Die Prinzessin und der Koch

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Rodolfo

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DIE PRINZESSIN UND DER KOCH

Es war einmal...

.. ein junger Koch, der aus Freude und mit Liebe kochte und daher in seiner Arbeit völlig aufging. Eines Tages jedoch, als er eben über den Markt schlenderte, hier einem Fisch prüfend die Kiemen öffnete, um zu sehen, ob die Farbe ein zartes rosa oder schon ein vergilbtes weiss war, dort an einem Sträusschen Basilikum zupfte, um sich über dessen Kraft und Frische zu vergewissern, begegnete er unverhofft der schönen Prinzessin, die mit einem Rudel ihrer Verehrer albernd und die armen Leute verspottend durch den Markt zog und verliebte sich unsterblich in sie. Soviel Liebreiz und Schönheit schien ihm das einzig Erstrebenswerte auf dieser Welt und er übersah mit den Augen des Liebenden ihr flegelhaftes Benehmen. Da sie für ihn jedoch unerreichbar war, steckte er seine ganze Liebe und seine Sehnsucht in die Kochkunst, so dass er bald im ganzen Königreich bekannt und berühmt wurde. Dies kam auch dem König zu Ohren und er lud den jungen Koch ein, in seinem Palast zu kochen. Die Prinzessin war von seinen Kochkünsten so begeistert, dass sie ihn einlud, zu bleiben und nur noch für sie zu kochen. Da er nicht mehr von ihr haben konnte, war er es eine Zeitlang zufrieden, wenigstens für seine angebetete Prinzessin kochen zu dürfen. Aber er musste hilflos zusehen, wie sie sein Essen mit einer ganzen Horde edler Freier teilte, die mit den köstlichen Speisen zum Teil nur Schabernack trieben und ihn als niederen Dienstboten behandelten und verlachten. Da er keinen anderen Ausweg sah, begann er für die Prinzessin, die seine Kost über alles liebte, so fette Speisen zu kochen, dass sie immer dicker und für ihre vielen Freier immer unansehnlicher wurde. Als dann der Freier immer weniger wurden und zu guter Letzt nur noch ein paar Alte und ein paar verarmte Edelleute zurückblieben, stellte sich die Prinzessin vor den Spiegel und betrachtete kritisch ihr Spiegelbild.
Wütend befahl sie daraufhin ihren Koch zu sich und überschüttete ihn mit Vorwürfen. Daraufhin gestand er ihr seine Liebe und dass er nur deshalb so für sie gekocht habe, denn er liebe sie in jeder Form und in jedem Ausmass. Zornig über diese Unverschämtheit eines Dienstboten jagte sie ihn vom Schloss und sogar aus dem Königreich. Kaum war er jedoch fort, vermisste sie seine wohlschmeckenden Gerichte. Sie bestellt die besten Köche des Landes auf ihr Schloss, aber keiner konnte auch nur annähernd die Qualität der Speisen des jungen Kochs erreichen, da ihnen die wichtigste Zutat fehlte - die Liebe. Als sie dann den traurigen Rest ihrer Verehrerschar so betrachtete, besann sie sich plötzlich wieder der Worte des jungen Kochs, dass er sie in jeder Form und in jedem Ausmass liebe. Und es schien ihr nun, dass es kein schöneres Kompliment für eine Frau gab und sie verzehrte sich plötzlich vor Sehnsucht nach dem jungen und ansehnlichen Koch. Sie schickte eine Hundertschaft Berittener aus, die ihn suchen sollten, aber nach monatelanger Suche kehrten sie unverrichteter Dinge auf das Schloss zurück, wo sie berichteten, dass der Koch, wie ihm befohlen, das Königreich verlassen hatte. Seine Spur war einfach zu verfolgen gewesen, denn überall, wo er durchgekommen war, hatte er für seinen Lebensunterhalt gekocht und die Leute waren voller Lob über seine einmalig schmackhaften Gerichte. Aber ausserhalb des Königreiches konnten ihre Soldaten nicht weitersuchen, so dass sie traurig wurde und immer mehr in Sehnsucht versank. In ihrem Kummer stopfte sie immer mehr in sich hinein, so dass sie noch viel dicker wurde, bis ihre Untertanen sie hinter vorgehaltener Hand nur noch „Prinzessin Bierfass“ nannten. Als sie sich schliesslich kaum mehr bewegen konnte, liess ihr besorgter Vater die besten Ärzte des Königreiches kommen, damit sie ihr helfen sollten. Aber sie verschmähte den Rat der Weisen und sagte nur immer wieder, dass die einzige Medizin für sie der junge Koch sei, den sie nun auf immer verloren glaubte.
Unter den Ärzten und Weisen war auch ein listiges, altes Kräuterweib, das sich sofort aufmachte, Informationen über den Verbleib des jungen Kochs zu sammeln. Bald hörte sie, dass er über die grossen Berge westlich des Königreiches gewandert sei und begab sich unverzüglich zur Prinzessin.

„Schöne, unglückliche Prinzessin, ihr braucht mir nicht zu sagen, was euch bedrückt. Ich sehe, dass euch der Kummer um eine unglückliche Liebe fett und krank gemacht hat. Euch kann geholfen werden, aber ihr müsst den jungen Mann schon sehr lieben, denn die Behandlung ist äusserst schwer und würde Euch alles abverlangen.“

Sofort war die Prinzessin Feuer und Flamme und wirkte trotz ihrer Unbeweglichkeit völlig aufgedreht.

„Sag mir was ich tun muss, ich werde alles tun, was du von mir verlangst und ich werde dich auch fürstlich belohnen, wenn ich meinen Koch wiederfinden sollte.“

„Nun gut, ich habe Euch gewarnt: ihr müsst euch auf euren eigenen Füssen aufmachen und das ganze Königreich zu Fuss durchqueren, bis ihr an seine westliche Grenze kommt. Bis dahin jedoch dürft ihr kein Geld ausgeben und euch nur von dem ernähren, was mitleidige Bauern und einfache Leute euch aus Mitleid schenken. Auch müsst ihr euch in Lumpen kleiden, so dass ihr ausseht wie eine arme Bettlerin. Wenn ihr dann die westliche Grenze überschreitet, werdet ihr vor ein riesiges Gebirge kommen. Das durchwandert ihr immer in westlicher Richtung und ab der Grenze eures Landes dürft ihr gar nichts mehr essen, sondern nur noch Wasser aus den klaren Bergbächen trinken. In jedem Dorf, das ihr durchquert, sucht ihr dann den besten Koch und verlangt von ihm sein bestes Gericht ohne Bezahlung. Und so werdet ihr euren Geliebten wiederfinden und ihr werdet beide glücklich leben bis ans Ende aller Tage.“

Trotz ihrer Zweifel, ob sie dazu überhaupt fähig sei, machte sich die Prinzessin unverzüglich auf den Weg. Da sie jedoch so fett und unbeweglich war, schaffte sie es bis am Abend nur bis vor das Tor des Schlosses. Dort gab sie ihr ganzes Geld einer alten Bettlerin, mit der sie die Kleider tauschte. Da ihr diese jedoch viel zu klein waren, schenkte ihr die Bettlerin ausserdem eine zerrissene Pferdedecke, in der sie zu schlafen pflegte und die fürchterlich stank. Trotzdem fiel die erschöpfte Prinzessin sofort in tiefen Schlaf und wurde erst wach, als sie kurz vor Sonnenaufgang von einem Soldaten unsanft mit dem Schaft seines Speeres geweckt wurde.

„Hau ab, du fette Bettlerin, gleich öffnen wir die Tore und wir können deinen abschreckenden Anblick unseren Besuchern nicht zumuten!“

Die Prinzessin erschrak zutiefst. Stand es schon so schlimm um sie, dass sie einen erschreckenden Anblick bot? Sie vergass, dass sie im ersten Zorn hatte die Wache rufen und den frechen Soldaten köpfen lassen wollte, und tappte unglücklich davon. Hinter ihr begleiteten sie das Lachen und die zotigen Sprüche der Landsknechte. Ihre Wut über die Beleidigungen der rauhen, unwürdigen Gesellen verlieh ihr Kraft und bis zum Abend hatte sie immerhin schon die Strecke durch die kleine Hauptstadt zurückgelegt. Als es eindunkelte und sie auf ihren kleinen, für ihre Leibesfülle viel zu schwachen Füssen erschöpft vor einer kleinen Kate halt machte, wollte sie sich nur noch hinlegen und schlafen. Aber die Bewohner, ein altes, kinderloses Ehepaar, sahen ihr von der Hütte aus zu, wie sie sich abmühte, ihren dicken, verweichlichten Körper auf dem harten Boden in eine einigermassen erträgliche Lage zu betten. Ohne sich über die wahrhaft eigenartige Erscheinung zu wundern, bereiteten sie ihr ein Lager auf dem Heuboden. Die Prinzessin war so müde, dass sie den Unterschied zu ihren feinen Linnen und weichen Matrazen gar nicht verspührte. Am nächsten Morgen standen die armen Leutchen schon früh auf und melkten ihre einzige, magere Ziege. Obwohl die paar Tropfen Milch kaum für die Beiden ausreichten, boten sie davon zuerst ihrem Gast an. Die Prinzessin war verwirrt und beschämt über solche Grossherzigkeit und weigerte sich, von der Milch zu trinken.

„Gute Leute, ihr braucht das Bisschen notwendiger als ich. Ich habe Zeit meines Lebens genug zu essen gehabt, wie ihr seht, und bin trotzdem zutiefst unglücklich. Wenn ich euch das Wenige, dass ihr zum Leben braucht, wegnehmen würde, müsste ich mich zu Tode schämen.“

