Die Klavierspielerin

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Astrid

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überarbeitete Fassung

Die Klavierspielerin


Karin wischte mit dem essiggetränkten Lappen über die Herdplatte und polierte mit einem Handtuch nach. Ihr Blick glitt über die Arbeitsfläche, das Spülbecken – alles sauber.
Ihr fiel die Mutter ein, die nach der getanen Küchenarbeit die Schürze auszog, ihre Hände eincremte, sich leicht seufzend, dauerwellengelockt in den Sessel setzte und für sich den freien Sonntagnachmittag einläutete, der so lang noch war nach dem Mittagessen.
Die Hände ihrer Mutter rochen nach Kamille. Sie hatte schöne Nägel, gleichmäßig geformt, der weiße Halbmond gab ihnen Eleganz.
Karin hatte sie darum beneidet. Ihre Nägel brachen, wuchsen schief, rissen ein.

Eine Schürze, die sie ablegen konnte, besaß sie nicht, und ihre Haare waren kurz geschnitten. Die Versuche ihrer Mutter, sie von einer Dauerwelle zu überzeugen, schlugen fehl, nachdem sie sich in jungen Jahren einmal hat dazu hinreißen lassen und ein paar Wochen wie ein zu heiß geföhnter Mob herumgelaufen war.
„Damals sahst du viel älter aus als heute!“ hat ihr Sohn immer gesagt. Er ist im letzten Jahr ausgezogen.

Karin schnipste einen Krümel weg, der ihrem Tuch entwischt sein musste –Feierabend.
Und der Tag war noch so lang.
Auf dem Tisch lag ein aufgeschlagenes Buch. Ein niederländischer Autor – in seine Poesie, konnte sie sich fallen lassen, seine Worte waren wie fein geschliffene Steine und während sie las, geschah es manchmal, dass in ihrem Kopf eigene Sätze entstanden und eine unsichtbare Feder eine eigene Geschichte zu schreiben begann.

„Ich will Schriftsteller werden!“ hatte sie mit Sechzehn verkündet. Karin schrieb heimlich und als ihr ein, wie sie fand wirklich gutes Gedicht gelungen war, zeigte sie es pochenden Herzens der Mutter. Heute weiß sie, dass sie sie damit einfach überforderte – keiner in der Familie hatte je Gedichte geschrieben. Doch damals blieb nur eine maßlose Enttäuschung, eine Verletzung, ein kalter Ring, der sich ums Herz legte.
Vielleicht hätte der Vater sie verstanden, der von seinen Auslandseinssätzen Briefe schickte.

Karin wurde Sekretärin.
„Damit hast du doch alle Chancen, kannst überall arbeiten!“ hatte die Mutter gemeint.
Das tat sie auch. Nicht immer freiwillig wechselte sie die Arbeitsstellen, konnte sich nicht durchsetzen. Aber manchmal, wenn sie an der Schreibmaschine oder vor dem Computer saß und ihre Finger über die Tasten eilten, war sie sogar ein bisschen glücklich. Als wäre sie eine Klavierspielerin, spürte sie den Takt und schwebte auf einer unhörbaren Melodie davon - adagio hin zu lyrischen Wiesen, allegro zu poetischen Flüssen. Sie drehte eine Runde, bis sie wieder im Büro ankam.
Schnell und zuverlässig tippte sie – Briefe für Chefs, für Freunde und Bekannte, fremde Texte aus fremden Federn. Ihre Finger flogen dahin, als wollten sie sagen – komm mit, lass uns fortgehen von hier, dorthin wo deine Gedichte sind. Doch ihr Körper blieb, wo er war und als der Text fertig getippt war, waren auch die Finger wieder brav und der Moment einer möglichen Flucht für Karin vorbei.

Sie hatte sich eingerichtet. In den Meinungen der Mutter, in dem Bild, das sie und andere von ihr hatten. Nur manchmal, wenn sie solche Bücher las, hätte sie wieder selbst zum Stift greifen wollen, doch die Hand scheute zurück.

Karin wischte sich mit den Händen über den Bauch, wie früher die Mutter über die Schürze.
Zugenommen hatte sie. Essen war wichtig geworden. Dass es ersetzte, ahnte sie eher, als dass sie es erkannte und womöglich begann, daran etwas zu ändern.

„Wenn ich jetzt eine Schürze hätte“, könnte ich sie abbinden, zusammenlegen, die Bänder übereinander oder verknotet, oder ich könnte sie an den Haken hängen.“
Karin cremte sich die Hände ein. Ein Hauch von Kamille legt sich auf ihre schiefen Nägel, legte sich auf die Haut, die so großporig war, dass ihre Hände stets leicht grau aussahen. Darum versteckte sie sie auch am liebsten. Unter dem Tisch, in Jacken- oder Hosentaschen. Mit versteckten Händen kann man nicht schreiben.

