Die Nacht des Mondfeuers

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TheoDoridis

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Weihnachtsgeschichte 2009
Die Nacht des Mondfeuers
(von Andreas Theodoridis)

Der Vollmond war am Himmel und strahlte sein Licht auf die mit Schnee bedeckte, weiß leuchtende Erde. Um den Mond war eine kleine und mit Abstand eine größere Korona zu erkennen. Der Himmel war schwarz, aber klar und mit zahllosen Sternen bedeckt. Die Luft war feucht kalt und ein leichter, eisiger Wind zog über das Land und wirbelte dabei die Schneedecke leicht auf. Dadurch glitzerten einzelne und auch herab fallende Schneeflocken durch das weiß strahlende Mondlicht auf und landeten fast geräuschlos auf der weißen Erde. Niemand war hier. Niemand, der sich getraut hätte, sich zu dieser eiskalten Stelle zu bewegen. Abseits lag ein erfrorener Vogel im Schnee. Es war ein Küken, das aus einem Nest gefallen war und auf der Erde verhungerte. Die Bäume ringsherum hatten schon alle ihre Blätter verloren und waren mit einer dicken Schneedecke umhüllt. Der Wind zog geräuschvoll durch die Äste und ließ sie leicht hin und her bewegen. Auf einmal begann ein knirschendes, langsames Geräusch die Stille zu beleben. Etwas bewegte sich aus weiter Ferne langsam an diesen Ort hierher. Der Mond, der noch immer sein starkes Licht auf die Erde strahlte, ließ allmählich erkennen, was immer näher kam. Es war kein Dachs, kein Wolf, kein Tier… es war… ein Mensch! Das langsame Geräusch wurde immer deutlicher und der Mensch näherte sich immer mehr hierher. Ein unbarmherziger eiskalter Wind zog wieder übers Land und ließ den Mensch, der auf der kalten Schneedecke hierher kroch, frieren und zittern. Seine Hände wurden ganz blau und ließen sich allmählich kaum noch bewegen. Der zitternde Mensch drückte mit seinen Händen den eiskalten Schnee langsam in die Tiefe. Immer näher kam er und zog sich mit letzter Kraft an diesen Ort. Die Mondstrahlen ließen nun erkennen, dass der erschöpfte Mensch einen grauen Mantel, eine zerrissene Hose und eine schwarze, mit Schnee bedeckte Mütze trug. Durch den nun stark leuchtenden Mond war jetzt erkennbar, dass der erschöpfte Mensch durch Bisswunden am Bein verletzt war und daher seine rote Spuren hinter sich her zog.
Der Mensch hatte keine Schuhe an und deshalb durch die Kälte auch schon blaue Füße bekommen. Angekommen an diesen Ort hielt der Mensch eine Weile inne und ruhte seinen Körper aus. Dabei atmete er tief und schwer und blickte über das Land. Nach einer Weile hob der Mensch seinen Kopf und blickte in den Mond. Der Mensch war ein Mädchen. In ihren müden Augen spiegelte sich der leuchtende Mond und nach einer Weile war in ihrem Gesicht ein leichtes Lächeln erkennbar.
Das Mädchen wurde von ihren Eltern verstoßen und ausgesetzt, weil es den Eltern wichtiger war, ihren Egoismus auszuleben. Niemand war mehr für sie da. Niemand, der ihr hier half, auf die Beine zu kommen. Nur der Mond gab ihr noch Licht und half ihr, ihren schweren Weg zu erkennen.
Die Menschen in diesem Land waren in Kälte versunken und hatten mit der Zeit durch Gier und Egoismus ihre Liebe und ihr Miteinander verloren.
Das Mädchen wollte nicht aufgeben. Ihr Körper zitterte und sie spürte durch den eiskalten Wind den Schmerz an ihrem Bein und an ihren nackten, blauen und verfrorenen Füßen. Ihr Kopf fiel in den Schnee und ihre Augen starrten in die weiße, eiskalte Welt hinaus. Das linke Ohr des Mädchens lag im Schnee versunken und sie konnte dadurch ihren Herzschlag hören. Ihr rechtes Ohr, durch die Kälte blau angelaufen, hörte das Rauschen des vorbei wehenden, eiskalten Windes. Ihre starren, müden Augen sahen den wunderschön leuchtenden und glitzernden Schnee. Welche wundervolle grausame Welt konnte sie da sehen. Ihre Wunde und ihre Füße spürte sie kaum mehr. Die Welt wollte das Mädchen nicht mehr haben. Sie dachte sich, ihre Seele würde allmählich erkalten und niemand würde sie vermissen.
