Die Ratten sind los

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Fallanda

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Die Ratten sind los

Bei Kottkes Zuhause wohnten zwei Ratten. Eine schwarz-weiß Gefleckte mit dem Namen Rettich und eine Weiße, die Trudi hieß.
Wer jetzt sofort denkt, bei Kottkes war es sehr dreckig oder sie haben bestimmt in der Kanalisation gewohnt, der irrt. Auch wenn Ratten normalerweise als Plage zwischen Dreck und Gestank gelten, so darf man nicht glauben, dass sie das sehr mögen und es sie nur in solchen Gegenden gibt.
Bei Kottkes war es immer sehr sauber und ihre Ratten waren Hausratten, die zahm und ihre Haustiere waren. Genau genommen gehörten sie Max, dem Sohn der Familie.
Als Max Eltern zugestimmt hatten, dass er mit acht Jahren groß genug war, um sich um ein Haustier zu kümmern, hatte er in der Zoohandlung unbedingt die zwei kleinen Ratten haben wollen. Denn Max hatte viel über diese Tiere gelesen. Nicht nur, dass sie sehr intelligent sein sollten, auch sollte es nie langweilig werden, wenn man sich Ratten als Haustiere hielt.

So war es dann auch. Max hatte den beiden einen großen Käfig auf einem Tisch in seinem Zimmer als Heim zur Verfügung gestellt. Aber wann immer er dabei war und sie beobachten konnte, ließ er das kleine Türchen am Käfig offen, dass Rettich und Trudi im Zimmer umher toben konnten. Nach schon kurzer Zeit kannten sich die beiden sehr gut in Max Zimmer aus. Sie balancierten über die Bettkante, kletterten am Schrank über die Schubladengriffe nach oben oder sprangen über große Schluchten zwischen Schreibtisch und Papierkorb.
Aber eines durften sie nie. Nämlich Max Zimmer verlassen. Denn nicht jeder mochte Ratten, auch wenn sie zahm waren. Vor allem Max Mutter, die nur widerwillig zugestimmt hatte, dass er sie haben durfte, sah sie nicht gerne. Deswegen sollten sie nicht woanders in der Wohnung sein. Ganz besonders dann nicht, wenn Besuch da war.

Als an einem Wochenende Tante Irmgard und Onkel Manfred zum Kaffeetrinken vorbei kamen, musste daher Max Rettich und Trudi im Käfig einsperren. Die beiden Ratten wunderten sich, denn sie durften am Wochenende immer besonders lange im Zimmer toben. Aber Max Mutter hatte darauf bestanden, damit sich gerade die Tante nicht erschrecken würde.
Max hatte es richtig Leid getan, als Rettich und Trudi traurig an den Gitterstäben hingen und hinaus wollten. Deshalb gab er ihnen rohe Spaghetti als Entschädigung, die beide sehr gerne knabberten.

Trudi stürzte sich sofort erfreut auf die Spaghetti und nagte an einer Stange. Rettich aber klebte noch immer am Gitter und quetschte neugierig seine Nase hindurch. Max hatte seine Zimmertür nicht vollständig verschlossen und so konnte Rettich durch den offenen Spalt den Flur beobachten.
„Trudi, guck doch mal!“, rief Rettich. „Irgendetwas passiert da.“
„Was soll schon passieren?“, sagte Trudi wenig interessiert zwischen zwei Bissen. „Wahrscheinlich sind es nur wieder die Nachbarn, die sich beschweren, dass Max seine Spielsachen im Hausflur liegen gelassen hat.“
„Nein, das sind ganz andere Menschen. Die hier habe ich noch nie gesehen. Und riech doch mal! Sie haben irgendetwas ganz Leckeres dabei.“
Wenn es ums Essen ging, konnte sich Trudi nicht zurückhalten. Und wenn es dann vielleicht noch etwas war, was sie noch nicht kannte und was noch dazu ganz besonders lecker riechen sollte, dann war ihre Neugier geweckt. Hastig sprang sie an das Gitter neben Rettich und streckte auch ihre Nase hindurch. So tief sie konnte, sog sie den Geruch auf.
„Ja, du hast recht“, sagte sie begeistert. „Das riecht wirklich lecker. So süß, wie purer Zucker.“
„Vielleicht bringt uns Max gleich etwas davon“, hoffte Rettich, denn Max brachte oft den kleinen Allesfressern eine kleine Kostprobe von allen neuen Sachen, die man essen konnte. Aber als Max zusammen mit den anderen Menschen den Flur verließ und in das benachbarte Wohnzimmer ging, verschwand mit ihnen der verlockende Geruch.
„Oh nein“, piepste Trudi traurig. „Sie gehen damit weg. Wie schade.“ Enttäuscht hangelte sie sich am Gitter abwärts und widmete sich einer neuen Spaghetti.
„Jetzt warte doch mal!“, rief ihr Rettich zu, der nicht wahr haben wollte, dass sie nichts von dem süßen Essen haben sollten. Der Geruch war zu verlockend gewesen, um es einfach aufzugeben. „Wenn Max uns nichts bringt, müssen wir uns eben selber etwas davon holen.“
„Du weißt doch ganz genau, dass wir Max Zimmer nicht verlassen dürfen.“, ermahnte Trudi.
„Aber sie müssen es doch gar nicht bemerken.“
Trudi zuckte mit der Nase. Das wäre natürlich eine Möglichkeit.
„Schöne Idee“, sagte sie aber nachdenklich. „Dennoch hast du eine Sache vergessen. Wie sollen wir aus dem Käfig kommen? Max das Türchen verschlossen.“

