Die Lesung

3,70 Stern(e) 3 Bewertungen

ThomasStefan

Mitglied
Die Lesung

von Thomas Stefan


Ich gebe mir einen Ruck und erhebe mich, löse mich aus meiner Sitzreihe. Mein Manuskript habe ich schon in der Hand. Einige überaus freundliche Worte der Gastgeberin begleiten mich zum Podium. Dort befindet sich ein Tischchen mit Lampe, gut gefülltem Wasserglas und ein in Mundhöhe befindliches Mikrophon. Etwas Applaus kommt auf, schnell ist diese Aufmunterung vorbei. Ich quetsche mich zwischen Tisch und Stuhl, rücke das Mikro zurecht.
„Hallo! Vielen Dank für die Einladung.“
Meine Stimme klingt mir fremd: Dünn und scheppernd, als ob ich in eine Tröte spräche. Ist die Technik defekt? Sicherlich nicht, aber gerade heute irritiert mich dieser Klang. Dabei müsste ich die Akustik auf einer Bühne inzwischen doch kennen. Und wieder misstraue ich der Qualität meiner Stimme. Ein Schluck Wasser, mehrfaches Räuspern. Wie blöd, so etwas schadet eher. Ich muss endlich beginnen.
Meine ersten Sätze. Bin ich zu verstehen? Stimmt mein Tempo, die Aussprache? Taugt meine kleine Geschichte etwas und interessieren sich die da vorn überhaupt für das, was ich von mir gebe?
Doch mit einem Mal habe ich das Gefühl, als fange mein Text an zu leben. Er zieht mich in seine Welt und alle Zweifel sind wie weggeblasen. Auch den richtigen Leserhythmus habe ich gefunden und nun entsteht ein Sog, der zuerst mich, dann auch die Zuhörer mitnimmt. Ich spüre, wie deren Aufmerksamkeit wächst, sie gleichsam beginnen, die Ohren zu spitzen. Ab und zu hakt mein Vortrag. Ja, es gibt ein paar schlecht gewählte Worte, sie liegen mir für einem Moment länger im Mund als die anderen, und ich weiß sofort, dass es bessere geben muss. Doch das sind nur kleine Schönheitsfehler, die Wirkung des Gelesenen entfaltet sich dennoch. Das Publikum ist still, lauscht, und bald bilde ich mir ein, es hängt an meinen Lippen. Zur Bestätigung dessen bräuchte ich gar nicht mehr aufzusehen.
`Du oller Spinner!´, schießt es mir durch den Kopf, während ich lese und dabei unverwandt auf mein Manuskript blicke. Unwillkürlich muss ich lächeln, mich fast schämen über meine Selbstzufriedenheit, über das Gefühl, als ob ich gleich abhöbe. Trotzdem, das hier ist ein besonderer Augenblick, den ich genießen will, und so gebe ich mich der Situation hin, lasse die Zuhörer auf mein Terrain und zeige ihnen das Land meiner Ideen.
Als ich ende, ergießt sich ein starker, warmer Beifall. Wie schön! Ich bedanke mich und gehe zurück auf meinen Platz, bin froh, mich heute auf diese Lesung eingelassen zu haben. Die Anspannung ist von mir abgefallen, bin jetzt wie aufgekratzt und gönne mir ein Kaugummi. Der nächste Autor geht nach vorn, ich lehne mich zurück.
`Na, gelingt dir das auch, mein Lieber? Nun zeig mal, was du kannst!´, denk ich mir und wundere mich über mich selbst. Welcher Affe hat mich nur gebissen?
Ein Mann drängt sich plötzlich am mir vorbei, will schnell in meine Reihe, und setzt sich neben mich auf den einzig freien Platz. Er lächelt entschuldigend.
„Hab´ es gerade noch geschafft. Denn den wollte ich nicht verpassen,“ flüstert er mir zu und deutet auf den Autor, der gerade vorn am Tisch auf der Bühne Platz nimmt. Während dieser hüstelt und sein Manuskript ordnet, beugt sich mein neuer Nachbar erneut zu mir, raunt: „Den Rest hier können Sie einfach vergessen.“ Danach schaut er gebannt nach vorn, sitzt fast nur noch auf der Vorderkante seines Stuhls und verschlingt geradezu die ersten Sätze.
