Die Liebe wars, die mich umfing

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evemcfar

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Die ersten Tage waren himmlisch, ein Wort von ihr galt mir und eins von mir ihr, zusammen sprachen wir mit einer Zunge. Ich fühlte mich verstanden, spürte eine Freundin, die mich umarmt als Geleit durch das dunkle Tal des Jammers dieser Welt. Ihre Schwächen waren die meinen und wir mieden dieselben tückischen Winkel Leben. Mit jedem Wort setzten wir einander fort, keine Sekunde ließ uns nicht weiter emporsteigen. Hinauf auf den Olymp der idealen Liebe. Wir glühten am Himmel blendend grell und es gefiel uns, wir schauten gemeinsam hinab in ein Chaos von Gefühlen, die zu bändigen die Liebenden nicht in der Lage sind. Unsere Einigkeit festigte sich mehr und mehr, bis es mir unmöglich wurde zu unterscheiden. Was ist das? Zwei Körper, zwei Geschlechter, ein Geist.
Schreie und Gewalt, eine Gefahr der völligen Auflösung. Ich treibe es an, dränge mich zum Höhepunkt und explodiere zu tausenden glühenden Sternschnuppen. Alles neu. Die Illusion von Identität zerbricht.
Ein Wort und keine Geste. Nur ihre Lippen haben sich bewegt.
„Verflucht seiest Du!“, war es gesagt.
Erschöpft und verschwitzt, befriedigt aber irritiert komme ich auf ihr zum Erliegen. Sie umarmt mich fest und hüllt mich in Geborgenheit. Ich lasse alle Kraft aus meinen Gliedern fahren und spüre mich noch in ihr. Es beginnt zu fließen an unserem gemeinsamen Geschlecht und wir beruhigen uns im idealen Akt des gemeinsamen Erregens zur Stille mit Küssen. Ein Leib sind wir geworden.
Erschöpft schließe ich die Augen und falle in Schlaf. Ein Licht am Ende des Tunnels. Es tun sich Räume auf, die nicht nur meine Augen sich täuschen lassen.
Eine riesige Fledermaus hängt von der Zimmerdecke des kleinen Zimmers und ein Mann liegt angezogen aber barfuss im Bett, ich sehe seinen Kopf nicht. Die Fledermaus ist wach und starrt mich durchdringend an. Ich trete dennoch ein. Vorsichtig gehe ich hinter die Fledermaus und streichle ihren Rücken. Ich fühle ihre Wärme, ihre Knochen und das dünne Fell auf der ledrigen Haut. Die Wirbelsäule und die Rippen. Vorbei an ihr gehe ich zur Tür gegenüber, die sich öffnet, kurz bevor ich den Knauf fassen kann. Die Dunkelheit dahinter zieht mich an und ich trete hindurch. Ein Blick zurück ins Grau des Zimmers gewährt mir Einsicht, bevor die Tür ächzend ins Schloss fällt. Ich sehe, der Mann ist tot und die Fledermaus starrt auf den Leichnam. Schwarz.
Schwerelosigkeit umfängt mich, nur ich und mein Gefühl. Die Erinnerungen von dareinst heben meinen Kopf in den Nacken und ich spanne meine Arme zur Seite auf, fülle meine Lunge mit Luft und strecke meinen ganzen Körper durch. Ich bin ein Springer im freien Flug dem Aufprall entgegen. Die Kraft zieht mich tiefer, es geht noch tiefer hinab. Einmal zum Mittelpunkt der Erde. Grell blendet es mich durch die geschlossenen Augenlider, der Ort, von dem ich glaube mein Unglück zu sein. Gesucht, angezogen, gefunden. Es macht keinen Unterschied, ob ich die Augenlider schließe oder nicht. Licht fließt in mich, heiße Flüssigkeit in Wellen aller Nuancen des nächtlichen Grau. Verloren die Einmut mit ihr, die Ruhe im Sturm. Zurücklassen, was zu gut ist oder zu schlecht. Ich werde die Mitte finden und gar nicht suchen brauchen. Das grässliche Kreischen des Weckers holt mich in den Donnerstag. 5:05 zeigt das Display an. Die Arbeit ruft mich, sie schreit mir förmlich ins Ohr mit der Stimme des Chefkochs, der mich triezen und hetzen wird. Ich presse mich an Eleonora und suche die Erinnerungen der letzten Nacht zusammen und muss 10 Minuten später auf den Wecker hören. Einfach machen, den ganzen Tag machen! Haltung bewahren, die Gerichte richtig zusammenstellen, Timing, alles ist Timing …
Ich trete aus der schwitzigen Küche hinaus in die milde Sommerluft der noch jungen Nacht. Der Geruch von Fett hängt an mir und ich bekämpfe ihn mit dem Rauch einer Zigarette. Mit dem letzten Schritt auf den Treppenabsatz am Hintereingang des Restaurants, lasse ich mit dem Knacken des Feuerzeugs Feuer erscheinen und mit leicht vorgeneigtem Kopf bringe ich die Spitze der Zigarette zum Glühen. Nach dem ersten Zug lege ich den Kopf in den Nacken und blase den Qualm in den Himmel. Alles geht in Rauch auf. Schluss mit dieser Arbeit, ich muss weg hier! Hinfort mit ihnen, weg von Eleonora, allein sein und Zerstreuung suchen. Alles nur nichts Alltägliches!
Ich mache mich auf den Weg zu meiner Bar, einem selbsternannten Institut für Unterhaltungschemie. Doch was tue ich, statt Tom den Wirt zu fragen, was für meinen Kummer bereit steht, wodurch ich Zerstreuung erfahren könnte, bestelle ich drei Bier und drei Kurze. Kaum steht das erste Bier auf dem Tresen, trinke ich es aus, den Korn hinterher und dann warte ich auf das nächste Bier. Nach drei Runden bin ich bedient. Denn erfahrungsgemäß setzt Alkohol verzögert ein und wirkt lange nach. In 20 Minuten würde ich unbrauchbar sein. In der sonst leeren Bar hatte eine Frau hinter mir soeben das Selbe Abendbrot zu sich genommen und war von meiner Bestellung begeistert. Sie lud mich sogleich auf noch ein Bier ein.
