Die Liebe zwischen Karl und Annegret, eine frühe Cyberspacegeschichte

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Zarathustra

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Eine tragische Liebesgeschichte.

E - Mail for you! Wer kennt das nicht,
das virtuelle flirten via Mediengigant AOL!
Und das zu einer akzeptablen Flat - Rate?
Dieses Thema gibt so viel her, dass sich sogar Hollywood engagierte; ein gar nicht mal so schlechter, abendfüllender Spielfilm kam dabei heraus.

Was macht den Reiz aus?
Blind date?
Die Anonymität;
der Zufall?
Keiner ahnt, wer mit wem?

Das spielt wohl alles eine Rolle; - aber was gibt der Sache den absoluten Kick?

Womit kann man die Zuschauer fesseln, sie begeistern, - sie so direkt ansprechen, dass sie mit dem Plot eins werden, - und wünschten, so etwas auch einmal zu erleben?

Vielleicht der Hintergrund der Story:
Sich im Leben bekämpfen bis aufs Blut,
aber beim ersten Kontakt im Internet funkt es total.
Oder aber, die Beziehung
- ganz ungewöhnlich -
zuerst auf das Wesentliche, die inneren Werte konzentrieren,
später dann, ab einer gewissen Reife
lernt man das kennen, was doch offensichtlich jedem das Wichtigste ist:
Sieht er gut aus,
Ist sie blond?

Hört sich an wie ein glatt geschliffenes Romantikmärchen,
das nur im Cyberspace – Zeitalter möglich ist.

Weit gefehlt!
Alles schon mal da gewesen!
Ihr glaubt es nicht; -
na, dann nehmt euch doch 10 Minuten zeit:
Wenn sich meine Geschichte auch etwas anders verhält als das Cyberspaceflirtung unserer Tage, so sind doch einige Muster gleich.

Der Mensch ändert sich nicht so sehr, wie wir oft meinen!
Und wenn ich auch nicht Hollywood bin,
die Geschichte, die ich zu erzählen habe, lohnt sich allemal:
Ich erzähle euch heute eine Liebesgeschichte die sich so um 1915, also fast zu Urgroßmutters Zeiten abgespielt hat.
Und glaubt mir, es ist mir nicht leicht gefallen, diese Geschichte dem Vergessen der Vergangenheit zu entreißen.

Meine Großtante, die schon seit fast 30 Jahre im Himmel ist, - würde sich mit absoluter Sicherheit dafür verbürgen, dass sich diese Geschichte so und nicht anders zugetragen hat.

Für den Ort dieser Handlung,
- versetzt ihr euch bitte in das fränkische Hopfenanbaugebiet zwischen Spalt und Großweingarten.

Die Kleinbauern dort, mussten sich ordentlich abstrampeln um in den wirtschaftlich unsicheren Zeiten über die Runden zu kommen. Der Hopfenpreis war im Keller und das wenige Bare war in fragwürdige Kriegsanleihen investiert.
Armut war nicht die Ausnahme, sondern eher die Regel.

Einfach, ehrlich und bescheiden lebten die Menschen zu jener Zeit; – meist 3 Generationen unter einem Dach und mit der Not auf du und du.

So wurde es mir als Kind erzählt!

Darum wunderte es mich immer sehr, dass meine Großtante – nennen wir sie ruhig Annegrete – es zu einem bescheidenen Wohlstand gebracht hatte.

Ein Plüschsofa,
zwei Ohrensessel,
einen Kaffeetisch mit Häkeldeckchen,
eine Pendeluhr mit Schlagwerk
und eine dunkel gebeizte Kommode mit geschliffenen Glastürchen; -
und das alles dekoriert mit Devotionalien aus Altötting und Maria Elend.

Ich stimme euch ja zu:
Das ganze riecht sehr nach Biedermeier und Mottenmief –
so als währe die Zeit einfach so stehen geblieben.

Mag sein.
Ich habe diese Stimmung immer geliebt.
Es war ein Stück meiner Kindheit.

Der Zopfkuchen zum Kaffee
dann, nach dem Likör -
der würzige Zigarrenduft der sich langsam wie eine Gewitterwolke um den Kopf meines Vaters zusammenbraute, um sich dann ein- für alle mal und für alle Zeiten – in den Stores und Vorhängen der guten Stube festzusetzen.

Das war genau jene Stunde, in der Großtante Annegrete laut aufseufzte, die Hände vor der Brust verschränkte und die tragische Liebe ihrer Jugend erzählte.