Meine gute Laune ist dahin. Das Manuskript in meinen Händen hat der Kerl anscheinend nicht wahrgenommen. So unauffällig wie möglich falte ich es zusammen, verstecke es dabei zwischen meinen Knien, immer kleiner und kleiner werden die Seiten und lasse sie in meiner Jackentasche verschwinden. Während der Autorenkollege vorn beginnt, das Publikum zu verzaubern, zerkaue ich mein Kaugummi zu einer geschmacklosen Masse. Ich starre zur Bühne, höre zwar, verstehe aber kein Wort von dem, was dort gelesen wird, nichts davon kommt in meinem Kopf an. Stattdessen treiben immer mehr böse Gedanken wie Gewitterwolken durch mein Hirn, scheinen mich zu beherrschen – und plötzlich entsteht eine Idee. Sie schießt in mir hoch wie ein Giftpilz nach dem Wolkenbruch.
Prüfend schaue ich noch einmal zu dem Literaturgourmet neben mir, der sich in seinem Genuss durch nichts ablenken lässt. Mein Blick geht wieder nach vorn. Den durchgekauten Kaugummi rolle ich an der Innenseite des Gaumens mit der Zunge hin und her, forme ihn zu einem saftigen Bällchen. Wie beiläufig führe ich die rechte Hand zum Mund und lege zwei Finger auf meine Lippen. Dazu passend lasse ich Falten auf meiner Stirn erscheinen, als würde ich einem bestimmten literarischen Gedanken folgen. Das feuchte Etwas klebt alsbald hinter der Fingerkuppe meines Zeigefingers, ich drücke es mit der Zungenspitze transportsicher an. Von niemandem beachtet nehme ich die Finger vom Mund und lasse die fast geschlossene Hand auf meinem rechten Knie ruhen. Bald habe ich Gelegenheit, meine Sitzposition zu wechseln: Das Publikum lacht über einen Witz des Autors, ich lache mit. Gleichzeitig strecke ich die Beine aus, lehne mich zurück und lege die Arme entspannt auf die seitlichen Lehnen. Von den benachbarten Zuhörern nicht bewusst wahrgenommen – so hoffe ich – liegt mein rechter Arm bald lässig auf der Rückenlehne meines neben mir lauschenden Literaturkenners. Bei einem Zwischenapplaus des Publikums lasse ich die Hand mit dem Kaugummi scheinbar selbstvergessen hinunter sinken, auf die vom Nachbarn frei gelassene Sitzfläche, während er unverändert gebannt nach vorn blickt. Ein kurzer Andruck meiner Fingern, schon haftet das Kaugummi auf seiner Sitzschale. Ich verschränke die Arme und warte gespannt auf das Ende des Vortrags.
Endlich brandet starker Beifall auf, mein Literaturfreund neben mir rutscht zurück auf seinen Sitz, schaut mich begeistert an: „Toll, nicht wahr?“
„Ja,“ pflichte ich ihm bei, obwohl ich gar nicht aufgepasst hatte. „Sie hatten recht. Diesen Text vergisst man nicht, da bleibt viel hängen.“
Plötzlich bemerkt mein Nachbar, dass seine Hose festklebt.
„Was ist das denn?“ Mit ärgerlichem Gesicht reißt er sie von der Sitzfläche, steht auf, fühlt und findet den Kaugummi, der nun breit an seinem Hinterteil haftet.
„Sauerei!“ schimpft er.
„Das ist wirklich ärgerlich“, bemühe ich mich um Anteilnahme, aber auch darum, absolut unschuldig zu erscheinen. „Na ja, das hier ist halt ´ne Schüleraula. Da muss man mit allem rechnen.“
Eigentlich möchte ich laut triumphieren, doch ich weiß mich zu beherrschen. Der Mann schaut mir irritiert ins Gesicht, ich blicke lieber nach vorn, lege meine Stirn in Falten und konzentriere mich auf den nächsten Autor. Saugut, diese Lesung, denk ich mir, verkneife mir aber einen neuen Kaugummi.
 