Was schlage ich einer Frau schon ab
und trinke mit ihr,
der froh gestimmten Götter Wille zu willfahren
und später mit ihr zu schlafen.
Die Liebe sucht sie und ich ihren Körper, das Fleisch ihres Leibes auf starken Knochen. Sie ist ein Prachtweib. Alles an ihr ist reichlich und fest. Ihre wollüstigen Lippen saugen das Bier aus dem Krug mit einem Tempo, das mich erregt und zugleich abstößt. Diese kernige Erscheinung ist nämlich ebenso Trampel, wie sie frivol ist. Der linke Träger ihres dünnen Kleides hängt ihr bis zur Brust herab und ihre Haut glänzt sogar noch durch den Kneipendunst. Ich verliere mich an diesem Anblick und freue mich auf die Wirkung des Alkohols. Meine Zunge löst sich und macht meine Blickrichtung auf ihr Dekolleté nur noch deutlicher. Sie muss schallend lachen. Oh wie ihr Oberkörper dem Lachen Volumen gibt. Das herrliche Bauernlachen eines Sommerfestes mit strahlender Sonne und saftigen Melonen. Den Honig will ich schlecken und im Tau spazieren. Die Nachtigall pfeift es von den Dächern. Ich klatsche zwei Mal in die Hände um mich in ihr Lachen einzumischen. Denn unmittelbar darauf fällt aus der Decke, zu der sie schaut, eine mechanische Fledermaus, die mit blinkenden Augen und surrenden Flügeln sich immer höher zieht und wieder in der Decke verschwindet.
„Huch“, stößt sie hoch aus. Und lacht abrupt noch lauter als zuvor. Sie kippt beinahe hinten über. Ich springe auf und werfe den Tisch zur Seite, sie verliert nun endgültig ihren Halt und droht zu fallen. Allein meine rettende Hand kann sie halten. Mit ganzem Körpereinsatz packe ich sie am rechten Arm und hieve sie aus der gefährlichen Rückenlage auf die Beine mir direkt in die Arme. Schwer atmend umfasst sie meinen Brustkorb und drückt ihren Oberkörper weg, um mir ins Gesicht zu sehen. „Du bist ein Vampir. Hab ich recht?“, ich stimme zu und verbeiße mich in ihrem Hals, doch statt Blut, sauge ich nur an ihrer Haut. Sie zappelt kreischend, schlägt mit halbherzigen Hieben auf meinen Rücken und meine Arme ein, ich sauge und sauge, ich markiere sie. Das Blut sammelt sich unter der Haut und kleine Adern platzen, es schmeckt nach Kupfer. Wild zappelt sie in meinen Armen und ich muss mich anstrengen sie zu bändigen. Einen großen Fang habe ich da gemacht und ich will ihn nicht mehr los lassen. Der Platz in meiner Hose wird eng und meine Lenden zucken hitzig unter der Anstrengung, links rechts, hin und her. Ein chaotischer Tanz für die Liebe, der fleischlichen Liebe.
Tom dreht die Musik lauter und es erklingt ein Saxophon, schnell und leidenschaftlich: \"Stop the things you do.\" und dann ein tiefes urisches Lachen, danach ein Brüllen und mit fester Stimme aus der vollen Brust: \"I ain\'t Lyin\'\" Der ganze Raum ist erfüllt von Inbrunst und Wellen tiefer Vibrationen. Sie dringen in mein Becken und wirken aphrotisierend. Ein neues Kribbeln an meinen Eiern und dann ein greller Lichtstrahl. Ich schrecke wüst zurück und hebe meine linke Hand schützend vor die Augen. Sie tanzt noch immer, wiegt ihre Hüften wie sie geliebt werden möchte, erhebt ihren Takt zu meiner Lust und es dröhnt aus den Boxen: \"I love ya, I love you, I love you anyhow and I don\'t care, if you don\'t want me, I\'m yours right now. I put a spell on you.\"
Oh Himmel, wie kann es tiefer gehen, als in eine Kellerbar in Kreuzberg? Dieses Licht, woher nur dieses Licht? Ich bin verflucht und verstehe nicht woher.
Ich erkenne nur die Umrisse dieser Frau. Sie ist völlig schwarz im Gegenlicht und ich trete an den Rand der Dunkelheit. Ich bin ein Wandergeist und schaue mit einem geblendeten Auge und einem sehenden. Sie ist eine Ausgeburt wilder Träume. Vielleicht liege ich noch im Bett, hat der Wecker nicht nach 10 Minuten geklingelt: „Bist Du es Eleonora?“, ist es von mir gefragt und übertönt vom Brüllen Screamin\' Jay Hawkins, einem Propheten des Lebens in leidenschaftlicher Ekstase und völliger Auflösung des eigenen Willens. Dem Wahnsinn bin ich nahe, auf keine Worte zu hören, alles zu überschreien, aus den Tiefen der eigenen verlorenen Gefühle nach Liebe, die nur noch beschworen werden können. Oh Tristess, nimm deine Fesseln von mir und schenke mir diese Frau im wirklichen Leben. Ich will diese Frau haben, ich will sie jetzt. Wollüstiger Eifer überkommt mich, ich packe ihre Brust und sehe ihr direkt in die Augen. Stille Vereinbarung. Nonverbale Kommunikation. Ich verriet mich, still schweigend verriet ich: Ich bin vergeben. Vergebens ihr Wunsch nach meiner Liebe.
Ohne noch ihren Namen zu kennen, hole ich Schwung, stoße sie einmal kräftig mit meiner Hüfte an ihr Becken und wir taumeln im Lichtkegel. Der einzige Weg, der mich von Schritt zu Schritt mit diesem plumpen Weibe im Tanze trägt, ist der des Alkohols. Kein Gleichgewicht mehr, sondern nur die gegenseitige Unterstützung an der aufrechten Haltung. Wir sind Gefangene unserer jüngsten Vergangenheit. Vielleicht würden wir uns nicht leiden können ohne Alkohol, vielleicht sprächen wir vernünftig oder näherten uns mit zarten Komplimenten einander an. Nichts dergleichen, wir sind wie liebende Blinde, die nur den Körper ertasten könne und uns nach Farben sehnen.