Das Mädchen schloss die Augen und ihre Seele wollte nun diese Welt langsam verlassen. Doch ihrer Hoffnung hielt sie am Leben und mit letzter Kraft stellte sie sich vor, wie der Mond plötzlich vor ihr das Eis zum Schmelzen brachte, eine runde Stelle formte, die vielen zahlreichen Holzäste an dieser Stelle durch seinen Lichtstrahl trocknete und dann in Flammen aufgehen ließ. Durch die Flammen könnte sie sich wieder aufwärmen und ihre Hände würden sich wieder bewegen. Sie flüsterte schwach in den Schnee: „Danke Mond, dass es Dich gibt“. Regungslos lag sie erschöpft auf der eiskalten Schneedecke und mit aller letzter Kraft schaffte sie es, sich diesen Wunsch vorzustellen. Der eiskalte Wind blies erneut über das Mädchen hinweg und ließ ihren ermüdeten Körper leicht zittern. Der Mond strahlte sein weißes Licht über das Land und ließ den Schnee aufleuchten. Erneut herab fallender Schnee glitzerte und landete fast lautlos auf der Erde. Das Mädchen spürte ihre Wunde nicht mehr und ihre Hoffnung schwindete.
Doch plötzlich vernahm ihr blau angelaufenes Ohr ein Geräusch. Es war ein Knirschen wie bei mit alten Scharnieren bewegten Türen und ein Zischen, wie wenn kaltes Wasser auf eine heiße Platte gegossen wurde. Die Luft roch auf einmal stark nach feuchtem Moos und Holz. „WOMM!!“ Machte es auf einmal und es begann nach einer Weile vereinzelt zu knistern. Ein Geräusch, dass das Mädchen kannte, wenn bei ihr zu Hause das Holz im Kamin verbrannte. Wärme spürte sie allmählich am Kopf und warme, feuchte, und nach verbranntem Holz duftende Luft kroch in ihre Nase. Langsam öffnete sie ihre Augen. Ihre müden starren Augen erkannten nach einer Weile auf der leuchtend weißen Schneedecke eine flimmernd orangene Farbe. Was geschah da, fragte sie sich? Auf einmal sah sie einen glühenden Span vor ihrer Nase in den Schnee landen. Die kleine Glut erlosch zugleich durch den eiskalten Schnee und ein hauchdünner Rauch stieg dabei auf. Dampfschwaden zogen nach einer Weile an ihren Augen vorbei. Die Wärme wurde immer stärker und ihre, vorher mit Schnee bedeckte, schwarze Mütze war auf einmal trocken. Das orangegelbe Flimmern, begleitend mit einem knackenden und zischenden Geräusch, wurde immer heller und die weiße Landschaft färbte sich immer mehr mit dieser wärmenden Farbe. Ihre Hände konnte das Mädchen allmählich wieder bewegen. Sie spürte die aufkommende Wärme kribbelnd durch ihren Körper kriechen. Zugleich spürte das Mädchen, wie ihr warmes Blut durch ihre Fingerkuppen und durch ihre Zehen flossen. Das Knistern und Zischen vom Feuer wurde immer lauter und der warme Moosgeruch roch immer intensiver. Das Mädchen war völlig überrascht und bewegte langsam ihren Kopf nach oben. Ihr Gesicht wurde hell erleuchtet und sie glaubte nicht, was sie da sah. Vor ihr brannte ein Haufen starker Äste und hohe Flammen stiegen in den Sternenhimmel hinauf, begleitet von einer Vielzahl von Glühspänen. Das Mädchen spürte die Wärme auf ihrer Haut und im Gesicht. Wie konnte das hier geschehen fragte sie sich in Gedanken?
Das Mädchen genoss dieses Geschenk, das JETZT, und ließ Vergangenheit Geschichte sein und fragte auch nicht nach dem Morgen. Müde aber glücklich schlief das Mädchen mit der Zeit erschöpft ein. Ihre Wunde schmerzte wieder und ihre Füße zitterten vor Kälte, doch ihre Seele konnte weiterleben.
