Die Nagelprobe
Wieder und wieder versuchte sie, endlich einen Nagel in die Wand zu bekommen, damit sie das Bild hinhängen konnte. Doch die Wand war unter dem dünnen Putz sehr hart, und jedesmal, wenn ein Nagel auf den harten Stein traf, verbog er sich. Gerade so, als ob die Nägel Angst vor der Wand hätten. Bald hatte sie die Geduld verloren und gestand sich ein, dass sie wohl einfach zu ungeschickt für diese Arbeit war. Genervt legte sie sich auf ihr Sofa und dachte sich, wie schön es wäre, wenn es doch einen lieben Gott gäbe, der ab und zu auch mal helfen würde, anstatt einfach nur zuzuschauen, wie das Elend in den meisten Teilen der Welt regierte. Aber sie wusste ja, oder nahm zumindest an, dass es Gott nicht geben konnte, da sie schon mal einen, ihr plausibel erschienenen, Widerspruchsbeweis gelesen hatte.
Plötzlich klopfte es an ihrer Tür. Als sie nachschaute, stand dort eine ältere Dame, etwas dicklich und mit einem gelben Tirolerhut auf dem Kopf. Anne schaffte es nur mit Mühe, sich das Lachen zu verbeißen. Die seltsame Dame sprach zu ihr: \"Guten Tag, Anne, bitte guck nicht so verwundert. Ich bin nur hergekommen, um dir bei deinem Problem mit dem Nagel und der Wand zu helfen.\" Anne verlor jetzt ihre Fassung: \"Ja, aber, woher wollen Sie den wissen, was ich für Probleme habe?\" Die Dame aber sprach: \"Das ist gar kein Problem für mich, ich bin nämlich der liebe Gott, und ich weis alles. Wenn du dich wunderst, warum ich dieses Aussehen habe: Das habe ich gewählt, weil ich mich an deinem überraschten Gesichtsausdruck amüsieren wollte, und auch, damit du keine Angst vor einem so mächtigen Wesen wie mir hast.\" Anne war so verblüfft, dass sie nur ein \"Ja, okay.\" über ihre Lippen brachte. Die Dame sprach: \"Nun also, ich will nicht lange hier rumstehen und hau dir mal schnell nen Nagel in deine Wand.\" Und schon ging sie schnellen Schrittes in die Wohnung hinein, zur Wand im Wohnzimmer, ergriff den Hammer und einen Nagel und schlug mit einem einzigen Hieb den Nagel passend auf Länge in die Wand. Anne hatte sich in der kurzen Zeit wieder einigermaßen gefasst, war sich aber nicht sicher, was das alles zu bedeuten hatte. Was hier passierte, war allzu schräg. Das passte einfach nicht in ihre Welt. Sie glaubte auch nicht, dass es so etwas wie einen Allmächtigen überhaupt geben könnte, denn kannte den Gegenbeweis, der auf einen Widerspruch beruhte. Wie war der noch gleich? Da fiel er ihr plötzlich wieder ein. Sie fragte verlegen: \"Stimmt es wirklich, dass Gott allmächtig ist? Das wären Sie doch dann, wenn Sie wirklich Gott wären.\" \"Jaja, ist schon so richtig.\" antwortete die Dame. \"Und jetzt willst du bestimmt den Beweis mit dem Nagel, stimmts?\" \"Woher wissen Sie das?\" fragte Anne überrumpelt. Dann sagte sie: \"Ah so, schon gut. Wenn Sie Gott sind, hat sich meine Frage erübrigt.\" Die Dame aber reichte ihr ein langes Brecheisen, mit einem sogenannten Kuhfuß am Ende. Weiss der Geier, wo sie es so plötzlich her hatte. Mit so einem Werkzeug können die größten Zimmermannsnägel mühelos herausgezogen werden, wegen der langen Hebelwirkung. Eigentlich war es völlig überzogen, mit so einem großen Werkzeug den kleinen Nagel aus der Wand zu ziehen. Wie mit einer Kanone auf einen Spatz schießen. Anne kam sich veralbert vor, konnte aber doch nicht widerstehen, setzte den Kuhfuß an den Nagel und zog daran. Aber so sehr sie sich abmühte - sie hing förmlich mit ihrem ganzen Körper an der Stange - der Nagel bewegte sich keinen Deut aus der Wand. \"Ich gebs auf!