sein, denkt er, und dass er seine Frau verlieren wird. Ihm wird klar, dass seine Sophie ihn nicht wirklich liebt. Würde sie denn sonst so etwas tun. Ist das seine wahre Liebe, die geschworen hat – mit ihm durch dick und dünn zu gehen. In guten und in schlechten Zeiten? Er ahnt, dass seine Frau sich wieder anderen Männern hingeben wird. Und auch, dass es ihr dabei Spass machen wird. Die Katze lässt das Mausen nicht, denkt er, und die Vorstellung von nackten, gierigen, verschwitzen Freiern, die sich in seiner Sophie völlig enthemmt verströmen, macht ihn wahnsinnig.
Sophie merkt, dass sie Hermann schwer getroffen hat. Sie vermag unmerklich zu schmunzeln, bemüht sich aber unverzüglich, flirrende Sinnlichkeit auszustrahlen. Ihre Hände beginnen, sanft – fordernd, nach ihm zu tasten. „ Du, mein Spatzerl verstehst das nicht – mithin du siehst das zu eng. Du vermagst meine Hilfe nicht zu würdigen. Ich tue, was ich tun muss, um mich – uns – aus diesem Schlammassel herauszuholen. Wenn dabei - in gewisser Weise - auch etwas auf der Strecke zu bleiben vermag – nun ja, umsonst gibt es nichts, auf eben dieser Welt! Komm jetzt mein Süsser, dringe noch einmal ein – in mich - ich wünsche das!“
Hermann steht auf – wortlos – sein Gesicht ist leichenblass. Er schüttelt den Kopf und verlässt das Zimmer.
Hermann weint.

*

Während nun Sophie, nach gut einer Stunde mit einem „ Pfüa Gott Hermännche“ die Wohnung verlässt, vermag sie nicht zu ahnen, dass der Aufzug, zum wohl letzten und leidvollsten Akt ihres Lebens, begonnen hat.

Im Fürstensaal eines Züricher Nobelhotels wird sie erwartet. Madame Beatrice, Rico der Beschützer, und der Raubvogelmann begrüssen sie überschwänglich, und in aufgeräumter Stimmung, mit Küsschen und Champagner. „ Welch ein Tag, liebe Sophie, welch ein Tag und welch ein Plan,“ Madame Beatrice schmunzelt zweideutig und kokett in die Runde.“ Was wir da ausgeklügelt, um nicht zu sagen, ausgeheckt haben, sucht seinesgleichen. Wir werden nun sehen, wie, und auf welche Art und Weise, dein guter Hermann zu reagieren vermag!“
Erwartungsfrohes Lachen kommt auf, in diesem kleinen Fürstensaal, in diesem noblen Hotel zu Zürich.
Rico der Beschützer bestellt Lachs auf Toast, und eine weiter Flasche Champagner.
Es ist Mitternacht.

„ Ich gedenke nun – liebe Freunde – meinen Hermann anzurufen.“ Sophie wirkt plötzlich nervös. „ Irgendwie tut der mir leid. Was wir ihm da zumuten, ist doch wohl eher „ scharfes Geschütz.“ Ich hoffe der steht diese ungemein harte Probe durch. Ich hoffe aber auch, dass der schlussendlich nicht an meiner Liebe zweifelt, und merkt, dass, was ihm da widerfährt, bloss eine Probe ist. Eine Prüfung so zu sagen, die es zu bestehen gilt. Allerdings, mein Gott, wie sollte der auch ahnen können, dass nichts, aber auch gar nichts wahr ist, von all dem was ich – wir - ihm erzählt haben. Dass, du liebe Beatrice und ich, tatsächlich bloss für einige Wochen zur Kur fahren, mithin mit reinem Herzen und gutem Gewissen. Ich bete zu Gott, dass er weiss, dass mich nichts, aber auch gar nichts mehr dazu bringen könnte, meinen Körper nochmals zu verkaufen! Und was, frage ich mich jetzt Allenernstes, was zum Teufel gibt uns überhaupt das Recht, den guten, stets treusorgenden, hilfsbereiten Hermann auf solche eine grobe, wenn nicht gar höchst fahrlässige, ja himmeltraurige Art und Weise zu erniedrigen. Welch ein düsteres Szenario haben wir da heraufbeschworen. Ich - wir sollten uns schämen.
Heilige Mutter Gottes, hoffentlich sind wir da nicht zu weit gegangen!“

Sophie verstummt, und während sie versucht Hermann zu erreichen, beschleicht sie ein ungutes Gefühl. Eine unbekannte Angst steigt in ihr hoch. Sie versucht es – immer und immer wieder. Hermann meldet sich nicht.
Sophie sitzt da, wie versteinert – ihr wird übel.

*

Hermann tut, was er vermeint, tun zu müssen. Er trinkt. Whisky. Den jetzt ohne Eis und aus der Flasche. Er hört das Telefon, laut, erbarmungslos. Er bleibt sitzen und denkt, dass er nichts mehr zu sagen habe, und dass sowieso alles egal sei. Er trinkt weiter, schnell, gierig, hemmungslos, er fühlt sich gedemütigt, in den Dreck gezogen, beschissen wie noch nie. Dann kotzt er.

Hermann wirft sich angezogen auf das grosse, extravagante Ehebett, versucht etwas zu schlafen. Krampfhaft schliesst er die Augen. Vergeblich - zu sehr kreisen seine Gedanken um seine Sophie. Sie scheint ihm zu zulächeln, während sie einem stöhnenden Freier, der wie wild ihre schweren Brüste knetet, höchste Lust verschafft.
Langsam und schwerfällig erhebt er sich wieder, taumelt unter die Dusche und beschliesst seinen Freund Gilbert Klein im lothringischen Phalsbourg anzurufen. Der würde ihm helfen. Der immer. Gilbert’ s Ratschläge waren stets Gold wert gewesen.