Das Feuer wurde so groß, dass es meilenweit zu erkennen war. Und zwar von einem verirrten Wanderer, der eine Bleibe suchte. Er trug eine dicke Felljacke, hatte Kordhosen an und schleppte einen schweren Rucksack auf seinem Rücken. Er wollte schon aufgeben, doch in der Ferne sah er auf einmal das Feuer. Sein Körper zitterte und das lichterlohe Feuer zog ihn magisch an. Ein plötzlich aufkommende kalter Wind, der dem Mann eiskalt ins Gesicht peitschte, trieb ihn an die Richtung zum großen Feuer einzuschlagen. Seine schweren Stiefel hinterließen tiefe Spuren im Schnee und machten dadurch tief knirschende Geräusche. Das Feuer war so groß, dass auch andere Menschen auf dieses orangegelbe Licht aufmerksam wurden und zu dieser Stelle hin zogen.
Als der verirrte Mann an die Feuerstelle kam, wollte er eine Pause machen und staunte über diese helle Feuerpracht. Seine Augen fingen diese wundervollen orangegelben Farben auf und sein Körper begann, sich aufzuwärmen. Doch dann entdeckte er das Mädchen, das in der Nähe der Feuerstelle lag und aus ihrem verletzten Bein blutete. Sofort warf er seinen Rucksack scheppernd auf den Boden und rannte zu ihr hin. Er drehte das Mädchen auf den Rücken und horchte eilig nach ihrem Herz. Es schlug ganz langsam. Zum Glück, das Mädchen lebte noch. Er zog seine Jacke aus und legte es in der Nähe des Feuers hin, um es aufzuwärmen. Dann rannte er zu seiner Tasche, holte einen Stofffetzen aus seinem Rucksack und rannte wieder zurück zu dem Mädchen. Der Mann zog aus seiner Hosentasche ein scharfes Messer und schnitt die Hose des Mädchens um die Wunde auf. Danach reinigte er die Wunde mit zerriebenem Schnee. Dann säuberte er den mitgebrachten Stofffetzen im Schnee und wollte es um die Wunde binden. Aber er hatte keine Schnur. Wo bekam er jetzt eine Schnur her? Plötzlich reichte ihm jemand eine Schnur, damit er es doch umbinden konnte. Erschrocken blickte er um seine rechte Schulter und eine junge, von der Kälte zitternde Frau mit roten, langen Haaren schaute ihm lächelnd ins Gesicht. Nach einem Moment nahm er die Schnur und sagte: „Danke“ und band sein Stofffetzen damit an die Wunde. Die Frau setzte sich währenddessen zu dem schlafenden Mädchen und nahm sie in den Schoß. Der Mann blickte die beiden an und lächelte. Er holte die aufgewärmte Jacke und deckte damit das Mädchen und die Frau zu. Die Frau hatte sich mit dem Rücken zum Feuer gedreht und wärmte ihren Körper auf. Sie spürte das Kribbeln, das sich durch ihren ganzen unterkühlten Körper zog und drückte zufrieden das Mädchen an sich, um diese Wärme weiter zu geben. Der Mann setzte sich entspannt ans Feuer und sein Rücken spürte die Kälte. Er blickte um sich und erkannte, dass sich auch einige Tiere hier einfanden, um die Wärme zu spüren. Eine Eule saß auf einem Ast und beobachtete von dort aus das Feuer. Einige Füchse lagen gesammelt in der Nähe des Feuers beieinander und wärmten sich. Einzelne Rehe waren in der Ferne zu erkennen und einige Fledermäuse huschten vorbei.
Auf einmal legte dem Mann jemand eine warme Jacke über seine Schultern und er blickte um sich. Er sah einen Mann mit schwarzer Hautfarbe und einem weißen Bart, der ihn anlächelte und gesehen hatte, was dieser verirrte Mann gemacht hatte. Der Grauhaarige lobte den Mann und setzte sich zu ihm.