\" schnaufte Anne und setzte sich hin. \"Das ist ja echt überirdisch, wie fest der da drin steckt. Aber trotzdem können Sie nicht allmächtig sein. Denn wenn Sie den Nagel selbst nicht mehr herausbekommen, haben sie keine Allmacht mehr, und wenn Sie ihn doch herausbekommen, dann hätten Sie nie die sogenannte Allmacht besessen, ihn unendlich fest einzuschlagen.\" Die Dame sprach: \"Da hast du recht. Wenn ich allmächtig wär, könnte ich den Nagel nicht herausziehen und müsste ihn trotzdem herausziehen können.\" \"Wusste ich\'s doch!\" sprach Anne. \"Sie haben also gelogen, nichts ist mit Ihrer Allmacht, auch wenn Sie Gott sind. Alles können Sie bestimmt nicht.\" Die Dame sprach: \"Abwarten. Vielleicht kann ich beides gleichzeitig. Also es ist mir unmöglich, den Nagel herauszuziehen, und gleichzeitig ziehe ich ihn trotztdem heraus.\" \"Aber das ist völlig unmöglich!\" antwortete Anne. Die Dame sprach: \"Naja, manche Leute meinen dazu, dass die menschliche Logik nicht auf eine höhere Macht übertragbar ist. Gott kann alles und die menschliche Vorstellungskraft ist nicht groß genug seine allumfassende Macht zu verstehen. Jedenfalls dieses Problem mit dem Nagel und der Allmacht ist eine Kleinigkeit für mich.\" \"Das glaube ich nicht!\" sprach Anne. \"Dann müssten Sie sich ja über die mathematischen Gesetze der Logik hinwegsetzen. Das ist unmöglich! Das wäre ja so, als wenn 1+1 gleichzeitig 2 und 3 wären.\" \"Pah!\" sprach die Dame. Dir mangelt es einfach an Fantasie. Streng dich ein wenig mehr an. Ich kann die Aufgabe jedenfalls so vollbringen, dass die Gesetze der Logik gewahrt bleiben. Du wirst schon sehen, warte mal ab.\" Anne grübelte und grübelte. Aber ihr fiel kein Weg ein, wie das Problem so gelöst werden konnte, dass die Gesetze der Logik trotzdem ihre Gültigkeit behielten.
Anne schlug die Augen auf und fand sich auf ihrem Sofa liegend. Also war sie wohl eingenickt. Dann hatte sie alles nur geträumt. Sie schaute auf die Wand. Es war kein Nagel darin zu sehen. Dann aber erschrak sie, als sie zum Boden blickte. Dort lag doch tatsächlich noch der Kuhfuß herum. Und auch der Nagel steckte dort noch drin. Also hatte die Dame sie also doch belogen. Wenn das Ganze ein Traum gewesen wäre, hätte Gott tatsächlich das Kunststück mit dem Nagel vollbracht, aber da er in der selben Realität herausgezogen wurde, in der sie sich selbst befand, konnte sich der Nagel nicht unendlich fest in der Wand befunden haben. Sie überlegte und fand es außerdem seltsam, dass Gott ausgerechnet bei ihr vorbeischaute, da er sich ihrer Meinung nach sonst nur bei Geisteskranken und Leuten im Drogenrausch offenbarte. Sie war doch nicht etwa selbst geisteskrank? Da huschte ihr plötzlich ein Geistesblitz in ihren Verstand. Sie war sich nun ziemlich sicher, dass sie noch immer träumen musste. Dann erwachte sie. Aber sie war sich ihres Erwachens nicht sicher und zweifelte, ob sie nun auch wirklich aufgewacht war. Ja sie zweifelte sogar, ob es es überhaupt möglich wäre, sich sicher zu sein, nicht zu träumen.