Trotz des Protestes der beiden Alten liess sie sich nicht erweichen, von der Milch zu trinken. Sie schenkte Ihnen im Gegensatz sogar noch einen wertvollen Ring, den die alten Leutchen erst gar nicht annehmen wollten. Erst als sie versprach, den Ring bei ihrer Rückkehr abzuholen, liessen sie sich dazu überreden, ihn für die vermeintliche Bettlerin aufzuheben. Die Grossmut der Leute verlieh ihr neue Kraft, und ohne seit ihrem Aufbruch etwas gegessen zu haben, marschierte – oder besser tippelte – sie mit ihren kleinen, vorsichtigen Schrittchen weiter. Bis zum nächsten Abend hatte sie schon die doppelte Strecke geschafft, bevor sie sich völlig am Ende ihrer Kräfte an einem lieblichen Flussufer niederliess. Das Murmeln des Wassers, die majestätischen Bewegungen der vorbeiziehenden Schwäne, das Geplapper und übermütige Singen der Vögel, die sich in einem Baum über ihr einen Schlafplatz ausgesucht hatten, die überwältigende Blütenpracht der einfachen Wiesenblumen – all dies stimmte unsere Prinzessin so glücklich und zufrieden, dass sie mit einem seligen Lächeln auf den Lippen einschlief, ohne selbst gewahr zu werden, dass sie wiederum einen Tag ohne zu essen verbracht hatte.
Und so ging es nun immer weiter: jeden Tag legte sie die grössere Strecke zurück, da ihr Körper, der ja gar keine Anstrengung gewöhnt war, von Tag zu Tag fester und stärker wurde. Und sie trank vom kristallenen Wasser der Bäche und Quellen, was ihr viel köstlicher schien als der süsseste aller Weine, und sie ass fast überhaupt nicht, da ihr jedesmal, wenn ein Bauer auf dem Feld oder ein wandernder Handwerksgeselle sein karges Mal mit ihr teilen wollte, der Hals wie zugeschnürt war angesichts des bescheidenen Essens, das diese schwer arbeitenden Menschen am Leben hielt. Nicht, dass er ihr zu einfach gewesen wäre, sie litt zeitweise schrecklichen Hunger und hätte sogar ein steinhartes Stück Brot gegessen. Aber wenn wieder einmal ein einfacher Landmann sein Taschentuch öffnete und ihr voller Stolz seine Schätze: ein Stückchen Brot und vielleicht etwas harten Käse oder einen Apfel hinhielt, hätte sie weinen können, wenn sie an die Verschwendung und die Völlerei auf dem Schloss dachte. Nein, sagte sie sich, eher sterbe ich Hungers, als dass ich diesen Armen ihr Weniges auch noch wegnehme!
Als sie dann nach über einem Monat an die Grenze des Königreiches gelangte, hatte sie – ohne sich dessen gewahr zu sein, (da sie sich nicht getraute, sich im Spiegel eines ruhigen Gewässers zu betrachten)- schon beträchtlich abgenommen und ihre frühere Schönheit begann bereits wieder durchzuschimmern. Ab hier nun musste sie – den Worten des alten Kräuterweibes gemäss – nur noch vom Wasser der Bergbäche leben und in jedem Dorf vom besten Koch sein allerbestes Gericht ohne Bezahlung verlangen. Getrieben von ihrer Sehnsucht nach ihrem jungen Koch machte sie sich unverzüglich an den schweren Aufstieg ins Gebirge. Zu Beginn lagen die Dörfer noch nahe beieinander und sie erntete viel Hohn und Spott mit ihrer unverschämten Bitte an die Wirte der Dorfschenken. Der eine schlug ihr vor, mit seinen Schweinen zu fressen, da sie wie diese bald fett genug sein würde, um zur Schlachtbank geführt zu werden. Der nächste, dem ihre, unter dem immer noch zu dicken Körper versteckte und von Lumpen und stinkender Pferdedecke verhüllte Schönheit nicht ganz verborgen blieb, machte ihr ein unanständiges Angebot, das er mit seinem besten Gericht vergelten wollte. Ein Dritter bot ihr an, in seiner Küche zu arbeiten, da er glaubte, in einem so wohlgenährten Körper müsse sich eine gute Köchin verstecken. Nur ein einziger auf ihrer mühseligen Pilgerreise gestand ihr frei heraus, dass er vom Kochen keine grosse Ahnung habe und dass auch sein bestes Gericht kaum geniessbar sei (nein, natürlich gab es auch damals keine ehrlichen Wirte, aber dies ist ja schliesslich ein Märchen!).
Viel später, als sie immer höher in das riesengrosse Gebirge hinaufgestiegen war und die Dörfer mehrere Tagereisen auseinander lagen, verliess sie fast ihr Mut. Seit Monaten hatte sie nun praktisch nichts gegessen ausser ein paar Beeren und Wurzeln, die sie am Wegrand entdeckt hatte. Nur das lautere Wasser, das umso köstlicher schmeckte, je weiter sie in die Berge hinaufstieg, hielt sie noch am Leben. Aber mit ihrem Äusseren war ein wahres Wunder geschehen. Strenge Diät und harte, körperliche Anstrengung hatten ihren Körper wie von einem begnadeten Bildhauer zu einem Meisterstück modelliert, so dass ihre Schönheit blendender und strahlender als je zuvor leuchtete und sämtliche Mädchen des Königreiches wie langweilige Abziehbilder erscheinen liess. Wenn sie nun an eine Dorfschenke gelangte und ihr Ansinnen an den Koch stellte, er möge ihr sein bestes Gericht ohne Bezahlung zubereiten, dann war dieser nur allzu bereit, in der Hoffnung, dass diese überirdische Schönheit von seinen Kochkünsten so begeistert sein würde, dass sie für immer bei ihm bliebe. (Ja, die Köche waren auch damals sehr von sich überzeugt!).
Nun, die Köche übertrafen sich zumeist selbst und plünderten ihre Vorratskammern und Weinkeller, um der Bettlerprinzessin zu imponieren. Aber ach, es half ihnen nichts. Die schöne Prinzessin, von der köstlichen Süsse klaren Bergwassers und einem durch den Hunger vorsichtig und misstrauisch gewordenen Magen gegen alles Blendwerk gefeit, brauchte die übervollen Tafeln nur anzusehen, um gleich, jedes Hungergefühls ledig, dem armen Koch ihr Bedauern auszudrücken und sich weiterhin auf ihre beschwerliche Suche zu machen.

Als sie sich nun aber, gegen Ende des zwölften Monats, dem höchsten Gipfel des Berges näherte und ihren geliebten und von ihr so böse geschmähten Koch trotz aller Anstrengungen nicht gefunden hatte, drohte sie endgültig zu verzagen. Knapp unter dem schneebedeckten Gipfel fand sie eine kleine Höhle, die offenbar einem Hirten als Unterschlupf diente, da einige wenige Gerätschaften sowie eine dünne Decke und ein Schaffell darin verstaut lagen. Verzagt und unglücklich kroch sie in die Höhle und legte sich hin, um zu sterben. Sie mochte ihr Unglück nicht beklagen, da sie es in ihrer Überheblichkeit als verwöhntes und umschwärmtes Königskind ja selbst verschuldet hatte. Aber bittere Tränen rannen über ihr engelhaftes Gesicht, als sie nun ihrer verlorenen Liebe gedachte, des jungen Kochs, der sie aus lauter und lauterer Liebe lieber fett und unansehnlich als gar nicht hatte haben wollen. Und so schlief sie ein, im festen Glauben, nicht mehr auf dieser Welt zu erwachen, in der ihr ja doch kein Glück mehr beschieden sein sollte.
Mit der Abenddämmerung kam der Ziegenhirte mit seiner kleinen Herde Schafen und Ziegen zurück zu seiner Höhle. Zuerst erschrack er, als er ein unansehnliches, übelriechendes Bündel zefetzter Lumpen im Eingang seines Unterschlupes fand. Als er jedoch vorsichtig und mit spitzen Fingern einen Zipfel der speckigen Pferdedecke zurückschlug, war es ihm, als ob ihm der Blitz in die Knochen geschlagen hätte. Mit zitternden Händen und wachsweichen Beinen sank er vor der leblos Daliegenden in die Knie, gebannt und geblendet von soviel Schönheit. Nichts anderes konnte er tun, als einfach nur wie ein Blöder daknieen und dies überirdisch schöne und traurige Gesichtchen anstarren.

„Du bist ja noch viel schöner als meine Prinzessin...“, brachte er endlich flüsternd heraus. Als er sich endlich nach langer Zeit von dem atemberaubenden Anblick losreissen konnte, kroch im plötzlich die Angst mit eiskalten Fingern das Rückgrat hoch. Was, wenn dieser Engel bloss hierher gekommen war, um zu sterben? War sie überhaupt noch am Leben? Atmete sie noch? Kaum traute er sich, seine schwielige Hand an ihre feine Wange zu legen – sie war eiskalt. Behutsam nahm er sie auf – glühende Hitze durchfuhr seinen Körper, als er die süsse Last auf seinen Armen spürte – und bettete sie liebevoll auf sein schäbiges Lager, deckte sie mit dem warmen Schafflies zu. So nah an ihrem Mund, dass ihn nicht einer, sondern tausend Blitze trafen und in Stücke zu reissen drohten, fühlte er nach ihrem Atem und glaubte, sein eigenes Leben neu geschenkt zu bekommen, als er einen schwachen Hauch ihres Odems spürte. Sie lebte! Augenblicklich wurde er höchst geschäftig: er musste ihr sofort Nahrung, Speise und Trank zuführen, auf dass dieses schwache Flämmchen, das sie noch am Leben hielt, neu aufflackerte und nicht endgültig verlosch.
In Windeseile durchforstete er alle Winkel und Ecken seiner Höhle auf der Suche nach etwas Essbarem, aus dem sich ein Gericht für den sterbenden Engel zubereiten liesse. Aber ach, er selber ernährte sich ja nur noch von der Milch und dem Käse seiner Ziegen und Schafe, die er mit den kräftigen, spärlich wachsenden Kräutchen dieser hohen Alpweide würzte. In seiner Verzweiflung entzündete er ein Feuerchen, wofür er seinen Hirtenstab verbrannte und setzte seinen russigen Kochtopf auf. In das köstliche Wasser des kleinen Rinnsaales, das unter der ewigen Schnee- und Firndecke des Berges floss, weiss und prall angefüllt mit lauterem Sauerstoff und fein aufgelösten Mineralien, goss er die frische Milch seiner besten Ziege, löste ein gutes Stück des kräftigstem Schafkäses darin auf und gab eine gute Handvoll der aromatischsten und seltensten Kräutchen dazu. Ihm schien die Suppe äusserst armselig und keineswegs für einen Engel geeignet, aber er starb beinahe vor Angst, dieses Geschenk des Himmels, kaum erhalten, wieder zu verlieren. Vorsichtig nahm er einen Löffel voll des Getränks und versuchte ihr dieses tropfenweise einzuflössen. Aber ihr Mund verschloss sich seinen Bemühungen, zu gross war dessen Gewohnheit, abweisend auf dargebotenes Essen zu reagieren. Sogar ihr kleines, auf herzzereissend liebliche Weise gestupstes Näschen kräuste sich, ein Anblick, der ihm wiederum glühend heisse Wellen durch Gesicht und Körper schlagen liess. Verzweifelt ob ihrer Ablehnung, die sein Bemühen, sie am Leben zu erhalten, zunichte machte, sank er vor dem Kessel in sich zusammen und weinte grosse, mächtige Tränen in die Suppe, wie er sie noch nie geweint hatte. Ihm war, als hätten sich alle Schleusen des Himmels geöffnet und liessen ihr ganzes Wasser durch seine traurigen Augen laufen, dass es im Feuerchen darunter nur so zischte.

„Was ist das, was riecht hier so himmlisch...?“

Im ersten Augenblick glaubte er, sich die zarte Stimme, wie das spinnwebenfeine Singen der Bergglockenblume, das nur reinen Seelen zu Gehör steht, bloss eingebildet zu haben. Aber verblüfft sah er, sich umwendend, wie sich der schöne, sterbende Engel auf seinem Lager aufstützte und staunend witternd die Luft einzog.

„Bist du... bist du der, den ich meine...?“
Augen, die aus dem Blau des Himmels, dem Funkeln der Sterne und gleissendem Sonnenlicht destilliert und zu feurig glühenden Edelsteinen geschliffen waren, Augen, in die er nicht ohne zu erblinden blicken zu können glaubte.