Viele Menschen fanden sich hier auf einmal ein und ließen sich um das Feuer nieder, um sich aufzuwärmen. Einige tauten den Schnee auf, um den Bedürftigen und Kranken etwas zum Trinken zu geben. Andere kümmerten sich um das Feuer und hielten es am Brennen. Sie hatten einen alten umgeknickten Baum her geholt und in einzelne Stücke geschlagen, um das Feuer nicht ausgehen zu lassen. Immer mehr Menschen fanden sich durch das Feuer hier ein. Sie machten für alle etwas zu essen und sorgten sich gemeinsam um die Kinder. Einige Kinder hatten keine Eltern mehr und wurden von anderen Eltern in deren Familie aufgenommen. Alle erfreuten sich über das Miteinander und niemand fühlte sich ausgestoßen. Der verhungerte Vogel wurde von den Kindern begraben und die Rehe wurden von einigen Frauen gefüttert. Blinde, Ausgestoßene und Verbannte fanden hier wieder halt. Zwei Frauen und ein Mann, die einigen Menschen das Leben genommen oder ihnen Schaden zugefügt hatten, setzten sich freiwillig abseits von den Menschen ohne Kleider und ihre Beine überkreuzt in den Schnee und wollten sich nicht bewegen, um ihre Strafe zu büßen. Sie wurden trotzdem immer wieder mit warmer Suppe versorgt, damit sie nicht erfrieren konnten. Die Liebe hatte hier ihre Kraft und verhalf den Menschen, ihre Herzen durch deren Hände und durch einander Berühren und Festhalten ausleben zu lassen. Sie umarmten sich, schenkten sich Wärme und Geborgenheit, hörten einander zu und sprachen miteinander, um sich auszutauschen. Hass zwischen zwei oder mehreren Menschen wurde hier durch Vergebung zur Freundschaft. Einige hatten hier auch ihre Liebe zueinander gefunden, hielten sich einander fest und berührten ihre Lippen.
Das Mädchen wachte allmählich auf und blickte in die Augen der Frau, die auf sie aufpasste. Sie bekam von der Frau einen Kuss auf die Stirn. Das Mädchen bedankte sich bei ihr und hielt sie ganz fest und schloss ihre Augen. Denn sie dachte es wäre ein Traum. Die Frau spürte die weichen Hände des Mädchens an ihrem Rücken. Und als das Mädchen ihre Augen wieder öffnete und die Frau immer noch sah, freute sie sich so sehr, dass sie ihr eigenes Herzklopfen spürte. Ihre Nase roch einen warmen, würzigen Geruch, der vom Feuer her zog und aus einem Suppentopf entsprang. Sie hörte ein gemäßigter Lärm, der durch die anderen Menschen um sie herum zustande kam. Überrascht sah sie die Vielzahl von Menschen, die hier an diesem vorher noch traurigen Ort sich eingefunden und mit Leben gefüllt hatten. Und sie sah die Freude und die Liebe in den Gesichtern der Menschen und beobachtete, wie herzlich alle miteinander umgingen. Sie entdeckte einige Lichterketten durch Kerzen im Schnee, die vom Feuer her in alle Richtungen führten. Das Mädchen sah nach einer Weile zum Mond, der immer noch hoch am Himmel mit seinen zwei Leuchtringen strahlte. Sie war froh, als sie dabei die warme Hand der Frau spürte, die sanft das Mädchen streichelte. Sie bemerkte auf einmal ihre eigenen warmen nackten Füße, die in einer dicken Decke eingewickelt waren. Der verirrte Mann schaute nach den beiden und begrüßte das Mädchen. Seine große und starke rechte Hand streichelte ihren Kopf und schüttelte ihre kleine weiche Hand. Das Mädchen lächelte ihn an und der Mann freute sich, dass sich das Mädchen wohl und geborgen bei der Frau fühlte. Immer wieder schaute er nach den beiden, denn er kümmerte sich mit ein paar anderen um das große Feuer, dass es nicht erlosch. Und immer wieder zündete er mit ein paar anderen mehrere Fackeln an, um sie weit ringsherum von dieser Feuerstelle zu verteilen, damit auch andere Menschen diese Stelle der Gemeinschaft fanden und Hilfe bekamen. Das Mädchen verspürte keine Einsamkeit mehr und hatte jetzt wieder Eltern gefunden, die für sie da waren. Die Frau mit ihren roten Haaren und der verirrte Mann hatten sich lieb gewonnen und das Mädchen zu sich aufgenommen. Das Mädchen blickte zum Mond und sagte: „Danke Mond, für Dein Licht. Ich lebe durch Dich weiter. Danke Glück, dass es Dich gibt.“ Denn der Mond hatte für das Mädchen scheinbar wieder zwei Menschen finden lassen, denen das Mädchen Liebe geben und durch die beiden das Mädchen wieder Liebe empfangen konnte. Wie die zahlreichen Menschen, die sich hier in dieser Nacht eingefunden und zusammen gekommen waren. In DER NACHT DES MONDFEUERS.