Wieder und wieder versuchte sie, endlich einen Nagel in die Wand zu bekommen, damit sie das Bild hinhängen konnte. Doch die Wand war unter dem dünnen Putz sehr hart, und jedesmal, wenn ein Nagel auf den harten Stein traf, verbog er sich. Gerade so, als ob die Nägel Angst vor der Wand hätten. Bald hatte sie die Geduld verloren und gestand sich ein, dass sie wohl einfach zu ungeschickt für diese Arbeit war. Genervt legte sie sich auf ihr Sofa und dachte sich, wie schön es wäre, wenn es doch einen lieben Gott gäbe, der ab und zu auch mal helfen würde, anstatt einfach nur zuzuschauen, wie das Elend in den meisten Teilen der Welt regierte. Aber sie wusste ja, oder nahm zumindest an, dass es Gott nicht geben konnte, da sie schon mal einen, ihr plausibel erschienenen, Widerspruchsbeweis gelesen hatte.
Plötzlich klopfte es an ihrer Tür. Als sie nachschaute, stand dort eine ältere Dame, etwas dicklich und mit einem gelben Tirolerhut auf dem Kopf. Anne schaffte es nur mit Mühe, sich das Lachen zu verbeißen. Die seltsame Dame sprach zu ihr: \"Guten Tag, Anne, bitte guck nicht so verwundert. Ich bin nur hergekommen, um dir bei deinem Problem mit dem Nagel und der Wand zu helfen.\" Anne verlor jetzt ihre Fassung: \"Ja, aber, woher wollen Sie den wissen, was ich für Probleme habe?\" Die Dame aber sprach: \"Das ist gar kein Problem für mich, ich bin nämlich der liebe Gott, und ich weis alles. Wenn du dich wunderst, warum ich dieses Aussehen habe: Das habe ich gewählt, weil ich mich an deinem überraschten Gesichtsausdruck amüsieren wollte, und auch, damit du keine Angst vor einem so mächtigen Wesen wie mir hast.\" Anne war so verblüfft, dass sie nur ein \"Ja, okay.\" über ihre Lippen brachte. Die Dame sprach: \"Nun also, ich will nicht lange hier rumstehen und hau dir mal schnell nen Nagel in deine Wand.\" Und schon ging sie schnellen Schrittes in die Wohnung hinein, zur Wand im Wohnzimmer, ergriff den Hammer und einen Nagel und schlug mit einem einzigen Hieb den Nagel passend auf Länge in die Wand. Anne hatte sich in der kurzen Zeit wieder einigermaßen gefasst, war sich aber nicht sicher, was das alles zu bedeuten hatte. Was hier passierte, war allzu schräg. Das passte einfach nicht in ihre Welt. Sie glaubte auch nicht, dass es so etwas wie einen Allmächtigen überhaupt geben könnte, denn kannte den Gegenbeweis, der auf einen Widerspruch beruhte. Wie war der noch gleich? Da fiel er ihr plötzlich wieder ein. Sie fragte verlegen: \"Stimmt es wirklich, dass Gott allmächtig ist? Das wären Sie doch dann, wenn Sie wirklich Gott wären.\" \"Jaja, ist schon so richtig.\" antwortete die Dame. \"Und jetzt willst du bestimmt den Beweis mit dem Nagel, stimmts?\" \"Woher wissen Sie das?\" fragte Anne überrumpelt. Dann sagte sie: \"Ah so, schon gut. Wenn Sie Gott sind, hat sich meine Frage erübrigt.\" Die Dame aber reichte ihr ein langes Brecheisen, mit einem sogenannten Kuhfuß am Ende. Weiss der Geier, wo sie es so plötzlich her hatte. Mit so einem Werkzeug können die größten Zimmermannsnägel mühelos herausgezogen werden, wegen der langen Hebelwirkung. Eigentlich war es völlig überzogen, mit so einem großen Werkzeug den kleinen Nagel aus der Wand zu ziehen. Wie mit einer Kanone auf einen Spatz schießen. Anne kam sich veralbert vor, konnte aber doch nicht widerstehen, setzte den Kuhfuß an den Nagel und zog daran. Aber so sehr sie sich abmühte - sie hing förmlich mit ihrem ganzen Körper an der Stange - der Nagel bewegte sich keinen Deut aus der Wand. \"Ich gebs auf!