U

USch

Gast
Hallo Thomas,
ja, die lästige Konkurrenz läßt destruktive Gedanken und Handlungen wahr werden. Das hast du sehr subtil geschildert. Aber wahre Qualität wird sich letztendlich durchsetzen, auch wenn die Anonymen ihre Macht immer mal wieder demonstrieren.
Gern gelesen.
Ein Mann drängt sich plötzlich [strike]am [/strike][blue]an [/blue]mir vorbei,
LG USch
 

ThomasStefan

Mitglied
Hallo USch!

Ob dieser Ich-Erzähler-Autor beim Publikum überhaupt so gut angekommen ist wie er glaubt, sei dahingestellt. Auf alle Fälle hat er eine wildes Auf und Ab der eigenen Gefühle erlebt.
Und dem Leser hier bringt es hoffentlich Spaß (Schadenfreude ist die liebste Freude?!)
Beste Grüße, Thomas
 

ThomasStefan

Mitglied
Die Lesung

von Thomas Stefan


Ich gebe mir einen Ruck und erhebe mich, löse mich aus meiner Sitzreihe. Mein Manuskript habe ich schon in der Hand. Einige überaus freundliche Worte der Gastgeberin begleiten mich zum Podium. Dort befindet sich ein Tischchen mit Lampe, gut gefülltem Wasserglas und ein in Mundhöhe befindliches Mikrophon. Etwas Applaus kommt auf, schnell ist diese Aufmunterung vorbei. Ich quetsche mich zwischen Tisch und Stuhl, rücke das Mikro zurecht.
„Hallo! Vielen Dank für die Einladung.“
Meine Stimme klingt mir fremd: Dünn und scheppernd, als ob ich in eine Tröte spräche. Ist die Technik defekt? Sicherlich nicht, aber gerade heute irritiert mich dieser Klang. Dabei müsste ich die Akustik auf einer Bühne inzwischen doch kennen. Und wieder misstraue ich der Qualität meiner Stimme. Ein Schluck Wasser, mehrfaches Räuspern. Wie blöd, so etwas schadet eher. Ich muss endlich beginnen.
Meine ersten Sätze. Bin ich zu verstehen? Stimmt mein Tempo, die Aussprache? Taugt meine kleine Geschichte etwas und interessieren sich die da vorn überhaupt für das, was ich von mir gebe?
Doch mit einem Mal habe ich das Gefühl, als fange mein Text an zu leben. Er zieht mich in seine Welt und alle Zweifel sind wie weggeblasen. Auch den richtigen Leserhythmus habe ich gefunden und nun entsteht ein Sog, der zuerst mich, dann auch die Zuhörer mitnimmt. Ich spüre, wie deren Aufmerksamkeit wächst, sie gleichsam beginnen, die Ohren zu spitzen. Ab und zu hakt mein Vortrag. Ja, es gibt ein paar schlecht gewählte Worte, sie liegen mir für einem Moment länger im Mund als die anderen, und ich weiß sofort, dass es bessere geben muss. Doch das sind nur kleine Schönheitsfehler, die Wirkung des Gelesenen entfaltet sich dennoch. Das Publikum ist still, lauscht, und bald bilde ich mir ein, es hängt an meinen Lippen. Zur Bestätigung dessen bräuchte ich gar nicht mehr aufzusehen.
`Du oller Spinner!´, schießt es mir durch den Kopf, während ich lese und dabei unverwandt auf mein Manuskript blicke. Unwillkürlich muss ich lächeln, mich fast schämen über meine Selbstzufriedenheit, über das Gefühl, als ob ich gleich abhöbe. Trotzdem, das hier ist ein besonderer Augenblick, den ich genießen will, und so gebe ich mich der Situation hin, lasse die Zuhörer auf mein Terrain und zeige ihnen das Land meiner Ideen.
Als ich ende, ergießt sich ein starker, warmer Beifall. Wie schön! Ich bedanke mich und gehe zurück auf meinen Platz, bin froh, mich heute auf diese Lesung eingelassen zu haben. Die Anspannung ist von mir abgefallen, bin jetzt wie aufgekratzt und gönne mir ein Kaugummi. Der nächste Autor geht nach vorn, ich lehne mich zurück.
`Na, gelingt dir das auch, mein Lieber? Nun zeig mal, was du kannst!´, denk ich mir und wundere mich über mich selbst. Welcher Affe hat mich nur gebissen?
Ein Mann drängt sich plötzlich an mir vorbei, will schnell in meine Reihe, und setzt sich neben mich auf den einzig freien Platz. Er lächelt entschuldigend.
