Die Mutprobe

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Es war bereits später Nachmittag, als Tom und Andi die Böschung zu der alten verlassenen Villa hinauf kletterten.
Furchteinflößend und bedrohlich zeichneten sich die scharfen Konturen des Gemäuers vor dem Grau des Novemberhimmels ab. Die Fenster, in denen zahlreiche Scheiben bereits fehlten und andere zerbrochen waren, starrten ihnen entgegen. Fast schien es, als würden sie die Kinder beobachteten.
Tom fröstelte, als sie die moosbewachsene Steinmauer erreichten, welche das Grundstück umgab. Diese Stelle hatten sie einige Tage zuvor entdeckt, die Steine standen hier etwas heraus und das Gestrüpp war nicht ganz so dicht. Von der anderen Seite der Mauer waren es nur knapp 60 Meter bis zur Hintertür des Hauses.
„Von hier aus musst du alleine weiter.“ sagte Andi und konnte seine Erleichterung darüber, dass er diese Mutprobe nicht machen musste, kaum verbergen. „Weiter kann ich dich nicht bringen.“
„Ja, ich weiß.“ Tom, der doch immer der Mutigste von ihnen allen war, unterdrückte einen Seufzer, denn nun beschlich ihn doch ein mulmiges Gefühl. „Was ist? Hast du Schiss?“ Versuchte Andi seine eigene Angst, alleine hier auf Tom warten zu müssen, zu überspielen. Dann schlug er ihm kameradschaftlich auf die Schulter und lächelte ihm aufmunternd zu: „Ach komm, du schaffst das schon. Ich warte ja hier auf dich, also beeil dich, es ist kalt.“ Wie, um seinen Worten mehr Nachdruck zu verleihen, schlang er die Arme um seinen Körper.
Tom kletterte die Mauer hinauf, blieb einen Moment oben sitzen und schwang sich dann mit einem Satz auf die andere Seite hinunter. Der Boden war von der Feuchtigkeit der letzten Wochen aufgeweicht und hinterließ schmutzige, braune Flecken auf seinem Hosenboden, als er bei dem Versuch auf den Füßen zu landen, nach hinten wegkippte. „Alles okay?“ konnte er Andi leise durch das Mauerwerk hören. „Ja, alles okay.“ flüsterte er zurück. „Also dann bis gleich.“
Tom sah sich in dem Garten um. Es war fast schon dunkel und der Mond warf sein fahles Licht durch die Äste der Bäume und zauberte dunkle, gespenstische Schatten auf den Boden. Der ehemals grüne, gepflegte Rasen war bedeckt von brauen, toten Blättern.
Tom ging einige Schritte vorwärts und blieb in einigen Metern Entfernung in Deckung eines großen Lorbeerbusches stehen. Schwer spürte er den Stein in seiner Hosentasche, den er in der Mitte des Salons, welcher sich im Inneren des Hauses befand, deponieren sollte. Darin bestand seine Aufgabe.
Gemeinsam mit den anderen würde er den Stein später wieder holen und dann dürfte er seinen Namen darauf schreiben, das war die Belohnung. Danach ging der Stein an den Nächsten aus ihrer Truppe. Die Truppe bestand aus ein paar Nachbarskinder, die sich in den Herbstferien die Zeit mit allerlei Streichen und Spielchen vertrieben.
Tom war schon ein wenig stolz, dass er sich als Erster auf dem Stein verewigen dürfte. Allerdings hätte er sich dafür eher eine der anderen Mutproben gewünscht, aber es war nun mal diese, die auf dem Los stand, dass er gezogen hatte.
Er und die anderen waren bei Tag schon zwei,- dreimal hier gewesen und er kannte den Garten und auch das Haus, doch jetzt allein im Dunkeln sah alles ganz anders aus als bei Tag. Gespenstische Schatten tanzten zwischen den Büschen und ihm schien es fast, als würden die Bäume mit ihren toten, kahlen Ästen nach ihm greifen wollen.
Der Wind wirbelte raschelnd einige trockene Blätter auf. Erschrocken machte er einen Satz zur Seite, als im Gebüsch neben ihm einige Zweige knackten. Hektisch sah er sich um, war da jemand?
Mit zusammengekniffenen Augen suchte er die Umgebung ab, doch es war nichts zu sehen. Fröstelnd schob er seine Hände tief in die Jackentaschen.
Etwa 50 Meter vor ihm erhob sich das einstmals prachtvolle Gebäude, an dem der Zahn der Zeit nun deutliche Spuren hinterlassen hatte.
Seit Jahrzenten war es verlassen und niemand kümmerte sich darum. Tom hatte keine Ahnung wem das Haus gehörte, aber er kannte die Spukgeschichten, die man sich darüber erzählte.
Alles in ihm schrie, er solle besser umkehren und nur widerwillig setzte er sich schließlich in Bewegung, die Hände tief in den Taschen vergraben und den Blick starr auf die Hintertür gerichtet, machte er sich auf den Weg. Von dort aus gelangte man in die ehemalige Küche des Hauses und direkt dahinter lag der große Salon, in dessen Mitte er den Stein deponieren sollte.
Die aus dunklem Holz gefertigte Tür hing nur noch in der unteren Türangel und klapperte nutzlos im Wind.
Keuchend erreichte er die Tür und lehnte sich schweratmend mit dem Rücken an die Wand. Dann wagte er vorsichtig einen Blick durch die Tür in das Innere der Küche. Modriger Geruch schlug im entgegen als er seinen Kopf durch die Tür steckte und sein Magen verkrampfte sich einen Moment.
An der rechten Wand hingen einige alte Regale und darunter stand ein riesiger, alter Herd. An den Wänden bröckelte überall der Putz und der Boden war übersät mit zerbrochenen Fliesen und Schutt.
Mit zitternden Fingern holte er den Stein aus seiner Hosentasche. Es war wirklich ein besonderer Stein, den sie beim Spielen im nahegelegenen Steinbruch gefunden hatten. Er erinnerte mit seiner flachen, runden Form irgendwie an ein Ufo und seine Oberfläche schien wie poliert. Sanft strich er über die glatte, silbrig graue Oberfläche und wieder dachte er voller Stolz daran, dass sein Name ihn als Erstes zieren würde. „Also los jetzt.“ trieb er sich selber an. Bis aufs Äußerste gespannt und den Stein fest umklammert schlüpfte er schließlich durch die Tür.
Die Dunkelheit hüllte ihn ein und seine Augen brauchten einige Minuten um sich daran zu gewöhnen. Schwach konnte er den Umriss des Durchgangs wahrnehmen, der am anderen Ende der Küche lag und durch den man den dahinterliegenden Salon erreichen konnte. Auch hier war keine Tür mehr vorhanden, stattdessen starrte ihm ein dunkles Loch entgegen.
Tom seufzte tief, schalt sich, kein Narr zu sein und schlich dann vorsichtig vorwärts. Obwohl er sich größte Mühe gab, möglichst lautlos zu sein, knirschte unter ihm leise der Schutt. Plötzlich hielt er mitten in der Bewegung inne, war da nicht eben ein Geräusch? Er hielt den Atem an und lauschte angestrengt in die Dunkelheit. Weit entfernt schrie ein Käuzchen, ansonsten war alles still. Einige Minuten verharrte er, doch als alles ruhig blieb, schlich er vorsichtig weiter. Noch ein paar Schritte, dann hatte er die Tür erreicht.
Gerade als er sich erschöpft gegen die Wand lehnen wollte, zuckte er erschrocken zusammen. Sein Herz klopfte ihm bis zum Hals. Da war es wieder, ganz deutlich hatte er es hören können. Ein Stöhnen, Ächzen und Seufzen. Das war zu viel. Hastig nahm er den Stein, drehte sich Richtung Tür und warf ihn dann, in der Hoffnung, er würde etwa mittig liegenbleiben, damit seine Probe als bestanden galt, einfach in den Raum hinein.
Eindeutig zu schwungvoll geworfen rutschte der Stein weit übers Ziel hinaus und kullerte weiter auf die gegenüber liegende Seite bis er komplett von den Schatten verschluckt wurde. Dort kam er mit einem dumpfen Geräusch zum liegen. Wieder unterbrach ein lautes Röcheln jäh die Stille. Ein kalter Hauch erfasste Tom und er spürte, wie sich seine Haare im Nacken aufrichteten. Hastig wandte er sich um und rannte aus dem Haus und durch den Garten, als wäre der Teufel hinter ihm her.