Rettich kletterte zum Türchen hinüber und überlegte eine Weile, während Trudi die Hoffnung schon aufgeben hatte und wieder trockene Spaghetti futterte.
„Trudi, ist noch eine Spaghetti übrig?“, fragte Rettich dann plötzlich.
„Hast du endlich auch eingesehen, dass es unmöglich ist? Es sind noch genug da. Aber hol sie dir selber!“
„Nein, gib mir doch bitte eine von den Spaghetti rüber! Ich möchte etwas ausprobieren.“
Trudi seufzte in Angesicht von so viel Faulheit, reichte ihm aber eine mit dem Mäulchen an das Gitter. Rettich packte eilig die Spaghetti unter den Verschluss des Türchens, der nur zugeschnippst war und drückte mit seinem langen Schwanz an das andere Ende der rohen Nudel.
Es machte ‚Klack‘ und die Spaghetti war zerbrochen und in zwei Teilen auf den Boden gefallen.
„Was machst du denn da?“, fragte Trudi ungläubig.
„Ich versuche das Türchen aufzuhebeln. Dann können wir hinaus. Gib mir nochmal eine.“
Jetzt hatte Trudi verstanden. „Die wird auch nur wieder brechen. Du musst mehrere auf einmal benutzen“, sagte sie überzeugt und schleppte eine Spaghetti nach der anderen zu Rettich heran, der sie im Mäulchen sammelte und mit dem Schwanz gerade hielt. Bald war auch die letzte Spaghetti aufgesammelt und aufgeregt hockte Trudi unter Rettich auf dem Käfigboden.
„Wir haben nur einen Versuch. Mehr sind nicht übrig“, sagte sie beunruhigt.
„Wenn du nicht schon so viele gefressen hättest, wären es vielleicht zwei Versuche gewesen“, nuschelte Rettich mit vollem Mäulchen.
Trudi verdrehte die Augen und kletterte über die Nudeln.
„Auf drei“, sagte sie und zählte, während Rettich konzentriert die Nudeln hielt. Als es dann bei Drei soweit war, sprang sie auf das andere Ende der Nudeln.
Dieses Mal machte es nicht nur ‚Klack‘, sondern auch ‚Plong‘. Einige Spaghetti waren zerbrochen, aber das Türchen, das war nun auf.
„Hurra!“, rief Trudi und auch Rettich freute sich.
„Jetzt aber schnell weiter“, forderte er und Trudi stimmte ohne Widerwort zu.

Sie hangelten sich an der Außenseite des Käfigs herab auf den Tisch. Das war nicht schwer, denn das hatten sie schon oftmals getan. Und auch der weitere Weg war gewohnt einfach. Auf dem Tisch liefen sie zu einer Ecke und suchten mit den Pfötchen nach dem Tischbein. Als sie ihn sicher gegriffen hatten, rutschten sie kopfüber am Tischbein hinab auf den Boden. Dabei ruderten sie mit dem Schwanz hin und her, um nicht aus dem Gleichgewicht zu kommen.
Auf dem Boden angekommen, tapsten sie zur Zimmertür und guckten durch den offenen Spalt.
„Wo lang?“, fragte Trudi.
Rettich schnüffelte sorgfältig nach dem süßen Geruch.
„Wir müssen durch den Flur und dann nach links, in das Wohnzimmer.“
„Dann los!“, quiekte Trudi siegessicher und war beinahe schon losgelaufen.
„Warte“, hielt Rettich sie auf. „Wir müssen vorsichtig sein. Denk daran, dass sie uns nicht sehen dürfen.“
„Ja, du hast recht. Was schlägst du vor?“
Wieder überlegte Rettich eine Weile und meinte dann: „ Am besten wir laufen immer von einem zum nächsten Versteck. Zuerst hinter die Kommode und wenn von dort die Luft rein ist, weiter zu den Schuhen und dann hinter den Schirmständer, direkt an der Wohnzimmertür.“
„In Ordnung“, willigte Trudi ein.

Zuerst horchten beide ganz genau, ob vielleicht jemand in den Flur kommen würde. Aber sie hörten nur das Geklapper von Geschirr und unverständliches Gerede aus dem Wohnzimmer. Nichts sprach dagegen, die Chance zu nutzen und loszulaufen.
Rettich lief voran und tapste zur Kommode. Trudi folgte und beide glaubten sich schon sicher am ersten Versteck, als plötzlich einer der fremden Menschen an die Wohnzimmertür trat. Verschreckt bremsten beide ab und verharrten mit wild pochenden Herzen, aber stocksteif, an dem Ort, an dem sie gerade waren. Würde der Mensch jetzt in den Flur schauen, wären sie ertappt gewesen.
Aber sie hatten Glück. Der Mensch kehrte um und sie hörten das müde Quietschen der Couch, als er sich wieder zu den anderen setzte.
„Puh!“, piepste Trudi erleichtert.
„Wir müssen leiser laufen“, flüsterte Rettich ihr zu und lief mit langgestreckten Beinchen auf den Zehenspitzen weiter. Trudi folgte wieder auf gleiche Weise. Und mit leisem Tipp und Tapp erreichten sie die sichere Kommode.

Jetzt wurde es schwieriger. Zu den Schuhen mussten sie einmal quer durch den langen Flur laufen. Zuerst horchten sie wieder und auch dieses Mal war zunächst nichts zu hören, was gefährlich werden könnte. Rettich zögerte nicht lange und lief wieder vor Trudi voran auf die Schuhe zu. Der Weg war jetzt wesentlich länger und als sie die Hälfte geschafft hatten, hörten sie plötzlich die Couch erneut quietschen. Der Mensch von eben war wieder aufgestanden und kam jetzt direkt auf den Flur zu.
Rettich sah nur eine Möglichkeit. Er achtete nicht länger darauf, leise zu sein. Jetzt musste es einfach nur schnell gehen und er rannte auf einen alten Turnschuh zu, der am nächsten stand.
Er hatte ihn erreicht, sprang hinein und verkroch sich im Inneren. Gerade noch rechtzeitig, denn der Mensch war jetzt im Flur und steuerte auf die Tür in der Mitte zu, die zum Badezimmer führte. Rettich atmete erleichtert auf, denn er war nicht gesehen wurden. ‚Aber wo war Trudi?‘, schreckte es in ihm auf.
Vorsichtig streckte er die Nase aus dem Schuh und schaute über den Flur. Trudi war nicht zu sehen. Sie war doch genau hinter ihm gewesen, oder nicht? Nervös knabberte Rettich auf einem Schnürsenkel. Ihr war doch hoffentlich nichts zugestoßen?
Der Mensch verschwand im Badezimmer und schloss die Tür hinter sich.
„Trudi!“, rief Rettich leise.
„Ich bin hier“, piepste es mit zittriger Stimme und Rettich sah Trudi an der Wand, nur wenige Meter vor den Schuhen. Sie hatte erkannt, es nicht rechtzeitig quer zu den Schuhen zu schaffen und war schnurstracks geradeaus an die Wand gelaufen, an der sie nun starr vor Angst lehnte.
„Schnell, lauf zu den Schuhen!“, rief Rettich voller Sorge.
„Ich trau mich nicht.“
„Du schaffst das! Lauf!“, forderte Rettich und endlich bewegte sich Trudi. Erst ganz langsam an der Wand entlang und dann, als es nicht mehr so weit war, rannte sie los und schlüpfte in den erstbesten freien Schuh.
Es war ein offener Damenschuh und Trudi war vollkommen darin zu sehen. Aber es war zu spät, sich noch ein besseres Versteck auszusuchen, denn die Badezimmertür öffnete sich wieder und schon stand der Mensch im Flur.
Rettich duckte sich in seinem Turnschuh, nicht ohne seinen Schnürsenkel mitzunehmen und ihn weiterhin aufgeregt anzufressen. Trudi dagegen blieb nichts anderes übrig, als sich so klein wie möglich zu machen und zu hoffen, nicht entdeckt zu werden.
Es klappte. Der Mensch hatte eine Weile im Flur gestanden und gelauscht, als hätte er etwas Ungewöhnliches gehört, sich dann aber doch dazu entschieden, dass nichts sein konnte. Und er war zurück in das Wohnzimmer gegangen, ohne eine der Ratten zu entdecken.