„Hab´ es gerade noch geschafft. Denn den wollte ich nicht verpassen,“ flüstert er mir zu und deutet auf den Autor, der gerade vorn am Tisch auf der Bühne Platz nimmt. Während dieser hüstelt und sein Manuskript ordnet, beugt sich mein neuer Nachbar erneut zu mir, raunt: „Den Rest hier können Sie einfach vergessen.“ Danach schaut er gebannt nach vorn, sitzt fast nur noch auf der Vorderkante seines Stuhls und verschlingt geradezu die ersten Sätze.
Meine gute Laune ist dahin. Das Manuskript in meinen Händen hat der Kerl anscheinend nicht wahrgenommen. So unauffällig wie möglich falte ich es zusammen, verstecke es dabei zwischen meinen Knien, immer kleiner und kleiner werden die Seiten und lasse sie in meiner Jackentasche verschwinden. Während der Autorenkollege vorn beginnt, das Publikum zu verzaubern, zerkaue ich mein Kaugummi zu einer geschmacklosen Masse. Ich starre zur Bühne, höre zwar, verstehe aber kein Wort von dem, was dort gelesen wird, nichts davon kommt in meinem Kopf an. Stattdessen treiben immer mehr böse Gedanken wie Gewitterwolken durch mein Hirn, scheinen mich zu beherrschen – und plötzlich entsteht eine Idee. Sie schießt in mir hoch wie ein Giftpilz nach dem Wolkenbruch.
Prüfend schaue ich noch einmal zu dem Literaturgourmet neben mir, der sich in seinem Genuss durch nichts ablenken lässt. Mein Blick geht wieder nach vorn. Den durchgekauten Kaugummi rolle ich an der Innenseite des Gaumens mit der Zunge hin und her, forme ihn zu einem saftigen Bällchen. Wie beiläufig führe ich die rechte Hand zum Mund und lege zwei Finger auf meine Lippen. Dazu passend lasse ich Falten auf meiner Stirn erscheinen, als würde ich einem bestimmten literarischen Gedanken folgen. Das feuchte Etwas klebt alsbald hinter der Fingerkuppe meines Zeigefingers, ich drücke es mit der Zungenspitze transportsicher an. Von niemandem beachtet nehme ich die Finger vom Mund und lasse die fast geschlossene Hand auf meinem rechten Knie ruhen. Bald habe ich Gelegenheit, meine Sitzposition zu wechseln: Das Publikum lacht über einen Witz des Autors, ich lache mit. Gleichzeitig strecke ich die Beine aus, lehne mich zurück und lege die Arme entspannt auf die seitlichen Lehnen. Von den benachbarten Zuhörern nicht bewusst wahrgenommen – so hoffe ich – liegt mein rechter Arm bald lässig auf der Rückenlehne meines neben mir lauschenden Literaturkenners. Bei einem Zwischenapplaus des Publikums lasse ich die Hand mit dem Kaugummi scheinbar selbstvergessen hinunter sinken, auf die vom Nachbarn frei gelassene Sitzfläche, während er unverändert gebannt nach vorn blickt. Ein kurzer Andruck meiner Fingern, schon haftet das Kaugummi auf seiner Sitzschale. Ich verschränke die Arme und warte gespannt auf das Ende des Vortrags.
Endlich brandet starker Beifall auf, mein Literaturfreund neben mir rutscht zurück auf seinen Sitz, schaut mich begeistert an: „Toll, nicht wahr?“
„Ja,“ pflichte ich ihm bei, obwohl ich gar nicht aufgepasst hatte. „Sie hatten recht. Diesen Text vergisst man nicht, da bleibt viel hängen.“
Plötzlich bemerkt mein Nachbar, dass seine Hose festklebt.
„Was ist das denn?“ Mit ärgerlichem Gesicht reißt er sie von der Sitzfläche, steht auf, fühlt und findet den Kaugummi, der nun breit an seinem Hinterteil haftet.
„Sauerei!“ schimpft er.
„Das ist wirklich ärgerlich“, bemühe ich mich um Anteilnahme, aber auch darum, absolut unschuldig zu erscheinen. „Na ja, das hier ist halt ´ne Schüleraula. Da muss man mit allem rechnen.“
Eigentlich möchte ich laut triumphieren, doch ich weiß mich zu beherrschen. Der Mann schaut mir irritiert ins Gesicht, ich blicke lieber nach vorn, lege meine Stirn in Falten und konzentriere mich auf den nächsten Autor. Saugut, diese Lesung, denk ich mir, verkneife mir aber einen neuen Kaugummi.
 
U

USch

Gast
Na ja Thomas, ich kenn´ schon größere Freuden....
LG USch
 
U

USch

Gast
... z.B. Tango tanzen, vertikal und horizontal...
so long USch
 



 
Oben Unten