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
zu

erst einmal herzlich willkommen auf der lupe.
ich finde deine geschichte beinahe zum heulen schön.
ganz lieb grüßt
 

TheoDoridis

Mitglied
Weihnachtsgeschichte 2009
Die Nacht des Mondfeuers


Der Vollmond war am Himmel und strahlte sein Licht auf die mit Schnee bedeckte, weiß leuchtende Erde. Um den Mond war eine kleine und mit Abstand eine größere Korona zu erkennen. Der Himmel war schwarz, aber klar und mit zahllosen Sternen bedeckt. Die Luft war feucht kalt und ein leichter, eisiger Wind zog über das Land und wirbelte dabei die Schneedecke leicht auf. Dadurch glitzerten einzelne und auch herab fallende Schneeflocken durch das weiß strahlende Mondlicht auf und landeten fast geräuschlos auf der weißen Erde. Niemand war hier. Niemand, der sich getraut hätte, sich zu dieser eiskalten Stelle zu bewegen. Abseits lag ein erfrorener Vogel im Schnee. Es war ein Küken, das aus einem Nest gefallen war und auf der Erde verhungerte. Die Bäume ringsherum hatten schon alle ihre Blätter verloren und waren mit einer dicken Schneedecke umhüllt. Der Wind zog geräuschvoll durch die Äste und ließ sie leicht hin und her bewegen. Auf einmal begann ein knirschendes, langsames Geräusch die Stille zu beleben. Etwas bewegte sich aus weiter Ferne langsam an diesen Ort hierher. Der Mond, der noch immer sein starkes Licht auf die Erde strahlte, ließ allmählich erkennen, was immer näher kam. Es war kein Dachs, kein Wolf, kein Tier… es war… ein Mensch! Das langsame Geräusch wurde immer deutlicher und der Mensch näherte sich immer mehr hierher. Ein unbarmherziger eiskalter Wind zog wieder übers Land und ließ den Mensch, der auf der kalten Schneedecke hierher kroch, frieren und zittern. Seine Hände wurden ganz blau und ließen sich allmählich kaum noch bewegen. Der zitternde Mensch drückte mit seinen Händen den eiskalten Schnee langsam in die Tiefe. Immer näher kam er und zog sich mit letzter Kraft an diesen Ort. Die Mondstrahlen ließen nun erkennen, dass der erschöpfte Mensch einen grauen Mantel, eine zerrissene Hose und eine schwarze, mit Schnee bedeckte Mütze trug. Durch den nun stark leuchtenden Mond war jetzt erkennbar, dass der erschöpfte Mensch durch Bisswunden am Bein verletzt war und daher seine rote Spuren hinter sich her zog.
Der Mensch hatte keine Schuhe an und deshalb durch die Kälte auch schon blaue Füße bekommen. Angekommen an diesen Ort hielt der Mensch eine Weile inne und ruhte seinen Körper aus. Dabei atmete er tief und schwer und blickte über das Land. Nach einer Weile hob der Mensch seinen Kopf und blickte in den Mond. Der Mensch war ein Mädchen. In ihren müden Augen spiegelte sich der leuchtende Mond und nach einer Weile war in ihrem Gesicht ein leichtes Lächeln erkennbar.
Das Mädchen wurde von ihren Eltern verstoßen und ausgesetzt, weil es den Eltern wichtiger war, ihren Egoismus auszuleben. Niemand war mehr für sie da. Niemand, der ihr hier half, auf die Beine zu kommen. Nur der Mond gab ihr noch Licht und half ihr, ihren schweren Weg zu erkennen.
Die Menschen in diesem Land waren in Kälte versunken und hatten mit der Zeit durch Gier und Egoismus ihre Liebe und ihr Miteinander verloren.
Das Mädchen wollte nicht aufgeben. Ihr Körper zitterte und sie spürte durch den eiskalten Wind den Schmerz an ihrem Bein und an ihren nackten, blauen und verfrorenen Füßen. Ihr Kopf fiel in den Schnee und ihre Augen starrten in die weiße, eiskalte Welt hinaus. Das linke Ohr des Mädchens lag im Schnee versunken und sie konnte dadurch ihren Herzschlag hören. Ihr rechtes Ohr, durch die Kälte blau angelaufen, hörte das Rauschen des vorbei wehenden, eiskalten Windes. Ihre starren, müden Augen sahen den wunderschön leuchtenden und glitzernden Schnee. Welche wundervolle grausame Welt konnte sie da sehen. Ihre Wunde und ihre Füße spürte sie kaum mehr. Die Welt wollte das Mädchen nicht mehr haben. Sie dachte sich, ihre Seele würde allmählich erkalten und niemand würde sie vermissen.
