Die Linie zwischen Gut und Böse

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ebbajones

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Die Linie zwischen Gut und Böse


Auftauchend aus den Tiefen des Unterbewusstseins, noch halb ringend mit den Dämonen seiner Träume, aber schon klar genug diesen Umstand zu erkennen, dauerte es eine Sekunde bis ihn die Wirklichkeit ganz eingeholt hatte. Wenn diese absolute Stille ihn umfing, eine Stille die überall auf der Welt gleich klang, dann fühlte er sich für den Bruchteil einer Sekunde lang frei.
Dieser eine Moment hielt ihn am Leben,
Tag für Tag, Monat für Monat, Jahr für Jahr.
Nicht, wie er geglaubt hatte, die Erinnerung an das Entsetzen auf ihrem Gesicht, als sie mit ihren letzten Atemzug die Erkenntnis traf, dass sie ihren Betrug mit dem Leben bezahlen würde.
Unendlich tief war seine Befriedigung gewesen, als ihr verführerischer Blick langsam erloschen war und ihm damit das Versprechen gegeben hatte, sich niemals wieder an einen Anderen zu verschenken.
Die Reue kam erst später, aber immer mit einem Gefühl der Zufriedenheit und der Gewissheit, dass sie dieses Versprechen nie mehr wieder würde brechen können. Doch mit der Zeit verblassten die Konturen ihres Gesichtes, wie auch ihre Liebe verblasst war. In seinen Träumen wechselte die Farbe ihrer Augen von einem warmen braun in ein leuchtendes blau, ein anderes Mal waren sie grün.
Nur der Duft ihres Haares war stets gleich.
Zu oft hatte er voller Hoffnung sein Gesicht darin vergraben.
Hoffnung hielt ihn hier nur anfangs am Leben, dann verblasste auch sie, so als trage er einen Fluch mit sich, der alles um ihm herum mit sich nahm.
Zuerst hatte ihn dieser Gedanke erschreckt.
Mehr noch als das Wort lebenslänglich.
Doch dann hatte er an diesem Gedanken Gefallen gefunden,
hatte sich vorgestellt, wie sein eigener Körper die Umrisse verlor, blasser und blasser wurde, bis er sich auflöste und verschwand.
In seinem früheren Leben hatte er sich selten Gedanken über irgendetwas gemacht. Frei und zügellos hatte instinktives Handeln sein Leben bestimmt und ihn schließlich in diese Sackgasse geführt.
In seinem neuen Leben waren nur noch die Gedanken frei und zügellos.
Eine Tatsache, die einem schnell bewusst wurde, umgeben von Gittern, verschlossenen Türen und dem Geräusch verhallender Schritte.
Schritte, die ungehindert in die Freiheit führten.
Manchmal stellte er sich vor, wie er den Schließer in seine Zelle zerrte, ihm die Hand auf den Mund presste. Wie dessen Augen sich vor Schreck und ungläubigem Staunen weiteten, während er ihm langsam die Kehle zu drückte. Wie schwer es war, die Schlüssel aus den im Todeskampf verkrampften Fingern zu lösen und er unter dem starren Blick der aus den Höhlen getretenen Augen, endlich die Türen durchschritt.
Türen waren hier überhaupt sein größtes Problem.
In seinem früheren Leben waren Türen ein Schutz gegen Zugluft.
Eine sichtbare Grenze für ungebetene Gäste, Sicherheit für seinen Besitz.
In seinem neuen Leben markierten Türen die Linie zwischen Gut und Böse.
Es gab Tage, da schaffte er es nicht, die Tür seiner Zelle anzusehen, ohne dass ihm der Schweiß ausbrach.
Gnadenlos verfolgte sie ihn selbst in seine Träume, voller Hohn und Spott.
So gnadenlos wie die Polizeibeamten ihn nach seiner Tat verfolgt hatten.
Noch trunken von Hass hatte er einem von ihnen das Leben genommen.
Manchmal stellte er sich vor, wie er und dieser Mann sich trafen, sich unterhielten, wie zwei alte Freunde, nicht wie Täter und Opfer. Natürlich war der Mann gesichtslos, nur ein Schatten, wie in jener Nacht, als er kurz auf ihn gezielt und abgedrückt hatte. Doch das war nicht weiter von Bedeutung, denn hier gab es viele Schatten.
Die Schatten der Gitterstäbe vor dem Fenster, oder der Schatten, der mehrmals am Tag den Sehschlitz an seiner Tür verdunkelte. Am liebsten waren ihm jedoch die Schatten der Kerze, die er sich besorgt hatte.
Ihr flackerndes Licht verwischte die klare Grenze zwischen Hell und Dunkel, schien die Schatten in schlaflosen Nächten zum Leben zu erwecken. Er hatte einen hohen Preis für diese Kerze bezahlt.
Natürlich nicht in der Währung seines früheren Lebens.
Jetzt hatte jedes Handeln und jeder Gegenstand eine neue Bedeutung.
Genau wie die Türen.
 
D

Dominik Klama

Gast
Interessant.

(Mich persönlich interessiert dabei weniger das Mann-Frau-Beziehungsmelodram und die Dreiecksgeschichte als vielmehr die aufkommende Stimmung von Gefängnis-Sadomasochismus.)
 



 
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