„Das war knapp“, sagte Rettich und spuckte den abgeknabberten Schnürsenkel aus.
„Ich hab ausversehen in den Schuh gemacht“, antwortete Trudi verlegen.
„Egal. Lass und weiter gehen. Wir sind ganz nah am Ziel“, munterte Rettich auf und Trudi stimmte immer noch etwas peinlich gerührt zu. Nach der Aufregung wollte sie auch nicht mehr umkehren. Außerdem war nun der süße Geruch stärker als zuvor und lockte ihre feine Nase.

Der Weg bis zum Schirmständer verlief ohne weitere Zwischenfälle. Dennoch war Trudi noch so sehr verängstigt, dass Rettich alleine um die Ecke in das Wohnzimmer gucken und den Weg erkunden musste.
„Das wird leicht“, sagte er zuversichtlich. „Wir können direkt links hinter der Couch entlang. Keiner wird uns hören, da ist überall Teppich.“
„Hast du es schon gesehen?“
„Noch nicht. Es steht auf dem Tisch neben der Couch. Wenn wir am anderen Ende der Couch sind, überlegen wir, wie es weiter geht.“
Gesagt, getan. Völlig unbemerkt liefen sie hinter der Couch entlang und gelangten so ganz nah an den Tisch, auf dem das süße Essen lockte. Aber ab hier war guter Rat teuer.

Der Tisch war viel zu hoch, um an einem Bein hinauf zu hangeln. Das würden sie nicht schaffen. Also saßen sie nebeneinander an der hinteren Ecke der Couch und überlegten gemeinsam, wie sie weiter vorgehen sollten.
„Die Heizung am Fenster könnten wir schaffen“, dachte Trudi laut nach.
„Schon, aber die Schlucht zwischen Heizung und Tisch ist zu groß. Soweit können wir nicht springen“, wand Rettich die Idee ab und überlegte weiter: „Am einfachsten wäre, auf die Couchlehne zu klettern und von da aus zu springen.“
„Viel zu gefährlich!“, lehnte Trudi ihrerseits ab.
„Hm, was ist mit der Zimmerpalme? Wenn die uns trägt, können wir oben hinauf und von dort ist es nicht so weit zum Tisch“, schlug Rettich vor, denn die Palme war wirklich nicht weit vom Tisch entfernt. Nur vielleicht etwas zu schwach, um eine Ratte zu tragen. Aber das war nicht sicher. Es könnte klappen. Sie mussten es nur ausprobieren.
„Eine andere Möglichkeit sehe ich nicht“, sagte Rettich und Trudi willigte ein, die Palme zu testen.

Da Rettich um einiges mutiger war, meldete er sich bereit, es als erstes zu versuchen. Er sprang in den Palmentopf und klammerte sich an den Stamm. Am Anfang war es gar nicht so schwer, hinauf zu klettern. Aber umso höher er kam, umso dünner wurde der Stamm und umso wackeliger war die Palme. Als Rettich kurz vor den Blättern angekommen war, schwankte die Palme schon hin und her und er musste mächtig mit seinem Schwanz rudern, um nicht herunter zu fallen.
Trudi sah von untern in sicherer Stellung alles mit an und hielt den Atem an, als die Palme sich mit Rettich gefährlich bog. Immer wieder hörte sie nach den Menschen, ob sie etwas mitbekamen. Aber bisher waren sie genug mit sich selbst beschäftigt und ihr Gerede laut genug, dass sie das ‚Wisch‘ und ‚Wusch‘ der schwankenden Palme nicht hörten.
Dann hatte es Rettich mit einem geschickten Satz irgendwie geschafft, oben auf den Kopf der Palme zu gelangen. Trudi freute sich schon. Aber als Rettich zum Sprung auf den Tisch ansetzte, kippte die Palme so unerwartet in eine andere Richtung, dass er ins Rutschen kam und sich nur noch gerade so mit den Pfötchen an einem Blatt halten konnte.

Trudi hatte vor Schreck leicht aufgeschrien, aber handelte sofort. Ohne nachzudenken, dass man sie entdecken konnte, kletterte sie selbst auf die Palme, um Rettich zu retten. Denn sie wusste genau, dass wenn er hinunter fiel, es laut genug sein würde, dass die Menschen es hörten. Dann würde alles vorbei sein. Deshalb musste sie einfach handeln.
Geschickt sprang sie hinauf und hatte dabei weniger Mühe als Rettich zuvor. Denn er hing an einer Seite so am Blatt, dass sie dass prima für sich ausnutzen konnte und im Gleichgewicht auf der anderen Seite kletterte. So war sie schnell oben auf der Palme und konnte Rettich ihren Schwanz als Hilfe zur Verfügung stellen.
Rettich klammerte sich an Trudi’s Schwanz mit den Pfötchen und benutzte seinen eigenen Schwanz, um sich hinaufzuziehen. Dann war er endlich oben und sie beide richteten sich auf der Palme aus, dass sie aufhörte zu schwanken und sowohl Trudi als auch Rettich sicheren Halt hatten.

Jetzt konnten die Ratten endlich die süße Versuchung sehen, die sie veranlasst hatte, diesen abenteuerlichen Weg zu gehen. Es war eine Torte, mit ganz viel Sahne und Marzipanröschen oben drauf. Die Hälfte war schon von den Menschen gegessen wurden, aber es war noch genug da, um zwei kleine Rattenmägen zu füllen.
Dieses Mal ließ Rettich Trudi den Vortritt und sie gelangte mit einem eleganten Sprung auf den Tisch, direkt hinter die Torte. Rettich folgte sogleich und sofort vergaßen sie alle Vorsichtmaßnahmen. Zu gierig waren sie auf die Torte und sie stürzten sich auf sie drauf und fraßen einen Tunnel nach dem anderen durch sie hindurch.
Es war ein Genuss und schon bald waren beide Ratten so vollgefressen, dass sie träge neben der Torte lagen und nur noch vom Appetit geplagt an ihr leckten. Bis dahin hatte sie auch noch keiner der Menschen entdeckt, aber als Tante Irmgard sich Nachschlag holen wollte, flogen sie auf.