„Ich.., Du..., ich habe nur..., ich habe dir ein Süppchen gekocht, da du so schwach und elend warst..., bitte verzeih, es ist alles, was ich hier habe, ich weiss, dass für dich so ein bescheidenes Mahl viel zu gering ist, aber ich, ich habe...“

Voller Erstaunen sah er, wie sich ein wunderschöner Mädchenkörper aus den stinkenden Lumpen schälte, goldene Lockenpracht ergoss sich über milchweisse Schultern, keine Spur von Todesnähe haftete mehr an ihr, als sie wie auf Wolken zum russigen Kochtopf schwebte und wie durch einen Nebel hörte er sie mit einer Stimme, viel zu süss für diesen schäbigen Ort fragen:

„Ist dies dein bestes Gericht? Ich möchte, dass du mir davon gibst, umsonst.“

„Ich..., es ist alles, was ich dir anbieten kann..., ich habe es für dich gekocht...“

Nachdem sie prüfend über dem Kesselchen geschnuppert hatte, versuchte sie einen kleinen Löffel voll, hob dann den ganzen Topf an ihre wohlgeformten, voll erblühten Rosen gleichen Lippen und trank sein Gebräu, ohne einmal innezuhalten, ja, gewissermassen mit einer unstillbaren Gier. Ein tiefer Seufzer entrang sich ihrer Brust, fast bedauernd stellte sie das Töpfchen zurück und kam, nein, schwebte auf den jungen Ziegenhirten zu.

„Wahrlich, du bist es! Kein anderer könnte dies einfache Süppchen so köstlich, so wunderbar liebevoll zubereiten! Endlich, endlich habe ich dich gefunden!“

Dann, da die Prinzessin ja durch ihren Leidensweg Demut gelernt und tiefen Abscheu vor ihrem früheren, haltlosen Lebenswandel empfunden hatte, sank sie vor dem jungen Koch auf die Knie und bat ihn mit tränenerstickter Stimme um Vergebung für ihre frühere Verachtung und für ihr abscheuliches Benehmen ihm gegenüber. Der Junge, der diese Situation nicht etwa genoss, dem es im Gegenteil äusserst peinlich war, dass dieser Engel, in dem er trotz seiner nie versiegten Liebe die angebetete Prinzessin nicht erkannt hatte, hier auf den harten Steinen vor ihm kniete, (es handelt sich hier um ein Märchen! Schon vergessen?), zog die Wiedergefundene voller Glück zu sich hoch und schloss sie innig in seine Arme. Kaum schien es ihm möglich, dass solches Glück noch zu fassen sei. Seine ärmliche Höhle war vom Glanz ihres beiderseitigen Glücks so erhellt, dass sie heller strahlte als jeder Königspalast. Und ratet mal, was die beiden taten?
Nein, sie gingen nicht zurück in das Schloss des Königs. Zu unglücklich waren ihre Erinnerungen an das, was sie beide dort versäumt hatten. Sie blieben genau dort, wo sie sich gefunden hatten, knapp unter dem Gipfel des Berges, wo ihre Tage nur noch vom Glück ihrer Liebe beschienen waren. Und wenn sie sich, was sehr häufig vorkam, nach den Mühen des Tages und nach einer einfachen, aber umso köstlicheren Mahlzeit voller Verlangen in die Arme fielen und sich heftig und bis zur Erschöpfung liebten, dann drang ein geheimnisvolles Leuchten aus der abgelegenen Höhle, das an klaren Abenden bis ins Tal hinunter zu sehen war. Und die Leute unten in den Dörfern lächelten sich dann verstehend zu, und machmal konnten die Kinder so etwas hören wie:

„Jaja, unser kochender Hirte und seine Ziegenprinzessin, wie soviel Verliebtheit in so einer kleinen Höhle nur Platz findet...“

Vor den Toren der Stadt, die den Königspalast beherbergt, steht eine kleine, armselige Kate. Dorthin wandte sich eines Abends ein uraltes, runzliges Kräuterweib und sprach zu den beiden alten Bewohnern:

„Vor einem Jahr ist bei euch eine dicke, fette Bettlerin vorbeigekommen und hat euch etwas zur Aufbewahrung übergeben. Aus dem hässlichen, fetten Entchen ist jetzt ein wunderschöner, glänzender Schwan geworden, der geradewegs in den Himmel fliegt. Da ich ihr durch meine Schlauheit dazu verholfen habe, sollt ihr mir, was sie euch anvertraut, jetzt herausgeben, denn es ist mein gerechter Lohn für mein Bemühen.“

Aber da die hinterlistige Alte wenig vertrauenerweckend aussah und ausserdem die ganze Ziegenmilch, die sie ihr angeboten, in einen einzigen Zug austrank, verweigerten ihr die beiden standhaften Alten die Herausgabe des Ringes und die Kräuterhexe musste grässlich fluchend unverrichteter Dinge wieder von dannen ziehen... So ist das nun einmal in einem Märchen.
 

sonah

Mitglied
Ein sehr schönes Märchen. Nur die schlagartige Änderung im Charakter der Prinzessin, sobald sie in Lumpen gekleidet ist finde ich etwas unglaubwürdig. Plötzlich tun ihr die armen Leute leid. Das geht mir etwas zu schnell.
 

Rodolfo

Mitglied
Veränderung

Danke Sonah, für den Hinweis. Ich werde mir den Ablauf noch einmal durchdenken. Allerdings glaube ich, dass eine solch radikale Veränderung (Von der verhätschelten Prinzessin zur verachteten Bettlerin) schon auch das Denken und Fühlen verändert. Sonst würde sie das armselige Leben keinen Tag lang aushalten.
 
C

cellllo

Gast
Sehr sehr schön !
Transportiert prima verpackt sehr viel Lebensweisheit für Kinder von 5 bis 95
Das Schockerlebnis, wie die Prinzessin, unmittelbar nach Verlassen ihres Palasts, in Bettelkleidung von ihren eignen Palastwachen wie der letzte Dreck behandelt wird, ihr Leidensschock und dann die Begegnung mit den hilfreichen gutherzigen Altchen und die durch diese ersten Schocks ausgelöste tiefe innere Verwandlung ist hervorragend geschildert finde ich !
Bewundernswert der reiche Wortschatz und die Verwendung
typisch märchenhafter, vom Aussterben bedrohter Worte
( z.B."kleines stupsiges Näschen....kräuste(?)sich...." )
Bewundernswert wie die Sprache gekonnt auf ihrem Hochseil balanciert
und auch gegen Ende doch nicht in den Kitsch abstürzt,
weil alles so plastisch, eindringlich, liebevoll, lebendig und
mit der richtigen Prise Humor gewürzt geschildert ist.....
Chapeau !!!!
cellllo
 

Rodolfo

Mitglied
Danke cellllo, für die Blumen. Ich bin ja nun auch nicht mehr der Jüngste und die "Worte auf der roten Liste" stammen halt noch aus der Zeit, wo mehr Worte weniger oft angewandt wurden. Meist wird dies ja als "altertümlicher Stil" bemängelt. Danke, dass du und einige Andere trotzdem Gefallen daran findet.
 

steyrer

Mitglied
Das Kräuterweib

Ein hübsches Läuterungsmärchen, das sich über weite Strecken bereits recht flüssig liest. Die vielen Raffungen und Vereinfachungen stören (mich jedenfalls) nicht, da deren Auflösung die Geschichte kompliziert machen würde. So weit, so gut. Zu der Figur des Kräuterweibes hätte ich aber doch ein paar Fragen: Wieso wandelt sie sich zu einer hinterlistigen Hexe? Sie gibt ja der Prinzessin die richtigen Ratschläge. Wieso will sie als Bezahlung nur einen mickerigen Ring? Was hat es mit diesem Ring wirklich auf sich?

Zufällig gefundene Kleinigkeiten:

Zuerst erschra[red]c[/red]k er, als er ein unansehnliches, übelriechendes Bündel ze[blue]r[/blue]fetzter Lumpen im Eingang seines Unterschlup[blue]f[/blue]es fand.

Vor einem Jahr ist bei euch eine dicke, fette Bettlerin vorbeigekommen ...

Nur dick oder schon fett? Beides geht nicht. ;)

steyrer
 

Rodolfo

Mitglied
Danke, Steyrer, für das Befassen mit meinem Text. Danke auch für das c vor dem k und dem "dicke, fette". Adjektive aneinander zu reihen ist ja eh schlecht, dazu wiederholt sich das Wort "fette" im nächsten Satz. Ich habe dies geändert. Aber was ist eigentlich der Unterschied zwischen "dick" und "fett"?

Das Kräuterweib wird ja schon zu Beginn als listig beschrieben. Den Rat, den sie der Prinzessin gab, diente ja vermutlich auch etwas dazu, diese zu quälen, da wohl niemand erwarten kann, dass ein Mensch solche Strapazen auf sich nimmt.

Und der Ring? Ja, zur Zeit der Schlösser, Prinzessinen und Ritter reichte so ein wertvoller Ring schon, um ein paar Jahre mit dem Ertrag leben zu können. Dass sie ihn schlussendlich nicht erhielt ist meine persönliche Rache an ihrer Person. ;)
 

Rodolfo

Mitglied
DIE PRINZESSIN UND DER KOCH

Es war einmal...

