Die Jagt

Anonym

Gast
Die Jagt. Die Verfolgung. Wie berauschend ist das Gefühl, beinahe gesiegt zu haben, beinahe gewonnen zu haben.

Beinahe. Fast. Noch ein kleines Etwas, noch ein Bruchteil des Raumes und der Zeit - und die ganze Welt ist willig.

Als hätte man Flügel, als fliege man, schwebe man über der Erde. Ohne zu atmen, ohne zu denken, einfach da zu sein, einfach dabei zu sein.

Die genüssliche Qual in der Brust, das wirre Gelächter, die Spritzer der Tränen – alles ist in dieser Jagt vereint. In dem Traum, einmal dazu zu gehören.

Der Reigen aus Häusern, Straßen, Orten und Ländern. Die Gesichter, erst freundlich und lachend, dann betrübt und verschlossen. Die Sprache, das Schwirren der Worte. Der Lärm des Alttags. Das Rauschen des Lebens. Sich immer weiter entfernend.
Nicht das.

Die milchigen Flocken des Tages. Der müde aufgedunsene Morgen, der närrische Mittag, der schweigende Abend, die bleierne Nacht. Das Vakuum. Die Augen des Kindes mit schmerzender Seele. Allein gelassen in dem öden Kosmos der Hoffnungen und Gefühle, suchend, trauernd nach der Liebe.
Nicht wichtig.

Die Fetzen der Jahreszeiten. Die Lust des Frühlings, das Begehren des Sommers, die Enttäuschung des Herbstes und der Winter, die Erfahrung und der Tod. Die Feste ohne Heiterkeit, die trüben Blicke, die klebrigen Berührungen. Abgestumpfte Instinkte, verrostet, zum Staub zerfallend.
Nicht jetzt.

Die Jagt herrscht und bestimmt. Noch ein Schritt, vielleicht zwei, schon ganz nah, fast. Weiter, weiter zu diesem strahlenden Schemen. Mit ausgestreckter greifender Hand.

Dort breitet der Frieden seine schützende Hülle aus. Dort wird es Lachen geben, und Freude. Dort wird es warm von Gedanken und Worten. Dort kann man lieben und feiern. Schenken und beschenkt werden. Reden und zuhören. Spielen. Hoffen.
Glücklich sein.

Glanzloses Haar und fahle Haut. Das kalte Spiegelbild.
Die Tür fällt ins Schloss. Das Kind mit den traurigen Augen geht und kommt nicht mehr zurück. Es ist erwachsen.
Die verzerrten Wolken winden sich durch den Himmel.

Wie berauschend ist die Verfolgungsjagd.
Wie bitter ist die Erkenntnis, verloren zu haben.
 



 
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