\" schnaufte Anne und setzte sich hin. \"Das ist ja echt überirdisch, wie fest der da drin steckt. Aber trotzdem können Sie nicht allmächtig sein. Denn wenn Sie den Nagel selbst nicht mehr herausbekommen, haben sie keine Allmacht mehr, und wenn Sie ihn doch herausbekommen, dann hätten Sie nie die sogenannte Allmacht besessen, ihn unendlich fest einzuschlagen.\" Die Dame sprach: \"Da hast du recht. Wenn ich allmächtig wär, könnte ich den Nagel nicht herausziehen und müsste ihn trotzdem herausziehen können.\" \"Wusste ich\'s doch!\" sprach Anne. \"Sie haben also gelogen, nichts ist mit Ihrer Allmacht, auch wenn Sie Gott sind. Alles können Sie bestimmt nicht.\" Die Dame sprach: \"Abwarten. Vielleicht kann ich beides gleichzeitig. Also es ist mir unmöglich, den Nagel herauszuziehen, und gleichzeitig ziehe ich ihn trotztdem heraus.\" \"Aber das ist völlig unmöglich!\" antwortete Anne. Die Dame sprach: \"Naja, manche Leute meinen dazu, dass die menschliche Logik nicht auf eine höhere Macht übertragbar ist. Gott kann alles und die menschliche Vorstellungskraft ist nicht groß genug seine allumfassende Macht zu verstehen. Jedenfalls dieses Problem mit dem Nagel und der Allmacht ist eine Kleinigkeit für mich.\" \"Das glaube ich nicht!\" sprach Anne. \"Dann müssten Sie sich ja über die mathematischen Gesetze der Logik hinwegsetzen. Das ist unmöglich! Das wäre ja so, als wenn 1+1 gleichzeitig 2 und 3 wären.\" \"Pah!\" sprach die Dame. Dir mangelt es einfach an Fantasie. Streng dich ein wenig mehr an. Ich kann die Aufgabe jedenfalls so vollbringen, dass die Gesetze der Logik gewahrt bleiben. Du wirst schon sehen, warte mal ab.\" Anne grübelte und grübelte. Aber ihr fiel kein Weg ein, wie das Problem so gelöst werden konnte, dass die Gesetze der Logik trotzdem ihre Gültigkeit behielten.
Anne schlug die Augen auf und fand sich auf ihrem Sofa liegend. Also war sie wohl eingenickt. Dann hatte sie alles nur geträumt. Sie schaute auf die Wand. Es war kein Nagel darin zu sehen. Dann aber erschrak sie, als sie zum Boden blickte. Dort lag doch tatsächlich noch der Kuhfuß herum. Und auch der Nagel steckte dort noch drin. Also hatte die Dame sie also doch belogen. Wenn das Ganze ein Traum gewesen wäre, hätte Gott tatsächlich das Kunststück mit dem Nagel vollbracht, aber da er in der selben Realität herausgezogen wurde, in der sie sich selbst befand, konnte sich der Nagel nicht unendlich fest in der Wand befunden haben. Sie überlegte und fand es außerdem seltsam, dass Gott ausgerechnet bei ihr vorbeischaute, da er sich ihrer Meinung nach sonst nur bei Geisteskranken und Leuten im Drogenrausch offenbarte. Sie war doch nicht etwa selbst geisteskrank? Da huschte ihr plötzlich ein Geistesblitz in ihren Verstand. Sie war sich nun ziemlich sicher, dass sie noch immer träumen musste. Dann erwachte sie. Aber sie war sich ihres Erwachens nicht sicher und zweifelte, ob sie nun auch wirklich aufgewacht war. Ja sie zweifelte sogar, ob es es überhaupt möglich wäre, sich sicher zu sein, nicht zu träumen.