„Oh los Mann, komm doch mit.“ Walter Kuhlmeier, von allen nur Kulle genannt, buffte seinem Kumpel Manni in die Seite. Kulle war einmal ein tüchtiger, angesehener Bürger, doch verschiedene, unglückliche Umstände hatten vor 12 Jahren dazu geführt, dass er nun auf der Straße lebte.
„Nee, heute nicht. Ich brauche eine warme Mahlzeit und etwas, das zumindest entfernt an ein Bett erinnert.“ Manni wollte heute im Obdachlosenheim übernachten. Kulles Pläne gingen da in eine andere Richtung, er war einigermaßen erfolgreich beim Schnorren gewesen und hatte sich mit zwei Tetrapacks Rotwein und einem Container Bier eingedeckt und Alkohol war im Obdachlosenheim strengstens untersagt.
„Mensch Manni, ich lad dich ein.“ Kulle schwenkte lachend die Tüte mit dem kostbaren Nass. „Ich sagte doch schon nein.“ antwortete Manni mittlerweile leicht genervt. „Ich will was Warmes in Bauch und dann bisschen Pennen.“ Dass er die Villa nicht mochte, wollte er Kulle nicht unbedingt auf die Nase binden. Bei Tag war sie schon nicht einladend, aber in der Nacht wollte er nicht mal in der Nähe sein. „Du solltest besser mit mir mitkommen. Die Sauferei bringt dich noch mal ins Grab.“ Manni wusste, dass Kulle nicht eher aufhören würde, bis sein stattlicher Vorrat bis auf den letzten Tropfen ausgesoffen war. „Das lass mal meine Sorge sein. Wenn du nicht mitwillst, um so besser, dann bleibt mehr für mich.“ Kulle grinste breit und schlug mit der flachen Hand auf seine Einkaufstüte. „Wir sehen uns morgen.“ Die beiden verabschiedeten sich und gingen ihrer Wege.

