Die Money-Show

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jennypower

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\"Die Money-Show\"
Mir ist so langweilig. Normalerweise existiert dieser Satz im Leben einer erwachsenen Frau mit Doppel- bzw. Dreifach-Belastung absolut nicht. Aber was ist schon normal? Der Kleine schläft endlich, die Große ist im Kindergarten, Papa sitzt im Büro und liest vermutlich die Zeitung. Oder er trinkt Kaffee mit seinen Kollegen. Natürlich hätte ich in der Wohnung einiges zu tun. In einem Vier-Personen-Haushalt könnte man ständig putzen, waschen, aufräumen oder ähnlich wichtige Dinge tun. Außerdem sollte ich seit drei Monaten die Fotos der Kinder in ihre Alben kleben und liebevoll beschriften. Doch dazu braucht man Muse und die habe ich derzeit nicht. So setze ich mich lustlos an den Computer und beginne im Internet herumzuirren. Irgendwie gelange ich auf die Homepage des Staatlichen Monopol Fernsehens (SMF). Die leuchtenden Buchstaben springen mir sofort ins Auge: „Kandidaten für die Money-Show gesucht!“ Ah, das ist ja diese Quiz-Sendung, die täglich im Hauptabendprogramm des SMF läuft. Mit diesem halblustigen Moderator Hansi Gassinger, der vor seiner Fernseh-Karriere einige Medaillen in internationalen Tennis-Meisterschaften gewonnen hat. Irgendwie wirkt er ja recht sympathisch mit seiner sportlichen Figur, seinem gepflegten Erscheinen - dafür ist wohl seine Frau verantwortlich - und seinem schelmischen Grinsen. Aber sein fürchterlicher Tiroler Dialekt geht mir total auf die Nerven. Meistens drehe ich den Ton ab, wenn ich mir die Money-Show anschaue. Warum sollte ich mich nicht bewerben? Immerhin war ich eine der Besten in meiner Klasse, habe das Studium in der Mindestzeit absolviert und lese täglich die Zeitung. So klicke ich rasch „hier bewerben“ an und beantworte schnell eine ganz einfache Frage. Dann gebe ich Name, Adresse und Telefonnummer ein und schicke meine Anmeldung ab.

Drei Tage sind seit meiner Bewerbung vergangen. Der Kleine hängt an meiner Brust und ich schreibe gerade ein e-mail an meine Freundin Petra in Amerika. Sie hat vor vier Monaten Zwillinge bekommen und findet nun logischerweise keine Zeit zum Schreiben. Aber hin und wieder eine kurze elektronische Nachricht mit aktuellen Fotos der Kids geht sich schon aus. Es lebe der technische Fortschritt. Das Telefon klingelt. „Guten Tag, meine Name ist Yvonne Sehrschön vom SMF. Spreche ich mit Frau Doktor Iris Gutenberg?“, säuselt die unbekannte Stimme. „Ja, das bin ich“, antworte ich verlegen. Der Kleine brüllt, weil meine Brustwarze aus seinem hungrigen Mund geglitten ist. „Sie haben sich für die Money-Show beworben. Jetzt müssen Sie mir noch ein paar Fragen beantworten. Sind Sie alleine im Zimmer?“, fragt Frau Sehrschön mit der sehr schönen Stimme. „Mein acht Monate alter Sohn ist bei mir“, gestehe ich offen. „Das ist okay, der kann wohl noch nicht einsagen“, stellt sie gnädig fest. Nachdem Frau Sehrschön mich über die strengen Regeln des Telefon-Castings informiert und mein Einverständnis für die Aufzeichnung des Gespräches eingeholt hat, stellt sie die erste Frage. Glücklicherweise kann ich spontan sagen, dass sich die Alhambra in Granada befindet - ich war nämlich schon dort. Außerdem weiß ich, dass sich die Önologie mit dem Wein beschäftigt - Wein trinken ist ja eines meiner liebsten Hobbys. Dass der Film „La Strada“ von Fellini ist, könnte ich im Schlaf sagen, schließlich war ich - bevor ich meine Kinder bekommen habe - zumindest einmal pro Woche im Kino. Die letzte Wissensfrage, welches Land gerade des Vorsitz in der EU führt, ist für mich auch kein Problem - bin ich doch eine interessierte Zeitungsleserin. Zum Schluss soll ich noch schätzen, wieviele Quadratkilometer der Chiemsee hat. Da fühle ich mich total überfordert. Ich bin zwar schon öfter auf dem Weg nach München am Chiemsee vorbeigefahren, habe aber absolut keine Ahnung wie groß er ist. So schätze ich vorerst 100 mal 100 Kilometer, also 10.000 Quadratkilometer. Frau Sehrschön reagiert entsetzt, so revidiere ich mein Urteil blitzschnell auf 1.000 Quadratkilometer. Sie nimmt es zur Kenntnis und stellt mir noch ein paar persönliche Fragen. Die wichtigste Frage lautet, was ich mit dem Hauptgewinn von einer Million Euro machen würde. Ein Häuschen direkt am See wäre schon sehr schön. Es muss ja nicht unbedingt am Chiemsee sein. Frau Sehrschön teilt mir mit, dass ich kontaktiert werde, falls ich zur Aufzeichnung der Money-Show nach Köln fliegen darf. Ich lege auf und laufe zum Brockhaus meines Mannes, um die Fläche des Chiemsees nachzuschlagen. Oje, es sind nur 80 Quadratkilometer. So ein Schmarren. Aus der Traum vom schnellen Geld, oder?