Alle Verwandten waren still,
sogar die Onkels, die immer lauthals politisieren mussten …
die Tanten die pausenlos tratschten ….
und wir Kinder; - ungezogen und vorlaut wie wir waren ….

Sogar die Wanduhr hörte man ticken…
Ein letztes Mal prüfte sie den korrekten Sitz ihres Haardutts und legte sich für alle Fälle ein weißes mit Spitzen besetztes Taschentuch bereit.

Dann erzählte Sie:
Karl war bloß der jüngste Sohn des Karrenschmiedebauern.
Er hatte keine Erbschaft zu erwarten.
Aber er war ein braver Kerl; etwas still, – im Umgang mit anderen Menschen ungelenk, - aber durch und durch zuverlässig.
Darum hat der Hopfschuster seinen Herzen einen Stoß gegeben und den jungen Karl als Lehrbub angenommen.
Dass sein Vater kein Mahlgeld für die Ausbildung zahlen konnte, ärgerte ihn zwar, - aber dafür war sein Karlchen, wie er immer sagte, bei der Kundschaft gut gelitten.

Nach dreieinhalb Jahren hatte der Karrenschmiedekarl ausgelernt.
Der Hopfschuster war froh darum.
Die Gicht machte mittlerweile schwer zu schaffen.
An das Absteppen der Ledersohlen war nicht mehr zu denken.
Ohne Karl, seinen tüchtigen Gesellen müsste er seine Werkstatt schließen.
Schade eigentlich, dass ich keine Tochter mehr habe,
das währe was für mich,
für Karl … und überhaupt.

Leider hat um die Jahrhundertwende die Lungenschwindsucht das Hopfschusterlieschen schon im zarten Alter von 12 Jahren dahingerafft.

Immer im Herbst, wenn das Hopfenzupfen zu ende ging, ein paar Doppelzentner an den fahrenden Juden verschachert waren, saß auch das Geld bei uns ein bisschen lockerer.
Es wurde nächtelang gerechnet, kalkuliert und das Für und Wider der notwendigen Anschaffungen abgewogen.
Aber es dauerte bis in die Karwoche hinein, bis mein sparsamer Vater mein Betteln erhörte:
Mit 21 Jahren sollte ich mein erstes Paar richtige Frauenschuhe bekommen!

Keine neuen, - du meine Güte –
nein, die ausgetretenen Stiefelchen meiner Mutter, die mit den Messinghäkchen für die Schnürsenkel, die sollte der Schusterkarl
aufdoppeln,
neu besohlen
und die Löcher ausfüttern.

Ich freute mich wie eine Schneekönigin.
Jetzt könnte ich auch, wie die anderen Mädchen zum Maitanz gehen gehen.

An einem Samstagnachmittag kam Karl vorbei, zum Maßnehmen.
Er war ein ganz netter Kerl.
Ruhig und wortkarg.
Der schwarze Schnurrbart wirkte ein wenig streng.
Schade; - für mich hatte er keine Augen,
nur für die schwarzen, schäbigen, ausgelatschten Schnürstiefel meiner Mutter.

„Das kriegen wir schon hin, gnädiges Fräulein“,
war fast schon alles was er sagte.

Mein Vater stand natürlich die ganze Zeit dabei.
Nie hätte er mich mit einem so schneidigen Mannsbild alleine gelassen.
Das schickt sich nicht!

Kommenden Dienstag dann, traf ich den Karl auf der Dorfstraße:
„Habe die Ehre, gnädiges Fräulein“, grüßte er schüchtern und zog seine Mütze vor mir.
Ich blinzelte ihm nach,
auch er drehte sich um,
lächelte
und verschwand in seiner Werkstatt!
hinter einer staubigen Glasscheibe mit
Aufschrift:
Leopold Hopfschuster:
Herren – Damen – Kinderschuhe,
Lederarbeiten in Maßanfertigung.

Ich versuchte verstohlen durch die Scheibe zu gucken; aber Karl konnte ich nicht mehr entdecken,
zu duster war es drinnen in der Schusterei.

Vor der Türe durfte ich mich auch nicht zu lange Türe aufhalten, was sollten die Leute von mir denken?

So musste ich armes Mädchen, liebeskrank wie ich war – noch endlos lange Tage warten, bis der schneidige Schusterkarl wieder zu uns kam; -
am Karsamstagmorgen; -
meine eleganten Schuhe brachte er mit.
Wunderbar schwarz glänzte das Leder, als der Karl sie gegen das Licht hielt.
Liebevoll stellte er sie vor einen Schemel:

„Aber hoch verehrtes Fräulein, warum probieren sie die Schuhe nicht an,
gefallen sie Ihnen nicht?“

Ich aber schaute bloß den Karl an,
in seine braunen Augen,
und bekam kein Wort heraus.
Es war mir, als hätte ich eine ganze trockene Semmel im Mund und müsste sie in einem herunterschlucken.