.. ein junger Koch, der aus Freude und mit Liebe kochte und daher in seiner Arbeit völlig aufging. Eines Tages jedoch, als er eben über den Markt schlenderte, hier einem Fisch prüfend die Kiemen öffnete, um zu sehen, ob die Farbe ein zartes rosa oder schon ein vergilbtes weiss war, dort an einem Sträusschen Basilikum zupfte, um sich über dessen Kraft und Frische zu vergewissern, begegnete er unverhofft der schönen Prinzessin, die mit einem Rudel ihrer Verehrer albernd und die armen Leute verspottend durch den Markt zog und verliebte sich unsterblich in sie. Soviel Liebreiz und Schönheit schien ihm das einzig Erstrebenswerte auf dieser Welt und er übersah mit den Augen des Liebenden ihr flegelhaftes Benehmen. Da sie für ihn jedoch unerreichbar war, steckte er seine ganze Liebe und seine Sehnsucht in die Kochkunst, so dass er bald im ganzen Königreich bekannt und berühmt wurde. Dies kam auch dem König zu Ohren und er lud den jungen Koch ein, in seinem Palast zu kochen. Die Prinzessin war von seinen Kochkünsten so begeistert, dass sie ihn einlud, zu bleiben und nur noch für sie zu kochen. Da er nicht mehr von ihr haben konnte, war er es eine Zeitlang zufrieden, wenigstens für seine angebetete Prinzessin kochen zu dürfen. Aber er musste hilflos zusehen, wie sie sein Essen mit einer ganzen Horde edler Freier teilte, die mit den köstlichen Speisen zum Teil nur Schabernack trieben und ihn als niederen Dienstboten behandelten und verlachten. Da er keinen anderen Ausweg sah, begann er für die Prinzessin, die seine Kost über alles liebte, so fette Speisen zu kochen, dass sie immer dicker und für ihre vielen Freier immer unansehnlicher wurde. Als dann der Freier immer weniger wurden und zu guter Letzt nur noch ein paar Alte und ein paar verarmte Edelleute zurückblieben, stellte sich die Prinzessin vor den Spiegel und betrachtete kritisch ihr Spiegelbild.
Wütend befahl sie daraufhin ihren Koch zu sich und überschüttete ihn mit Vorwürfen. Daraufhin gestand er ihr seine Liebe und dass er nur deshalb so für sie gekocht habe, denn er liebe sie in jeder Form und in jedem Ausmass. Zornig über diese Unverschämtheit eines Dienstboten jagte sie ihn vom Schloss und sogar aus dem Königreich. Kaum war er jedoch fort, vermisste sie seine wohlschmeckenden Gerichte. Sie bestellt die besten Köche des Landes auf ihr Schloss, aber keiner konnte auch nur annähernd die Qualität der Speisen des jungen Kochs erreichen, da ihnen die wichtigste Zutat fehlte - die Liebe. Als sie dann den traurigen Rest ihrer Verehrerschar so betrachtete, besann sie sich plötzlich wieder der Worte des jungen Kochs, dass er sie in jeder Form und in jedem Ausmass liebe. Und es schien ihr nun, dass es kein schöneres Kompliment für eine Frau gab und sie verzehrte sich plötzlich vor Sehnsucht nach dem jungen und ansehnlichen Koch. Sie schickte eine Hundertschaft Berittener aus, die ihn suchen sollten, aber nach monatelanger Suche kehrten sie unverrichteter Dinge auf das Schloss zurück, wo sie berichteten, dass der Koch, wie ihm befohlen, das Königreich verlassen hatte. Seine Spur war einfach zu verfolgen gewesen, denn überall, wo er durchgekommen war, hatte er für seinen Lebensunterhalt gekocht und die Leute waren voller Lob über seine einmalig schmackhaften Gerichte. Aber ausserhalb des Königreiches konnten ihre Soldaten nicht weitersuchen, so dass sie traurig wurde und immer mehr in Sehnsucht versank. In ihrem Kummer stopfte sie immer mehr in sich hinein, so dass sie noch viel dicker wurde, bis ihre Untertanen sie hinter vorgehaltener Hand nur noch „Prinzessin Bierfass“ nannten. Als sie sich schliesslich kaum mehr bewegen konnte, liess ihr besorgter Vater die besten Ärzte des Königreiches kommen, damit sie ihr helfen sollten. Aber sie verschmähte den Rat der Weisen und sagte nur immer wieder, dass die einzige Medizin für sie der junge Koch sei, den sie nun auf immer verloren glaubte.
Unter den Ärzten und Weisen war auch ein listiges, altes Kräuterweib, das sich sofort aufmachte, Informationen über den Verbleib des jungen Kochs zu sammeln. Bald hörte sie, dass er über die grossen Berge westlich des Königreiches gewandert sei und begab sich unverzüglich zur Prinzessin.

„Schöne, unglückliche Prinzessin, ihr braucht mir nicht zu sagen, was euch bedrückt. Ich sehe, dass euch der Kummer um eine unglückliche Liebe fett und krank gemacht hat. Euch kann geholfen werden, aber ihr müsst den jungen Mann schon sehr lieben, denn die Behandlung ist äusserst schwer und würde Euch alles abverlangen.“

Sofort war die Prinzessin Feuer und Flamme und wirkte trotz ihrer Unbeweglichkeit völlig aufgedreht.

„Sag mir was ich tun muss, ich werde alles tun, was du von mir verlangst und ich werde dich auch fürstlich belohnen, wenn ich meinen Koch wiederfinden sollte.“

„Nun gut, ich habe Euch gewarnt: ihr müsst euch auf euren eigenen Füssen aufmachen und das ganze Königreich zu Fuss durchqueren, bis ihr an seine westliche Grenze kommt. Bis dahin jedoch dürft ihr kein Geld ausgeben und euch nur von dem ernähren, was mitleidige Bauern und einfache Leute euch aus Mitleid schenken. Auch müsst ihr euch in Lumpen kleiden, so dass ihr ausseht wie eine arme Bettlerin. Wenn ihr dann die westliche Grenze überschreitet, werdet ihr vor ein riesiges Gebirge kommen. Das durchwandert ihr immer in westlicher Richtung und ab der Grenze eures Landes dürft ihr gar nichts mehr essen, sondern nur noch Wasser aus den klaren Bergbächen trinken. In jedem Dorf, das ihr durchquert, sucht ihr dann den besten Koch und verlangt von ihm sein bestes Gericht ohne Bezahlung. Und so werdet ihr euren Geliebten wiederfinden und ihr werdet beide glücklich leben bis ans Ende aller Tage.“

Trotz ihrer Zweifel, ob sie dazu überhaupt fähig sei, machte sich die Prinzessin unverzüglich auf den Weg. Da sie jedoch so fett und unbeweglich war, schaffte sie es bis am Abend nur bis vor das Tor des Schlosses. Dort gab sie ihr ganzes Geld einer alten Bettlerin, mit der sie die Kleider tauschte. Da ihr diese jedoch viel zu klein waren, schenkte ihr die Bettlerin ausserdem eine zerrissene Pferdedecke, in der sie zu schlafen pflegte und die fürchterlich stank. Trotzdem fiel die erschöpfte Prinzessin sofort in tiefen Schlaf und wurde erst wach, als sie kurz vor Sonnenaufgang von einem Soldaten unsanft mit dem Schaft seines Speeres geweckt wurde.

„Hau ab, du fette Bettlerin, gleich öffnen wir die Tore und wir können deinen abschreckenden Anblick unseren Besuchern nicht zumuten!“

Die Prinzessin erschrak zutiefst. Stand es schon so schlimm um sie, dass sie einen erschreckenden Anblick bot? Sie vergass, dass sie im ersten Zorn hatte die Wache rufen und den frechen Soldaten köpfen lassen wollte, und tappte unglücklich davon. Hinter ihr begleiteten sie das Lachen und die zotigen Sprüche der Landsknechte. Ihre Wut über die Beleidigungen der rauhen, unwürdigen Gesellen verlieh ihr Kraft und bis zum Abend hatte sie immerhin schon die Strecke durch die kleine Hauptstadt zurückgelegt. Als es eindunkelte und sie auf ihren kleinen, für ihre Leibesfülle viel zu schwachen Füssen erschöpft vor einer kleinen Kate halt machte, wollte sie sich nur noch hinlegen und schlafen. Aber die Bewohner, ein altes, kinderloses Ehepaar, sahen ihr von der Hütte aus zu, wie sie sich abmühte, ihren dicken, verweichlichten Körper auf dem harten Boden in eine einigermassen erträgliche Lage zu betten. Ohne sich über die wahrhaft eigenartige Erscheinung zu wundern, bereiteten sie ihr ein Lager auf dem Heuboden. Die Prinzessin war so müde, dass sie den Unterschied zu ihren feinen Linnen und weichen Matrazen gar nicht verspührte. Am nächsten Morgen standen die armen Leutchen schon früh auf und melkten ihre einzige, magere Ziege. Obwohl die paar Tropfen Milch kaum für die Beiden ausreichten, boten sie davon zuerst ihrem Gast an. Die Prinzessin war verwirrt und beschämt über solche Grossherzigkeit und weigerte sich, von der Milch zu trinken.

„Gute Leute, ihr braucht das Bisschen notwendiger als ich. Ich habe Zeit meines Lebens genug zu essen gehabt, wie ihr seht, und bin trotzdem zutiefst unglücklich. Wenn ich euch das Wenige, dass ihr zum Leben braucht, wegnehmen würde, müsste ich mich zu Tode schämen.“

Trotz des Protestes der beiden Alten liess sie sich nicht erweichen, von der Milch zu trinken. Sie schenkte Ihnen im Gegensatz sogar noch einen wertvollen Ring, den die alten Leutchen erst gar nicht annehmen wollten. Erst als sie versprach, den Ring bei ihrer Rückkehr abzuholen, liessen sie sich dazu überreden, ihn für die vermeintliche Bettlerin aufzuheben. Die Grossmut der Leute verlieh ihr neue Kraft, und ohne seit ihrem Aufbruch etwas gegessen zu haben, marschierte – oder besser tippelte – sie mit ihren kleinen, vorsichtigen Schrittchen weiter. Bis zum nächsten Abend hatte sie schon die doppelte Strecke geschafft, bevor sie sich völlig am Ende ihrer Kräfte an einem lieblichen Flussufer niederliess. Das Murmeln des Wassers, die majestätischen Bewegungen der vorbeiziehenden Schwäne, das Geplapper und übermütige Singen der Vögel, die sich in einem Baum über ihr einen Schlafplatz ausgesucht hatten, die überwältigende Blütenpracht der einfachen Wiesenblumen – all dies stimmte unsere Prinzessin so glücklich und zufrieden, dass sie mit einem seligen Lächeln auf den Lippen einschlief, ohne selbst gewahr zu werden, dass sie wiederum einen Tag ohne zu essen verbracht hatte.
Und so ging es nun immer weiter: jeden Tag legte sie die grössere Strecke zurück, da ihr Körper, der ja gar keine Anstrengung gewöhnt war, von Tag zu Tag fester und stärker wurde. Und sie trank vom kristallenen Wasser der Bäche und Quellen, was ihr viel köstlicher schien als der süsseste aller Weine, und sie ass fast überhaupt nicht, da ihr jedesmal, wenn ein Bauer auf dem Feld oder ein wandernder Handwerksgeselle sein karges Mal mit ihr teilen wollte, der Hals wie zugeschnürt war angesichts des bescheidenen Essens, das diese schwer arbeitenden Menschen am Leben hielt. Nicht, dass er ihr zu einfach gewesen wäre, sie litt zeitweise schrecklichen Hunger und hätte sogar ein steinhartes Stück Brot gegessen. Aber wenn wieder einmal ein einfacher Landmann sein Taschentuch öffnete und ihr voller Stolz seine Schätze: ein Stückchen Brot und vielleicht etwas harten Käse oder einen Apfel hinhielt, hätte sie weinen können, wenn sie an die Verschwendung und die Völlerei auf dem Schloss dachte. Nein, sagte sie sich, eher sterbe ich Hungers, als dass ich diesen Armen ihr Weniges auch noch wegnehme!
Als sie dann nach über einem Monat an die Grenze des Königreiches gelangte, hatte sie – ohne sich dessen gewahr zu sein, (da sie sich nicht getraute, sich im Spiegel eines ruhigen Gewässers zu betrachten)- schon beträchtlich abgenommen und ihre frühere Schönheit begann bereits wieder durchzuschimmern. Ab hier nun musste sie – den Worten des alten Kräuterweibes gemäss – nur noch vom Wasser der Bergbäche leben und in jedem Dorf vom besten Koch sein allerbestes Gericht ohne Bezahlung verlangen. Getrieben von ihrer Sehnsucht nach ihrem jungen Koch machte sie sich unverzüglich an den schweren Aufstieg ins Gebirge. Zu Beginn lagen die Dörfer noch nahe beieinander und sie erntete viel Hohn und Spott mit ihrer unverschämten Bitte an die Wirte der Dorfschenken. Der eine schlug ihr vor, mit seinen Schweinen zu fressen, da sie wie diese bald fett genug sein würde, um zur Schlachtbank geführt zu werden. Der nächste, dem ihre, unter dem immer noch zu dicken Körper versteckte und von Lumpen und stinkender Pferdedecke verhüllte Schönheit nicht ganz verborgen blieb, machte ihr ein unanständiges Angebot, das er mit seinem besten Gericht vergelten wollte. Ein Dritter bot ihr an, in seiner Küche zu arbeiten, da er glaubte, in einem so wohlgenährten Körper müsse sich eine gute Köchin verstecken. Nur ein einziger auf ihrer mühseligen Pilgerreise gestand ihr frei heraus, dass er vom Kochen keine grosse Ahnung habe und dass auch sein bestes Gericht kaum geniessbar sei (nein, natürlich gab es auch damals keine ehrlichen Wirte, aber dies ist ja schliesslich ein Märchen!).
Viel später, als sie immer höher in das riesengrosse Gebirge hinaufgestiegen war und die Dörfer mehrere Tagereisen auseinander lagen, verliess sie fast ihr Mut. Seit Monaten hatte sie nun praktisch nichts gegessen ausser ein paar Beeren und Wurzeln, die sie am Wegrand entdeckt hatte. Nur das lautere Wasser, das umso köstlicher schmeckte, je weiter sie in die Berge hinaufstieg, hielt sie noch am Leben. Aber mit ihrem Äusseren war ein wahres Wunder geschehen. Strenge Diät und harte, körperliche Anstrengung hatten ihren Körper wie von einem begnadeten Bildhauer zu einem Meisterstück modelliert, so dass ihre Schönheit blendender und strahlender als je zuvor leuchtete und sämtliche Mädchen des Königreiches wie langweilige Abziehbilder erscheinen liess. Wenn sie nun an eine Dorfschenke gelangte und ihr Ansinnen an den Koch stellte, er möge ihr sein bestes Gericht ohne Bezahlung zubereiten, dann war dieser nur allzu bereit, in der Hoffnung, dass diese überirdische Schönheit von seinen Kochkünsten so begeistert sein würde, dass sie für immer bei ihm bliebe. (Ja, die Köche waren auch damals sehr von sich überzeugt!).
Nun, die Köche übertrafen sich zumeist selbst und plünderten ihre Vorratskammern und Weinkeller, um der Bettlerprinzessin zu imponieren. Aber ach, es half ihnen nichts. Die schöne Prinzessin, von der köstlichen Süsse klaren Bergwassers und einem durch den Hunger vorsichtig und misstrauisch gewordenen Magen gegen alles Blendwerk gefeit, brauchte die übervollen Tafeln nur anzusehen, um gleich, jedes Hungergefühls ledig, dem armen Koch ihr Bedauern auszudrücken und sich weiterhin auf ihre beschwerliche Suche zu machen.

