Die Maske

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Nelinett

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Die Maske

Ich stand vor meinem Bild und betrachtete es. Es war schwarz. Pechschwarz. Es gab nur einen einzigen Farbtupfer, einen Fleck, der war rot. Rot wie Blut. Ich schaute mir das Bild an, das Schwarz, das Rot, das Gesamtbild. Ich fand das Bild schön. Wunderschön. Es war so düster, so geheimnisvoll und gleichzeitig beruhigend und vertraut.
Es klopfte an meine Zimmertür. „Herein?“ Der Kopf meiner Mutter erschien in der Tür. Augenblicklich setzte ich meine Maske auf, wie immer, wenn ich nicht alleine war.„Svenja? Es gibt gleich essen. Kommst du?“
„Klar, Mama, ich komme gleich.“
„Was ist das?“ Sie beäugte argwöhnisch mein Bild.
„Na, was wohl? Ein Bild!“
„Schon gut, schon gut.“ Abwehrend hob sie die Hände. Dann verschwand sie. Meine Maske auch.
Die Maske hatte ich immer auf, wenn ich nicht alleine war. Ich tat nett und freundlich, gutgelaunt und auch mal zickig –eben so, wie es „normale“ Teenager tun. In Wahrheit war ich nicht so. Doch mein wahres Ich zeigte ich niemandem. Nicht mal meiner besten Freundin Gabi. Niemandem. Ich glaube, ich hatte noch nie mit irgendjemandem über Gefühle geredet. Jedenfalls nicht wirklich. Nur, wenn mir irgendetwas weh tat, mein Knie, mein Ellbogen, meine Schulter. Aber sonst nicht. Ich hatte immer die Maske auf. Sie war unsichtbar für die Augen. Aber sie war da. Sie stand wie eine Mauer zwischen mir und den anderen Menschen. Sie verbarg meine wahren Gefühle. Ich war noch nie sonderlich selbstbewusst. Ich war nicht so viel Wert, war unsicherer als die Anderen.
Gabi hatte mir schon oft von ihren Gefühlen erzählt. Sie hatte einmal spätabends angerufen. „Komm zu mir, Svenja!“, hatte sie geschluchzt. Ich fuhr zu ihr und tröstete sie. Gabi hatte Liebeskummer. Ich hätte so etwas nie gemacht. Nie, nie, nie.
Es gab aber zwei Gefühle in mir. Es war nicht so, dass ich meine Gefühle verbarg und nun glücklich war. Ganz im Gegenteil: Ich litt darunter. Darunter, dass ich nicht so selbstbewusst war, wie zum Beispiel Gabi, und darunter, dass ich nicht über meine Gefühle reden konnte. Ich hätte theoretisch einfach zu Gabi hingehen und mit ihr über meine Gefühle sprechen können. Doch da war die Mauer. Sie war so hoch, dass ich nicht versuchte, über sie zu klettern. Darunter litt ich. Manchmal dachte ich, dass niemand mich versteht. Aber ich hätte über mich und meine Gefühle reden müssen, damit mich jemand verstand. Ich wollte das nicht. Deshalb trug ich die Maske. Damit ich mit niemandem über meine Gefühle reden musste, damit aber auch keiner etwas Schlechtes von mir dachte. Ich denke, es gab noch mehr Gründe. Es war schwer, alle aufzuzählen. Es war schwer, sie zu beschreiben. Ich weiß bis heute nicht genau, warum die Mauer da war. Aber sie war da. Ich habe versucht, meine Gefühle auszudrücken und sie nicht nur in mich reinzufressen, denn das ist gefährlich. Manchmal saß ich mit knurrendem Magen in der Schule und wollte nichts essen. Und manchmal nahm ich mir einfach Schokolade, wenn ich mich unverstanden fühlte. Manchmal kaufte ich ein oder räumte mein Zimmer auf. Und manchmal saß ich einfach nur in der Ecke meines Zimmers und tat nicht, dachte nur nach. Ich dachte über diese Sachen nach: Über die Maske, wie traurig ich bin, dass ich sie nicht absetzten kann,...... All diese Sachen sind Gründe, warum ich das Bild gemalt habe. Ich wollte meine Gefühle ausdrücken, ohne Worte, ohne, dass sie jemand versteht. Ich verstehe schon, wenn jemand sagt, dass all diese Sachen, die ich hier aufschreibe, sehr widersprüchlich sind, aber ich fühle so.
Zum Essen ging ich übrigens auch. Mit Maske, versteht sich.