Wir befinden uns in einer Maschine der Billig-Wings auf dem Weg nach Köln. Neben mir sitzt nicht mein lieber Gatte - nein, der muss zuhause die Kinder betreuen und als Telefonjoker zur Verfügung stehen - sondern meine Schwester Barbara. Vor zwei Wochen habe ich erfahren, dass ich als Kandidatin an der Money-Show teilnehmen darf. Meinen kleinen Sohn habe ich schnell - mit Hilfe von Tabletten - abgestillt. Wenn die Mama viel Geld gewinnen kann, finden alle anderen Interessen leider keine Berücksichtigung. Barbara und ich haben beim hübschen Steward gerade zweimal Apfelsaft-Schorle um drei Euro pro Plastikflasche geordert. Jetzt muss ich aufs Klo. Das kostet nochmals einen Euro extra. Der SMF spart, wo es nur geht - vor allem bei der Betreuung der Kandidaten. Der junge Kölner Student, der die Kandidaten samt Begleitung am Flughafen Köln / Bonn erwartet, wirkt völlig planlos. Zunächst lässt er uns ins falsche Hotel bringen - nämlich ins Holiday Inn nach Hürth. Dort wird ihm mitgeteilt, dass wir ins Holiday Inn nach Brühl gehören. Super, wieder alle Koffer und Leute rein in den Bus und weitere 20 Minuten Fahrtzeit bis zum richtigen Hotel. Wir Kandidaten müssen dann sofort weiter ins Studio, während unsere Mitreisenden eine Stadtrundfahrt durch Köln „genießen“ dürfen. Barbara erzählt mir später, dass der unfähige Reiseleiter absolut keine Ahnung hatte. Im Kölner Dom sagte er nur: „Und da liegt irgend so ein Fürst mit seiner Frau begraben“.

Die heiligen Hallen der Produktionsfirma wirken irgendwie mickrig. Wir dürfen schnell ein trockenes Brötchen runterwürgen, bekommen ein persönliches Briefing zum Ablauf der Aufzeichnung und müssen alle möglichen Formulare unterschreiben. Dann kommen wir endlich ins richtige Studio, und ich bin absolut enttäuscht. Der Raum ist wahnsinnig klein und die Sessel, die im Fernsehen so exklusiv wirken, sind aus billigem Plastik. Die beiden Bildschirme und Stühle in der Mitte - für den Moderator und seinen Kandidaten - kommen nicht, wie es im Fernsehen wirkt, aus einer Versenkung im Boden. Nein, sie werden händisch von mehreren Arbeitern während einer Aufzeichnung mehrmals hin- und hergetragen. Da wir wegen unserem chaotischen Reiseleiter verspätet angekommen sind, bleibt auch kaum Zeit zum Ausprobieren der Tastatur für die Auswahlaufgabe. Die Buchstaben A, B, C und D befinden sich waagrecht in einer Reihe und man müsste eigentlich ein paar Mal üben, um dieses System zu beherrschen. Diese Zeit haben wir leider nicht, die Aufzeichnung muss ja pünktlich beginnen.

Der Höhepunkt des Nachmittags ist die Maske. Ich habe das große Glück, dass die Französin Florentine, die auch den Moderator Hansi stylt, mein Gesicht verschönert. Ihre beiden deutschen Kolleginnen können nicht annähernd so toll schminken wie Florentine. Inzwischen ist Barbara zur Tür hereingekommen und sie erkennt mich kaum wieder. Ich sehe echt sensationell aus. Stolz und strahlend stelle ich mich in die Reihe mit den neun anderen KandidatInnen. Dann marschieren wir ins Studio, wo der schöne Robbie, der auch uns vorhin im Schnelldurchgang die Technik erklärt hat, gerade dem Publikum kräftig einheizt. Die Zuschauer lachen über einen schmutzigen Österreicher-Witz und applaudieren höflich, als wir auf unseren unbequemen Plastiksesseln Platz nehmen. Dann kommt endlich Hansi Gassinger und schüttelt allen Kandidaten persönlich die Hände. Er wirkt fürchterlich nervös, was ich bei einem Profi wie ihm niemals erwartet hätte.

