Die Meisterschaft

3,40 Stern(e) 5 Bewertungen

wüstenrose

Mitglied
Er war zu Beginn der Saison zu uns gestoßen und meine Aufgabe war nicht leichter geworden. Ihm fehlte es an Technik und Kondition, an Durchsetzungsvermögen und Schusskraft, eigentlich an allem und zu dick war er auch. Gallvetter stellte ihn vorne rein, wo er für Unruhe sorgen sollte. Um aber zu vermeiden, dass er vorzeitig als Statist enttarnt wurde, band ich ihn immer wieder in die Kombinationen ein - durchaus erfolgreich, denn manch gute Szene resultierte daraus! Die Gaffer am Spielfeldrand staunten nicht schlecht.
[ 4]Manfred Bunzenfeld blühte auf, war in aller Munde. Es kam der Tag der Tage, das alles entscheidende Spiel gegen den SV Brettenfeld. Hinten nichts anbrennen lassen!, brüllte der Trainer von der Seitenlinie herein, holte kurz Luft und haute sein nächstes Kommando raus. Ich hörte ihn kaum. Wenn das Spiel einmal lief, war mir der Rest egal. Überdies hatte mir Gallvetter die Marschroute längst hundert Mal vorgekaut: Balleroberung und -verteilung. Nach hinten sichern und, bei Ballbesitz, die Spieleröffnung einleiten. Lange Zeit wogte die Partie hin und her, einzig ein Tor wollte nicht fallen. In der Schlussphase erkämpfte ich mir den Ball, trieb ihn nach vorne, sah plötzlich den Dicken links neben mir und riskierte ein scharfes Zuspiel. Von seinem Schienbein prallte die Kugel ab und landete bei Rüdi, welcher nicht lange fackelte und den Sack zu machte. Wir gingen als C-Jugend-Kreismeister vom Platz und er, gar keine Frage, ging als einer von uns.
[ 4]Bunzenfeld wurde herumgereicht, bestaunt und sogar fotografiert. Er war, neben Rüdiger Müller, der Held des Tages. Selbst der Gästetrainer, der ihn aus dem Hinspiel noch ganz anders in Erinnerung hatte, interessierte sich plötzlich für ihn und wollte wissen, wann und wo er das Passspiel erlernt habe. Er war obenauf - und jeder sah es! An diesem Tag fühlte ich mich Manfred näher als sonst. Selbst abends im Bett dachte ich noch lange an ihn und sein schönes Erfolgserlebnis. Ich ahnte, dass ich fähig sei, andere glücklich zu machen; umgekehrt gab der untalentierte Außenseiter meinem Leben Gestalt und Fülle.
[ 4]In der nächsten Woche brachte der 05-Bote den ausführlichen Bericht über die Meisterschaft auf Seite 1 und auf dem Titelfoto strahlte der abgekämpfte, über die Maßen glückliche Manni. Unser Shooting Star stand darunter. Auch ein Mannschaftsfoto, das ihn in der ersten Reihe zeigte, illustrierte die Erfolgsgeschichte. Dass er eher der breite, bullige Typ war, sagte ich bereits. Dagegen war ich, als Strich in der Landschaft, dahinter kaum zu erkennen. Eigentlich war ich auf dem Foto gar nicht drauf.
[ 4]Beim nächsten Training lag Bunzenfeld am Boden, japste, krümmte sich vor Schmerz, heulte wie ein Mädchen. Mein satter Schuss, aus kurzer Distanz, hatte den Weg in seine Eier gefunden.
 

Val Sidal

Mitglied
wüstenrose,

eine gelungene Geschichte hast du hier vorgelegt.
Der Text zeichnet parabelhaft eine Episode nach, die prägend für die Protagonisten war, und darüber hinaus, den Leser anregt, auf Ereignisse seines eigenen Lebens zurück zu blicken, die sowohl Augenblicke der Wahrheit über den eigenen Charakter als auch Weichenstellungen für die Entwicklung des eigenen Verständnisses im Hinblick auf Wettbewerb, Erfolg und Anerkennung markieren.