„Igitt! Ratten!“, schrie die Tante entsetzt und fiel der Länge nach um. Der Onkel wedelte sogleich mit einer Serviette vor ihrem Gesicht herum und schrie: „Ungeziefer. Macht es weg, schnell, macht es weg!“
Rettich und Trudi waren davon ein wenig aufgeschreckt, aber so träge von der vielen Torte, dass sie sich nicht mehr bewegen konnte.
Mutter Kottke rannte in die Küche und holte feuchte Tücher für die Tante. Vater Kottke schimpfte mit Max, dass er die Ratten nicht ordentlich weggesperrt hatte. Und Max beteuerte, er hätte sie wirklich in den Käfig gesperrt und auch keine Ahnung, wie das passieren konnte.

Letztendlich packte Max Rettich und Trudi am Schwanz und transportierte die Ratten, die sich überhaupt nicht mehr wehren konnten und wollten, zurück in sein Zimmer und in den Käfig.
„Was habt ihr euch nur dabei gedacht?“, schimpfte er sie aus. Aber als er sah, wie die beiden unter ihren vollen Bäuchen litten, ergänzte er sanfter: „Ja, mit euch wird es nie langweilig. Ruht euch gut aus. Ab morgen gibt es Schonkost und erst einmal keine Torte mehr.“

Darauf waren die Ratten alleine gelassen und sie hörten nur noch das entsetzliche Schreien, als Tante Irmgard in ihren Schuh trat, der anscheinend etwas nass sein musste und das böse Fluchen von Onkel Manfred, der seine Turnschuhe nicht mehr zubinden konnte.
Dann schliefen sie glücklich und zufrieden ein. Sie hatten ein Abenteuer erfolgreich abgeschlossen und auch wenn Max demnächst mehr acht geben würde, dass sie nicht wieder so leicht ausbrechen konnten, hatten sie einen unvergesslichen Tag und Sahne-Marzipantorte erlebt.
 

Fallanda

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Bei Kottkes Zuhause wohnten zwei Ratten. Eine schwarz-weiß Gefleckte mit dem Namen Rettich und eine Weiße, die Trudi hieß.
Wer jetzt sofort denkt, bei Kottkes war es sehr dreckig oder sie haben bestimmt in der Kanalisation gewohnt, der irrt. Auch wenn Ratten normalerweise als Plage zwischen Dreck und Gestank gelten, so darf man nicht glauben, dass sie das sehr mögen und es sie nur in solchen Gegenden gibt.
Bei Kottkes war es immer sehr sauber und ihre Ratten waren Hausratten, die zahm und ihre Haustiere waren. Genau genommen gehörten sie Max, dem Sohn der Familie.
Als Max Eltern zugestimmt hatten, dass er mit acht Jahren groß genug war, um sich um ein Haustier zu kümmern, hatte er in der Zoohandlung unbedingt die zwei kleinen Ratten haben wollen. Denn Max hatte viel über diese Tiere gehört. Nicht nur, dass sie sehr intelligent sein sollten, auch sollte es nie langweilig werden, wenn man sich Ratten als Haustiere hielt.

So war es dann auch. Max hatte den beiden einen großen Käfig auf einem Tisch in seinem Zimmer als Heim zur Verfügung gestellt. Aber wann immer er dabei war und sie beobachten konnte, ließ er das kleine Türchen am Käfig offen, dass Rettich und Trudi im Zimmer umher toben konnten. Nach schon kurzer Zeit kannten sich die beiden sehr gut in Max Zimmer aus. Sie balancierten über die Bettkante, kletterten am Schrank über die Schubladengriffe nach oben oder sprangen über große Schluchten zwischen Schreibtisch und Papierkorb.
Aber eines durften sie nie. Nämlich Max Zimmer verlassen. Denn nicht jeder mochte Ratten, auch wenn sie zahm waren. Vor allem Max Mutter, die nur widerwillig zugestimmt hatte, dass er sie haben durfte, sah sie nicht gerne. Deswegen sollten sie nicht woanders in der Wohnung sein. Ganz besonders dann nicht, wenn Besuch da war.

Als an einem Wochenende Tante Irmgard und Onkel Manfred zum Kaffeetrinken vorbei kamen, musste daher Max Rettich und Trudi im Käfig einsperren. Die beiden Ratten wunderten sich, denn sie durften am Wochenende immer besonders lange im Zimmer toben. Aber Max Mutter hatte darauf bestanden, damit sich gerade die Tante nicht erschrecken würde.
Max hatte es richtig Leid getan, als Rettich und Trudi traurig an den Gitterstäben hingen und hinaus wollten. Deshalb gab er ihnen rohe Spaghetti als Entschädigung, die beide sehr gerne knabberten.

Trudi stürzte sich sofort erfreut auf die Spaghetti und nagte an einer Stange. Rettich aber klebte noch immer am Gitter und quetschte neugierig seine Nase hindurch. Max hatte seine Zimmertür nicht vollständig verschlossen und so konnte er durch den offenen Spalt den Flur beobachten.
„Trudi, guck doch mal!“, rief Rettich. „Irgendetwas passiert da.“
„Was soll schon passieren?“, sagte Trudi wenig interessiert zwischen zwei Bissen. „Wahrscheinlich sind es nur wieder die Nachbarn, die sich beschweren, dass Max seine Spielsachen im Hausflur liegen gelassen hat.“
„Nein, das sind ganz andere Menschen. Die hier habe ich noch nie gesehen. Und riech doch mal! Sie haben irgendetwas ganz Leckeres dabei.“
Wenn es ums Essen ging, konnte sich Trudi nicht zurückhalten. Und wenn es dann vielleicht noch etwas war, was sie noch nicht kannte und was noch dazu ganz besonders lecker riechen sollte, dann war ihre Neugier geweckt. Hastig sprang sie an das Gitter neben Rettich und streckte auch ihre Nase hindurch. So tief sie konnte, sog sie den Geruch auf.
„Ja, du hast recht“, sagte sie begeistert. „Das riecht wirklich lecker. So süß, wie purer Zucker.“
„Vielleicht bringt uns Max gleich etwas davon“, hoffte Rettich, denn Max brachte den kleinen Allesfressern oft eine kleine Kostprobe von allen neuen Sachen, die man essen konnte. Aber als Max zusammen mit den anderen Menschen den Flur verließ und in das benachbarte Wohnzimmer ging, verschwand mit ihnen der verlockende Geruch.
„Oh nein“, piepste Trudi traurig. „Sie gehen damit weg. Wie schade.“ Enttäuscht hangelte sie sich am Gitter abwärts und widmete sich einer neuen Spaghetti.
„Jetzt warte doch mal!“, rief ihr Rettich zu, der nicht wahr haben wollte, dass sie nichts von dem süßen Essen haben sollten. Der Geruch war zu verlockend gewesen, um es einfach aufzugeben. „Wenn Max uns nichts bringt, müssen wir uns eben selber etwas davon holen.“
„Du weißt doch ganz genau, dass wir Max Zimmer nicht verlassen dürfen“, ermahnte Trudi.
„Aber sie müssen es doch gar nicht bemerken.“
Trudi zuckte mit der Nase. Das wäre natürlich eine Möglichkeit.
„Schöne Idee“, sagte sie aber nachdenklich. „Dennoch hast du eine Sache vergessen. Wie sollen wir aus dem Käfig kommen? Max hat das Türchen verschlossen.“

