Die Parade

nemo

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Die Parade

Ein Raunen ging durch die Menge, als der schwarze Mercedes sich näherte.
Alois stand neben mir und hüpfte aufgeregt von einem Bein auf das andere.
Den ganzen Tag hatten wir diesem Augenblick entgegengefiebert - endlich war es soweit. Meine Hände wurden klamm und ich versuchte zwischen zwei Grubenarbeitern einen Blick auf die Strasse zu erhaschen. Ich konnte die Soldaten sehen, die im Gleichschritt marschierten; mit geradem Rücken und die Augen stur nach vorne gerichtet. Das Metall ihrer Gürtelschnallen blitzte in der Frühlingssonne. Ein Gefühl des Stolzes erfüllte meine kindliche Seele. Ich war erst elf, aber hätte man mir in diesem Augenblick ein Gewehr gegeben, wäre ich bereit gewesen, mein Vaterland bis zum Tode zu verteidigen. Alois und ich, versuchten uns durch die erste Reihe zu drängeln. Ein großer Kerl, mit Ruß geschwärztem Gesicht, lachte lauthals, als er merkte, dass wir nicht an ihm vorbeikamen. Er klopfte mir auf die Schulter und ging einen Schritt zur Seite. Nun endlich konnte ich die schwarze Edel-Karosse sehen. Sie fuhr im Schritt-Tempo in unsere Richtung und ich zitterte vor Aufregung. Weil die Sonne mich blendete, legte ich meine Hand über die Augen. Als erstes sah ich, auf dem Wagen stehend, einen dicken Mann mit einer Uniform, übersät mit glänzenden Orden. Als er sich zur Seite drehte, um der jubelnden Menge zuzuwinken, erkannte ich, dass hinter ihm der Führer stand. Die rechte Hand erhoben und mit strengem Blick, beäugte er sein Volk, das eigentlich gar nicht sein Volk war. Ich bekam eine Gänsehaut und schrie aus ganzer Seele : „Heil Hitler! Heil Hitler! Heil Hitler!“
Alois tat es mir gleich und wir waren für einen kurzen Moment die glücklichsten Kinder der Welt. Als der Mercedes an uns vorbei fuhr, drehte der Führer sich zu mir um und ich sah ihm, für das Zehntel einer Sekunde, in die Augen. Plötzlich wurde ich von einem grellen Licht geblendet, wie von einem Blitz, der kurz vor mir einschlägt. Ich sah Menschen, ausgemergelt bis auf die Knochen, die kaum mehr die Kraft besaßen, aufrecht zu gehen. Gruben, gefüllt mit schlaffen Körpern, gestapelt wie Gemüse auf einem Marktkarren. Eine Woge der Übelkeit überkam mich, aber die Bilder hörten nicht auf; Bilder von Krieg, Flammen und Zerstörung. Jedes Glücksgefühl war gewichen und hinterließ nur ein schwarzes Loch, gefüllt mit reinem Entsetzen. So schlagartig die Visionen erschienen waren, verschwanden sie auch.
Übrig blieb die Dunkelheit.

Als ich wieder zu mir kam, lag ich auf meinem Bett und neben mir saß meine Mutter. Sie lächelte friedlich, und tupfte mir mit einem Tuch kaltes Wasser auf die Stirn.
„Der Führer scheint dich ja mächtig beeindruckt zu haben.“ sagte sie mit einem verschmitzten Lächeln.
Ich fing an zu weinen.
Meine Mutter dachte, ich weine aus Glück.
 

Charima

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Hallo, Nemo!

Dieser Text hat mich schwer beeindruckt! Wieviel Du mit so wenigen, schlichten Worten auszusagen vermagst ist beinahe schon unglaublich!

Weitere solcher Texte wünscht Dir herzlichst

Charima
 



 
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