Als sie sich nun aber, gegen Ende des zwölften Monats, dem höchsten Gipfel des Berges näherte und ihren geliebten und von ihr so böse geschmähten Koch trotz aller Anstrengungen nicht gefunden hatte, drohte sie endgültig zu verzagen. Knapp unter dem schneebedeckten Gipfel fand sie eine kleine Höhle, die offenbar einem Hirten als Unterschlupf diente, da einige wenige Gerätschaften sowie eine dünne Decke und ein Schaffell darin verstaut lagen. Verzagt und unglücklich kroch sie in die Höhle und legte sich hin, um zu sterben. Sie mochte ihr Unglück nicht beklagen, da sie es in ihrer Überheblichkeit als verwöhntes und umschwärmtes Königskind ja selbst verschuldet hatte. Aber bittere Tränen rannen über ihr engelhaftes Gesicht, als sie nun ihrer verlorenen Liebe gedachte, des jungen Kochs, der sie aus lauter und lauterer Liebe lieber fett und unansehnlich als gar nicht hatte haben wollen. Und so schlief sie ein, im festen Glauben, nicht mehr auf dieser Welt zu erwachen, in der ihr ja doch kein Glück mehr beschieden sein sollte.
Mit der Abenddämmerung kam der Ziegenhirte mit seiner kleinen Herde Schafen und Ziegen zurück zu seiner Höhle. Zuerst erschrak er, als er ein unansehnliches, übelriechendes Bündel zefetzter Lumpen im Eingang seines Unterschlupes fand. Als er jedoch vorsichtig und mit spitzen Fingern einen Zipfel der speckigen Pferdedecke zurückschlug, war es ihm, als ob ihm der Blitz in die Knochen geschlagen hätte. Mit zitternden Händen und wachsweichen Beinen sank er vor der leblos Daliegenden in die Knie, gebannt und geblendet von soviel Schönheit. Nichts anderes konnte er tun, als einfach nur wie ein Blöder daknieen und dies überirdisch schöne und traurige Gesichtchen anstarren.

„Du bist ja noch viel schöner als meine Prinzessin...“, brachte er endlich flüsternd heraus. Als er sich endlich nach langer Zeit von dem atemberaubenden Anblick losreissen konnte, kroch im plötzlich die Angst mit eiskalten Fingern das Rückgrat hoch. Was, wenn dieser Engel bloss hierher gekommen war, um zu sterben? War sie überhaupt noch am Leben? Atmete sie noch? Kaum traute er sich, seine schwielige Hand an ihre feine Wange zu legen – sie war eiskalt. Behutsam nahm er sie auf – glühende Hitze durchfuhr seinen Körper, als er die süsse Last auf seinen Armen spürte – und bettete sie liebevoll auf sein schäbiges Lager, deckte sie mit dem warmen Schafflies zu. So nah an ihrem Mund, dass ihn nicht einer, sondern tausend Blitze trafen und in Stücke zu reissen drohten, fühlte er nach ihrem Atem und glaubte, sein eigenes Leben neu geschenkt zu bekommen, als er einen schwachen Hauch ihres Odems spürte. Sie lebte! Augenblicklich wurde er höchst geschäftig: er musste ihr sofort Nahrung, Speise und Trank zuführen, auf dass dieses schwache Flämmchen, das sie noch am Leben hielt, neu aufflackerte und nicht endgültig verlosch.
In Windeseile durchforstete er alle Winkel und Ecken seiner Höhle auf der Suche nach etwas Essbarem, aus dem sich ein Gericht für den sterbenden Engel zubereiten liesse. Aber ach, er selber ernährte sich ja nur noch von der Milch und dem Käse seiner Ziegen und Schafe, die er mit den kräftigen, spärlich wachsenden Kräutchen dieser hohen Alpweide würzte. In seiner Verzweiflung entzündete er ein Feuerchen, wofür er seinen Hirtenstab verbrannte und setzte seinen russigen Kochtopf auf. In das köstliche Wasser des kleinen Rinnsaales, das unter der ewigen Schnee- und Firndecke des Berges floss, weiss und prall angefüllt mit lauterem Sauerstoff und fein aufgelösten Mineralien, goss er die frische Milch seiner besten Ziege, löste ein gutes Stück des kräftigstem Schafkäses darin auf und gab eine gute Handvoll der aromatischsten und seltensten Kräutchen dazu. Ihm schien die Suppe äusserst armselig und keineswegs für einen Engel geeignet, aber er starb beinahe vor Angst, dieses Geschenk des Himmels, kaum erhalten, wieder zu verlieren. Vorsichtig nahm er einen Löffel voll des Getränks und versuchte ihr dieses tropfenweise einzuflössen. Aber ihr Mund verschloss sich seinen Bemühungen, zu gross war dessen Gewohnheit, abweisend auf dargebotenes Essen zu reagieren. Sogar ihr kleines, auf herzzereissend liebliche Weise gestupstes Näschen kräuste sich, ein Anblick, der ihm wiederum glühend heisse Wellen durch Gesicht und Körper schlagen liess. Verzweifelt ob ihrer Ablehnung, die sein Bemühen, sie am Leben zu erhalten, zunichte machte, sank er vor dem Kessel in sich zusammen und weinte grosse, mächtige Tränen in die Suppe, wie er sie noch nie geweint hatte. Ihm war, als hätten sich alle Schleusen des Himmels geöffnet und liessen ihr ganzes Wasser durch seine traurigen Augen laufen, dass es im Feuerchen darunter nur so zischte.

„Was ist das, was riecht hier so himmlisch...?“

Im ersten Augenblick glaubte er, sich die zarte Stimme, wie das spinnwebenfeine Singen der Bergglockenblume, das nur reinen Seelen zu Gehör steht, bloss eingebildet zu haben. Aber verblüfft sah er, sich umwendend, wie sich der schöne, sterbende Engel auf seinem Lager aufstützte und staunend witternd die Luft einzog.

„Bist du... bist du der, den ich meine...?“
Augen, die aus dem Blau des Himmels, dem Funkeln der Sterne und gleissendem Sonnenlicht destilliert und zu feurig glühenden Edelsteinen geschliffen waren, Augen, in die er nicht ohne zu erblinden blicken zu können glaubte.

„Ich.., Du..., ich habe nur..., ich habe dir ein Süppchen gekocht, da du so schwach und elend warst..., bitte verzeih, es ist alles, was ich hier habe, ich weiss, dass für dich so ein bescheidenes Mahl viel zu gering ist, aber ich, ich habe...“

Voller Erstaunen sah er, wie sich ein wunderschöner Mädchenkörper aus den stinkenden Lumpen schälte, goldene Lockenpracht ergoss sich über milchweisse Schultern, keine Spur von Todesnähe haftete mehr an ihr, als sie wie auf Wolken zum russigen Kochtopf schwebte und wie durch einen Nebel hörte er sie mit einer Stimme, viel zu süss für diesen schäbigen Ort fragen:

„Ist dies dein bestes Gericht? Ich möchte, dass du mir davon gibst, umsonst.“

„Ich..., es ist alles, was ich dir anbieten kann..., ich habe es für dich gekocht...“

Nachdem sie prüfend über dem Kesselchen geschnuppert hatte, versuchte sie einen kleinen Löffel voll, hob dann den ganzen Topf an ihre wohlgeformten, voll erblühten Rosen gleichen Lippen und trank sein Gebräu, ohne einmal innezuhalten, ja, gewissermassen mit einer unstillbaren Gier. Ein tiefer Seufzer entrang sich ihrer Brust, fast bedauernd stellte sie das Töpfchen zurück und kam, nein, schwebte auf den jungen Ziegenhirten zu.