„Hallo!“ Wild winkend stand Gabi am Schultor und wartete auf mich. Ich winkte zurück. „Weißt du was? Ich hab da am Wochenende so einen supercoolen Typen kennen gelernt, er wollte mich gestern anrufen, aber das hat er nicht gemacht und ich hab keine Ahnung warum und....“ Wieder Mal wurde mir bewusst, wie viel ich von Gabi wusste, weil sie mir alles erzählte. Wahrscheinlich glaubte sie, sie wüsste auch alles von mir. Wenn man sie fragen würde, würde sie wahrscheinlich lauter Dinge runterrattern. Die Wahrheit war: Sie wusste nichts von mir. Sie wusste nur etwas über die Svenja, die ich darstellte. Mich mit der Maske, der Mauer, der Distanz.

Als unsere Lehrerin Frau Tretz in die Klasse kam, setzten wir uns alle auf unsere Plätze. Links von mir saß Gabi, den Platz rechts neben mir besetzte Luis.
Aber unsere Lehrerin war nicht allein. Sie hatte einen Jungen mitgebracht.
„Wow!“, hauchte meine Freundin anerkennend. Luis warf ihr einen traurigen Blick zu. Ich wusste, dass er in Gabi verliebt war. Er tat mir Leid.
Der neue Junge stellte sich selbstbewusst und mit dem Namen Lionel vor. Er war wunderschön. Er hatte ein paar Nuancen dunklere Haut, als „normale“ Deutsche, seine Haare trug er kurz und sie waren dunkelbraun, aber nicht schon fast schwarz. Man konnte deutlich sehen, welche Farbe sie hatten. Am allerschönsten fand ich seine Augen. Sie waren hell. Wunderbar hell. Graugrün und hell. Das stand in einem schönen Kontrast zu seiner übrigen Person, zu dem Dunklem.
Ich spürte mein Herz schlagen. Es pochte heftig gegen meine Rippen. Ich hoffte, dass ich keinen merkwürdigen Gesichtsausdruck hatte, der zum Vorschein brachte, was ich fühlte. Ich hatte Angst, dass mich die Anderen damit aufziehen würden, wenn sie herausfänden, dass ich Lionel toll fand. Oder dass er es herausfand. Ich verknallte mich sofort in ihn.

In der Pause sah ich Lionel nur einmal kurz.
„Lass uns am Fußballplatz vorbeigehen, ich möchte den Neuen sehen. Er ist so süß! Bitte, bitte, bitte, bitte!“, bettelte Gabi. Ich gab nach. In Wahrheit, weil ich „Den Neuen“, wie sie Lionel nannte, auch sehen wollte. Seine Bewegungen. Ihn. Alles an ihm. Doch das erzählte ich Gabi nicht. Stattdessen meinte ich: „Na gut, wenn du unbedingt willst!“ Als würde mir das schwer fallen und auf die Nerven gehen.