Ein Kuss war es und keine Geste, der ihren Freund, mich zu seinem Feind machte. Ihre Lippen trafen auf die meinen, so meine sich nach ihren sehnten. Diese Berührung entlud alles Schmachten. Vorbei die Spielerei mit der Lust, eifrig in das Chaos tauchen.
Kein Gott war mir froh gestimmt, als seine Fäuste auf meinem Körper prasselten. Erst ignorierte ich die Schmerzen und dachte mir, er hat doch einen Grund. Dann sah ich mich liegen auf der Erde. Seine Tritte mehrten meinen Schmerz, den zu unterdrücken mir nun nicht mehr gelang.
Habe ich es verdient?
Er packt mich an den Beinen und zieht mich vor den Tresen. Ich will mich aufrappeln, doch ein anderer Mann stellt seinen Fuß auf meinen Brustkorb. Die beiden bekommen Bier zu trinken und einen Schnaps noch dazu. Mit meinen zuquellenden Augen erblicke ich auch sie, das frivole Weib. Sie hockt auf einem Stuhl und hält sich weinend die Hände vor ihr Gesicht. Blut klebt an ihrem Kleid und an ihren Händen.
Muss ich sie retten? Wo bin ich da nur rein geraten?
Es kommen zwei weitere Männer, die mich ebenfalls malträtieren. Sie scheinen keine Hemmungen zu verspüren auf meine Glieder einzuschlagen. Es tut auch gar nicht mehr weh. Sie reden und trinken, lachen und prosten, bis sie sich entschließen etwas mit mir zu machen.
Das plötzliche Keifen der Frau gibt mir die Kraft, die Augen zu öffnen, die Schmerzen zu ertragen und ihre starken Hände um meine vier Gliedmaßen zu spüren. Was kann sie nur haben? Im nächsten Moment wird es dunkel und als ich die Dunkelheit ertaste, spüre ich Enge um mich, links und rechts ist gar kein Platz. Wir fahren los und ich liege im Kofferraum. „Eleonora. Eleonora, was habe ich nur getan?“
Die Ruhe und Dunkelheit waren es, die mir wieder Kraft gegeben haben und als sie mich aus dem Kofferraum auf die Beine gestellt hatten, tue ich so, als breche ich zusammen. Drei von ihnen müssen mich halten und der vierte stellt sich genau vor mich. Damit haben sie nicht gerechnet! Wütend trete ich dem Kerl vor mir mitten ins Gemächt, reiße mich von den Dreien los und stoße den Kerl hinter mir in den Kofferraum. Den Linken springe ich an und werfe ihn zu Boden, dabei ramme ich ihm mein Knie in den Bauch und er krümmt sich. Der Rechte will mich von hinten anspringen, doch ich bin schneller und er springt auf seinen Freund, ich stehe. Mit aller Kraft trete ich ihm in den Bauch, er rollt zur Seite und krümmt sich ebenso. Ich obsiege und wende mich dem Mann im Kofferraum zu, der sich schon fast wieder gefangen hat. Ohne zu zögern schlage ich ihm mit der Faust ins Gesicht und lasse ihn in den Kofferraum sinken, dann schlage ich die Klappe zu und gucke mich um. Weit und breit kein Mensch zu sehen, wir stehen auf einer Brücke und ich fange an zu verstehen. Ich sollte nicht nur eine Lehre erteilt bekommen, ich sollte verschwinden. Nur wo ist dieses Prachtweib? Ich steige in den Wagen und fahre los.
Langsam finde ich mich zurecht, ich bin Neukölln, unweit der Herrmannstraße und brauche nur diese zu finden und dann wieder in Richtung Westen zurück zur Bar fahren. Das gelingt mir auch und ich halte einfach in der zweiten Reihe direkt vor dem Eingang der Bar. Ich renne hinein und finde sie, tanzend mit einem anderen Kerl. Dieses törichte Weib! Ich stoße ihn weg und packe sie am Handgelenk, um sie hinter mir her aus der Bar zu ziehen. Aber nichts ist so einfach, wie ich es mir wünsche. Sie wehrt sich, sträubt sich mit aller Kraft und schreit laut. Als meine Kraft nicht mehr reicht, um sie auch noch die Treppen hoch hinaus zu ziehen, halte ich inne und schaue sie durchdringend an: „Siehst Du mein Gesicht? Kannst Du es erkennen?“, sie macht sich los und guckt eingeschüchtert auf: „Ja, warum?“
„Ich will jetzt ins Krankenhaus und du kommst mit.“, ich packe sie wieder am Handgelenk, doch diesmal ist sie gefügig und steigt mit mir in den Wagen. Wir fahren zum Urbankrankenhaus und lassen uns behandeln. Sie raten mir, mich röntgen zu lassen, doch ich lehne ab, da die Behandlung zu lange dauern würde und dieses Weib so ungeduldig ist.
„Was willst du von mir?“, will sie wissen, als wir uns ans Urbanufer setzen. Ich schweige und drehe einen Joint. Sie kann kaum still sitzen und will ständig aufstehen, einige Male kann sie es auch nicht an sich halten und muss ein paar Schritte gehen. Ich will ihr keine Antwort geben, denn ausgesprochen klingt die Liebe immer banal und einfältig. Ich kann ihr doch nicht sagen, dass ich mich bei ihr besonders wohl fühle, denn das weiß ich noch nicht, oder dass sie etwas von mir wollte und nicht ich von ihr: Sie hat mich auf ein Bier eingeladen!
Schluss mit den Dingen, die wir elendig machen, wir haben jetzt ein Auto und wir können einen Tag lang machen, was wir wollen. Ich bin vogelfrei!
„Kommst du mit?“, frage ich sie und sie stimmt zu.
‚Einen Tag lang brechen wir auf und sind weg, wir wollen versuchen uns kennen zu lernen und dann sehen wir, ob sich morgen früh unsere Wege wieder trennen oder wir versuchen werden, die alte Welt mit unseren neuen Vorstellungen zu vereinen.’
“Wir nehmen das Auto und fahren in den Norden, an die Ostsee, einen Tag lang am Meer spazieren und Fisch essen, reden und küssen!“, wir müssen einfach schauen, wie die Zeit vergeht. Doch sie lehnt ab.