Einige flüchtige Anmerkungen -- keine tiefere Analyse -- zum Text:
Manfred Bunzenfeld blühte auf, war in aller Munde.
Bunzenfeld wurde herumgereicht, bestaunt und sogar fotografiert.
Er war obenauf - und jeder sah es!
Bunzenfelds Wandlung und die Veränderung der Wahrnehmung seines Umfelds wären besser nachzuvollziehen, wenn wir seinen Auftritt am Anfang nicht nur aus der - sehr verengten - Perspektive des Erzähler-Ichs hingeworfen bekämen:
Ihm fehlte es an Technik und Kondition, an Durchsetzungsvermögen und Schusskraft, eigentlich an allem und zu dick war er auch.
, sondern sehen könnten, wie die o.a. Merkmale von Bunzenfeld, vom Team und dem Erzähler selbst erlebt wurden.

An diesem Tag fühlte ich mich Manfred näher als sonst. Selbst abends im Bett dachte ich noch lange an ihn und sein schönes Erfolgserlebnis.
-- eine sehr schöne Szene.

Die zentrale Stelle des Textes könnte noch besser gemacht werden:
Ich ahnte, dass ich fähig sei, andere glücklich zu machen; ...
-- plausibel und passend, aber
umgekehrt gab der untalentierte Außenseiter meinem Leben Gestalt und Fülle.
-- unpassend, aufgedunsen.

Ein fulminanter Schluss rundet die Geschichte sehr schön ab:
Beim nächsten Training lag Bunzenfeld am Boden, japste, krümmte sich vor Schmerz, heulte wie ein Mädchen. Mein satter Schuss, aus kurzer Distanz, hatte den Weg in seine Eier gefunden.
Wenn meine Anmerkungen nicht hilfreich sind, dann -- Pardon.
 

Val Sidal

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wüstenrose,

anonyme Bewertungen:

Die Punkte sind nicht von mir.
Ich hasse diese anonymen Bewertungen ohne Kommentar ...

Gruß
Val
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Wüstenrose, menschliches Erfolgsstreben, Neid und Missgunst in beinahe allen Facetten ausgeleuchtet. Habe ich gern gelesen.
Ich würde nur den Namen "Manfred Bunzenfeld" eher einführen, das erleichtert das Leseverständnis.
Bei dem Satz
An diesem Tag fühlte ich mich Manfred näher als sonst. Selbst abends im Bett dachte ich noch lange an ihn und sein schönes Erfolgserlebnis
dachte ich zunächst an eine Wendung in Richtung Männerliebe. Aber es kam anders - der Sch(l)uss ist selbst beim Lesen schmerzhaft.

Der Bereich Fußball ist mit Sicherheit von den vorgestellten Typen durchzogen - die Darstellung ist Dir wirklich gelungen.
LG Doc
 

wüstenrose

Mitglied
Deine Anmerkungen und Gedanken, Val Sidal, habe ich mit Interesse gelesen - besten Dank hierfür!
Deine Anmerkungen bezüglich der Art und Weise, wie Bunzenfeld eingeführt wird (bzw. wie dies vielleicht anders passieren könnte), behalte ich im Hinterkopf; ich brauche etwas Abstand zum Text, ehe ich das nochmal betrachten kann.
Deine andere Anmerkung dagegen beschäftigt mich ganz unmittelbar:

"-- unpassend, aufgedunsen."

empfindest du die Stelle:

umgekehrt gab der untalentierte Außenseiter meinem Leben Gestalt und Fülle.
Meine Absicht war tatsächlich, diese quasi bedenkliche Seite des Ich-Erzählers (das Helfer-Syndrom, das Schmarotzertum, welches eigene Identität aus der Schwäche anderer bezieht...) in ihrer Peinlichkeit auszustellen / das Widersprüchliche, Unpassende, meinetwegen Aufgedunsene dieses Syndroms vor den Augen des Lesers zu entfalten usw.

- - - aber ich glaube, du hast schon verstanden, worum es mir geht und findest es letztlich eher auf literarisch-stilistischer Ebene unpassend / aufgedunsen? Verdammt, ich kriege kein rechtes Gefühl für diese Szene. Grübel grübel.

Generell habe ich mich bei der wiederholten Überarbeitung des Textes über jeden Satz gefreut, den ich letztlich streichen konnte - vielleicht bremst der von dir angemahnte Satz einfach die Schlüssigkeit der Story und ist entbehrlich, auch hier brauche ich wohl etwas Abstand zum Text.

