Die Mutprobe

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rotkehlchen

Mitglied
Die Mutprobe

Man saß in geselliger Runde, im Kamin knisterte das brennende Holz, der Rotwein funkelte in den Gläsern. Alle hatten bereits einen Schwank aus ihrer Jugend erzählt, nur Uwe noch nicht.
„So, Uwe, jetzt bist du dran“, sagte Gisela erwartungsvoll.
„Ach weißt du, Gisela, mir fällt so auf die Schnelle nichts ein. Außerdem hab´ ich nie geschwankt.“
Da sie Uwe kannte, wusste sie: Er brütet gerade einen Joke aus.
Gisela lachte herzerfrischend. „Komm, komm, Uwe-Schatz! Gerade du! Das kannst du deiner Oma erzählen, aber nicht uns! Also was ist nun?“
Uwe biss sich in gespielter Unsicherheit auf die Lippen. „Na ja, ich hätte da schon was. Aber ich weiß nicht... Schließlich haben wir eine Minderjährige unter uns.“
„Wat is dat dann fürn Onk?“, rief Leona entrüstet. Sie war letzten Donnerstag siebzehn geworden und waschechte Marzanerin.“Gloobste, ick weeß nich, wo det Klo steht?“
„Na gut, aber auf deine Verantwortung!“ Uwe trank einen Schluck und begann.
„Als ich neun oder zehn Jahre alt war, erwachte in mir das Interesse an der Elektrizität. Das ist nun schon einige Jährchen her, aber wo ich das jetzt erzähle, empfinde ich wieder diese unbändige Freude, als mir der Weihnachtsmann den Kleinen Elektriker bescherte, ein Bastelkasten, mit dem man allerhand elektrische Maschinchen auf Niedervoltbasis zusammenbauen konnten. Es war für mich immer ein Wunder, wenn sich der Anker meines selbstgebastelten Elektromotörchens in Bewegung setzte, nur weil ich zwei dünne Drähte aneinander hielt. Schon warf ich schüchterne Blicke auf die Steckdose in der Wand, denn da drin war der richtige Strom, der den Staubsauger zum Heulen brachte und die Herdplatte glühend werden ließ, meiner reichte nur für Kinderkram. Aber so richtig traute ich mich nicht.
Na schön. Damals war das Gelände hinter dem Sportplatz noch unbebaut und bestand aus Weiden und Pferdekoppeln, die von Elektrodrähten umgeben waren. Jeden Donnerstag ging ich auf dem Weg zur Musikschule daran vorbei. Eines Tages ritt mich der Teufel. Ich blieb vor einer dieser Koppeln, auf der sich Pferde tummelten, stehen und starrte fasziniert den Elektrodraht an. Dass er unter Strom stand, daran bestand kein Zweifel, erstens wegen der Pferde, und zweitens wegen des leisen Tickens in einer Kiste ein paar Meter entfernt.
Wie´s der Zufall wollte, hatte ich einige Tage zuvor ein buntes Büchlein in den Fingern gehabt, in dem es um Selbstversuche berühmter Ärzte ging. Da war zum Beispiel die Geschichte von einem, der sich ein Röhrchen in den Magen getrieben hatte, um herauszufinden, wie Verdauung funktioniert. Der Mut dieses Mannes hatte mir unheimlich imponiert. Ich war in einem Alter, wo die Jugend nach Vorbildern sucht. Dieser Mann war eines, zumindest für meine Begriffe.Warum sollte ich nicht auch einen Selbstversuch wagen? In der letzten Zeit hatte mich nämlich die Frage interessiert, wie sich nicht allzu starke Elektrizität auf einen Organismus auswirkt. So etwas kann man heutzutage alles im Internet erfahren, aber damals gab es das noch nicht, und abgesehen davon, was ist eine schnöde Mitteilung in einem Lexikon gegen das persönliche Erlebnis?
Mich überkam der unwiderstehliche Drang, diesen Draht anzupinkeln. Passieren konnte ja nichts, denn der Strom in diesen Drähten konnte ja nur schwach war, schon der Tiere wegen. Doch ganz wohl bei der Sache war mir nicht. Jedes Kind weiß, dass Wasser Strom besonders gut leitet. Andrerseits war mit klar, dass ich vermutlich absolutes Neuland betreten würde, denn wer von euch hat schon einmal gegen einen Elektrodraht gepinkelt? Na seht ihr, und mir ist auch niemand bekannt.
Ich überlegte. Wenn der Strahl aus einzelnen Tropfen besteht – zumindest an der Front – würde nichts passieren. Ist er ein zusammenhängendes Gebilde, also ein geschlossener Leiter, würde ich einen Stromschlag erhalten. Seine Stärke war eine unbekannte Größe, zwar wäre er auf jeden Fall nicht lebensgefährlich, aber er würde mich immerhin an meinen empfindlichsten Teilen treffen. Die Frage war: Ist dieser Erkenntnisgewinn das Risiko wert? Oder sollte ich es doch lieber lassen?
Ich weiß nun nicht mehr, ob mir diese Gedanken damals wirklich alle so eins zu eins durch den Kopf gingen, wie ich es jetzt erzähle. Fakt ist: Ich nahm allen Mut zusammen und wagte den Versuch.“
Uwe unterbrach seinen Bericht, um einen Schluck zu trinken.
Monika beugte sich vor und sah Uwe interessiert an. „Und, was war nun mit dem Strahl? Bestand er aus einzelnen Tropfen?“
Uwe stellte sein Glas quälend langsam ab. Dann sagte er: „Ich bekam einen gewaltigen Tritt in den Hintern, allerdings von vorn.“
 