Die erste Auswahlaufgabe schaffe ich problemlos - hat doch meiner lieber Mann mit mir noch gestern die Anzahl der Monde aller Planeten unseres Sonnensystems einstudiert. Leider bin ich um eine Zehntel Sekunde langsamer als Tamara, welche als Ersatzkandidatin am Vortag bereits ausführlich den Gebrauch der eigenartigen ABCD-Tastatur üben durfte. Dass gerade diese blöde Tussi in die Mitte zu Hansi Gassinger kommt, ärgert mich. Sie erzählt ausführlich über ihre größte Leidenschaft, nämlich Schuhe. Ungefähr 200 Paar Schuhe mit den dazupassenden Taschen hat sie bereits zu Hause im Schrank. Mit Hilfe ihrer drei Joker schafft sie es immerhin, 15.000 Euro zu gewinnen. Der Großteil dieses Geldes wird wohl in neue Schuhe investiert werden. Auch bei der zweiten Auswahlrunde bin ich leider wieder ein wenig zu langsam, obwohl ich die Frage richtig beantworten kann. Diesmal hat es - welche Überraschung - wieder ein Ersatzkandidat, der schon am Vortag trainieren durfte, geschafft. Man merkt zwar gleich, dass Hansi Gassinger diesen derben Landwirtschafts-Studenten aus Salzburg nicht besonders mag. Aber trotzdem sitzt der Typ jetzt in der Mitte - auf dem Platz, der eigentlich mir zusteht. Der glückliche Kandidat erzählt gleich, dass sein Bruder die Nacht mit der Ersatzkandidatin Tamara verbracht hat. Diese Passage wird natürlich in der finalen Sendung rausgeschnitten.

Ich bin ziemlich frustriert, dass ich es nicht in die Mitte geschafft habe. So geht es auch den anderen acht Kandidaten, die an diesem Tag angereist waren und ebenfalls nicht zum Zug gekommen sind. Nur die beiden Ersatzkandidaten des Vortages, welche mit der eigenartigen ABCD-Tastatur deutlich besser als wir „Ungeübten“ vertraut waren, durften sich den Fragen von Hansi Gassinger stellen und können nun mit jeweils 15.000 Euro nach Hause fahren. Die beiden Sieger finden es nicht einmal angebracht, den Rest der Runde auf ein Gläschen Sekt einzuladen. Barbara und ich kehren ins Hotel zurück und speisen dort vorzüglich - selbstverständlich auf eigene Kosten. Vom SMF kümmert sich ohnehin niemand um uns. Im Studio stehen zwar immer einige Leute herum, die auf wichtig tun, aber das Befinden der Kandidaten ist denen scheißegal. Am nächsten Vormittag haben wir noch ein paar Stunden Zeit bis zum Rückflug mit der Billig-Wings. Meine Schwester und ich sehen uns den Ort Brühl an, shoppen ausgiebig und trinken Kaffee. Ich könnte heulen. Wozu war das alles nötig? Ich wäre am liebsten daheim bei meinen Kindern und bei meinem Mann. Eigentlich wollte ich mit einer Million Euro nach Hause zurückkehren. Tatsächlich habe ich aber 683 Euro ausgegeben - vor allem für Frust-Essen und Frust-Shopping sowie zwei Euro für je einen Toilettenbesuch beim Hin- und beim Rückflug.

Sechs Monate später. Mir ist so schrecklich fad. Ich surfe lustlos durchs Internet und komme auf die Homepage des SMF. Wie in Trance klicke ich „Bewerben für die Money-Show“ an. Plötzlich wird mir klar, was ich da tue. Ich schalte schnell den Computer aus, hole den Staubsauger und beschließe, die Wohnung wieder einmal gründlich sauber zu machen.
 

Venora

Mitglied
hallo

Klasse geschrieben! Genau so habe ich es mir immer hinter den Kulissen der großen Millionen-Shows vorgestellt! Ist die Geschichte autobiographisch und sprichst du aus Erfahrung? An manchen Stellen musste ich lachen, so natürlich hast du geschrieben, wirklich gut gemacht.
Liebe Grüße
 



 
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