Und der Tag war noch so lang.
Im Badezimmer spiegelte ihr Gesicht die graue Leere der Stunden wider. Wie sehr sie das alles hasste.
Da legte sich ein flüchtiges Rosa auf ihre Wangen, als wäre sie bei einem unerlaubten Gedanken ertappt worden. Sie ging zum klobigen Schrank in der Ecke des Flurs, bückte sich, tastete in der dunklen Tiefe, bis ihre Hände das Gesuchte gefunden hatten. Sie hob den Kasten heraus und für einen Moment stand sie in der Tür zum Wohnzimmer, hielt ihn mit beiden Händen vor dem Bauch, stand wie ein Reisender mit Gepäck.

Der Verschluss des Deckels klickte beim Öffnen, sie hob ihn ab und legte ihn beiseite. Staubflusen segelten auf die Tischdecke. Sie spannte zwei Bogen Papier ein, löste dabei den Hebel an der Walze - „Beim Einspannen darf es kein Geräusch geben!“ hatte ihr Lehrer immer gesagt – rückte die Blätter gerade und den Hebel wieder auf die Walze und verharrte für einen Moment in der warmen Erinnerung. - Ihre alte Schreibmaschine - sie war ein Jugendweihegeschenk und Mutter eine strenge erste Lehrerin gewesen. Dafür ist sie ihr heute dankbar.

A, s, d, f, j, k, l, ö platzierte sie ihre Finger und die Buchstaben der Grundstellung erschienen oben links auf dem Blatt. Mühelos gelangen den Fingern die Ausflüge in die anderen Reihen. Die Klavierspielerin stimmte ihr Instrument. Heute aber wollte sie ohne Noten spielen, eine eigene Melodie finden.

Sie begann pianissimo, ging über in piano, forte, fortepiano – es war ihr erstes Solo nach so vielen Jahren und zum ersten Mal nahmen die Finger sie mit auf die Reise. Wärme spürte sie wie an jenem Frühlingstag, an dem sie damals das Gedicht geschrieben hatte.
Und so schrieb sie, älter geworden, legte Lebenserinnerungen aufs Papier, nicht geordnet, sondern so wie die Bilder auftauchten – ungeschriebene Briefe an den Vater, Worte als Wegweiser, wie Pflastersteine, auf denen sie zunehmend sicherer Tritt fasste. Fast wie eine Sturmflut tobte es aus ihr heraus und sie musste neue Blätter einspannen.

„Karin? Karin, was ist das für ein Lärm, was machst du?“ – die krächzende Stimme der Mutter aus dem anderen Zimmer, zu dem die Tür nur angelehnt war.
Die Mutter wohnte bei ihr, denn seit der Vater von heute auf morgen im Ausland geblieben war, kam sie allein nicht mehr zurecht.

Karin betrat das Zimmer. Die Mutter hatte wohl im Sessel geschlafen.
„Ich spiele Klavier.“
„Das ist schön, mein Kind. Sie lächelte. „Aber deine Haare! Mit dieser Frisur kannst du unmöglich Konzerte geben!“
„Ach Mama!“ Karin setzte sich auf die Sessellehne, wie sie es schon als Kind gern getan hatte. „Ich muss noch viel, viel üben, bis ich ein Konzert geben kann, ich fange doch erst an.“

Doch als sie später auf die beschriebenen Blätter schaute, sagte sie leise, zu sich selbst redend, „aber es ist gut, dass ich endlich angefangen habe.“
 

ENachtigall

Mitglied
Hallo Astrid,

ein schöner Titel, eine gelungene Metapher. Mir gefällt auch das Tempo, wie sich über den lang empfundenen Sonntagnachmittag so unspektakulär der kleine aber bedeutende persönliche Umbruch anbahnt, besonders aber das wiederholt gesetzte
Und der Tag war noch so lang.
Schmunzeln musste ich über die Schürzensequenz. Ich kaufe hin und wieder auf Flohmärkten Schürzen, wie die meiner Omas, und trage sie sogar. Meist sind sie noch handgenäht, und ich denke, dass sie eine Menge an Lebensdramen haben über sich ergehen lassen. Man kann sich so wunderbar die Hände daran abwischen, Rotz und Wasser hineinheulen und sich abschließend ordentlich hineinschneuzen. Die Kittelepoche habe ich übersprungen.
Der Schluss bringt mit der Erklärung gegenüber der Mutter noch mal richtig Schwung rein.
Den biographischen Rückblick empfinde ich ein klein wenig zu weitschweifig.
Gerne gelesen, Deine KG.

Liebe Grüße
Elke
 

Gorgonski

Mitglied
Hallo Astrid

Auch ich finde die Geschichte gelungen. Als Mensch der ich gerade eine längere Phase einer Schreibblockade aufgesessen bin, hoffe ich, daß mir Deine Geschichte auch wieder mehr Mut macht, selbst zur Feder zu greifen.

MfG; Rocco
 



 
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