ThomasQu

Mitglied
Hallo rotkehlchen,

du beschreibst das recht gut und schön, mit der Szene am Kaminfeuer baust du Spannung auf, aber der Schluss stellt mich nicht so ganz zufrieden. Den hättest du in der gleichen Ausführlichkeit erzählen sollen wie den Rest der Geschichte, dann wäre das passend gewesen.
So denkt man sich als Leser: Hä, war das jetzt alles?
Vielleicht die Reaktionen der Zuhörer, dann könntest du auch die angesprochenen Personen noch mal erwähnen oder wie sich der Protagonist danach gefühlt hat oder ob er sogar zum Arzt musste, wäre dann peinlich gewesen …
So hört der Text für mich mitten in der Handlung auf.

Grüße, Th.
 

rotkehlchen

Mitglied
Hallo, ThomasQu

danke für den Hinweis. Ich wollte auf die Schlusspointe hinaus, denn wenn ich diesen - selbst erlebten - Spaß erzählte, wurde an dieser Stelle immer kräftig gelacht. Aber wenn ich mir das jetzt so ansehe - du hast Recht, da fehlt was. Ich ändere den Text dementsprechend.

LG
rotkehlchen
 

rotkehlchen

Mitglied
Die Mutprobe

Man saß in geselliger Runde, im Kamin knisterte das brennende Holz, der Rotwein funkelte in den Gläsern. Alle hatten bereits einen Schwank aus ihrer Jugend erzählt, nur Uwe noch nicht.
„So, Uwe, jetzt bist du dran“, sagte Gisela erwartungsvoll.
„Ach weißt du, Gisela, mir fällt so auf die Schnelle nichts ein. Außerdem hab´ ich nie geschwankt.“
Da sie Uwe kannte, wusste sie: Er brütet gerade einen Joke aus.
Gisela lachte herzerfrischend. „Komm, komm, Uwe-Schatz! Gerade du! Das kannst du deiner Oma erzählen, aber nicht uns! Also was ist nun?“
Uwe biss sich in gespielter Unsicherheit auf die Lippen. „Na ja, ich hätte da schon was. Aber ich weiß nicht... Schließlich haben wir eine Minderjährige unter uns.“
„Wat is dat dann fürn Onk?“, rief Leona entrüstet. Sie war letzten Donnerstag siebzehn geworden und waschechte Marzanerin.“Gloobste, ick weeß nich, wo det Klo steht?“
„Na gut, aber auf deine Verantwortung!“ Uwe trank einen Schluck und begann.
„Als ich neun oder zehn Jahre alt war, erwachte in mir das Interesse an der Elektrizität. Das ist nun schon einige Jährchen her, aber wo ich das jetzt erzähle, empfinde ich wieder diese unbändige Freude, als mir der Weihnachtsmann den Kleinen Elektriker bescherte, ein Bastelkasten, mit dem man allerhand elektrische Maschinchen auf Niedervoltbasis zusammenbauen konnten. Es war für mich immer ein Wunder, wenn sich der Anker meines selbstgebastelten Elektromotörchens in Bewegung setzte, nur weil ich zwei dünne Drähte aneinander hielt. Schon warf ich schüchterne Blicke auf die Steckdose in der Wand, denn da drin war der richtige Strom, der den Staubsauger zum Heulen brachte und die Herdplatte glühend werden ließ, meiner reichte nur für Kinderkram. Aber so richtig traute ich mich nicht.
Na schön. Damals war das Gelände hinter dem Sportplatz noch unbebaut und bestand aus Weiden und Pferdekoppeln, die von Elektrodrähten umgeben waren. Jeden Donnerstag ging ich auf dem Weg zur Musikschule daran vorbei. Eines Tages ritt mich der Teufel. Ich blieb vor einer dieser Koppeln, auf der sich Pferde tummelten, stehen und starrte fasziniert den Elektrodraht an. Dass er unter Strom stand, daran bestand kein Zweifel, erstens wegen der Pferde, und zweitens wegen des leisen Tickens in einer Kiste ein paar Meter entfernt.