Das Mädchen schloss die Augen und ihre Seele wollte nun diese Welt langsam verlassen. Doch ihrer Hoffnung hielt sie am Leben und mit letzter Kraft stellte sie sich vor, wie der Mond plötzlich vor ihr das Eis zum Schmelzen brachte, eine runde Stelle formte, die vielen zahlreichen Holzäste an dieser Stelle durch seinen Lichtstrahl trocknete und dann in Flammen aufgehen ließ. Durch die Flammen könnte sie sich wieder aufwärmen und ihre Hände würden sich wieder bewegen. Sie flüsterte schwach in den Schnee: „Danke Mond, dass es Dich gibt“. Regungslos lag sie erschöpft auf der eiskalten Schneedecke und mit aller letzter Kraft schaffte sie es, sich diesen Wunsch vorzustellen. Der eiskalte Wind blies erneut über das Mädchen hinweg und ließ ihren ermüdeten Körper leicht zittern. Der Mond strahlte sein weißes Licht über das Land und ließ den Schnee aufleuchten. Erneut herab fallender Schnee glitzerte und landete fast lautlos auf der Erde. Das Mädchen spürte ihre Wunde nicht mehr und ihre Hoffnung schwindete.
Doch plötzlich vernahm ihr blau angelaufenes Ohr ein Geräusch. Es war ein Knirschen wie bei mit alten Scharnieren bewegten Türen und ein Zischen, wie wenn kaltes Wasser auf eine heiße Platte gegossen wurde. Die Luft roch auf einmal stark nach feuchtem Moos und Holz. „WOMM!!“ Machte es auf einmal und es begann nach einer Weile vereinzelt zu knistern. Ein Geräusch, dass das Mädchen kannte, wenn bei ihr zu Hause das Holz im Kamin verbrannte. Wärme spürte sie allmählich am Kopf und warme, feuchte, und nach verbranntem Holz duftende Luft kroch in ihre Nase. Langsam öffnete sie ihre Augen. Ihre müden starren Augen erkannten nach einer Weile auf der leuchtend weißen Schneedecke eine flimmernd orangene Farbe. Was geschah da, fragte sie sich? Auf einmal sah sie einen glühenden Span vor ihrer Nase in den Schnee landen. Die kleine Glut erlosch zugleich durch den eiskalten Schnee und ein hauchdünner Rauch stieg dabei auf. Dampfschwaden zogen nach einer Weile an ihren Augen vorbei. Die Wärme wurde immer stärker und ihre, vorher mit Schnee bedeckte, schwarze Mütze war auf einmal trocken. Das orangegelbe Flimmern, begleitend mit einem knackenden und zischenden Geräusch, wurde immer heller und die weiße Landschaft färbte sich immer mehr mit dieser wärmenden Farbe. Ihre Hände konnte das Mädchen allmählich wieder bewegen. Sie spürte die aufkommende Wärme kribbelnd durch ihren Körper kriechen. Zugleich spürte das Mädchen, wie ihr warmes Blut durch ihre Fingerkuppen und durch ihre Zehen flossen. Das Knistern und Zischen vom Feuer wurde immer lauter und der warme Moosgeruch roch immer intensiver. Das Mädchen war völlig überrascht und bewegte langsam ihren Kopf nach oben. Ihr Gesicht wurde hell erleuchtet und sie glaubte nicht, was sie da sah. Vor ihr brannte ein Haufen starker Äste und hohe Flammen stiegen in den Sternenhimmel hinauf, begleitet von einer Vielzahl von Glühspänen. Das Mädchen spürte die Wärme auf ihrer Haut und im Gesicht. Wie konnte das hier geschehen fragte sie sich in Gedanken?
Das Mädchen genoss dieses Geschenk, das JETZT, und ließ Vergangenheit Geschichte sein und fragte auch nicht nach dem Morgen. Müde aber glücklich schlief das Mädchen mit der Zeit erschöpft ein. Ihre Wunde schmerzte wieder und ihre Füße zitterten vor Kälte, doch ihre Seele konnte weiterleben.