In den nächsten Wochen malte ich weitere Bilder. Alle waren schwarz oder grau. Manchmal war auch weiß dabei oder ein paar rote, blaue, grüne oder gelbe Farbtupfer. Ich schattierte die Bilder, versuchte Dinge darzustellen. Ich malte einen Abgrund oder malte einfach drauflos, wie mein Gefühl mich leitete. Alle meine Gefühle flossen in die Bilder hinein.
Meine Mutter hatte aufgehört, mir zu sagen, wie merkwürdig sie meine Bilder fände. Oder danach zu fragen, was diese Bilder denn bitteschön darstellen sollten. Ich sagte ihr nichts von meinen Gefühlen. Aber es verletzte mich, dass sie damit nichts anfangen konnte und meine Bilder sogar schlecht fand. Doch über meine Lippen kam kein Ton.
Während ich zu Hause meine Bilder malte, rief Gabi mich ständig an, um zu erzählen, wie weit sie mit Lionel war. Gabi wollte ihn unbedingt als festen Freund haben und grub ihn erfolgreich an. Ich war total eifersüchtig, aber auch das sollte niemand wissen. Niemand. Ich überließ ihn einfach Gabi.

„Svenja, gehst du heute ohne mich nach Hause? Ich bin noch mit Lionel verabredet, kurz nach der Schule und ich gehe gleich in das Café, wo wir uns treffen.“
„Klar!“ Ich fühlte mich, als ob ein schwerer Gegenstand auf meinem Herz läge, als ob ich nicht atmen könnte. Ich ging schnell los, Gabi ging genau in die entgegengesetzte Richtung. Sie ging mit Lionel aus.
Sie waren ein Paar.
Ein Paar.
Ein Paar.
Ein Paar.
Das Wort hallte in meinem Kopf wieder und ich bekam immer weniger Luft, meine Brust war wie zugeschnürt.
„Hi!“, hörte ich eine Stimme hinter mir. Eine Stimme, die ich liebte und immerzu hören wollte. Ich drehte mich um. Hinter mir stand er, ein Lächeln auf den Lippen. „Gehen wir zusammen bis zur Kreuzung?“
Ich nickte. Mein Herz schlug. Laut. Lauter. So laut, dass er es einfach nicht überhören konnte. Mir wurde heiß, die unangenehme Hitze stieg in mir hoch und ich betete, dass er nicht wusste, was ich fühlte, dass ich es ihn nicht irgendwie hatte wissen lassen, oder dass Gabi mir angesehen hatte, dass ich in „ihren“ Lionel verliebt war und es ihm erzählt hatte.
„Was machst du jetzt?“
„Hausaufgaben, denke ich.“, war meine Antwort.
„Und danach?“, bohrte Lionel weiter.
Sollte ich ihm erzählen, dass ich Bilder malte oder sollte ich lieber nicht...? Nein! Das würde nur zu Fragen führen, die ich nicht beantworten wollte.
„Weiß ich noch nicht genau.“, log ich.
„Malst du wieder Bilder?“ Mein Herz setzte für einen Moment aus und mir wurde noch wärmer. Woher konnte er das wissen?
„Welche Bilder?“ Ich log so schlecht. Ich piepste diesen kleinen Satz. Er klang so unglaubwürdig. Krampfhaft hielt ich meine Maske fest, damit sie nicht herunterfiel.
„Na, die Bilder, die du malst. Ich sehe dich öfter mal in deinem Zimmer. Du stehst vor einer Staffelei und malst ein Bild.“ Ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte. Ich war ertappt. Er wusste es. „Ach, die...“
„Ja, die. Was malst du?“
„Nichts Besonderes...“
„Was malst du denn so?“ Der Verlauf des Gespräches gefiel mir nicht. Nachher würde ich meine Maske fallen lassen. Doch das wollte ich nicht. Es wäre zu peinlich, wenn er wüsste, was ich fühlte.
„Darf ich sie mir angucken? Heute Nachmittag, zum Beispiel?“ Nein!, schrie alles in mir. Doch er guckte mich so lieb an, dass ich das nicht schrie.
„Okay.“ Meine Stimme zitterte.
An der Kreuzung begann ich zu rennen. Ich rannte, bis meine Lungen sich anfühlten, als würden sie platzen.

