Die Radtour

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Astrid

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Die Radtour
Freitagnachmittag. Ich habe mich in mein Zimmer verzogen und lang auf die Couch geschmissen. Der Fernseher läuft. Wie immer. Nebenan nerven die Geschwister. Sicher streiten sie sich wieder um irgendein blödes Spielzeug. Kinder eben.
Ich stelle den Fernseher lauter. Dank der Fernbedienung konnte ich dabei liegen bleiben. Im Fernsehen läuft „Freunde“. Ich verpasse keine Folge. Habe mich gewöhnt an die Typen. Freunde eben. Anders als in der Schule. Die hier können nicht nerven.
Anschließend zeigen sie so Tipps, wie man seine Bude umbauen kann. Interessiert mich nicht wirklich, bin ja auch bin mit meiner zufrieden, aber wenn die Kiste nun einmal an ist. Kann ich ja dösen. Oder zappen. Aber um die Zeit taugt das Programm eh noch nichts.
Während der Bautipps würde Mutter nach Hause kommen und garantiert wieder sauer sein. Sie kann es nicht leiden, wenn ich um diese Zeit schon fernsehe.
Mitten bei den „Simpsons“ würde sie mich dann zum Abendbrot rufen. Das wusste ich. Ich wusste auch, dass danach wieder der Familienrat tagt. Ist schließlich jeden Freitag so. Mutters Idee. In der Schule sagen sie, dass Familientraditionen wichtig sind. Ich finde sie nur öde.

„Andreas! Abendbrot!“ Meine Mutter. ‚Habe ich doch gesagt, mitten bei den „Simpsons“.’ Unheimlich langsam erhebe ich mich. Wie immer.
Eine gute halbe Stunde später sitzen wir alle gesättigt im Wohnzimmer: Vater, Mutter, zwei Kinder und ich. Ich bin vierzehn.
„Nun, was wollen wir am Wochenende unternehmen?“ fragt meine Mutter die sich wöchentlich wiederholende Frage. Wie immer will jeder etwas anderes. Ausgenommen ich. Ich will nichts. Gelangweilt frage ich also: „Dauert das hier noch sehr lange?“ Das Fernsehprogramm läuft ohne mich weiter.
Da hat Vater plötzlich die überwältigende Idee, man könne ja mal mit dem Rad ins Grüne fahren. Ich tue noch gelangweilter. Das ist ja nun wirklich das Letzte. Ich strample mich doch nicht in meiner wenigen Freizeit auch noch ab’, denke ich.
Die Entscheidung ist aber trotzdem gefallen. Mutters fragender Blick trifft mich. „Nein“, sage ich „auf mich müsst ihr verzichten. Muss noch lernen.“
„Schade“, meint Mutter nur.

Mitten in der Nacht werde ich von nicht sehr leisen Geräuschen geweckt. Verschlafen öffne ich meine Tür einen winzigen Spalt. Die Familie trabt geschäftig auf dem Korridor hin und her. Sie schleppen Rucksäcke und anderes Zeugs, als würden sie umziehen wollen. Ich reibe mir die Augen, blinzle zur Uhr neben meinem Bett. Es ist Sonnabend. Kurz vor zehn. Schnell krauche ich unter meine warme Decke zurück.
Irgendwann höre ich, wie die Wohnungstür zuschlägt. Kurz drauf klopft es an meiner Tür. Mutter. „Essen steht in der Mikrowelle“ sagt sie und beugt sich über mich. Ich tue, als ob ich schlafe. ‚Hoffentlich streichelt sie mich jetzt nicht. Das kann sie bei den Babys machen.’
„Viel Spaß beim Lernen!“ sagt sie noch, als wüsste sie, dass ich wach bin. Dann ist sie wieder verschwunden.
Ich brubble etwas Antwortähnliches in mein Kissen und warte auf das zweite Türenknallen.

Allein! Einen ganzen Tag lang! Luxus pur! Alles kann ich tun, alles!
Vorerst bleibe ich mit meiner Fernbedienung im Bett. Die verdammte Sonne scheint mir immerzu auf den Bildschirm. Die neue Jalousie für mein Fenster ist längst überfällig.
In einer Werbepause wärme ich mir das Essen auf. Mutter hat mir ein extra großes Schnitzel aufgehoben. Ich esse im Bett. Lustlos kaue ich auf dem Stück Fleisch herum.

Erst am Abend kommen die anderen zurück. Ich liege noch immer im Bett. Ob ich denn schön gelernt hätte, fragte mich Vater. Ich mime auf krank. „Kopfschmerzen, kein Appetit.“
Mutter macht sich sofort Sorgen und fasst mir an die Stirn.
Die Kleinen schnattern aufgeregt; wollen mir unbedingt erzählen, was sie alles gesehen haben. Sie nerven mich entsetzlich. „Mein Kopf“, jammere ich und Mutter schiebt die zwei aus meinem Zimmer.

‚War wohl doch nicht so toll dein Tag, Alter’, sage ich zu mir.
Na ja, das Fernsehprogramm war eben auch schon mal besser.
 



 
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