Wie´s der Zufall wollte, hatte ich einige Tage zuvor ein buntes Büchlein in den Fingern gehabt, in dem es um Selbstversuche berühmter Ärzte ging. Da war zum Beispiel die Geschichte von einem, der sich ein Röhrchen in den Magen getrieben hatte, um herauszufinden, wie Verdauung funktioniert. Der Mut dieses Mannes hatte mir unheimlich imponiert. Ich war in einem Alter, wo die Jugend nach Vorbildern sucht. Dieser Mann war eines, zumindest für meine Begriffe.Warum sollte ich nicht auch einen Selbstversuch wagen? In der letzten Zeit hatte mich nämlich die Frage interessiert, wie sich nicht allzu starke Elektrizität auf einen Organismus auswirkt. So etwas kann man heutzutage alles im Internet erfahren, aber damals gab es das noch nicht, und abgesehen davon, was ist eine schnöde Mitteilung in einem Lexikon gegen das persönliche Erlebnis?
Mich überkam der unwiderstehliche Drang, diesen Draht anzupinkeln -"
Leonas spitze Lache zerschnitt die Luft. "Wat", keuchte sie, "du wolltest den Draht anpischern? Sowat ha´ck ja noch nie jehört!"
"Ja warum denn nicht? Passieren konnte ja nichts, denn der Strom in diesen Drähten konnte ja nur schwach war, schon der Tiere wegen. Doch ganz wohl bei der Sache war mir nicht. Jedes Kind weiß, dass Wasser Strom besonders gut leitet. Andrerseits war mit klar, dass ich vermutlich absolutes Neuland betreten würde, denn wer von euch hat schon einmal gegen einen Elektrodraht gepinkelt? Na seht ihr, und mir ist auch niemand bekannt.
Ich überlegte. Wenn der Strahl aus einzelnen Tropfen besteht – zumindest an der Front – würde nichts passieren. Ist er ein zusammenhängendes Gebilde, also ein geschlossener Leiter, würde ich einen Stromschlag erhalten. Seine Stärke war eine unbekannte Größe, zwar wäre er auf jeden Fall nicht lebensgefährlich, aber er würde mich immerhin an meinen empfindlichsten Teilen treffen. Die Frage war: Ist dieser Erkenntnisgewinn das Risiko wert? Oder sollte ich es doch lieber lassen?
Ich weiß nun nicht mehr, ob mir diese Gedanken damals wirklich alle so eins zu eins durch den Kopf gingen, wie ich es jetzt erzähle. Fakt ist: Ich nahm allen Mut zusammen und wagte den Versuch.“
Uwe unterbrach seinen Bericht, um einen Schluck zu trinken.
Monika beugte sich vor und sah Uwe interessiert an. „Und, was war nun mit dem Strahl? Bestand er aus einzelnen Tropfen?“
Uwe stellte sein Glas quälend langsam ab. Dann sagte er: „Ich bekam einen gewaltigen Tritt in den Hintern, allerdings von vorn.“
Gisela grinste. "Du meinst, du bekamst einen gewaltigen Tritt in die Eier."
"So kann mann es auch sagen."
"Hat es deiner Männlichkeit geschadet?", wollte Monika wissen.
"Bis jetzt noch nicht."
"Det wer´ck Heiner erzähln!", rief Leona, "der macht det nach! Prösterchen!"
 

ThomasQu

Mitglied
Hallo Frau rotkehlchen,

find ich jetzt schon viel besser.
Amüsant für mich ist die Figur Leona, die hast du gut dargestellt. Richtig erfrischend.
Wie wäre es denn mit einer Mutprobe für dich selbst? Könntest ja auch mal Texte von anderen Autoren kommentieren. Denn – wer sich immer nur um seinen eigenen Kram kümmert, bekommt irgendwann keine Zuschriften mehr.

Viele Grüße,

Thomas
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo rotkehlchen,

guter Einstieg. Am Schluss habe ich irgendwie auf einen Knaller gewartet. Dachte, der Typ ist zumindest impotent geworden. Oder er vermutet es, weil er keine Kinder hat ... oder so etwas in der Art.

Viele Grüße,

DS
 



 
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