Ein bisschen glücklich gemacht hat mich deine Wendung:
Augenblicke der Wahrheit über den eigenen Charakter
- ja, in diese Richtung zielte mein literarischer Schuss.

lg wüstenrose
 

wüstenrose

Mitglied
DocSchneider, danke für deine erfreuliche Rückmeldung!
Wie ich grade nochmal so über deine Ausführungen nachdenke, kommt mir die Vermutung: Beim Einstieg (so ganz allgemein) ist noch Verbesserungspotential vorhanden; es wäre schön, wenn der Text schon eingangs was zu bieten hätte, was den Leser irgendwie "packt", was ihn deutlicher einlädt, die Story überhaupt weiter zu verfolgen.
Mal sehen.
Riecht nach Arbeit.
Ich warte, dass es Kreativität regnet.

lg wüstenrose
 

Val Sidal

Mitglied
wüstenrose,

ich möchte meine Irritation, die ich bewusst pointiert ausgedrückt hatte, etwas präzisieren:


-- mit dem Verb "ahnte" gelingt es dem Erzähler, die jugendliche Perspektive zu etablieren:
Ich ahnte[red](damals und es stimmt auch heute noch)[/red], dass ich fähig sei, andere glücklich zu machen;
will sagen: naiv wie ich war, dachte ich damals noch, ich könnte die Menschheit retten -- heute weiß ich: nicht die ganze Menschheit, aber einige "andere" glücklich machen, schon.
Diese Sicht (vom Besonderen<Bunzenfeld> zum Allgemeinen<andere> ) finde ich plausibel und passend.

Aber:

-- mit der Wendung "umgekehrt gab" gelingt es meiner Meinung nach nicht, diese Perspektive zu halten. Warum? Einerseits, weil die Nutzung des Adjektivs "umgekehrt" einen (wie ich vermute, ungewollten) Perspektivenwechsel bewirkt:

umgekehrt gab[red](d.i. aus heutiger Sicht betrachtet ist es bis heute so)[/red] der untalentierte Außenseiter meinem Leben Gestalt und Fülle.
-- das irritiert und beschädigt den Wende- und Höhepunkt, weil vom Besonderen<untalentierte Außenseiter> zum Besonderen<Erzähler-Ich> statt zum Besonderen<Protagonist-Ich> blickt, daher unpassend. Andererseits, weil aus der Erwachsenenperspektive des Erzählers die Formulierung "Leben Gestalt und Fülle" -- vor dem liebevoll ironischen Hintergrund der Aussage zuvor -- etwas geschwollen wirkt.

Mit der (literarisch nicht zu Ende gedachten) Variante
[blue]
Ich ahnte, dass ich fähig sei, andere glücklich zu machen, und hatte das Gefühl, dass der untalentierte Außenseiter so meinem Leben Gestalt und Fülle gab.
[/blue] wäre mein Problem schon fast vom Tisch.

Wenn meine Intervention die erzählerische Absicht verfehlt hat, dann - Pardon.
 

Val Sidal

Mitglied
wüstenrose,

noch was zur Vervollständigung meines Arguments.
Du schreibst:
Meine Absicht war tatsächlich, diese quasi bedenkliche Seite des Ich-Erzählers (das Helfer-Syndrom, das Schmarotzertum, welches eigene Identität aus der Schwäche anderer bezieht...) in ihrer Peinlichkeit auszustellen / das Widersprüchliche, Unpassende, meinetwegen Aufgedunsene dieses Syndroms vor den Augen des Lesers zu entfalten usw.
Diese Ausdeutung hatte ich tatsächlich zunächst auch im Sinn -- bis die Wendung der Story einen neidischen, immer kleineren, fast verschwindenen Protagonisten zeigte, dem mit der Schlusspointe der Befreiungsschlag gelingt:
Mein satter Schuss, aus kurzer Distanz, hatte den Weg in seine Eier gefunden.
Hier manifestiert der Protagonist eine (wenn auch nicht besonders nobel motivierte, aber gesunde) Stärke, die ihn wieder sichtbar und zum ICH werden lässt.

Ich halte den Schluss insbesondere deswegen für gelungen, weil es offen bleibt, wie sich seine Persönlichkeit entwickeln wird. Wird er den Eier-Schuss bedauern und ein Helfer-Muster adaptieren, oder zieht er die Lehre aus der Erfahrung, und lernt, sich rechtzeitig für seine Interessen einzusetzten.
 

wüstenrose

Mitglied
danke nochmal, Val, für deine Verdeutlichung. Bei Gelegenheit werde ich mir das Ding nochmal vorknöpfen.
Ganz nebenbei hast du nun den Text analysiert und die darin auftauchenden Motive auf eine (absolut treffende) Weise entblößt und übersetzt, dass der Autor staunt, seine halbwegs verdeckten Äußerungen derart offen und präzise widergespiegelt zu sehen.
 



 
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