*

Das Schicksal mischt nun zum letzten Mal die Karten.
Sein Freund Gilbert, der prächtige, stets gutgelaunte Franzose aus dem Departement Moselle, fackelt nicht lange: “ Komme – mon Ami Hermann – für einige Tage, nach Lothringen. Besuche mich, und dann – du wirst sehen – finden wir eine Lösung. Wir zusammen, wir immer. Vergiss – vorerst - deine Sophie. Die wird sich Sorgen machen um dich, du wirst sehen. Dass die dann wieder angekrochen kommt, reumütig so zu sagen, erachte ich als so sicher, wie das Amen in der Kirche. Also Kopf hoch, und fahr los.“

Hermann packt etwas Wäsche in eine Tasche, lässt die angebrochene Whiskyflasche in seinen Sakko gleiten, und verlässt die Wohnung.
Es ist kurz vor neun Uhr an diesem regnerischen Morgen. Abgekühlt hat es, konstatiert Hermann, und überlegt, wo er seinen Wagen abgestellt hat. Ein Taxi bringt ihn schliesslich zu der Vorstadtkneippe wo sein Flitzer steht.
Ein grosses Glas Weisswein, denkt Hermann und betritt die Schenke, wird mich erfrischen und hält mich zudem wach, was ich jetzt ja wohl brauche. Er fühlt sich hundemüde, wie gerädert. Was wohl Sophie macht, jetzt um diese Zeit, denkt er, und bestellt ein zweites Glas.
Ach was, Scheiss drauf! Hermann bezahlt und verlässt mit unsicheren Schritten das Lokal. Die besorgten Blicke der Bedienung vermag er nicht mehr zu sehen.

Trotz des mittlerweile strömenden Regens rast Hermann in seinem Wagen, mit horrendem Tempo dahin. Auf der Autobahn – Richtung Basel – Richtung Frankreich – Richtung Gilbert.
Gegen 11 Uhr passiert er die Grenze bei St. Louis. Niemandem vermag der schwer angetrunkene Mann aufzufallen.

Er fährt weiter nach Rixheim. Da trinkt er an einer Hotelbar zwei Pastis, wechselt Geld, kotzt sich auf der Toilette noch einmal aus, und fährt dann weiter auf der Route Il Napoleon. Vergeblich hatte der Chef de Bar versucht ihn aufzuhalten. Halt die Klappe, hatte Hermann beleidigt gerufen.

Der Wind peitscht den Regen gegen die Frontscheibe seines dahinjagenden Wagens. Sintflutartig, denkt Hermann, als wäre der Zorn Gottes herabgestiegen.
Er fühlt sich plötzlich euphorisch, so frei, beschützt, geborgen, ein unbeschreibliches Glücksgefühl erfasst ihn. Er beginnt, wie erlöst, zu weinen, streckt beide Hände von sich – himmelwärts.
Hermann sieht vor sich ein gelb – gleissendes Licht von ungeheurer Intensität.
Doch dann ist da Nacht – tiefe Nacht.


EPILOG


Ob Hermann sich bei diesem grässlichen Autounfall, der Tote und Verletzte forderte, das Leben nehmen wollte, ist nicht bekannt. Der genaue Hergang dieser Katastrophe wurde niemals restlos aufgeklärt. Er selbst – körperlich völlig genesen – spricht seit jenem Tage nicht mehr.

Hermann wurde in die geschlossene Abteilung einer Nervenheilanstalt gebracht, wo er bei Patienten und dem Personal sehr beliebt ist. Zuweilen vermeint er der Wilhelm Tell zu sein. Das vermag die Leute dort fröhlich zu stimmen.
Hermann lächelt dann Für eine Weile zumindest.

Sophia – Maria, oder eben Sophie, arbeitet wieder bei Madame Beatrice. Sie führt zwei Nachtclubs in Deutschland.
Tagsüber weint sie. Für eine Weile zumindest.

Pit Staub
April 02
 
E

ElsaLaska

Gast
Lieber Pit,

Du siehst mich sprachlos!
(Und bist darin der einzige bisher;) )
Das ist das Beste, was ich seit langem in der Lupe gelesen habe! Schon nach den ersten beiden Sätzen musste ich einfach weiterlesen, sozusagen unter Zwang und Bann.
Dein Stil ist unnachahmlich, zuweilen denkt man, oh Gott, es könnte einem fast nerven, aber nein, dann kriegst Du die Kurve und man erkennt, dass Deine Schreibe einfach klasse ist! Diese Geschichte hat einen hervorragenden Plot, die Figuren stehen dreidimensional vor einem da, da ist Leben, Saft und Kraft drin.
Ich bin begeistert!
Freue mich auf weitere Beiträge von Dir.
Einen lieben Gruss
Elsa
 
W

willow

Gast
Hallo Pit,

eine wirklich gute Geschichte, interessant erzählt von außen, emotionslos in den Fakten und doch spannend und bewegend. Die Geschichte überzeugt durch die punktgenaue Charakterisierung der Handelnden. Das einzige, was mich gewundert hat war, wie weit Hermann so betrunken noch gekommen ist... Auch der Epilog ist super. Hermann überlebt körperlich gesund doch geistig verwirrt, Sophie kehrt vollständig in ihre alte Umgebung zurück. Großartig!

Lieber Gruß,

willow
 

pit staub

Mitglied
Liebe elsa, liebe willow,

Zwangsläufig stellt sich mir nun die Frage, wie ich - um Himmels Willen - solche Komplimente verkraften kann?
Ich danke euch.
Pit

PS. Hermann ist ein Urschweizer. Die seien - sagt man - nicht nur bodenständig, auch trinkfest!
 



 
Oben Unten