„Lass uns nicht das Auto nehmen!“, kommt es resolut aus ihr, nimmt den Joint in die Hand, zieht kräftig und fügt hinzu: „Lass uns trinken und mit der Bahn fahren.“, ich finde es einen brillanten Vorschlag und stimme ein.

Im Taumel fehlender Berührungen, bahne ich mir den Weg nach Hause. Zum Abschied stellte sie sich als Sabine vor und ich log: „William“
„Warum habe ich ihr nicht gesagt, dass sie mir gefällt?“, stillschweigend ging ich fort und jetzt fehlt mir ihr Arm an meiner Seite, der mir die Richtung zeigt und mich gelassen dem Rausch verfallen bleiben lässt und nach Hause leitet. Nichts da, volle Konzentration auf den Weg vor mir. Der Laterne ausweichen und nach links den Berg hoch. Am Briefkasten muss ich anhalten, noch einmal kehre ich in mich: „Bett, Bett, Bett“, mein Magen schmerzt und eine Haustür neben mir öffnet sich. Ein Junge mit einem Beutel in der Hand duckt sich unter meinem Ächzen durch und wirft einen Brief ein. Dann rennt er den Berg hoch und ich denke lachend: „Scheiße“.
„Haltung bewahren.“, ich richte mich wieder auf und erklimme den Berg, die Treppen, stehe vor meinem Bett und sehe: Eleonora ist schon weg, ich habe die ganze Wohnung für mich und soll schlafen.
Aber ich will nicht. Etwas in mir verbietet es, den Urlaubstag einfach zu verpennen, einzig weil ich die Nacht gefeiert habe. Zudem noch erfolglos. Ich gehe aus dem Schlafzimmer in meinen Arbeitsraum, mache die Schreibmaschine bereit und den Computer an. Gehe aus dem Zimmer wieder in den unbeleuchteten Flur, schwenke um und drehe mich zum beleuchteten Zimmer. Wieder bin ich geblendet. Vor mir liegt mein karges Arbeitszimmer, mein Schreibtisch blass beleuchtet und trist von grau befleckt, das sich mir der Magen umdreht. Plötzlich überkommt mich wieder der Taumel von der Straße, der Türrahmen genügt jedoch nicht, mich zu stützen. Die Luft schmeckt herb und muffig, ich schürze meine Lippen und muss schneller atmen, Schweißperlen bilden sich auf meiner Stirn, mir ist kalt, denn unerwartet rumort mein Magen derart, dass ich nur noch rennen kann und auf Toilette kotze. Alles muss raus.
So eine Narrheit mit diesem Weib.
Ich schaue aus dem Waschbecken auf in den Spiegel und wiederhole den Satz: „So eine Narrheit mit den Weibern.“
Das Wasser tropft von meinem Gesicht, ich sehe mir in die Augen. Das rechte ist leicht geschwollen und meine Lippe ist dick. Schöne Narben. Spuren des Lebens im Alter und doch nur ein Produkt von Leichtsinn und Alkohol. So ein Narr. Kein Wort zu Eleonora!
Ich fixiere meine Augen und sehe mich, sehe mich richtig an. Angst, ich sehe Angst. Kein Wort zu Eleonora!
Und sehe an mir herunter, richte mein Hemd und putze mir die Zähne; noch einmal das Gesicht waschen und ich bin wie frisch erwacht.
Am Schreibtisch mache ich Musik an, warte auf die Stimmung der ersten Akkorde und nehme dabei vor der Schreibmaschine Platz. Ich muss mich langsam hinsetzen und versuchen die blauen Flecken nicht zu belasten. Behutsam drücke ich die Zentriertaste und schreibe einen mystischen Titel auf, der alles beinhalten wird. Ich schließe die Augen vor dem weißen Papier, lege den Kopf in den Nacken und tauche in eine Sinfonie von Worten, die gepaart erklingen, sich höher heben, fordern, fragwürdig erscheinen und sich vor Bedeutungen verstecken. Auf und ab treiben mich die Buchstaben, Kombinationen und Formulierungen, bis mit einem Mal der erste Satz aufs Papier huscht und kryptisch bleibt. Verwunschen dessen Gehalt, der sich langsam mit den nächsten Seiten entfalten soll. Ich tippe wütig und ungebremst alles hinaus auf die Tasten und in schwarz auf Papier.
Ein Mann stirbt,
kopflos sichtbar weit entfernt,
blutleer und grau,
gefallen oder geworfen
reglos auf dem Rücken …
Bis die Tür aufgeht und Eleonora ins Zimmer kommt. Es tut gut, wenn sie mich bei dieser Arbeit sieht. Vorsichtig betritt sie meinen Raum, die Höhle meiner Schriften. Sie legt ihre Hand in meinen Nacken und fährt hinauf durchs Haar, sieht mir über die Schulter und gibt mir lächelnd einen Kuss. Dieses Mal konnte sie es nicht, sie brach in Tränen aus, wartet keine Erklärungen ab und löst sich in Tränen auf. Ich stelle mich hin, um ihr zu zeigen, dass alles in Ordnung ist. Dabei richte ich sie auf, ihren Kopf an meiner Schulter, kraftlos und schwer. Ihr ganzes Gewicht hängt an ihm und rutscht beinahe ab. Ich umarme sie fest und atme tief durch. Ihre Arme kauern vor meiner Brust, denn sie macht sich winzig, sie versucht sich aufzulösen. Tränen laufen an ihr herab und gelangen bis an meine Haut, da erst spüre ich, dass dort mehr noch ist als die Angst um mich und meine Blessuren.
Plötzlich ist sie ein Wasserfall und heult immer heftiger. Es reicht nicht, sie nur zu umarmen, ich setze mich wieder hin, nehme sie auf den Schoss und sie fällt mir um den Hals. Sie liegt auf mir und ich bekomme meine Nüchternheit zurück. Ich streichle ihr den Rücken und atme gleichmäßig schwer, lege meinen Kopf an ihren und schweige mit ihr. Ihre Nähe schmeichelt mir, ich bin beruhigt, wenn sie da ist, sie geht mir unter die Haut. Unmöglich, dass sie mich hört, aber meine Körperspannung spricht so deutlich von meiner neuen Kraft für sie. Für die Minuten ignoriere ich die schmerzenden Rippen, an die sie lehnt, spüre den spitzen Knochen auf dem Oberschenkel nicht, denn ich bin ein Eiland und will stehen bleiben.