Er kommt nicht!, versuchte ich mich am Nachmittag zu beruhigen. Er trifft sich mit Gabi, er hat keine Zeit, er will deine Bilder nicht sehen. Diese Aussagen kämpften gegen die Anderen, die etwa so waren: Er hat es doch gesagt, Lionel bricht sein Wort bestimmt nicht,.... Ich wünschte mir, dass er nicht kam. Ich wollte ihm meine Bilder nicht zeigen. Ich wollte nicht. Als es an der klingelte, machte mein Herz einen Trommel-Solo und ich ging, mit Wackelpudding-Beinen, zur Tür. Es war Lionel. Er war tatsächlich gekommen. Ich hatte bis zum Schluss gezweifelt und nun stand er da. „Hi!“
„Hi! Komm doch rein!“
Er zog seine Schuhe aus und gemeinsam gingen wir in mein Zimmer. Ich betete inständig, dass ich nicht irgendwo meine Unterwäsche liegen gelassen hatte. Zum Beispiel auf dem Schreibtisch oder in der Ecke oder.....
„Schön hast du’s hier!“, meinte Lionel, nachdem er in mein Zimmer getreten war. Vor der Staffelei blieb er stehen. Vor dem Bild. Es war eine Mauer zu sehen. Eine große, unüberwindbare Mauer. Sie war in der Mitte des Bildes. Links von der Mauer sah man ein Paradies, eine Welt voller Freude. Rechts lag ein Land voller Schatten. Ich hatte versucht, diese Dinge mittels Schatten so gut wie möglich sichtbar zu machen.
Eine lange Zeit herrschte Schweigen zwischen Lionel und mir. Er sagte nichts, sondern guckte sich meine Bilder an. Ich sagte nichts und hoffte, dass er die Bilder nicht kritisieren würde. Denn das waren meine Gefühle. Die Bilder zeigte meine Gefühle.
„Warum malst du solche Sachen?“ Ich zuckte mit den Achseln. Ich würde ihm das nicht sagen, dachte ich, meine Maske war mein Schutz. Der Schutz vor Verletzungen der Seele... „Warum benutzt du meistens nur grau und schwarz, solche dunklen Farben?“ Wieder zuckte ich mit den Achseln.
„Sie sind schön.“
„Danke.“ Verlegen lächelte ich. In meinem Inneren jubelte alles. Er fand meine Bilder schön. Lionel fand meine Bilder schön.
„Malst du nach Gefühl?“, fragte er mich noch, als ich ihn zur Tür begleitete. Mir gefror das Blut in den Adern. Was wäre, wenn... wenn ich jetzt einfach >Ja< sagen würde? Wenn ich ihm so meine Gefühle anvertrauen würde? Aber meine Maske, dachte ich noch, bevor ich: „Ja.“, sagte.
„Deine Lieblingsfarbe ist schwarz, oder?“
Ich nickte. Es fühlte sich gar nicht so schlecht an, jemandem von meinen Gefühlen erzählt zu haben. Gleichzeitig war da die Angst, dass er sie weiterplaudern könnte. Wo er doch dachte, Gabi wäre meine beste Freundin. Sie wusste nicht, dass ich Bilder malte.

„Lionel ist nicht zu unserem Date gekommen.“, murrte Gabi.
„Was?“ Mir lief ein heißer Schauer über den Rücken. Das bedeutete, dass Lionel extra seine Verabredung hat sausen lassen, nur um mich zu sehen. Um meine Bilder zu sehen, verbesserte ich mich.
„Stell dir vor: Jetzt sind wir erst seit ein paar Wochen zusammen und schon kommt er nicht mehr zu unseren Dates! Da ist er ja auch schon. Kann er mir ja gleich erzählen, warum er nicht kommen konnte. Lionel! Lionel!“
Er kam auf uns zu. „Hi! Was ist?“
„Warum warst du gestern nicht da? Wir wollten uns doch treffen!“
„Klar. Ich... ähm... meine Mutter hat mir Hausarrest gegeben und dann konnte ich nicht kommen. Ja. Genau.“ Er warf mir einen Blick zu. Eine Mischung aus >Wehe, du verrätst mich...< und >Bitte, verrat mich nicht!<. Eine Mischung aus Befehl und einer Bitte. Ich hielt meinen Mund.