Es war noch hell, als er sich auf den Weg machte. Kulle mahnte sich zur Eile, denn er wollte gerne vor Einbruch der Dämmerung dort sein. Er hatte bereits einige Male hier übernachtet, es war trocken und man hatte seine Ruhe, denn aufgrund des Rufes, welcher der Villa vorauseilte, mieden die meisten diesen Ort.
Nachdem er sich sein Nachtlager an einer Wand im inne liegenden großen Salon bereitet hatte, gönnte er sich erst einige Flaschen Bier und riss dann den Wein auf, um ihn sich gleich aus dem Tetrapack in die Kehle zu kippen.
Schon nach wenigen Schlucken spürte er, wie Schwindel in ergriff und ließ sich langsam auf die Seite kippen. Lange Zeit lag er einfach nur so da, der Kopf leer und tanzende Lichter vor seinen Augen.
Nach einer Weile vernahm er ein Poltern und spürte etwas an sein Bein stoßen.
Er war nicht mehr in der Lage sich aufzurichten und darauf zu reagieren. Wie am Boden festgenagelt begann er das Blut in seinen Ohren rauschen zu hören. Schließlich schwoll das Rauschen zu einem lauten Getöse an und wechselte dann in ein Summen und Klingeln, das seinen ganzen Körper erfasste. Hinter seinen Lidern zogen Farben vorbei, aus denen sich Gesichter formten. Sie riefen nach ihm und lockten ihn. Eine unglaubliche Leichtigkeit ergriff ihn, er wollte sich einfach nur hingeben, der Enge der Welt entfliehen. Und dann ließ er einfach los.

Manni und Kulle waren heute früh verabredet, doch Manni hatte vergeblich auf Kulle gewartet. Bestimmt ist der noch besoffen, dachte er, als er sich schließlich auf den Weg zu der alten Villa machte.
Der Tag war grau und kalt und er fror in seinem alten Parker, den er fröstelnd noch etwas fester zuzog. In dem Haus schien es schlagartig noch mal 10 Grad kälter zu sein.
Zielstrebig machte er sich auf den Weg in den großen Salon, in dem sie Beide schon so manchen gehoben hatten. Ja, aber da war es Sommer, dachte er und rieb sich wärmend die kalten Hände.
Als er den Saal erreichte, konnte er seinen Kumpel bereits von der Tür aus sehen. Kulle lag zusammengekrümmt auf der Seite, neben ihm leere Bierflaschen und ein Tetrapack Wein. Seine Haut war aschfahl und mit weit aufgerissenen, tief in den Höhlen liegenden, toten Augen glotzte er seinem Kumpel entgegen.
Schrecken und Entsetzen packten Manni und als er schon wieder davon laufen wollte, zog etwas, das in der Mitte des Raumes lag, seine Aufmerksamkeit an. Wie er erkennen konnte, war es ein Stein. Manni machte einige Schritte in den Raum hinein um ihn aufzuheben. Der Stein war glatt und erinnerte von der Form her etwas an eine fliegende Untertasse. Seltsam dachte er und drehte den Stein in seiner Hand. Auf der grau schimmernden Oberfläche konnte er einen Schriftzug erkennen. Den Stein in der Hand ging er einige Schritte zum Fenster um im Licht besser sehen zu können was dort geschrieben stand: 1. Walter Kuhlmeier.
 

Wipfel

Mitglied
hi klein lottchen.

dein Text ist gut. Richtig gut. Du erzählst gekonnt in wenigen Abschnitten den Aufprall verschiedener Welten, wie sich das Schiksal des einen Menschen mit dem eines anderen kreuzt, zum Schiksal wird. Respekt hat er verdient, dein Text!

