Die Malerin

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Estella

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Algarve - Albufeira - ein Gemälde


Die Malerin



Ganz oben im Dorf, versteckt hinter Pinien und blühenden Orleander Büschen, liegt das Haus, aus dem eine junge Frau am frühen Morgen durch die blau lackierte Tür ins Freie tritt und den Weg zu der steilen Treppe einschlägt, die hinunter zum Strand führt. Ihre blonden Haare sind zu einem kunstvollen Knoten geschlungen, das weiße Sommerkleid aus Baumwolle, umspielt ihre Figur und der dünne Stoff zeichnet ihre Brüste ab. Den Strohhut hält sie in der einen, einen blauen Klappstuhl in der anderen Hand. In dem großen hellen Leinenbeutel, den sie um die Schulter trägt, verbirgt sich alles, was sie zum Malen benötigt.
Der Weg führt um die höchste Stelle des Abhangs herum, wo wildes Gras und bunte Blumen wuchern. Die junge Frau bleibt einen Augenblick stehen. Von hier oben kann sie den Atlantik und die Fischerboote sehen, die auf den Wellen schaukeln. Plötzlich fährt ein Windstoß durch die Gräser und erzeugt ein singendes Geräusch. Theresa lächelt. Ein paar Meter weiter hat sie die Treppe, die in den Felsen gehauen ist, erreicht. Noch haben die Mauern und Sträucher die Kühle der Nacht gespeichert, doch zur Mittagszeit wird die Hitze groß werden.
Behende läuft sie die Stufen hinunter zum Marktplatz, durchquert die engen Gassen, durch die der Wind bläst. In der Türöffnung der Bäckerei schwingt der Perlenvorhang noch dem letzten Kunden nach und der Duft von frischem Brot weht verführerisch zu ihr herüber.
Theresa läuft die letzten Meter schneller, je mehr sie sich dem Meer nähert, umso deutlicher hört sie das Rauschen der Wellen. In den Restaurants und Cafes, unten auf der Promenade, sitzen vereinzelt Touristen beim Frühstück in der Morgensonne. Ein feiner Kaffeeduft schwebt in der Luft. Nur noch wenige Schritte, dann betritt Theresa den weiten goldgelben Strand, der von Felsen halbkreisförmig umgeben ist. Schnell streift sie die Schuhe ab, um mit nackten Füßen durch den weichen Sand bis zum Wasser zu laufen. Die Wellen rollen, Reihen um Reihen, eine nach der anderen, mit kleinen Schaumkronen auf dem Kamm, an den Strand. Der Wind verfängt sich im Saum ihres Kleides und spielt mit ihren Haaren. Verzückt von dem Schauspiel steht sie lange, bevor sie sich nahe am Meeresrand auf dem mitgebrachten Hocker niederläßt.
Um sie herum ist es still. So früh am Morgen gehört ihr der Strand alleine. Sie hält den Malblock auf den Knien und taucht den dicken Pinsel in die Wasserflasche, die neben ihr im Sand sicheren Halt gefunden hat. Den blauen, wolkenlosen Himmel betrachtet sie genauer, bevor sie mit dem nassen Pinsel verschiedene Blau und Violett -Töne ineinander laufen läßt, um dem Himmel die Helle und Luftigkeit zu verleihen, mit der sie den Zauber dieses Morgens einzufangen versucht.
Dort wo der Himmel aufhört, beginnt auf ihrem Gemälde das Meer. Es spiegelt die Farben des Himmels wieder. Nahe dem Strand schimmert der Meeresboden jetzt grünlich durch die Wasseroberfläche, während sie den Wellen weiße Tupfer verleiht.
Theresa blickt zurück auf das Fischerdorf, aus dem sie gekommen ist. Hoch über dem roten Kreidefelsen türmen sich terrassenförmig die schlichten, weißgekalkten Häuser bis zum Himmel. Theresa bemüht sich, den architektonischen Reiz dieser Häuser darzustellen. Sie zeichnet klare Linien, Wände, die sich nicht im Lot befinden, sie malt abgerundete Ecken, Kuppeln, Bögen und Öffnungen, die auf jegliche Symetrie verzichten. Sie wählt einen dünnen Pinsel, um mit leicht verwaschenem Blau die Schatten zu setzen. Den Strand malt sie golden und mit bunten Farben ein paar Strandtücher in den Sand.
Zufrieden betrachtet sie ihr Werk. Bevor die ersten Touristen den Strand erobern, verläßt Theresa geschwind die sonnige Bucht.
Auf dem Weg zurück pflückt sie einige Hibiskusblüten, steckt zwei in ihr Haar und läuft ins Haus.
Ein dunkelhaariger Mann kommt ihr entgegen, küßt sie auf den Hals und knöpft ihr das Kleid auf. Das Bett ist groß und ihre Fantasie voller Farben.
 

Buntstift

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Eine sehr sanfte und liebevoll präsentierte Geschichte, die mir sehr gut gefallen hat. Vor allem tritt die Szenerie gekonnt in den Vordergrund und die Gerüche suchen sich einen leisen Weg in die Nase.
Gruss
Buntstift
 



 
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