„Wollen wir heute vielleicht zusammen etwas pinseln? Also, malen, meine ich.“
„Klar. Gerne.“, sagte ich, noch bevor ich die Maske richtig aufsetzten konnte. Lionel schaffte es immer wieder.
Wir waren uns auf dem Nachhauseweg begegnet. An der Kreuzung trennten Gabi und ich uns immer, jetzt war ich schon fast zu Hause und da hatte Lionel mich abgefangen.
„Kann ich jetzt gleich mitkommen?“ Mein Nicken signalisierte ihm, dass er konnte. Zusammen aßen wir bei mir zu Hause und danach malten wir.
Er malte ein Porträt von mir. Jedenfalls sagte er das. Das Mädchen auf dem Bild war wunderschön. Viel schöner als ich.
„Das bin ich nicht!“, protestierte ich.
„Wer denn sonst?“
„Gabi?“
„Nein, Gabi ist doch nicht so hübsch.”
„Ich ja auch nicht.”
„Doch. Du bist hübsch. Sehr hübsch sogar.“
„Du auch.“
Nein!, dachte ich. Das konnte nicht wahr sein. Wie hatte mir das über die Lippen kommen können? Es war richtig, keine Frage, aber ich schämte mich. Jetzt wusste er ein bisschen über diese Gefühle, die ich ihm gegenüber hatte. Ich musste meine Maske irgendwo liegen gelassen haben.
Es entstand eine lange Pause. Ich wagte nicht, ihn anzugucken. Stattdessen guckte ich auf den Boden.
„Findest du?“, fragte er mich leise. Ich schaffte es nicht, etwas zu sagen, sondern nickte nur. „Und wie findest du mich?“ Seine Stimme zitterte ein bisschen, stellte ich überrascht fest. Mein Herz bummerte. „Ich mag dich. Ich mag dich sehr gerne.“
„Ich mag dich auch sehr gerne.“ Verlegen schaute er weg.
Ich konzentrierte mich wieder auf mein Bild. Es war ein dunkles Meer. Darüber wollte ich einen dunklen Himmel haben. Ich nahm gerade den Pinsel, um anzusetzen, als ich innehielt. Was fühlte ich? Wie fühlte ich mich? Ich war glücklich, weil Lionel mich mochte. Statt den Himmel schwarz-grau zu malen, benutzte ich rosa, gelb und rot. Und für den ganzen restlichen Tag blieb meine Welt so, lebte ich in diesen Farben.

In der großen Pause hing ich, wie immer, mit Gabi auf einer Bank rum.
„Ich weiß nicht, was mit Lionel los ist. Wir sind so gut miteinander klargekommen und jetzt blockt er plötzlich ab. Ich habe gestern bei ihm angerufen, aber seine Mutter meinte, er wäre nicht da. Meinst du, er war da, wollte aber nicht mit mir sprechen?“
Nein, Lionel war bei mir.
Das wäre die richtige Antwort gewesen. Die Wahre.
„Ich weiß nicht. Vielleicht.“, gab ich zögerlich meine Meinung ab.
„Meinst du, ich sollte ihn einfach fragen?“
„Ja, das kannst du machen.“
„Okay.“ Gabi holte tief Luft. „Ich versuch’s!“

In den nächsten Wochen trafen Lionel und ich uns immer öfter. Am Anfang malten wir nur zusammen, doch je länger wir uns kannten, desto mehr andere Sachen machten wir auch. Wir gingen ins Café, Schwimmbad oder Kino.
Ich hatte ziemliche Gewissensbisse, denn Gabi litt sehr darunter, dass Lionel keine Zeit mehr hatte. Ich sagte ihr die Wahrheit nicht, aber ich fühlte mich wie eine Verräterin. Besonders, als Lionel mit ihr Schluss machte. Ich war nur ein bisschen sauer auf Lionel, weil er meinetwegen Gabi so fertig machte. Unbeabsichtigt.
Meine Maske nahm ich auch vor Lionel nicht wirklich ab. Mit >>nicht wirklich<< meine ich, dass er es immer wieder schaffte, mir meine wahren Gefühle zu entlocken. Das passierte selten, aber es passierte.