Rettich kletterte zum Türchen hinüber und überlegte eine Weile, während Trudi die Hoffnung schon aufgeben hatte und wieder trockene Spaghetti futterte.
„Trudi, ist noch eine Spaghetti übrig?“, fragte Rettich plötzlich.
„Hast du endlich auch eingesehen, dass es unmöglich ist? Es sind noch genug da. Aber hol sie dir selber!“
„Nein, gib mir doch bitte eine von den Spaghetti rüber! Ich möchte etwas ausprobieren.“
Trudi seufzte in Angesicht von so viel Faulheit, reichte ihm aber eine mit dem Mäulchen an das Gitter. Rettich packte eilig die Spaghetti unter den Verschluss des Türchens, der nur zugeschnippst war und drückte mit seinem langen Schwanz an das andere Ende der rohen Nudel.
Es machte ‚Klack‘ und die Spaghetti war zerbrochen und in zwei Teilen auf den Boden gefallen.
„Was machst du denn da?“, fragte Trudi ungläubig.
„Ich versuche das Türchen aufzuhebeln. Dann können wir hinaus. Gib mir nochmal eine.“
Jetzt hatte Trudi verstanden. „Die wird auch nur wieder brechen. Du musst mehrere auf einmal benutzen“, sagte sie überzeugt und schleppte eine Spaghetti nach der anderen zu Rettich heran, der sie im Mäulchen sammelte und mit dem Schwanz gerade hielt. Bald war auch die letzte Spaghetti aufgesammelt und aufgeregt hockte Trudi unter Rettich auf dem Käfigboden.
„Wir haben nur einen Versuch. Mehr sind nicht übrig“, sagte sie beunruhigt.
„Wenn du nicht schon so viele gefressen hättest, wären es vielleicht zwei Versuche gewesen“, nuschelte Rettich mit vollem Mäulchen.
Trudi verdrehte nur die Augen und kletterte über die Nudeln.
„Auf drei“, sagte sie und zählte, während Rettich konzentriert die Nudeln hielt. Als es dann bei Drei soweit war, sprang sie auf das andere Ende der Nudeln.
Dieses Mal machte es nicht nur ‚Klack‘, sondern auch ‚Plong‘. Einige Spaghetti waren zerbrochen, aber das Türchen, das war nun auf.
„Hurra!“, rief Trudi und auch Rettich freute sich.
„Jetzt aber schnell los“, forderte er und Trudi stimmte ohne Widerwort zu.

Sie hangelten sich an der Außenseite des Käfigs herab auf den Tisch. Das war nicht schwer, denn das hatten sie schon oftmals getan. Und auch der weitere Weg war gewohnt einfach. Auf dem Tisch liefen sie zu einer Ecke und suchten mit den Pfötchen nach dem Tischbein. Als sie ihn sicher gegriffen hatten, rutschten sie kopfüber am Tischbein hinab auf den Boden. Dabei ruderten sie mit dem Schwanz hin und her, um nicht aus dem Gleichgewicht zu kommen.
Auf dem Boden angekommen, tapsten sie zur Zimmertür und guckten durch den offenen Spalt.
„Wo lang?“, fragte Trudi.
Rettich schnüffelte sorgfältig nach dem süßen Geruch.
„Wir müssen durch den Flur und dann nach links, in das Wohnzimmer.“
„Dann los!“, quiekte Trudi siegessicher und war beinahe schon losgelaufen.
„Warte“, hielt Rettich sie auf. „Wir müssen vorsichtig sein. Denk daran, dass sie uns nicht sehen dürfen.“
„Ja, du hast recht. Was schlägst du vor?“
Wieder überlegte Rettich eine Weile und meinte dann: „Am besten wir laufen immer von einem zum nächsten Versteck. Zuerst hinter die Kommode und wenn von dort die Luft rein ist, weiter zu den Schuhen und dann hinter den Schirmständer, der direkt an der Wohnzimmertür steht.“
„In Ordnung“, willigte Trudi ein.

Zuerst horchten beide ganz genau, ob vielleicht gerade jemand in den Flur laufen wollte. Aber sie hörten nur das Geklapper von Geschirr und unverständliches Gerede aus dem Wohnzimmer. Nichts sprach dagegen, die Chance zu nutzen und loszulaufen.
Rettich lief voran und tapste zur Kommode. Trudi folgte und beide glaubten sich schon sicher am ersten Versteck, als plötzlich einer der fremden Menschen an die Wohnzimmertür trat. Verschreckt bremsten beide ab und verharrten mit wild pochenden Herzen, aber stocksteif, an dem Ort, an dem sie gerade waren. Würde der Mensch jetzt in den Flur schauen, wären sie ertappt gewesen.
Aber sie hatten Glück. Der Mensch kehrte um und sie hörten das müde Quietschen der Couch, als er sich wieder zu den anderen setzte.
„Puh!“, piepste Trudi erleichtert.
„Wir müssen leiser laufen“, flüsterte Rettich ihr zu und lief mit langgestreckten Beinchen auf den Zehenspitzen weiter. Trudi folgte wieder auf gleiche Weise. Und mit leisem Tipp und Tapp erreichten sie die sichere Kommode.