Grüße von wipfel
 
G

Gelöschtes Mitglied 16391

Gast
Hi Klein Lottchen,

die Geschichte an sich gefällt mir.

Es sind aber ein paar handwerkliche Fehler enthalten, dich ich nicht alle aufzählen möchte. Ein Beispiel:

Allerdings hätte er sich dafür eher eine der anderen Mutproben gewünscht, aber es war nun mal diese, die auf dem Los stand, dass er gezogen hatte.
das er gezogen hatte.

Manche Bilder finde ich persönlich nicht gelunegn. Ein Beispiel:

Die Fenster, in denen zahlreiche Scheiben bereits fehlten und andere zerbrochen waren, starrten ihnen entgegen.
Starrende Fenster? Zerbrochene Scheiben gehen klar, aber warum fehlen welche? Wurden diese fachmännisch herausgetrennt?

Darüber hinaus, glaube ich, dass die beiden Geschichten besser funktionieren würden, wenn du sie parallel und nicht hintereinander erzähltest.

Lieb Grüße,

CPMan
 

Ji Rina

Mitglied
Hallo klein lottchen,

Mir hats gefallen. Sehr sogar, denn hier stimmt einfach alles. Die Geschichte liess mich an meine Kindlheit denken, denn in unserem Dorf gab es genauso ein verspuktes Haus. Toll geschrieben; ohne Wiederholungen; Ausschweifungen und auf den Punkt gebracht. Hinzu von Anfang bis Ende spannend und dann noch mit einem unerwarteten und (sinnvollen) Ende.
Das Haus und die gruselige Umgebung werden sehr präzise beschrieben: Alte Häuser verlieren irgendwann ihre Fensterscheiben; sei es durch Wind, Gewitter, morsches Holz, das zerfällt, oder weil jemand Steine gegen die Glasscheiben geworfen hat. Und wenn das Haus einen Spuk hat, dann starren die Fenster einen auch durchaus an. Besonsers dann, wenn man Schiss hat. (grins)
Sehr gern gelesen!
Ji
 
Danke für eure Hinweise und freut mich, wenn es euch gefallen hat.
Upps, den Fehler hab ich selbst beim Durchlesen gar nicht bemerkt. Handwerklich kann man immer etwas besser machen. Ich lerne täglich dazu :)
Ji, du hast vollkommen recht, Fensterscheiben fehlen irgendwann einfach, vermutlich weil sie zerbrochen sind, so dass selbst die Reste der Scherben bereits herausgefallen sind. Da kann einen leicht das Gefühl beschleichen, als würden sie einen anstarren.
Zu dem Vorschlag, die Geschichte parallel zu erzählen: ich denke, das hätte hier nicht funktioniert, denn wegen des zeitlichen Ablaufs hätte ich dann mit Kulle anfangen müssen und das wollte ich nicht. Meiner Meinung nach hätte das der Spannung keinen Gefallen getan.
Vielen Dank noch mal für euer Feedback und Grüße!
 
G

Gelöschtes Mitglied 16391

Gast
Noch ein paar handwerkliche Fehler, bzw. Anmerkungen oder Fragen:

Fast schien es, als würden sie die Kinder beobachteten.
beobachten

Der Boden war von der Feuchtigkeit der letzten Wochen aufgeweicht und hinterließ schmutzige, braune Flecken auf seinem Hosenboden, als er bei dem Versuch auf den Füßen zu landen, nach hinten wegkippte
Komma nach Versuch ?

Die Truppe bestand aus ein paar Nachbarskinder, die sich in den Herbstferien die Zeit mit allerlei Streichen und Spielchen vertrieben.
Nachbarskindern

Keuchend erreichte er die Tür und lehnte sich schweratmend mit dem Rücken an die Wand
schwer atmend (auseinander)


Modriger Geruch schlug im entgegen als er seinen Kopf durch die Tür steckte und sein Magen verkrampfte sich einen Moment
ihm


Sanft strich er über die glatte, silbrig graue Oberfläche und wieder dachte er voller Stolz daran, dass sein Name ihn als Erstes zieren würde
Unterschied zwischen silbrig grau und silbergrau ?


Kulles Pläne gingen da in eine andere Richtung, er war einigermaßen erfolgreich beim Schnorren gewesen und hatte sich mit zwei Tetrapacks Rotwein und einem Container Bier eingedeckt und Alkohol war im Obdachlosenheim strengstens untersagt.
Statt zweitem 'und' ein neuer Satz: Alkohol war im Obdachlosenheim verboten.



Schon nach wenigen Schlucken spürte er, wie Schwindel in ergriff und ließ sich langsam auf die Seite kippen.
ihn ergriff

Gruß,

CPMan
 



 
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