Das Feuer wurde so groß, dass es meilenweit zu erkennen war. Und zwar von einem verirrten Wanderer, der eine Bleibe suchte. Er trug eine dicke Felljacke, hatte Kordhosen an und schleppte einen schweren Rucksack auf seinem Rücken. Er wollte schon aufgeben, doch in der Ferne sah er auf einmal das Feuer. Sein Körper zitterte und das lichterlohe Feuer zog ihn magisch an. Ein plötzlich aufkommende kalter Wind, der dem Mann eiskalt ins Gesicht peitschte, trieb ihn an die Richtung zum großen Feuer einzuschlagen. Seine schweren Stiefel hinterließen tiefe Spuren im Schnee und machten dadurch tief knirschende Geräusche. Das Feuer war so groß, dass auch andere Menschen auf dieses orangegelbe Licht aufmerksam wurden und zu dieser Stelle hin zogen.
Als der verirrte Mann an die Feuerstelle kam, wollte er eine Pause machen und staunte über diese helle Feuerpracht. Seine Augen fingen diese wundervollen orangegelben Farben auf und sein Körper begann, sich aufzuwärmen. Doch dann entdeckte er das Mädchen, das in der Nähe der Feuerstelle lag und aus ihrem verletzten Bein blutete. Sofort warf er seinen Rucksack scheppernd auf den Boden und rannte zu ihr hin. Er drehte das Mädchen auf den Rücken und horchte eilig nach ihrem Herz. Es schlug ganz langsam. Zum Glück, das Mädchen lebte noch. Er zog seine Jacke aus und legte es in der Nähe des Feuers hin, um es aufzuwärmen. Dann rannte er zu seiner Tasche, holte einen Stofffetzen aus seinem Rucksack und rannte wieder zurück zu dem Mädchen. Der Mann zog aus seiner Hosentasche ein scharfes Messer und schnitt die Hose des Mädchens um die Wunde auf. Danach reinigte er die Wunde mit zerriebenem Schnee. Dann säuberte er den mitgebrachten Stofffetzen im Schnee und wollte es um die Wunde binden. Aber er hatte keine Schnur. Wo bekam er jetzt eine Schnur her? Plötzlich reichte ihm jemand eine Schnur, damit er es doch umbinden konnte. Erschrocken blickte er um seine rechte Schulter und eine junge, von der Kälte zitternde Frau mit roten, langen Haaren schaute ihm lächelnd ins Gesicht. Nach einem Moment nahm er die Schnur und sagte: „Danke“ und band sein Stofffetzen damit an die Wunde. Die Frau setzte sich währenddessen zu dem schlafenden Mädchen und nahm sie in den Schoß. Der Mann blickte die beiden an und lächelte. Er holte die aufgewärmte Jacke und deckte damit das Mädchen und die Frau zu. Die Frau hatte sich mit dem Rücken zum Feuer gedreht und wärmte ihren Körper auf. Sie spürte das Kribbeln, das sich durch ihren ganzen unterkühlten Körper zog und drückte zufrieden das Mädchen an sich, um diese Wärme weiter zu geben. Der Mann setzte sich entspannt ans Feuer und sein Rücken spürte die Kälte. Er blickte um sich und erkannte, dass sich auch einige Tiere hier einfanden, um die Wärme zu spüren. Eine Eule saß auf einem Ast und beobachtete von dort aus das Feuer. Einige Füchse lagen gesammelt in der Nähe des Feuers beieinander und wärmten sich. Einzelne Rehe waren in der Ferne zu erkennen und einige Fledermäuse huschten vorbei.
Auf einmal legte dem Mann jemand eine warme Jacke über seine Schultern und er blickte um sich. Er sah einen Mann mit schwarzer Hautfarbe und einem weißen Bart, der ihn anlächelte und gesehen hatte, was dieser verirrte Mann gemacht hatte. Der Grauhaarige lobte den Mann und setzte sich zu ihm.