Dann plötzlich sprudelt sie wieder und erzählt mit viel Wut von Marcel, ihrem kleinen Bruder, der ebenso aussieht wie ich und von ihrem Vater verprügelt wurde. Marcel ist ein Downie mit einfachem Gemüt und für jeden ein Lächeln. Seine Nase sei gebrochen und zwei Finger verstaucht, überall habe er blaue Flecke und Kratzer, aber er empfing sie fröhlich und lächelte beim Abschied. Nur vom Vater sprechen ließ er nicht zu, schrie dann auf, hielt sich die Ohren zu und brüllte stoisch weiter: „Nein.“
„Was soll er denn, was kann er denn?“, will sie wissen und ich schließe die Augen, ich werde schwach, ihr Gewicht rutscht ab und auf meinen Bauch.
Unerwartet stoße ich auf, kann es noch zurückhalten und stoße Eleonora unsanft von meinem Schoss. Mein rechtes Bein lahmt und ich humpele zur Toilette, renne den langen Flur entlang und stolpere, das eingeschlafene Bein gab nach, ich stürze auf die Knie und kotze drauf los. Galle, erst ein paar Essenreste, aber dann grüne Galle. Ohne mich aus dieser Verkrampfung lösen zu können, zittere ich vorgebeugt auf meinen Händen, die Schultern sind steif, der Mund speioffen, der Rachen schleimig, mein Hals würgend und ein immer währender Druck aus dem Rücken auf meinen Hinterkopf, macht es mir unmöglich den Kopf zu heben oder mich zu bewegen.
Bis sie kommt, an mir vorbei geht und auf mich herab schaut. Doch sie fängt noch schlimmer an zu weinen. Ich will mich aufrichten, schaffe es nur den linken Arm zu heben und falle beinahe bäuchlings in mein Erbrochenes. Jämmerlich verjage ich sie wehklagend.
Vorbei. Der Druck in meinem Nacken ist weg, ich lasse den Kopf hängen, es schmeckt bitter. Ich vermeide es zu schlucken, bis der heilsame Schleim der Tränendrüsen langsam die Nase und den Rachen runter läuft. Mir steigt die Trauer zu Kopf und ich kann nicht anders als weinen. Die unfreiwillige Bankstellung zum Kotzen löse ich auf und setze mich zurück auf die Beine, heben meine Hände vor die Augen, ziehe die Nase hoch, wische mir den Rotz am Ärmel ab und heule lauthals. Wie kann sie mich jetzt allein lassen? Mit dem ganzen Oberkörper klage ich laut aus, hebe die Arme gen Decke und rufe sie: „Eleonora, Eleonora.“, dass mit einem Mal die Tür ins Schloss fällt. Sie ist aus der Wohnung und aus dem Sinn. Ich kippe zur Seite und pralle gegen die Flurwand. Dort komme ich zur Ruhe, egal wie ungelenk ich liege, ich bin schwach und krank, ich kann nicht mehr weiter. So allein wollte ich nie sein. Ich wollte doch für sie da sein.
Sie geht und ich träume. Ich friere, jammere unter dem Schmerz in meinem Nacken, kann kraftlos die schiefe Haltung nicht auflösen und schlafe notgedrungen weiter.
Frische Luft, ein Luftzug durch den Mief um mich. Die Küche erscheint durch den Türspalt in einem warmen Rot vom Sonnenuntergang, wieder bin ich einen Tag älter und dieser eine Tag war Urlaub. Vogelfrei war ich mal. Aber ich muss aufstehen, so kann es doch nicht weitergehen. Nur gelingt es weder im ersten Versuch, noch im zweiten. Wie gelähmt kauere ich in der schiefen Haltung, mein Kopf ist eingeschlafen, der Nerv hinab ist abgeklemmt und ich bin gefangen in einem Körper, der nicht kann, was ich muss. Aufstehen - kann er nicht; schreien - nur flüstern; ich suche panisch mit den Augen nach Hilfe, an die ich nicht ranreichen brauche. Warum muss sie mich jetzt allein lassen? Unweigerlich fange ich wieder an zu weinen und verschlucke mich an einem Kropf, erschrecke unter Luftmangel, der Reflex scheint zu fehlen, setzt nicht ein, keine Luft, es rutscht nicht, hebt sich nicht. Ich versuche die Arme zum Hals zu heben, nichts passiert. Bis … Husten, mit einem Mal prustet mein ganzer Oberkörper mit Ruck aus den Schultern und dem Bauch kräftig aus und ich falle vorwärts. Befreit, alles kribbelt, meine Finger, mein Rücken, mein Penis. Ich atme heftig, weine und spucke jeden Rotz und Speichel aus, um mich nicht zu verschlucken. Eine halbe Stunde liege ich so, befreit. Um mich ist es dunkel, ich fühle mich schmutzig und elend. Schluss mit den Dingen, die mich elend machen. Denn unsicher komme ich auf die Beine, mache Licht im Flur und säubere den Fußboden.
Dann bin ich an der Reihe. Mir steht ein rauer Bart, meine Augen sind glasig und blass, mein Atem faulig und mein Magen flau. Aber ich stehe wieder, endlich durchatmen, den Abend anders verbringen, aber nicht kränkelnd und reuig im Bett. Ich will den faulen Schlaf verschmähen. Hunger, ich habe Hunger.

Zwei Tage später traf ich sie wieder, sie war ganz in gelborange gekleidet und schaute mich sanft an. Sie stand mir auf dem Weg nach Hause an der Haustür gegenüber und hielt einen braunen Umschlag in der Hand. Im Schlafzimmer zog ich sie behutsam aus und küsste ihre Finger. Legte sie mir zur Seite und streichelte ihren Bauch. So nackt plagte mich das schlechte Gewissen. Wieso versteckte ich nur ständig meinen Blick, lächelte verlegen und zog jede Bewegung zurück, die sie nicht aufnahm. Bloß nicht wehtun.
Wir werden ein Kind bekommen, ich bin überglücklich, freue mich und weine. Aus mir bricht die Verzweiflung der kalten Stunden im Flur. Der Verlust von Vertrauen, die Hilflosigkeit, dem Tod so nah und allein.