„Wahrlich, du bist es! Kein anderer könnte dies einfache Süppchen so köstlich, so wunderbar liebevoll zubereiten! Endlich, endlich habe ich dich gefunden!“

Dann, da die Prinzessin ja durch ihren Leidensweg Demut gelernt und tiefen Abscheu vor ihrem früheren, haltlosen Lebenswandel empfunden hatte, sank sie vor dem jungen Koch auf die Knie und bat ihn mit tränenerstickter Stimme um Vergebung für ihre frühere Verachtung und für ihr abscheuliches Benehmen ihm gegenüber. Der Junge, der diese Situation nicht etwa genoss, dem es im Gegenteil äusserst peinlich war, dass dieser Engel, in dem er trotz seiner nie versiegten Liebe die angebetete Prinzessin nicht erkannt hatte, hier auf den harten Steinen vor ihm kniete, (es handelt sich hier um ein Märchen! Schon vergessen?), zog die Wiedergefundene voller Glück zu sich hoch und schloss sie innig in seine Arme. Kaum schien es ihm möglich, dass solches Glück noch zu fassen sei. Seine ärmliche Höhle war vom Glanz ihres beiderseitigen Glücks so erhellt, dass sie heller strahlte als jeder Königspalast. Und ratet mal, was die beiden taten?
Nein, sie gingen nicht zurück in das Schloss des Königs. Zu unglücklich waren ihre Erinnerungen an das, was sie beide dort versäumt hatten. Sie blieben genau dort, wo sie sich gefunden hatten, knapp unter dem Gipfel des Berges, wo ihre Tage nur noch vom Glück ihrer Liebe beschienen waren. Und wenn sie sich, was sehr häufig vorkam, nach den Mühen des Tages und nach einer einfachen, aber umso köstlicheren Mahlzeit voller Verlangen in die Arme fielen und sich heftig und bis zur Erschöpfung liebten, dann drang ein geheimnisvolles Leuchten aus der abgelegenen Höhle, das an klaren Abenden bis ins Tal hinunter zu sehen war. Und die Leute unten in den Dörfern lächelten sich dann verstehend zu, und machmal konnten die Kinder so etwas hören wie:

„Jaja, unser kochender Hirte und seine Ziegenprinzessin, wie soviel Verliebtheit in so einer kleinen Höhle nur Platz findet...“

Vor den Toren der Stadt, die den Königspalast beherbergt, steht eine kleine, armselige Kate. Dorthin wandte sich eines Abends ein uraltes, runzliges Kräuterweib und sprach zu den beiden alten Bewohnern:

„Vor einem Jahr ist bei euch eine dicke Bettlerin vorbeigekommen und hat euch etwas zur Aufbewahrung übergeben. Aus dem hässlichen, fetten Entchen ist jetzt ein wunderschöner, glänzender Schwan geworden, der geradewegs in den Himmel fliegt. Da ich ihr durch meine Schlauheit dazu verholfen habe, sollt ihr mir, was sie euch anvertraut, jetzt herausgeben, denn es ist mein gerechter Lohn für mein Bemühen.“

Aber da die hinterlistige Alte wenig vertrauenerweckend aussah und ausserdem die ganze Ziegenmilch, die sie ihr angeboten, in einen einzigen Zug austrank, verweigerten ihr die beiden standhaften Alten die Herausgabe des Ringes und die Kräuterhexe musste grässlich fluchend unverrichteter Dinge wieder von dannen ziehen... So ist das nun einmal in einem Märchen.
 

steyrer

Mitglied
Das Kräuterweib II

Danke für die Antwort. Jetzt ist mir die Rolle des Kräuterweibes halbwegs klar. Ich denke jedoch nach wie vor, dass es die einzige unausgereifte wichtige Figur des Märchens ist.

Den Rat, den sie der Prinzessin gab, diente ja vermutlich auch etwas dazu, diese zu quälen, da wohl niemand erwarten kann, dass ein Mensch solche Strapazen auf sich nimmt.
Vermutlich? Der Autor sollte es wissen. ;)

Nun, wenn das Kräuterweib also ein schlechter Mensch ist, dann reicht es nicht aus, es als „listig“ zu beschreiben. Nach dem Duden kann List neben Schliche und Tücke, auch Gewitztheit oder Pfiffigkeit bedeuten. Es müsste - nur ein Gedanke - einen handfesten Grund haben sich zu rächen.

Nicht dass ich es übersehen hätte: Am Schluss heißt es „hinterlistige Alte“, aber es ist eben am Schluss und damit zu spät.

Aber was ist eigentlich der Unterschied zwischen "dick" und "fett"?
„Fett“ bedeutet hier sehr dick mit deutlich negativem Unterton. Der Unterschied entspricht dem von „essen“ und „fressen“.

Und der Ring? Ja, zur Zeit der Schlösser, Prinzessinen und Ritter reichte so ein wertvoller Ring schon, um ein paar Jahre mit dem Ertrag leben zu können. Dass sie ihn schlussendlich nicht erhielt ist meine persönliche Rache an ihrer Person.
Es dürfte auch heute noch derartige Schmuckstücke geben. Aber ob es damals einfacher war, solche Klunker zu verklopfen?
Sorry, Spaß beiseite, ich habe angenommen, dass der Ring einer Märchenprinzessin eine zentrale Bedeutung haben muss - sei es als magischer Gegenstand oder als Erkennungszeichen.

Wenn es dagegen einfach nur ein Ring ist, sei er noch so kostbar, sollte der materielle Wert viel deutlicher herausgestellt werden.

steyrer
 

Rodolfo

Mitglied
Kräuterweib

Steyrer, ich finde es super, wie du dich in die Geschichte hinein gearbeitet hast! Schliesslich hofft man immer, wenn man etwas in der Leselupe vorstellt, dass sich jemand finden möge, der von aussen an das Thema herangeht und so die Schwachstellen eher findet.
Du hast recht, das Kräuterweib hängt irgendwie im luftleeren Raum. Ich meine, sie sei in der Erstfassung (nicht in der LL, das Märchen ist schon vor einiger Zeit entstanden) ein weiteres Mal aufgetaucht. Vielleicht ist da etwas verloren gegangen.
Du hast mich motiviert, das Märchen nochmal ganz zu überarbeiten. Dazu brauche ich etwas Zeit. Würde mich aber freuen, wenn du die überarbeitete Fassung noch einmal lesen könntest. Danke für dein engagiertes Mitdenken!
 

steyrer

Mitglied
Neue Fassung

Schön, dass dir meine Anregungen gefallen. Ich bin gerne bereit, auch eine Neufassung zu lesen. Ich möchte dich nur bitten, mir zuvor sicherheitshalber eine E-Mail zu senden.

steyrer
 

Rodolfo

Mitglied
DIE PRINZESSIN UND DER KOCH

Es war einmal...

.. ein junger Koch, der aus Freude und mit Liebe kochte und daher in seiner Arbeit völlig aufging. Eines Tages jedoch, als er eben über den Markt schlenderte, hier einem Fisch prüfend die Kiemen öffnete, um zu sehen, ob die Farbe ein zartes rosa oder schon ein vergilbtes weiss war, dort an einem Sträusschen Basilikum zupfte, um sich über dessen Kraft und Frische zu vergewissern, begegnete er unverhofft der schönen Prinzessin, die mit einem Rudel ihrer Verehrer albernd und die armen Leute verspottend durch den Markt zog und verliebte sich unsterblich in sie. Soviel Liebreiz und Schönheit schien ihm das einzig Erstrebenswerte auf dieser Welt und er übersah mit den Augen des Liebenden ihr flegelhaftes Benehmen. Da sie für ihn jedoch unerreichbar war, steckte er seine ganze Liebe und seine Sehnsucht in die Kochkunst, so dass er bald im ganzen Königreich bekannt und berühmt wurde. Dies kam auch dem König zu Ohren und er lud den jungen Koch ein, in seinem Palast zu kochen. Die Prinzessin war von seinen Kochkünsten so begeistert, dass sie ihn einlud, zu bleiben und nur noch für sie zu kochen. Da er nicht mehr von ihr haben konnte, war er es eine Zeitlang zufrieden, wenigstens für seine angebetete Prinzessin kochen zu dürfen. Aber er musste hilflos zusehen, wie sie sein Essen mit einer ganzen Horde edler Freier teilte, die mit den köstlichen Speisen zum Teil nur Schabernack trieben und ihn als niederen Dienstboten behandelten und verlachten. Da er keinen anderen Ausweg sah, begann er für die Prinzessin, die seine Kost über alles liebte, so fette Speisen zu kochen, dass sie immer dicker und für ihre vielen Freier immer unansehnlicher wurde. Als dann der Freier immer weniger wurden und zu guter Letzt nur noch ein paar Alte und ein paar verarmte Edelleute zurückblieben, stellte sich die Prinzessin vor den Spiegel und betrachtete kritisch ihr Spiegelbild.
Wütend befahl sie daraufhin ihren Koch zu sich und überschüttete ihn mit Vorwürfen. Daraufhin gestand er ihr seine Liebe und dass er nur deshalb so für sie gekocht habe, denn er liebe sie in jeder Form und in jedem Ausmass. Zornig über diese Unverschämtheit eines Dienstboten jagte sie ihn vom Schloss und sogar aus dem Königreich. Kaum war er jedoch fort, vermisste sie seine wohlschmeckenden Gerichte. Sie bestellt die besten Köche des Landes auf ihr Schloss, aber keiner konnte auch nur annähernd die Qualität der Speisen des jungen Kochs erreichen, da ihnen die wichtigste Zutat fehlte - die Liebe. Als sie dann den traurigen Rest ihrer Verehrerschar so betrachtete, besann sie sich plötzlich wieder der Worte des jungen Kochs, dass er sie in jeder Form und in jedem Ausmass liebe. Und es schien ihr nun, dass es kein schöneres Kompliment für eine Frau gab und sie verzehrte sich plötzlich vor Sehnsucht nach dem jungen und ansehnlichen Koch. Sie schickte eine Hundertschaft Berittener aus, die ihn suchen sollten, aber nach monatelanger Suche kehrten sie unverrichteter Dinge auf das Schloss zurück, wo sie berichteten, dass der Koch, wie ihm befohlen, das Königreich verlassen hatte. Seine Spur war einfach zu verfolgen gewesen, denn überall, wo er durchgekommen war, hatte er für seinen Lebensunterhalt gekocht und die Leute waren voller Lob über seine einmalig schmackhaften Gerichte. Aber ausserhalb des Königreiches konnten ihre Soldaten nicht weitersuchen, so dass sie traurig wurde und immer mehr in Sehnsucht versank. In ihrem Kummer stopfte sie immer mehr in sich hinein, so dass sie noch viel dicker wurde, bis ihre Untertanen sie hinter vorgehaltener Hand nur noch „Prinzessin Bierfass“ nannten. Als sie sich schliesslich kaum mehr bewegen konnte, liess ihr besorgter Vater die besten Ärzte des Königreiches kommen, damit sie ihr helfen sollten. Aber sie verschmähte den Rat der Weisen und sagte nur immer wieder, dass die einzige Medizin für sie der junge Koch sei, den sie nun auf immer verloren glaubte.
Unter den Ärzten und Weisen war auch ein listiges, altes Kräuterweib, das sich sofort aufmachte, Informationen über den Verbleib des jungen Kochs zu sammeln. Bald hörte sie, dass er über die grossen Berge westlich des Königreiches gewandert sei und begab sich unverzüglich zur Prinzessin.