Jetzt wurde es schwieriger. Zu den Schuhen mussten sie einmal quer durch den langen Flur laufen. Zuerst horchten sie wieder und auch dieses Mal war zunächst nichts zu hören, was gefährlich werden könnte. Rettich zögerte nicht lange und lief wieder vor Trudi voran auf die Schuhe zu. Der Weg war jetzt wesentlich länger und als sie die Hälfte geschafft hatten, hörten sie plötzlich die Couch erneut quietschen. Der Mensch von eben war wieder aufgestanden und kam jetzt direkt auf den Flur zu.
Rettich sah nur eine Möglichkeit. Er achtete nicht länger darauf, leise zu sein. Jetzt musste es einfach nur schnell gehen und er rannte auf einen Turnschuh zu, der am nächsten stand.
Er hatte ihn erreicht, sprang hinein und verkroch sich im Inneren. Gerade noch rechtzeitig, denn der Mensch war jetzt im Flur und steuerte auf die Tür in der Mitte zu, die zum Badezimmer führte. Rettich atmete erleichtert auf, denn er war nicht gesehen worden. ‚Aber wo war Trudi?‘, schreckte es in ihm auf.
Vorsichtig streckte er die Nase aus dem Schuh und schaute über den Flur. Trudi war nicht zu sehen. Sie war doch genau hinter ihm gewesen, oder nicht? Nervös knabberte Rettich auf einem Schnürsenkel. Ihr war doch hoffentlich nichts zugestoßen?
Der Mensch verschwand im Badezimmer und schloss die Tür hinter sich.
„Trudi!“, rief Rettich leise.
„Ich bin hier“, piepste es mit zittriger Stimme und Rettich sah Trudi an der Wand, nur wenige Meter vor den Schuhen. Sie hatte erkannt, es nicht rechtzeitig quer zu den Schuhen zu schaffen und war schnurstracks geradeaus an die Wand gelaufen, an der sie nun starr vor Angst lehnte.
„Schnell, lauf zu den Schuhen!“, rief Rettich voller Sorge.
„Ich trau mich nicht.“
„Du schaffst das! Lauf!“, forderte Rettich und endlich bewegte sich Trudi. Erst ganz langsam an der Wand entlang und dann, als es nicht mehr so weit war, rannte sie los und schlüpfte in den erstbesten freien Schuh.
Es war ein offener Damenschuh und Trudi war vollkommen darin zu sehen. Aber es war zu spät, sich noch ein besseres Versteck auszusuchen, denn die Badezimmertür öffnete sich wieder und schon stand der Mensch im Flur.
Rettich duckte sich in seinem Turnschuh, nicht ohne seinen Schnürsenkel mitzunehmen und ihn weiterhin aufgeregt anzufressen. Trudi dagegen blieb nichts anderes übrig, als sich so klein wie möglich zu machen und zu hoffen, nicht entdeckt zu werden.
Es klappte. Der Mensch hatte eine Weile im Flur gestanden und gelauscht, als hätte er etwas Ungewöhnliches gehört, sich dann aber doch dazu entschieden, dass nichts sein konnte. Und er war zurück in das Wohnzimmer gegangen, ohne eine der Ratten zu entdecken.

„Das war knapp“, sagte Rettich und spuckte den abgeknabberten Schnürsenkel aus.
„Ich hab ausversehen in den Schuh gemacht“, antwortete Trudi verlegen.
„Egal. Lass und weiter gehen. Wir sind ganz nah am Ziel“, munterte Rettich auf und Trudi stimmte immer noch etwas peinlich gerührt zu. Nach der Aufregung wollte sie auch nicht mehr umkehren. Außerdem war nun der süße Geruch stärker als zuvor und lockte ihre feine Nase.

Der Weg bis zum Schirmständer verlief ohne weitere Zwischenfälle. Dennoch war Trudi noch so sehr verängstigt, dass Rettich alleine um die Ecke in das Wohnzimmer gucken und den Weg erkunden musste.
„Das wird leicht“, sagte er zuversichtlich. „Wir können direkt links hinter der Couch entlang. Keiner wird uns hören, da ist überall Teppich.“
„Hast du es schon gesehen?“
„Noch nicht. Es steht auf dem Tisch neben der Couch. Wenn wir am anderen Ende der Couch sind, überlegen wir, wie es weiter geht.“
Gesagt, getan. Völlig unbemerkt liefen sie hinter der Couch entlang und gelangten so ganz nah an den Tisch, auf dem das süße Essen lockte. Aber ab hier war guter Rat teuer.

Der Tisch war viel zu hoch, um an einem Bein hinauf zu hangeln. Das würden sie nicht schaffen. Also saßen sie nebeneinander an der hinteren Ecke der Couch und überlegten gemeinsam, wie sie weiter vorgehen sollten.
„Die Heizung am Fenster könnten wir schaffen“, dachte Trudi laut nach.
„Schon, aber die Schlucht zwischen Heizung und Tisch ist zu groß. Soweit können wir nicht springen“, wand Rettich die Idee ab und überlegte weiter: „Am einfachsten wäre, auf die Couchlehne zu klettern und von da aus zu springen.“
„Viel zu gefährlich!“, lehnte Trudi ihrerseits ab.
„Hm, was ist mit der Zimmerpalme? Wenn die uns trägt, können wir oben hinauf und von dort ist es nicht so weit zum Tisch“, schlug Rettich vor, denn die Palme war wirklich nicht weit vom Tisch entfernt. Nur vielleicht etwas zu schwach, um eine Ratte zu tragen. Aber das war nicht sicher. Es könnte klappen. Sie mussten es nur ausprobieren.
„Eine andere Möglichkeit sehe ich nicht“, sagte Rettich und Trudi willigte ein, die Palme zu testen.

Da Rettich um einiges mutiger war, meldete er sich bereit, es als erstes zu versuchen. Er sprang in den Palmentopf und klammerte sich an den Stamm. Am Anfang war es gar nicht so schwer, hinauf zu klettern. Aber umso höher er kam, umso dünner wurde der Stamm und umso wackeliger war die Palme. Als Rettich kurz vor den Blättern angekommen war, schwankte die Palme schon hin und her und er musste mächtig mit seinem Schwanz rudern, um nicht herunter zu fallen.
Trudi sah von untern in sicherer Stellung alles mit an und hielt den Atem an, als die Palme sich mit Rettich gefährlich bog. Immer wieder hörte sie nach den Menschen, ob sie etwas mitbekamen. Aber bisher waren sie genug mit sich selbst beschäftigt und ihr Gerede laut genug, dass sie das ‚Wisch‘ und ‚Wusch‘ der schwankenden Palme nicht hörten.
Dann hatte es Rettich mit einem geschickten Satz irgendwie geschafft, oben auf den Kopf der Palme zu gelangen. Trudi freute sich schon. Aber als Rettich zum Sprung auf den Tisch ansetzte, kippte die Palme so unerwartet in eine andere Richtung, dass er ins Rutschen kam und sich nur noch gerade so mit den Pfötchen an einem Blatt halten konnte.

Trudi hatte vor Schreck leicht aufgeschrien, aber handelte sofort. Ohne nachzudenken, dass man sie entdecken konnte, kletterte sie selbst auf die Palme, um Rettich zu retten. Denn sie wusste genau, dass wenn er hinunter fiel, es laut genug sein würde, dass die Menschen es hörten. Dann würde alles vorbei sein. Deshalb musste sie einfach handeln.
Geschickt sprang sie hinauf und hatte dabei weniger Mühe als Rettich zuvor. Denn er hing an einer Seite so am Blatt, dass sie dass prima für sich ausnutzen konnte und im Gleichgewicht auf der anderen Seite kletterte. So war sie schnell oben auf der Palme und konnte Rettich ihren Schwanz als Hilfe zur Verfügung stellen.
Rettich klammerte sich an Trudi’s Schwanz mit den Pfötchen und benutzte seinen eigenen Schwanz, um sich hinaufzuziehen. Dann war er endlich oben und sie beide richteten sich auf der Palme aus, dass sie aufhörte zu schwanken und sowohl Trudi als auch Rettich sicheren Halt hatten.