„Denken Sie sich nichts Herr Karl,
die träumt halt noch vor sich hin, das Kind!“

So war er mein Vater,
er merkte gar nicht, wie es um mich stand!

Sehr stolz war ich auf meine Schuhe.
1 RM und 6 Pfennige hat meinem Herrn Papa der Spaß gekostet.
Und ich musste dem Karl das Geld in die Hand zählen und dann quittieren.

Mein Gott, wie mein Herz mir bis zum Halse schlug.

Am späten Nachmittag, noch vor der Ostermesse, kam der kleine Rupert, der neue Jungstift der Schusterwerkstatt bei uns vorbei,

„Ich hätte etwas abzugeben, fürs gnädige Fräulein,
vom Karrenschmied sein Karl, … und frohe Ostern auch!“

Vor Glück hätte ich in die Luft springen können.
Ein lieber Ostergruß,
stand auf dem bunten Einwickelpapier mit der blauen Schleife.
Karl hatte sich in Unkosten gestürzt und mir ein Schokoladenei gekauft.
Aus der Konditorei, sogar!

Stolz trug ich das Geschenk in unsere Stube,
und drapierte es auf einen Ehrenplatz unserer Kommode.

Viel zu kostbar um es auszupacken,
viel zu teuer um davon zu naschen.

Nun, der Ostersonntag ging vorbei, in warmer, mädchenhafter und verträumter Glückseligkeit.
Am Ostermontag in der Frühmesse sah ich den Karl dann oben auf der Empore stehen, traute mich aber nicht ihm zuzublinzeln.
Vater und Mutter beobachteten mich doch die ganze Zeit.

Nach der Osterwoche, bis hin zum weißen Sonntag hatte ich viel zu tun und kam auf andere Gedanken.
Als Ehrenjungfer durfte ich im weißen Kleid und mit meinen neuen Schuhen die anderen Mädchen des Dorfes in die Kirche, - zur ersten Heiligen Kommunion führen.

Karl konnte mich nicht übersehen, mit meinem Jungfernkranz.

Aber ich war enttäuscht.
Der Karl war nicht in der Kirche!
Das war doch gar nicht seine Art.

Mir blieb nichts anderes übrig, als nach ihm zu fragen.
Ein Vorwand würde sich schon finden.

Gleich am Montagmorgen ging ich zur Schusterei.
Mir zitterten die Knie als ich vor der Tür stand.
Sollte ich, oder sollte ich nicht?

Doch was blieb mir anders übrig?
Ich schnaufte einmal tief durch und betrat die staubige Werkstatt.
Es war nur der alte Meister da.

„Womit kann ich dienen, junges Fräulein?
Sie schauen so streng drein!
Sie haben doch nichts zu reklamieren, oder?“

Nein, nein, antwortete ich schnell, ich wollt mich nur beim Herrn Karl bedanken für die schönen Schuh’; - ist er gar nicht da?

Eindringlich sah mich der alte Hopfenschuster an.
Der Karl, der hat sich aus dem Staub gemacht.
Schon gestern, tut mir leid.
Den Kriegswerbern in Ansbach ist er auf den Leim gegangen,
hat sich anwerben lassen von denen.
Wird wohl nimmer kommen, zu uns nach Großweingarten.
"Er wird mir fehlen“, brummte der Schuster.

Mich hat auf der Stelle der Schlag getroffen.
Zum Militär, der Schusterkarl?
In den Krieg, gegen die Franzmänner?
Ich konnte die Welt nicht mehr verstehen.

Heulend lief ich nach hause und vergrub mich unter die Kissen;
ein paar Tage lang, bis mich die Strenge meines Vaters in die Wirklichkeit zurückholte.

„Jetzt ist Schluss mit Liebesleid,
jetzt wird wieder was anständiges gekocht!
Weiberleut, dumme!“

Zuerst Monate, dann Jahre gingen ins Land; - ohne Nachricht vom Karl!
Kein einziges Wort.
Die Wunde verheilte, schmerzte aber weiter.