„Schöne, unglückliche Prinzessin, ihr braucht mir nicht zu sagen, was euch bedrückt. Ich sehe, dass euch der Kummer um eine unglückliche Liebe fett und krank gemacht hat. Euch kann geholfen werden, aber ihr müsst den jungen Mann schon sehr lieben, denn die Behandlung ist äusserst schwer und würde Euch alles abverlangen.“

Sofort war die Prinzessin Feuer und Flamme und wirkte trotz ihrer Unbeweglichkeit völlig aufgedreht.

„Sag mir was ich tun muss, ich werde alles tun, was du von mir verlangst und ich werde dich auch fürstlich belohnen, wenn ich meinen Koch wiederfinden sollte.“

„Nun gut, ich habe Euch gewarnt: ihr müsst euch auf euren eigenen Füssen aufmachen und das ganze Königreich zu Fuss durchqueren, bis ihr an seine westliche Grenze kommt. Bis dahin jedoch dürft ihr kein Geld ausgeben und euch nur von dem ernähren, was mitleidige Bauern und einfache Leute euch aus Mitleid schenken. Auch müsst ihr euch in Lumpen kleiden, so dass ihr ausseht wie eine arme Bettlerin. Wenn ihr dann die westliche Grenze überschreitet, werdet ihr vor ein riesiges Gebirge kommen. Das durchwandert ihr immer in westlicher Richtung und ab der Grenze eures Landes dürft ihr gar nichts mehr essen, sondern nur noch Wasser aus den klaren Bergbächen trinken. In jedem Dorf, das ihr durchquert, sucht ihr dann den besten Koch und verlangt von ihm sein bestes Gericht ohne Bezahlung. Und so werdet ihr euren Geliebten wiederfinden und ihr werdet beide glücklich leben bis ans Ende aller Tage.“

Trotz ihrer Zweifel, ob sie dazu überhaupt fähig sei, machte sich die Prinzessin unverzüglich auf den Weg. Da sie jedoch so fett und unbeweglich war, schaffte sie es bis am Abend nur bis vor das Tor des Schlosses. Dort gab sie ihr ganzes Geld einer alten Bettlerin, mit der sie die Kleider tauschte. Da ihr diese jedoch viel zu klein waren, schenkte ihr die Bettlerin ausserdem eine zerrissene Pferdedecke, in der sie zu schlafen pflegte und die fürchterlich stank. Trotzdem fiel die erschöpfte Prinzessin sofort in tiefen Schlaf und wurde erst wach, als sie kurz vor Sonnenaufgang von einem Soldaten unsanft mit dem Schaft seines Speeres geweckt wurde.

„Hau ab, du fette Bettlerin, gleich öffnen wir die Tore und wir können deinen abschreckenden Anblick unseren Besuchern nicht zumuten!“

Die Prinzessin erschrak zutiefst. Stand es schon so schlimm um sie, dass sie einen erschreckenden Anblick bot? Sie vergass, dass sie im ersten Zorn hatte die Wache rufen und den frechen Soldaten köpfen lassen wollte, und tappte unglücklich davon. Hinter ihr begleiteten sie das Lachen und die zotigen Sprüche der Landsknechte. Ihre Wut über die Beleidigungen der rauhen, unwürdigen Gesellen verlieh ihr Kraft und bis zum Abend hatte sie immerhin schon die Strecke durch die kleine Hauptstadt zurückgelegt. Als es eindunkelte und sie auf ihren kleinen, für ihre Leibesfülle viel zu schwachen Füssen erschöpft vor einer kleinen Kate halt machte, wollte sie sich nur noch hinlegen und schlafen. Aber die Bewohner, ein altes, kinderloses Ehepaar, sahen ihr von der Hütte aus zu, wie sie sich abmühte, ihren dicken, verweichlichten Körper auf dem harten Boden in eine einigermassen erträgliche Lage zu betten. Ohne sich über die wahrhaft eigenartige Erscheinung zu wundern, bereiteten sie ihr ein Lager auf dem Heuboden. Die Prinzessin war so müde, dass sie den Unterschied zu ihren feinen Linnen und weichen Matrazen gar nicht verspührte. Am nächsten Morgen standen die armen Leutchen schon früh auf und melkten ihre einzige, magere Ziege. Obwohl die paar Tropfen Milch kaum für die Beiden ausreichten, boten sie davon zuerst ihrem Gast an. Die Prinzessin war verwirrt und beschämt über solche Grossherzigkeit und weigerte sich, von der Milch zu trinken.

„Gute Leute, ihr braucht das Bisschen notwendiger als ich. Ich habe Zeit meines Lebens genug zu essen gehabt, wie ihr seht, und bin trotzdem zutiefst unglücklich. Wenn ich euch das Wenige, dass ihr zum Leben braucht, wegnehmen würde, müsste ich mich zu Tode schämen.“

Trotz des Protestes der beiden Alten liess sie sich nicht erweichen, von der Milch zu trinken. Sie schenkte Ihnen im Gegensatz sogar noch einen wertvollen Ring, den die alten Leutchen erst gar nicht annehmen wollten. Erst als sie versprach, den Ring bei ihrer Rückkehr abzuholen, liessen sie sich dazu überreden, ihn für die vermeintliche Bettlerin aufzuheben. Die Grossmut der Leute verlieh ihr neue Kraft, und ohne seit ihrem Aufbruch etwas gegessen zu haben, marschierte – oder besser tippelte – sie mit ihren kleinen, vorsichtigen Schrittchen weiter. Bis zum nächsten Abend hatte sie schon die doppelte Strecke geschafft, bevor sie sich völlig am Ende ihrer Kräfte an einem lieblichen Flussufer niederliess. Das Murmeln des Wassers, die majestätischen Bewegungen der vorbeiziehenden Schwäne, das Geplapper und übermütige Singen der Vögel, die sich in einem Baum über ihr einen Schlafplatz ausgesucht hatten, die überwältigende Blütenpracht der einfachen Wiesenblumen – all dies stimmte unsere Prinzessin so glücklich und zufrieden, dass sie mit einem seligen Lächeln auf den Lippen einschlief, ohne selbst gewahr zu werden, dass sie wiederum einen Tag ohne zu essen verbracht hatte.
Und so ging es nun immer weiter: jeden Tag legte sie die grössere Strecke zurück, da ihr Körper, der ja gar keine Anstrengung gewöhnt war, von Tag zu Tag fester und stärker wurde. Und sie trank vom kristallenen Wasser der Bäche und Quellen, was ihr viel köstlicher schien als der süsseste aller Weine, und sie ass fast überhaupt nicht, da ihr jedesmal, wenn ein Bauer auf dem Feld oder ein wandernder Handwerksgeselle sein karges Mal mit ihr teilen wollte, der Hals wie zugeschnürt war angesichts des bescheidenen Essens, das diese schwer arbeitenden Menschen am Leben hielt. Nicht, dass er ihr zu einfach gewesen wäre, sie litt zeitweise schrecklichen Hunger und hätte sogar ein steinhartes Stück Brot gegessen. Aber wenn wieder einmal ein einfacher Landmann sein Taschentuch öffnete und ihr voller Stolz seine Schätze: ein Stückchen Brot und vielleicht etwas harten Käse oder einen Apfel hinhielt, hätte sie weinen können, wenn sie an die Verschwendung und die Völlerei auf dem Schloss dachte. Nein, sagte sie sich, eher sterbe ich Hungers, als dass ich diesen Armen ihr Weniges auch noch wegnehme!
Als sie dann nach über einem Monat an die Grenze des Königreiches gelangte, hatte sie – ohne sich dessen gewahr zu sein, (da sie sich nicht getraute, sich im Spiegel eines ruhigen Gewässers zu betrachten)- schon beträchtlich abgenommen und ihre frühere Schönheit begann bereits wieder durchzuschimmern. Ab hier nun musste sie – den Worten des alten Kräuterweibes gemäss – nur noch vom Wasser der Bergbäche leben und in jedem Dorf vom besten Koch sein allerbestes Gericht ohne Bezahlung verlangen. Getrieben von ihrer Sehnsucht nach ihrem jungen Koch machte sie sich unverzüglich an den schweren Aufstieg ins Gebirge. Zu Beginn lagen die Dörfer noch nahe beieinander und sie erntete viel Hohn und Spott mit ihrer unverschämten Bitte an die Wirte der Dorfschenken. Der eine schlug ihr vor, mit seinen Schweinen zu fressen, da sie wie diese bald fett genug sein würde, um zur Schlachtbank geführt zu werden. Der nächste, dem ihre, unter dem immer noch zu dicken Körper versteckte und von Lumpen und stinkender Pferdedecke verhüllte Schönheit nicht ganz verborgen blieb, machte ihr ein unanständiges Angebot, das er mit seinem besten Gericht vergelten wollte. Ein Dritter bot ihr an, in seiner Küche zu arbeiten, da er glaubte, in einem so wohlgenährten Körper müsse sich eine gute Köchin verstecken. Nur ein einziger auf ihrer mühseligen Pilgerreise gestand ihr frei heraus, dass er vom Kochen keine grosse Ahnung habe und dass auch sein bestes Gericht kaum geniessbar sei (nein, natürlich gab es auch damals keine ehrlichen Wirte, aber dies ist ja schliesslich ein Märchen!).
Viel später, als sie immer höher in das riesengrosse Gebirge hinaufgestiegen war und die Dörfer mehrere Tagereisen auseinander lagen, verliess sie fast ihr Mut. Seit Monaten hatte sie nun praktisch nichts gegessen ausser ein paar Beeren und Wurzeln, die sie am Wegrand entdeckt hatte. Nur das lautere Wasser, das umso köstlicher schmeckte, je weiter sie in die Berge hinaufstieg, hielt sie noch am Leben. Aber mit ihrem Äusseren war ein wahres Wunder geschehen. Strenge Diät und harte, körperliche Anstrengung hatten ihren Körper wie von einem begnadeten Bildhauer zu einem Meisterstück modelliert, so dass ihre Schönheit blendender und strahlender als je zuvor leuchtete und sämtliche Mädchen des Königreiches wie langweilige Abziehbilder erscheinen liess. Wenn sie nun an eine Dorfschenke gelangte und ihr Ansinnen an den Koch stellte, er möge ihr sein bestes Gericht ohne Bezahlung zubereiten, dann war dieser nur allzu bereit, in der Hoffnung, dass diese überirdische Schönheit von seinen Kochkünsten so begeistert sein würde, dass sie für immer bei ihm bliebe. (Ja, die Köche waren auch damals sehr von sich überzeugt!).
Nun, die Köche übertrafen sich zumeist selbst und plünderten ihre Vorratskammern und Weinkeller, um der Bettlerprinzessin zu imponieren. Aber ach, es half ihnen nichts. Die schöne Prinzessin, von der köstlichen Süsse klaren Bergwassers und einem durch den Hunger vorsichtig und misstrauisch gewordenen Magen gegen alles Blendwerk gefeit, brauchte die übervollen Tafeln nur anzusehen, um gleich, jedes Hungergefühls ledig, dem armen Koch ihr Bedauern auszudrücken und sich weiterhin auf ihre beschwerliche Suche zu machen.