Jetzt konnten die Ratten endlich die süße Versuchung sehen, die sie veranlasst hatte, diesen abenteuerlichen Weg zu gehen. Es war eine Torte mit ganz viel Sahne und Marzipanröschen oben drauf. Die Hälfte war schon von den Menschen gegessen wurden, aber es war noch genug da, um zwei kleine Rattenmägen zu füllen.
Dieses Mal ließ Rettich Trudi den Vortritt und sie gelangte mit einem eleganten Sprung auf den Tisch, direkt hinter die Torte. Rettich folgte sogleich und sofort vergaßen sie alle Vorsichtmaßnahmen. Zu gierig waren sie auf die Torte und sie stürzten sich auf sie drauf und fraßen einen Tunnel nach dem anderen durch sie hindurch.
Es war ein Genuss und schon bald waren beide Ratten so vollgefressen, dass sie träge neben den Resten der Torte lagen und nur noch vom Appetit geplagt an ihr leckten. Bis dahin hatte sie auch noch keiner der Menschen entdeckt. Aber als Tante Irmgard sich Nachschlag holen wollte, flogen sie auf.

„Igitt! Ratten!“, schrie die Tante entsetzt und fiel der Länge nach um. Der Onkel wedelte sogleich mit einer Serviette vor ihrem Gesicht herum und schrie: „Ungeziefer. Macht es weg, schnell, macht es weg!“
Rettich und Trudi waren davon ein wenig aufgeschreckt, aber so träge von der vielen Torte, dass sie sich nicht mehr bewegen konnten.
Mutter Kottke rannte in die Küche und holte feuchte Tücher für die Tante. Vater Kottke schimpfte mit Max, dass er die Ratten nicht ordentlich weggesperrt hatte. Und Max beteuerte, er hätte sie wirklich in den Käfig gesperrt und auch keine Ahnung, wie das passieren konnte.

Letztendlich packte Max Rettich und Trudi am Schwanz und transportierte die Ratten, die sich überhaupt nicht mehr wehren konnten und wollten, zurück in sein Zimmer und in den Käfig.
„Was habt ihr euch nur dabei gedacht?“, schimpfte er sie aus. Aber als er sah, wie die beiden unter ihren vollen Bäuchen litten, ergänzte er sanfter: „Ja, mit euch wird es nie langweilig. Ruht euch gut aus. Ab morgen gibt es Schonkost und erst einmal keine Torte mehr.“

Darauf waren die Ratten alleine gelassen und sie hörten nur noch das entsetzliche Schreien, als Tante Irmgard in ihren Schuh trat, der anscheinend etwas nass sein musste und das böse Fluchen von Onkel Manfred, der seinen Turnschuh nicht mehr zubinden konnte.
Dann schliefen sie glücklich und zufrieden ein. Sie hatten ein Abenteuer erfolgreich abgeschlossen und auch wenn Max demnächst mehr Acht geben würde, dass sie nicht wieder so leicht ausbrechen konnten, hatten sie einen unvergesslichen Tag und Sahne-Marzipantorte erlebt.
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
supi.

man kann sich das ganze sehr schön illustriert vorstellen. gäbe ein nettes kleines kinderbuch.
lg
 

Fallanda

Mitglied
Hallo flammarion,

freut mich, dass dir die Geschichte gefällt.

Ein Kinderbuch daraus entstehen zu lassen, wäre natürlich traumhaft. :)

Liebe Grüße
Fallanda
 

Josi

Mitglied
Liebe Fallanda,

ich möchte mich sehr gern flammarion anschließen. Ein Kinderbuch aus dieser Geschichte mit hübschen Bildern, das kann ich mir auch sehr gut vorstellen.
Mein Sohn hatte selbst als Kind eine handzahme Ratte gehabt und leider haben sich viele unserer Besucher geekelt.
Das habe ich nie verstehen können!

Ganz liebe sonnige Grüße
von Josi
 

Fallanda

Mitglied
Hallo Josi,

lieben Dank für dein Kommentar und ich freue mich sehr, dass dir die Rattengeschichte gefällt. Ich muss mal sehen, wie ich es anstelle, aber vielleicht läßt sich da wirklich etwas draus machen.

Warum sich so viele Leute bei zahmen Hausratten so ekeln, kann ich auch nicht nachvollziehen. Ich denke mir, dass sie nicht von 'Kanalratten' unterscheiden können oder der Ekel einfach zu tief sitzt. Viele finden auch den langen Schwanz absolut abscheulich, obwohl es unglaublich faszinierend ist, wie sie ihn für ihre Zwecke einsetzen.

Ich hatte auch mal zahme Ratten. Und es war wirklich nie langweilig mit denen. Die meisten meiner Besucher mochten die eigentlich. Witzig war auch, dass sie dann unter meinen Gästen so gewisse Vorlieben entwickelt hatten. Einer war regelmäßig in den Zeh gezwickt worden, während sie bei anderen friedlich auf der Schulter saßen oder in der Kapuze schliefen. ;-)

Viele liebe Grüße
Fallanda
 
Liebe Fallanda,

endlich bin ich dazu gekommen, deine lange Kindergeschichte zu lesen. Ich hatte mich schon darauf gefreut.

Erst einmal: ich finde es eine prima Idee, dass du im Mittelteil die Ratten sprechen lässt und nicht durchgehend. Habe ich wieder was gelernt für meine nächste Kindergeschichte. :) Ja, ich bin auch der Meinung, dass es ein entzückendes kleines Kinderbuch geben würde, mit Illustrationen.

Mein Neffe brachte seine Ratte mal in der Hemdentasche mit, als er mich besuchte. Busfahren war für sie kein Problem. Bei mir zu Haus ließ er sie sogar auf dem Kratzbaum meines Katers turnen, der gerade faul auf dem Sofa lag. Da habe ich dann aber doch abgebremst. Die Ratte war einfach zu niedlich, um des Katers Abendbrot zu werden. Also wurde sie wieder in die Hemdentasche verfrachtet und fuhr wohlbehalten mit dem Bus nach Hause - mit meinem Neffen natürlich. :)

Lieben Gruß,
Karin
 

Fallanda

Mitglied
Hallo Estrella,

freut mich sehr, dass dir die Geschichte gefällt.