Im Winter 1917/18 war es,
dass wir in der Stube einen neuen Kohlenofen bekommen sollten!
Die Kommode musste verrückt werden.
Die Gläser und das Geschirr hatte ich schon verpackt,
da hielt ich plötzlich das Osterei vom Karl in der Hand:

„Ein ganz lieber Ostergruß…“

Sollte ich jetzt vielleicht ….
Nein, der Schuft! Der Liebe!
Wieder brach ich in Tränen aus.

Die Schokolade war bestimmt schon weiß und schimmlig geworden!
Aber trotzdem, ganz vorsichtig verpackte ich sie in einer Schachtel und stellte sie zur Seite.

Dann kamen die Ofensetzer aus der Stadt, drängelten und zwängten sich in die Stube dann hievten den zentnerschweren Ofen auf den zementierten Estrich.
Einer dieser Trampel passte nicht auf, kam aus dem Gleichgewicht und viel hinterrücks auf die Pappschachtel.
Und schon war es um meinen liebsten Ostergruß geschehen.
Zusammengedrückt und platt – gemacht.

Als ich mich aber bückte um die Bescherung zu besehen,
viel mir ein kleines Zettelchen auf; - es war wohl im Osterei verborgen.

In gleichmäßig geschriebener Schönschrift, -
ein bisschen mühselig hingemalt – stand geschrieben:

Mein allerliebstes, verehrungswürdiges Fräulein Annegrete,
wenn Sie wüssten, wie lieb ich Sie habe.
Verzeihen Sie mir bitte meine dummen Worte!
Aber seit ich Sie, liebe Annegrete,
das erste Mal sah, kann ich Sie nie nicht mehr vergessen.
Darum bitte ich Sie, liebe Annegrete, wenn Sie auch etwas Zuneigung zu mir empfinden, am Ostermontag zu einem Spaziergang zu den Hopfengärten.

Darf ich hoffen, Sie verehrtes Fräulein Sie um 11:00 hinter der Kapelle zum Heiligen Florian anzutreffen? Gerne bitte ich, wenn Sie es erlauben, auch in unserem Namen, Ihren hoch verehrten Herrn Vater um Erlaubnis. Sollte ich Ihnen aber zu nahe getreten sein und sollte Sie mein grobes Ansinnen verletzen, so werde ich halt umsonst auf Sie warten.

Ich hoffe inständig auf Ostermontag.
Ihr treuer und verehrter Karl.


Nach dem ich diese Zeilen gelesen hatte,
wurde mir schwindelig.
Ich musste mich unbedingt setzten.
Was hatte ich bloß angerichtet mit meinem kindischen
… viel zu schade um davon zu naschen …

Im Frühjahr 1918 kam dann zum Vater des vermissten Karl Karrenschmid doch noch die lange erwartete Feldpost.
Sie kam in einem weißen Kuvert mit schwarzen Rand.

Eine Granate hatte den Obergefreiten Karl Karrenschmid am 23. Februar 1918 im Schützengraben bei Verdun aus dem Leben gerissen.
Neben seinem Dienstausweises lag als einziges persönliches Dokument eine zerknitterte Quittung:

1 paar Damenschuh´ aufgerichtet und geflickt,
Karsamstag 1915;
1 RM und 6 Pf.
… in der braunledernen Brieftasche, die man den betrübten Eltern mitgeschickt hatte.

Meine Großtante Annegret erfuhr erst sehr viel später, so um 1932, als sie den wohlhabenden verwitweten Rupert Krach geehelicht hatte, vom tragischen Tod des Karl.
Mit meinem Großonkel Rupert hatte sie schließlich 2 Kinder, die Wally und den Karl ...
Ob Annegret in ihrer späten Ehe glücklich wurde?Ich weiß es nicht, darüber hat sie nie geredet ....
 

itsme

Mitglied
Wenn ich in eine Geschichte eintauche, und die fast schon pathologische Neigung nach Fehlern zu suchen verliere, wenn ich mich hineinversetzt fühle in Ort und Zeit und schließlich etwas traurig bin, dass die Geschichte schon zu Ende ist ... dann war es Lesegenuss.

Eine berichtenswerte Begebenheit sehr schön erzählt.


*sehr angetan*
itsme
 

Zarathustra

Mitglied
Hallo Manfred,


... danke für deinen Kommentar, ...
das hilft mir tatächlich weiter,
weil ich die Reflexionen meiner Kindheit selbst ja gar nicht beurteilen kann.
Ich suche wie alle Menschen immer Antworten auf das Geschehene; -
ob es dann die "Richtigen" sind ist nicht so wichtig; - wichtiger ist mir dann schon dass es überhaupt Antworten gibt.

Liebe Grüsse Hans
 



 
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