Als sie sich nun aber, gegen Ende des zwölften Monats, dem höchsten Gipfel des Berges näherte und ihren geliebten und von ihr so böse geschmähten Koch trotz aller Anstrengungen nicht gefunden hatte, drohte sie endgültig zu verzagen. Knapp unter dem schneebedeckten Gipfel fand sie eine kleine Höhle, die offenbar einem Hirten als Unterschlupf diente, da einige wenige Gerätschaften sowie eine dünne Decke und ein Schaffell darin verstaut lagen. Verzagt und unglücklich kroch sie in die Höhle und legte sich hin, um zu sterben. Sie mochte ihr Unglück nicht beklagen, da sie es in ihrer Überheblichkeit als verwöhntes und umschwärmtes Königskind ja selbst verschuldet hatte. Aber bittere Tränen rannen über ihr engelhaftes Gesicht, als sie nun ihrer verlorenen Liebe gedachte, des jungen Kochs, der sie aus lauter und lauterer Liebe lieber fett und unansehnlich als gar nicht hatte haben wollen. Und so schlief sie ein, im festen Glauben, nicht mehr auf dieser Welt zu erwachen, in der ihr ja doch kein Glück mehr beschieden sein sollte.
Mit der Abenddämmerung kam der Ziegenhirte mit seiner kleinen Herde Schafen und Ziegen zurück zu seiner Höhle. Zuerst erschrak er, als er ein unansehnliches, übelriechendes Bündel zefetzter Lumpen im Eingang seines Unterschlupes fand. Als er jedoch vorsichtig und mit spitzen Fingern einen Zipfel der speckigen Pferdedecke zurückschlug, war es ihm, als ob ihm der Blitz in die Knochen geschlagen hätte. Mit zitternden Händen und wachsweichen Beinen sank er vor der leblos Daliegenden in die Knie, gebannt und geblendet von soviel Schönheit. Nichts anderes konnte er tun, als einfach nur wie ein Blöder daknieen und dies überirdisch schöne und traurige Gesichtchen anstarren.

„Du bist ja noch viel schöner als meine Prinzessin...“, brachte er endlich flüsternd heraus. Als er sich endlich nach langer Zeit von dem atemberaubenden Anblick losreissen konnte, kroch im plötzlich die Angst mit eiskalten Fingern das Rückgrat hoch. Was, wenn dieser Engel bloss hierher gekommen war, um zu sterben? War sie überhaupt noch am Leben? Atmete sie noch? Kaum traute er sich, seine schwielige Hand an ihre feine Wange zu legen – sie war eiskalt. Behutsam nahm er sie auf – glühende Hitze durchfuhr seinen Körper, als er die süsse Last auf seinen Armen spürte – und bettete sie liebevoll auf sein schäbiges Lager, deckte sie mit dem warmen Schafflies zu. So nah an ihrem Mund, dass ihn nicht einer, sondern tausend Blitze trafen und in Stücke zu reissen drohten, fühlte er nach ihrem Atem und glaubte, sein eigenes Leben neu geschenkt zu bekommen, als er einen schwachen Hauch ihres Odems spürte. Sie lebte! Augenblicklich wurde er höchst geschäftig: er musste ihr sofort Nahrung, Speise und Trank zuführen, auf dass dieses schwache Flämmchen, das sie noch am Leben hielt, neu aufflackerte und nicht endgültig verlosch.
In Windeseile durchforstete er alle Winkel und Ecken seiner Höhle auf der Suche nach etwas Essbarem, aus dem sich ein Gericht für den sterbenden Engel zubereiten liesse. Aber ach, er selber ernährte sich ja nur noch von der Milch und dem Käse seiner Ziegen und Schafe, die er mit den kräftigen, spärlich wachsenden Kräutchen dieser hohen Alpweide würzte. In seiner Verzweiflung entzündete er ein Feuerchen, wofür er seinen Hirtenstab verbrannte und setzte seinen russigen Kochtopf auf. In das köstliche Wasser des kleinen Rinnsaales, das unter der ewigen Schnee- und Firndecke des Berges floss, weiss und prall angefüllt mit lauterem Sauerstoff und fein aufgelösten Mineralien, goss er die frische Milch seiner besten Ziege, löste ein gutes Stück des kräftigstem Schafkäses darin auf und gab eine gute Handvoll der aromatischsten und seltensten Kräutchen dazu. Ihm schien die Suppe äusserst armselig und keineswegs für einen Engel geeignet, aber er starb beinahe vor Angst, dieses Geschenk des Himmels, kaum erhalten, wieder zu verlieren. Vorsichtig nahm er einen Löffel voll des Getränks und versuchte ihr dieses tropfenweise einzuflössen. Aber ihr Mund verschloss sich seinen Bemühungen, zu gross war dessen Gewohnheit, abweisend auf dargebotenes Essen zu reagieren. Sogar ihr kleines, auf herzzereissend liebliche Weise gestupstes Näschen kräuste sich, ein Anblick, der ihm wiederum glühend heisse Wellen durch Gesicht und Körper schlagen liess. Verzweifelt ob ihrer Ablehnung, die sein Bemühen, sie am Leben zu erhalten, zunichte machte, sank er vor dem Kessel in sich zusammen und weinte grosse, mächtige Tränen in die Suppe, wie er sie noch nie geweint hatte. Ihm war, als hätten sich alle Schleusen des Himmels geöffnet und liessen ihr ganzes Wasser durch seine traurigen Augen laufen, dass es im Feuerchen darunter nur so zischte.

„Was ist das, was riecht hier so himmlisch...?“

Im ersten Augenblick glaubte er, sich die zarte Stimme, wie das spinnwebenfeine Singen der Bergglockenblume, das nur reinen Seelen zu Gehör steht, bloss eingebildet zu haben. Aber verblüfft sah er, sich umwendend, wie sich der schöne, sterbende Engel auf seinem Lager aufstützte und staunend witternd die Luft einzog.

„Bist du... bist du der, den ich meine...?“
Augen, die aus dem Blau des Himmels, dem Funkeln der Sterne und gleissendem Sonnenlicht destilliert und zu feurig glühenden Edelsteinen geschliffen waren, Augen, in die er nicht ohne zu erblinden blicken zu können glaubte.

„Ich.., Du..., ich habe nur..., ich habe dir ein Süppchen gekocht, da du so schwach und elend warst..., bitte verzeih, es ist alles, was ich hier habe, ich weiss, dass für dich so ein bescheidenes Mahl viel zu gering ist, aber ich, ich habe...“

Voller Erstaunen sah er, wie sich ein wunderschöner Mädchenkörper aus den stinkenden Lumpen schälte, goldene Lockenpracht ergoss sich über milchweisse Schultern, keine Spur von Todesnähe haftete mehr an ihr, als sie wie auf Wolken zum russigen Kochtopf schwebte und wie durch einen Nebel hörte er sie mit einer Stimme, viel zu süss für diesen schäbigen Ort fragen:

„Ist dies dein bestes Gericht? Ich möchte, dass du mir davon gibst, umsonst.“

„Ich..., es ist alles, was ich dir anbieten kann..., ich habe es für dich gekocht...“

Nachdem sie prüfend über dem Kesselchen geschnuppert hatte, versuchte sie einen kleinen Löffel voll, hob dann den ganzen Topf an ihre wohlgeformten, voll erblühten Rosen gleichen Lippen und trank sein Gebräu, ohne einmal innezuhalten, ja, gewissermassen mit einer unstillbaren Gier. Ein tiefer Seufzer entrang sich ihrer Brust, fast bedauernd stellte sie das Töpfchen zurück und kam, nein, schwebte auf den jungen Ziegenhirten zu.

„Wahrlich, du bist es! Kein anderer könnte dies einfache Süppchen so köstlich, so wunderbar liebevoll zubereiten! Endlich, endlich habe ich dich gefunden!“

Dann, da die Prinzessin ja durch ihren Leidensweg Demut gelernt und tiefen Abscheu vor ihrem früheren, haltlosen Lebenswandel empfunden hatte, sank sie vor dem jungen Koch auf die Knie und bat ihn mit tränenerstickter Stimme um Vergebung für ihre frühere Verachtung und für ihr abscheuliches Benehmen ihm gegenüber. Der Junge, der diese Situation nicht etwa genoss, dem es im Gegenteil äusserst peinlich war, dass dieser Engel, in dem er trotz seiner nie versiegten Liebe die angebetete Prinzessin nicht erkannt hatte, hier auf den harten Steinen vor ihm kniete, (es handelt sich hier um ein Märchen! Schon vergessen?), zog die Wiedergefundene voller Glück zu sich hoch und schloss sie innig in seine Arme. Kaum schien es ihm möglich, dass solches Glück noch zu fassen sei. Seine ärmliche Höhle war vom Glanz ihres beiderseitigen Glücks so erhellt, dass sie heller strahlte als jeder Königspalast. Und ratet mal, was die beiden taten?
Nein, sie gingen nicht zurück in das Schloss des Königs. Zu unglücklich waren ihre Erinnerungen an das, was sie beide dort versäumt hatten. Sie blieben genau dort, wo sie sich gefunden hatten, knapp unter dem Gipfel des Berges, wo ihre Tage nur noch vom Glück ihrer Liebe beschienen waren. Und wenn sie sich, was sehr häufig vorkam, nach den Mühen des Tages und nach einer einfachen, aber umso köstlicheren Mahlzeit voller Verlangen in die Arme fielen und sich heftig und bis zur Erschöpfung liebten, dann drang ein geheimnisvolles Leuchten aus der abgelegenen Höhle, das an klaren Abenden bis ins Tal hinunter zu sehen war. Und die Leute unten in den Dörfern lächelten sich dann verstehend zu, und machmal konnten die Kinder so etwas hören wie:

„Jaja, unser kochender Hirte und seine Ziegenprinzessin, wie soviel Verliebtheit in so einer kleinen Höhle nur Platz findet...“

Vor den Toren der Stadt, die den Königspalast beherbergt, steht eine kleine, armselige Kate. Dorthin wandte sich eines Abends ein uraltes, runzliges Kräuterweib und sprach zu den beiden alten Bewohnern:

„Vor einem Jahr ist bei euch eine dicke Bettlerin vorbeigekommen und hat euch etwas zur Aufbewahrung übergeben. Aus dem hässlichen, fetten Entchen ist jetzt ein wunderschöner, glänzender Schwan geworden, der geradewegs in den Himmel fliegt. Da ich ihr durch meine Schlauheit dazu verholfen habe, sollt ihr mir, was sie euch anvertraut, jetzt herausgeben, denn es ist mein gerechter Lohn für mein Bemühen.“

Aber da die hinterlistige Alte wenig vertrauenerweckend aussah und ausserdem die ganze Ziegenmilch, die sie ihr angeboten, in einen einzigen Zug austrank, verweigerten ihr die beiden standhaften Alten die Herausgabe des Ringes und die Kräuterhexe musste grässlich fluchend unverrichteter Dinge wieder von dannen ziehen... So ist das nun einmal in einem Märchen.
 



 
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