„Malen wir heute wieder zusammen?“
„Mhm. Kommst du gleich nach der Schule mit zu mir?“
„Klar.“ Lionel ging wieder rüber zum Fußballplatz. Gabi kam.
„Was hast du mit ihm geredet?“, fragte sie aufgeregt.
„Nichts besonderes.“, log ich.
„Was hat er gesagt?“ Ich zuckte mit den Achseln. Gabis Gesichtsausdruck wechselte langsam von neugierig zu misstrauisch. Ich wich trotzdem ihren anderen Fragen aus.

Lionel malte ein Porträt von seiner Mutter. Er hatte mir erzählt, dass sie gestorben war. Er war gerade zehn Jahre alt gewesen, als sie bei einem Autounfall ums Leben kam.
Ich malte ein dunkelblaues Herz. Voller Kälte. Nur in die Mitte des Herzes setzte ich einen roten Punkt. Ein Fünkchen Leben, ein bisschen Lebensfreude und Liebe und Gefühle.
Erst als Lionel mich ansprach, bemerkte ich, dass er hinter mir stand und mir zusah.
„Was soll dein Bild ausdrücken?“ Ich schrak zusammen. „Das ist ein Herz. Ein blaues Herz und...“
„Ich sehe, was es ist.“, unterbrach er mich. Ein bisschen ungeduldig, doch auf eine ganz besondere Art sanft. „Was drückt es aus? Warum ist das Herz nicht rot?“
Ich räusperte mich. „Es ist ein kaltes Herz, ohne Gefühl, wo der Verstand die Oberhand hat. Das Gefühl ist warm und rot und... es ist sehr... zurückgedrängt.“ Und schon wieder hatte er es geschafft, mir das zu entlocken.
„Wessen Herz ist es?“
Ich starrte ich an. Mein Herz schien erdrückt. Ich atmete nur noch flach. Verzweifelt suchte ich nach meiner Maske, doch ich tastete im Dunklen. Sie war weg. Sie war einfach weg. „Meins.“, flüsterte ich schwach. Die Mauer bröckelte, fiel in sich zusammen. Der Abgrund wurde zur Erde und verschmolz mit ihr, die Distanz war weg, die Maske war weg. Einfach so. Ich fühlte mich schwach, klein, verletzlich ohne meinen Schutz.
„Ich hab schon gemerkt, dass du nie über deine Gefühle sprechen möchtest.“, sagte Lionel zögerlich. Ich schluchzte, konnte es immer noch nicht richtig fassen. Und doch wusste ich, das mein Leben sich ändern würde. Ohne Maske musste ich Gefühle zeigen. Ich musste. Es gab keinen Ausweg. Und ich beschloss, das auch zu tun. Nach dieser Überlegung warf ich mich in Lionels Arme.

ENDE
 

GabiSils

Mitglied
Hallo Nelinett,

der Text gefällt mir. Du könntest evtl. ein wenig kürzen, aber insgesamt ein guter Einblick in die Psyche eines empfindsamen jungen Mädchens. (Ich kenne auch so eine, aber sie zeigt mir ihre Bilder gar nicht erst *g*).

Ist die Rivalität zwischen den Freundinne für die Storx unbedingt erforderlich? Die Beziehung zu Lionel käme doch auch gut ohne diese Komplikation aus, und es könnte dem Text gut tun, wenn er sich etwas mehr auf das Wesentliche konzentrierte.

Gruß,
Gabi
 



 
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