Sie sei davon gelaufen, weil über ihr alles zusammengestürzt sei. Die freudige Nachricht der Mutterschaft am Morgen beim Arzt und beinahe schwebend zur Familie als Botschafterin des Lebens, fand sie Marcel blutig liegend, lächelnd, sie zu sehen und über ihm der betrunkene Vater mit Gürtel in der Hand. Nach der Flucht, mit Fassung für mich, kam sie in mein Zimmer und ich beruhigte sie, gab nach und spie dann im Flur mein Leben aus, stinkende Galle und alkoholische Überreizung.
Wieder Flucht. Sie ging zu ihrer Oma nach Neukölln und kurierte sich aus.
„Das Kind will ich zufrieden und glücklich in mir wachsen lassen.“, sagte sie mir und küsste mir die Finger. Sie verbot mir die Gebärden, den Mund und ich verstand mehr und mehr die Bedeutung ihrer Worte. Mit der Ruhe von ihr finde ich neuen Halt, ich werde Vater und sie Mutter. Ich streichle wieder ihren Bauch und küsse sie am Oberarm, mein Kopf liegt auf dem Kissen daneben und ich schaue zu ihr auf. Ihr Gesicht zeugt von einer Gelassenheit, die an Dummheit erinnert, beinahe blöde schaut sie daher und fixiert nichts. Ich mache mir Sorgen um sie, doch schlucke die bitteren Gedanken runter und schließe rasch die Augen davor. Besser ich drücke mich fester an sie, sie bekommt Halt bei mir, ich werde stehen! Einem Felsen gleich, wuchtig und beständig. Mürbe macht mich nur die Dunkelheit, die mich umfängt.

Ich stehe auf und strecke mich, die Beine, die Arme empor und meinen Bauch, ich werde nicht zu träumen brauchen, ich klettere an den Wänden meiner Fantasie empor und schreibe alles auf, was ich zu sehen bekomme. Mit den Worten werde ich die Bilder neu konstruieren, alles, Wort für Wort neu erbauen, Strich um Strich neu zeichnen und ihr zu Füßen legen. Einen Bilderwald in der wüsten Einöde dieser Wände, dieser Stadt, dieser Menschen werde ich schaffen. Geschöpft aus meinen verwunschenen Sphären für mein Kind. An ein Wunder wird sie glauben und vor Freude strahlen. Meine Bilder in Worte gefasst und dieses gesunde Kind aus Fleisch und Blut. Kann es nicht schon Tag sein? Alles verkauft und erfolgreich vermarktet mit meinem Namen.
Die Sonne strahlt durchs Fenster, sie ging nicht einfach auf und es herrscht reges Treiben im Schlafzimmer. Denn Eleonora packt ihre Sachen in mehrere Taschen und weint. An der Wand steht ein kleiner Babykorb, der unrhythmisch wippt. Langsam nehme ich die Arme herunter und Eleonora wendet sich mir zu: „Du kannst nicht einfach schlafen, wenn das Baby weint, Du musst aufwachen!“
„Was ist passiert?“, will ich wissen und steige vom Bett herab, lasse die Arme kraftlos hängen und werde traurig, denn ich verstehe nicht recht, saß sie nicht eben noch im Bett. Sie sieht mich nicht an und rennt ständig von der Kommode oder dem Kleiderschrank zu den Taschen, doch endlich schaut sie kurz zu mir und ich kann fragen: „Verreist Du?“, will ich scheu wissen.
„Ob ich verreisen will? Du bist gut, ich gehe weg!“, sie wirft ein paar Socken in die Tasche und wirft mir mit einem bitteren Unterton vor: „Was hast Du eigentlich die letzten Monate so gemacht? Hast Du nicht bemerkt, wie ich mich darauf vorbereitet habe?“, sie schüttelt dabei den Kopf und geht wieder zur Kommode, „Du bist ständig naiver und kindischer geworden und jetzt stellst Du mir so eine saublöde Frage.“, sie stößt kräftig eine leere Lade der Kommode zu und wird laut: „Sag mal, träumst Du in Deinem Kopf den ganzen Tag oder sind es die Drogen, die Dein Gehirn aufgeweicht haben?“, wobei sie traurig wird und die Schultern hängen lässt.
„Du bist wütend auf mich, was hab ich denn gemacht?“
„Gemacht? Das ist jetzt so was von egal!“, sie bleibt zwischen Kommode und Taschen stehen, hält ein paar Sandalen in der Hand und einen Schal: „Ich denke, es wird besser sein für Oskar.“
„Du willst einfach weggehen?“, stelle ich fest.
„Nein, ich bleibe in der Stadt“, packt die Sandalen und den Schal weg und zieht den Reißverschluss zu, „wir werden uns sehen und Du kannst Oskar besuchen.“, sie dreht sich zu mir und tritt ganz nah an mich heran, lächelt mild und küsst mich auf den Mund. Ich verstehe nicht und lasse es einfach passieren. Ich schmecke intensiv ihren Duft, ein mandelig salziger Geschmack auf ihren Lippen und leicht minzig ihr Atem. Ihre Lippen sind weich und umschließen immer wieder meinen Mund, ich küsse sie wider und schließe die Augen. Es ist ein Spiel für mich und ich hole schnell tief Luft, raube ihr den Atem und sie schreckt zurück: „Du Rüpel.“, sie wischt sich mit dem Handrücken über den Mund: „Dafür mochte ich Dich ja, aber Du bist kein Mann, Du warst ein Unterhalter.“, gibt sie hart hinterher und schneidet mich mit den Augen.
Ich bin irritiert und beleidigt, sie verletzt mich zutiefst und geht wieder zu ihren Sachen, wartet nicht auf meine Reaktion oder ein Wort, wendet mir einfach den Rücken zu. Sie hat mich doch eben noch geküsst und dann so was.
„Und jetzt will ich Dir mal was sagen …“, fängt sie ohne mich anzusehen an, dreht sich mit den Worten um: „… das hier eben …“, hebt ihren linken Arm, zeigt mit dem Zeigefinger auf mich und lässt dann die Hand kraftlos am Gelenk herabhängen. Sie stellt sich auf das rechte Bein, dreht das linke zur Seite und mit gehobenen Augenbrauen neigt sie den Kopf leicht vor: „war nur die Show, die Du immer mit mir abgezogen hast, nur diesmal tue ich Dir weh.“, sie hält beim letzten Wort inne, senkt den Blick und steht still.