Viele Menschen fanden sich hier auf einmal ein und ließen sich um das Feuer nieder, um sich aufzuwärmen. Einige tauten den Schnee auf, um den Bedürftigen und Kranken etwas zum Trinken zu geben. Andere kümmerten sich um das Feuer und hielten es am Brennen. Sie hatten einen alten umgeknickten Baum her geholt und in einzelne Stücke geschlagen, um das Feuer nicht ausgehen zu lassen. Immer mehr Menschen fanden sich durch das Feuer hier ein. Sie machten für alle etwas zu essen und sorgten sich gemeinsam um die Kinder. Einige Kinder hatten keine Eltern mehr und wurden von anderen Eltern in deren Familie aufgenommen. Alle erfreuten sich über das Miteinander und niemand fühlte sich ausgestoßen. Der verhungerte Vogel wurde von den Kindern begraben und die Rehe wurden von einigen Frauen gefüttert. Blinde, Ausgestoßene und Verbannte fanden hier wieder halt. Zwei Frauen und ein Mann, die einigen Menschen das Leben genommen oder ihnen Schaden zugefügt hatten, setzten sich freiwillig abseits von den Menschen ohne Kleider und ihre Beine überkreuzt in den Schnee und wollten sich nicht bewegen, um ihre Strafe zu büßen. Sie wurden trotzdem immer wieder mit warmer Suppe versorgt, damit sie nicht erfrieren konnten. Die Liebe hatte hier ihre Kraft und verhalf den Menschen, ihre Herzen durch deren Hände und durch einander Berühren und Festhalten ausleben zu lassen. Sie umarmten sich, schenkten sich Wärme und Geborgenheit, hörten einander zu und sprachen miteinander, um sich auszutauschen. Hass zwischen zwei oder mehreren Menschen wurde hier durch Vergebung zur Freundschaft. Einige hatten hier auch ihre Liebe zueinander gefunden, hielten sich einander fest und berührten ihre Lippen.
Das Mädchen wachte allmählich auf und blickte in die Augen der Frau, die auf sie aufpasste. Sie bekam von der Frau einen Kuss auf die Stirn. Das Mädchen bedankte sich bei ihr und hielt sie ganz fest und schloss ihre Augen. Denn sie dachte es wäre ein Traum. Die Frau spürte die weichen Hände des Mädchens an ihrem Rücken. Und als das Mädchen ihre Augen wieder öffnete und die Frau immer noch sah, freute sie sich so sehr, dass sie ihr eigenes Herzklopfen spürte. Ihre Nase roch einen warmen, würzigen Geruch, der vom Feuer her zog und aus einem Suppentopf entsprang. Sie hörte ein gemäßigter Lärm, der durch die anderen Menschen um sie herum zustande kam. Überrascht sah sie die Vielzahl von Menschen, die hier an diesem vorher noch traurigen Ort sich eingefunden und mit Leben gefüllt hatten. Und sie sah die Freude und die Liebe in den Gesichtern der Menschen und beobachtete, wie herzlich alle miteinander umgingen. Sie entdeckte einige Lichterketten durch Kerzen im Schnee, die vom Feuer her in alle Richtungen führten. Das Mädchen sah nach einer Weile zum Mond, der immer noch hoch am Himmel mit seinen zwei Leuchtringen strahlte. Sie war froh, als sie dabei die warme Hand der Frau spürte, die sanft das Mädchen streichelte. Sie bemerkte auf einmal ihre eigenen warmen nackten Füße, die in einer dicken Decke eingewickelt waren. Der verirrte Mann schaute nach den beiden und begrüßte das Mädchen. Seine große und starke rechte Hand streichelte ihren Kopf und schüttelte ihre kleine weiche Hand. Das Mädchen lächelte ihn an und der Mann freute sich, dass sich das Mädchen wohl und geborgen bei der Frau fühlte. Immer wieder schaute er nach den beiden, denn er kümmerte sich mit ein paar anderen um das große Feuer, dass es nicht erlosch. Und immer wieder zündete er mit ein paar anderen mehrere Fackeln an, um sie weit ringsherum von dieser Feuerstelle zu verteilen, damit auch andere Menschen diese Stelle der Gemeinschaft fanden und Hilfe bekamen. Das Mädchen verspürte keine Einsamkeit mehr und hatte jetzt wieder Eltern gefunden, die für sie da waren. Die Frau mit ihren roten Haaren und der verirrte Mann hatten sich lieb gewonnen und das Mädchen zu sich aufgenommen. Das Mädchen blickte zum Mond und sagte: „Danke Mond, für Dein Licht. Ich lebe durch Dich weiter. Danke Glück, dass es Dich gibt.“ Denn der Mond hatte für das Mädchen scheinbar wieder zwei Menschen finden lassen, denen das Mädchen Liebe geben und durch die beiden das Mädchen wieder Liebe empfangen konnte. Wie die zahlreichen Menschen, die sich hier in dieser Nacht eingefunden und zusammen gekommen waren. In DER NACHT DES MONDFEUERS.
 



 
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