Die Höllenmaschine

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Lilja

Mitglied
Ein behörnter Schädel mit zehn bösen Augen starrte mir entgegen. Ich hörte mein pochendes Herz, ansonsten lag Stille wie ein Leichentuch über dem dunklen Raum. Zitternd umkrampften meine Finger einen Papierfetzen. Ich verfluchte mich selbst für meine Feigheit und riss die Hörner an mich. Ans Ohr gehalten verdrängte deren monotones Tuten kurzzeitig meinen Herzschlag ins Unterbewusstsein. Gerade als meine Hand das erste Auge eindrücken wollte, hielt ich inne und knallte die Hörner zurück aufs Gerät.
»Nur ein Anruf, sonst nichts«, murmelte ich und starrte in die lachende Fratze des Apparates hinab.
Besorgt schweifte mein Blick zu meinen Beinen. Sie wippten auf und nieder als wäre ich Raucher in der dritten Entzugswoche und meine Hände standen dem nicht nach. In meiner Lage konnte ich unmöglich telefonieren. Gewiss würde ich mich verhaspeln oder gar kein Wort herauskriegen. Mit einem Ruck erhob ich mich und drehte im Zimmer wie ein eingesperrter Löwe meine Runden.
»Millionen von Menschen führen täglich Trillionen von Telefongespräche«, erinnerte ich mich an die Normalität des Ganzen.
Es half nichts, mein Blutdruck blieb weiter in K2-Höhen. Ich spürte schon, wie mir die Luft knapp wurde. Hastigen Schrittes eilte ich ins Bad und wusch mir das Gesicht. Im Spiegel konnte ich mein Abbild nicht erblicken, weil es sich in der Wanne versteckt hatte. Immerhin schlug mein Puls nun regelmäßiger, zumindest solange ich nicht ans Grauen im Wohnzimmer dachte.
»Jetzt bin ich soweit«, sagte ich entschlossen zum leeren Spiegel.
Bereit für die Tat marschierte ich zum Apparat, packte ihn bei den Hörnern und wählte ohne Zögern die ersten fünf Zahlen. Doch bei der sechsten von elf Ziffern kehrten Zweifel in mein Hirn zurück.
Sie würde mir womöglich eine Absage erteilen, mir nie wieder begegnen wollen. Beim achten Auge war ich überzeugt, dass sie mich verachten würde. Ich geriet in Panik, so hatte es keinen Sinn. Noch die Neun gewählt, dann drückte ich die Gabel. Ein Seufzer entrann meiner Brust.
Ich wusste um den Unsinn meiner Furcht. Wir mochten uns und sie war allein. Sie würde gegen einen romantischen Abend nichts einwenden und täte sie es, wäre sie selbst schuld. Ich spürte den Mut in mir einen Angriff starten.
»Soll sie doch Absagen, sie verpasst Einiges«, sagte ich kess.
Erneut wiederholte sich die Prozedur. Diesmal gelangte ich bis zur zehnten Ziffer, bevor mein Zustand unkontrollierbar wurde. Mein Herzschlag erinnerte mich ans Schnaufen alter Dampflokomotiven.
»Nach einer Stunde ist es dir noch immer nicht gelungen«, schalt mich meine Vernunft.
Ich schloss die Augen und atmete mehrmals tief durch. Einige Minuten verstrichen, während ich an den Boxkampf von letzter Woche dachte. Als ich die Lieder aufschlug, lag neben mir keine Höllenmaschine, sondern ein Telefon. Schnell war die Nummer gewählt. Obwohl mein Atem mit jedem Tutlaut stockte und mein Herz hüpfte wie ein Känguru, hielt ich mich gefasst. Diesmal gab es kein zurück. Ihre Stimme ertönte in der Leitung:
»Dies ist der Anschluss von Marie Evine, bitte hinterlassen sie eine Nachricht«.
 

Elster

Mitglied
...interessante Schilderung dessen,wie schwierig die einfachsten Dinge im Leben individuell sein können...
Man kann richtig mitfühlen...
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
hm,

ein guter einstieg mit einer ungewöhnlichen geschichte.
Lieder sollte man nicht aufschlagen, das papier könnte schaden nehmen. solltest du aber die augenlider gemeint haben, dann lasse das erste e weg.
ganz lieb grüßt
 

Lilja

Mitglied
Danke für die Kommentare.

Den Rechtsschreibfehler werde ich natürlich korrigieren, wobei es ein durchaus interessanter Gedanke ist, die Lieder aufzuschlagen. Bedauerlich, dass dieses Wortspiel in der Geschichte nicht wirklich einen Sinn ergäbe.
 



 
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