Was habe ich ihr nur angetan?
Langsam steigert sie sich in ein Schütteln des Kopfes und schaut dann auf: „Du mieser Halunke, kannst jetzt nichts sagen, stehst stumm da, gebärdest nicht, hebst Deine Arme nicht, machst den Mund nicht auf, denkst nur blöde vor Dich hin, was auch immer Du gerade in Deinem Kopf ausbrütest, es ist naiv und ungehobelt. Ich will mein Kind nicht von Dir groß ziehen lassen, er soll normal aufwachsen und einen Vater haben, zu dem er aufschauen kann und nicht noch auf tollere Dummheiten gebracht wird.“, jetzt aber reicht es mir.
Ich Platze aus meiner regungslosen Gelassenheit der Resignation über ihre Worte raus und schlage sinnlos um mich, brülle, schnappe mir die Bettdecke und werfe sie über das Bett, stemme die Matratze aus dem Bettgestell und kippe sie hinten über, dabei gehen ein Glas und der Wecker zu Bruch. Ich brülle noch lauter und packe das Bettgestell samt Rost und höre sie kichern. Das kann doch wohl nicht stimmen, sie kichert einfach und ich werde rasend, lasse vom Bett ab und richte mich auf. Überall an mir zucken die Muskeln, ich bebe und zittere überall und sehe sie wütend an. Sie hat keine Angst, sie steht nur da und wartet, sie wartet und wartet und ich kann nicht mehr und schaue mich hastig um. Wenn sie geht hat hier nichts mehr wert für sie. Kurzschluss.
Ich stürze plötzlich auf den Babykorb zu. Sie schreit und springt mich von hinten an. Ihr ganzer Körper wiegt schwer auf meinem Rücken und ihre Arme drücken meine an den Oberkörper, sie hakt die Finger vor meiner Brust zusammen und zischt dröhnend in mein Ohr. So halb auf einem Knie und die linke Schulter an die Wand gestemmt, atme ich unter zugeschnürter Brust schwer ein und aus und sie entführt aus ihrem beständigen Zischen Sekunde um Sekunde den drohenden Ton aus meinem Kopf. Zurück bleibt ein einlullendes und sonores Summen: „Du liebst Oskar, vergiss das niemals!“, und ich war geheilt.
Schweres Blei läuft mir die Kehle hinab und drückt meinen Magen zusammen, die Kraft ist noch da, die Wut ebenso, ich will weiterhin alles zerschlagen, mich zum Teufel schicken, wenn doch nur nicht diese Liebe wäre. Alles kann sie mir nehmen, aber nicht die Liebe. Einzig und allein sie ist es, die all ihr Wesen äußerlich mit viel Entzücken trägt. Ihr schiefer Mund, die breite Nase und ihr kräftiges Haar. Ihre Schultern repräsentieren so deutlich ihre Durchsetzungskraft und ihre Brust und ihr Becken machen sie so natürlich zu einer guten Mutter.
Sie braucht mich nicht. Das war mir von Anfang an klar, aber warum geht sie so urplötzlich. Ich schließe die Augen und will raus hier, die Wut wächst weiter, Platzangst, kein Luft und ich drücke mich aus dem Knie aufrecht, sie hängt an mir, bindet meine Arme fest an meinen Oberkörper, ich schüttle mich und sie bleibt an mir hängen. Ich brülle mit halber Kraft, will rückwärts laufen und sie gegen die Wand stoßen, doch da wird es schwarz vor meinen Augen und nichts passiert. Ich mache die Augen wieder auf, schwanke und sinke dann zusammen.
Sie drückt mir weiterhin die Luft ab: „Bist Du wieder bei Sinnen?“, ich nicke und lasse alles sausen. Kein Zorn, keine Liebe, keine Kraft.
Ich brauche Hilfe, ich kann nicht … sie bietet mir Halt. Ich kauere mich vor ihrem Schoss zusammen und lege meinen Kopf an ihre Brust. Sie streichelt mein Haar und weint. Ich bin ganz still und möchte kaum atmen, denn nie zuvor habe ich sie so verzweifelt weinen hören. Es dringt quer in mein Gehör ein und klemmt sich hinter meinen Gaumen, kriecht den hinteren Rachen runter und ich schlucke eine Luftblase, die sich langsam im Magen Platz schafft. Ich vergrabe mich noch mehr an ihrem Körper, ziehe die Beine noch fester an den Bauch und reibe meinen Kopf an ihrer Brust, presse mein Ohr dagegen und lausche ihrem Herzschlag. Unendliche Stille umfängt mich für einen Bruchteil einer Sekunde, wie ein Blitz, der mich weckt.
Ich schrecke auf und sehe an mir herab, schaue an ihr auf und bin glücklich und beruhigt, denn sie trocknet mit einem frischen Lächeln ihre Augen und Wangen.
„Du bist wunderschön.“, sage ich und hebe meine Hand an ihr Gesicht, sie nimmt sie und ich wische mit meinem Daumen ihren Augenschatten trocken. Sie sieht mir lang in die Augen und holt dann ein Taschentuch aus der Hosentasche. Sie muss es mit beiden Händen ausfalten und schnäuzt sich dann lebhaft lachend.
„Du willst nicht, dass ich gehe, ich weiß, aber lass mich mit Oskar ein wenig Abstand von Dir nehmen.“
Oskar. Ja so ist sein Name.
‚Wieso nur nicht mit mir?’
Ich stehe auf und gehe in die Küche um Kaffee zu kochen, hole Brot aus dem Brotkasten und schneide ein paar Scheiben ab. Das Messer fühlt sich mysteriös gut an, es liegt gut in der Hand und stößt durch den Laib Brot wie durch Butter. Ich lege es beiseite, es blinkt im Sonnenlicht kurz auf und ich lege die Scheiben Brot in den Korb auf dem Tisch. Hole alles Nötige aus dem Kühlschrank und decke Besteck und Schneideunterlagen auf. Wieder blendet mich das Brotmesser, ich nehme ein Küchenhandtuch und wickle es darin ein. Es verschwindet hinter meinem Rücken. Dann setze ich mich an den Tisch und warte auf sie.
Was kann ich noch erwarten, ich bin verloren in meiner eigenen Zeit und schaffe es nicht sie zu beschleunigen oder anzuhalten. Kein Wort habe ich auf das andere gesetzt, kein Bild neu konstruiert oder beschrieben. Hab mich eingeschlossen in meinen Raum, hab mich nicht um ihre Rufe geschert und allein in meinem Raum mich versteckt hinter gekritzelten Worten, die doch nur gerade aus mir sprudelten und nichts Großes fortführten oder anfingen. Immer nur das, was gerade auftauchte aus den grauen und tristen Tiefen meiner unbewussten Neigungen. Ich gestehe mir diese Dinge ein, aber ich kann sie mir nicht verzeihen. Ich erwarte nichts und jetzt hoffe ich auch nichts mehr. Oskar geht, kaum dass er da ist.
‚Sie hat ja Recht, ich kann ihm kein Leben bieten, ich richte mich zugrunde und ziehe alles um mich herum runter. Nie werde ich ein Mann sein, der für eine Frau und ein Kind sorgen kann!’
Eleonora kommt in die Küche und erhellt sie mit ihrem Schmunzeln: „Kaffee, schön.“, und setzt sich mir gegenüber. Dieser Platz ist nicht gedeckt, denn sonst sitzen wir bei Tisch über Eck. Sie nimmt sich das Gedeck und den Kaffee von ihrem Platz, zieht alles zu sich und nimmt eine Scheibe Brot aus dem Korb in der Mitte des Tisches. Da erst schaut sie auf und kreuzt zum erste Mal meinen Blick, seid sie in der Küche ist. Dabei zieht sie den rechten Mundwinkel hoch und schaut tückisch. Ich spüre, dass ich weder Hunger noch Appetit habe und schiebe alles vor mir fort, verschränke die Arme und lege sie auf den Tisch, um dann meinen Kopf drauf zu legen. Mit dem Hintern rutsche ich auf dem Stuhl zurück an die Lehne und spüre das Brotmesser hinter mir liegen. Ganz ruhig schließe ich die Augen, denn ich will sie provozieren, etwas zu sagen, aber sie isst genüsslich weiter vom Brot und trinkt Kaffee.
„So wie ich mich verhalten habe“, fange ich dann doch an vor mir her zu reden, ohne sie anzuschauen, ohne dass sie etwas verstehen wird: „war nicht so, wie ich bin, sondern, wie ich hoffte es für Dich gut zu sein.“
Ich will mich aufrichten und ihr in die Augen schauen, ihr noch mehr sagen, doch dann rede ich einfach weiter vor mir her: „Ich hasse mich. Ich bereue die Dinge, die ich gedacht und getan habe. Oskar ist das Beste, was ich je zustande gebracht habe. Wenn er weg ist, bin ich ein Nichts und kann mich in mein Grab legen.“, sie ist still und isst. Da setze ich mich auf und warte nicht, bis sie aufschaut und mir von den Lippen lesen kann oder überhaupt registriert, dass ich rede: „Sie ist es, sie macht mein Leben zu einer Sackgasse, sie führt mich in die Dunkelheit der einsamen Pfade zwischen den Realitäten meines Lebens und der Träume. Ich bin Vater geworden und freue mich auf die ersten Worte, auf die ersten Schritte und Berührungen von Oskar. Wenn er Hilfe sucht und mich antippt, wird er kein Wort sagen müssen, ich verstehe ihn und …“, ich weine leise, „sie will das nicht wahr haben.“
Sie steht ohne ein Wort gesagt zu haben vom Tisch auf, lässt eine angebissene Stulle liegen und ich stehe auch auf. Diese Frau kann ich nicht gehen lassen!
Ich greife hinter mich, nehme das vom Tuch eingehüllt Messer und gehe ihr bis zur Küchentür nach. Dort bleibe ich stehen und mit vorgebeugtem Oberkörper linse ich vorsichtig um den Türrahmen durch den Flur. Sie geht gerade ins Zimmer und ich presse das in Tuch eingehüllte Messer an meine Brust.
„Eleonora.“, stammele ich vor mich hin, umklammere mit beiden Händen das Messer, ohne den Griff zu halten. „Eleonora.“, und ich fange an zu weinen. „Eleonora“, und sie tritt aus dem Zimmer in den Flur. Immer schneller flüstere ich den Namen vor mir her und als ihre Schritte ganz nah sind, denke ich an Oskar und richte das Messer vor meine Brust, stelle mich ihr direkt in den Weg auf dem Flur. Das Messer liegt auf meiner Hand vor meiner Brust, die Klinge verhüllt durch das Tuch und lasse Eleonora auflaufen. Ihr Schwung gibt meiner Hand Hilfe, die nur das Messer gerade hält und den Druck ausrichtet. Mit dem plötzlich Ruck, den ich so unverhofft für Eleonora provoziert habe, dringt die Klinge in die Brust ein. Eleonora ist vom Aufprall schwer getroffen, denn die Klinge musste an meinen Knochen vorbei und trifft eine Ader vom Herzen weg. Herzblut färbt das Tuch um das Messer, ich schaue hinab und dann langsam zu ihr auf, die völlig verrückt zurückweicht und anfängt zu weinen. Die ganze Kraft schwindet aus ihr, wie aus mir. Sie sackt ebenso in den Knien zusammen und bleibt mir gegenüber auf dem Boden sitzen und wimmert. Ich habe den Griff des Messers unlängst los gelassen und es hängt schwer in meiner Brust. Mir wird kalt und nichts tut mehr weh. Die Kraftlosigkeit wird zu einem Gefühl der Schwere in meinen Gliedern, die Arme sind beinahe taub, die Beine aus Stein und ich bekomme kaum noch Luft. Mein Mund ist trocken und ich spüre dennoch, dass mir unkontrolliert Speichel aus dem Mundwinkel läuft. Die Augen fallen mir zu und ich muss sie mit viel Mühe öffnen, um Eleonora noch einmal zu sehen. „Ich war nicht einmal Manns genug, das Messer selber in mich zu stoßen, vergib mir.“
 



 
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