Ich fand es immer faszinierend, wenn ich gesehen habe wie manche ihre Ratten in der Tasche überall mit hin genommen haben. Ich hab das selber nie gemacht, weil ich dabei viel zu viel angst hatte, dass eine ausbüxen könnte.
Es ist aber auch ein Unterschied, ob man eine oder mehrere hat (ich hatte 4 ;-)). Bei einer einzigen ist der Bezug zum Menschen viel größer und sie ist noch um einiges zutraulicher.
Deswegen schön zu lesen, dass das bei deinem Neffen wohl so gut geklappt hat.

Liebe Urlaubsgrüße
Fallanda
 
S

suzah

Gast
hallo fallanda,
gut geschrieben! obwohl ich in der situation eher wie die tante reagieren würde, hat mir die geschichte als solche gefallen.

kleiner fehler:

"Denn er hing an einer Seite so am Blatt, dass sie das(s) prima für sich ausnutzen konnte und im Gleichgewicht...

liebe grüße suzah
 

Fallanda

Mitglied
Die Ratten sind los

Bei Kottkes Zuhause wohnten zwei Ratten. Eine schwarz-weiß Gefleckte mit dem Namen Rettich und eine Weiße, die Trudi hieß.
Wer jetzt sofort denkt, bei Kottkes war es sehr dreckig oder sie haben bestimmt in der Kanalisation gewohnt, der irrt. Auch wenn Ratten normalerweise als Plage zwischen Dreck und Gestank gelten, so darf man nicht glauben, dass sie das sehr mögen und es sie nur in solchen Gegenden gibt.
Bei Kottkes war es immer sehr sauber und ihre Ratten waren Hausratten, die zahm und ihre Haustiere waren. Genau genommen gehörten sie Max, dem Sohn der Familie.
Als Max Eltern zugestimmt hatten, dass er mit acht Jahren groß genug war, um sich um ein Haustier zu kümmern, hatte er in der Zoohandlung unbedingt die zwei kleinen Ratten haben wollen. Denn Max hatte viel über diese Tiere gehört. Nicht nur, dass sie sehr intelligent sein sollten, auch sollte es nie langweilig werden, wenn man sich Ratten als Haustiere hielt.

So war es dann auch. Max hatte den beiden einen großen Käfig auf einem Tisch in seinem Zimmer als Heim zur Verfügung gestellt. Aber wann immer er dabei war und sie beobachten konnte, ließ er das kleine Türchen am Käfig offen, dass Rettich und Trudi im Zimmer umher toben konnten. Nach schon kurzer Zeit kannten sich die beiden sehr gut in Max Zimmer aus. Sie balancierten über die Bettkante, kletterten am Schrank über die Schubladengriffe nach oben oder sprangen über große Schluchten zwischen Schreibtisch und Papierkorb.
Aber eines durften sie nie. Nämlich Max Zimmer verlassen. Denn nicht jeder mochte Ratten, auch wenn sie zahm waren. Vor allem Max Mutter, die nur widerwillig zugestimmt hatte, dass er sie haben durfte, sah sie nicht gerne. Deswegen sollten sie nicht woanders in der Wohnung sein. Ganz besonders dann nicht, wenn Besuch da war.

Als an einem Wochenende Tante Irmgard und Onkel Manfred zum Kaffeetrinken vorbei kamen, musste daher Max Rettich und Trudi im Käfig einsperren. Die beiden Ratten wunderten sich, denn sie durften am Wochenende immer besonders lange im Zimmer toben. Aber Max Mutter hatte darauf bestanden, damit sich gerade die Tante nicht erschrecken würde.
Max hatte es richtig Leid getan, als Rettich und Trudi traurig an den Gitterstäben hingen und hinaus wollten. Deshalb gab er ihnen rohe Spaghetti als Entschädigung, die beide sehr gerne knabberten.

Trudi stürzte sich sofort erfreut auf die Spaghetti und nagte an einer Stange. Rettich aber klebte noch immer am Gitter und quetschte neugierig seine Nase hindurch. Max hatte seine Zimmertür nicht vollständig verschlossen und so konnte er durch den offenen Spalt den Flur beobachten.
„Trudi, guck doch mal!“, rief Rettich. „Irgendetwas passiert da.“
„Was soll schon passieren?“, sagte Trudi wenig interessiert zwischen zwei Bissen. „Wahrscheinlich sind es nur wieder die Nachbarn, die sich beschweren, dass Max seine Spielsachen im Hausflur liegen gelassen hat.“
„Nein, das sind ganz andere Menschen. Die hier habe ich noch nie gesehen. Und riech doch mal! Sie haben irgendetwas ganz Leckeres dabei.“
Wenn es ums Essen ging, konnte sich Trudi nicht zurückhalten. Und wenn es dann vielleicht noch etwas war, was sie noch nicht kannte und was noch dazu ganz besonders lecker riechen sollte, dann war ihre Neugier geweckt. Hastig sprang sie an das Gitter neben Rettich und streckte auch ihre Nase hindurch. So tief sie konnte, sog sie den Geruch auf.
„Ja, du hast recht“, sagte sie begeistert. „Das riecht wirklich lecker. So süß, wie purer Zucker.“
„Vielleicht bringt uns Max gleich etwas davon“, hoffte Rettich, denn Max brachte den kleinen Allesfressern oft eine kleine Kostprobe von allen neuen Sachen, die man essen konnte. Aber als Max zusammen mit den anderen Menschen den Flur verließ und in das benachbarte Wohnzimmer ging, verschwand mit ihnen der verlockende Geruch.
„Oh nein“, piepste Trudi traurig. „Sie gehen damit weg. Wie schade.“ Enttäuscht hangelte sie sich am Gitter abwärts und widmete sich einer neuen Spaghetti.
„Jetzt warte doch mal!“, rief ihr Rettich zu, der nicht wahr haben wollte, dass sie nichts von dem süßen Essen haben sollten. Der Geruch war zu verlockend gewesen, um es einfach aufzugeben. „Wenn Max uns nichts bringt, müssen wir uns eben selber etwas davon holen.“
„Du weißt doch ganz genau, dass wir Max Zimmer nicht verlassen dürfen“, ermahnte Trudi.
„Aber sie müssen es doch gar nicht bemerken.“
Trudi zuckte mit der Nase. Das wäre natürlich eine Möglichkeit.
„Schöne Idee“, sagte sie aber nachdenklich. „Dennoch hast du eine Sache vergessen. Wie sollen wir aus dem Käfig kommen? Max hat das Türchen verschlossen.“

Rettich kletterte zum Türchen hinüber und überlegte eine Weile, während Trudi die Hoffnung schon aufgeben hatte und wieder trockene Spaghetti futterte.
„Trudi, ist noch eine Spaghetti übrig?“, fragte Rettich plötzlich.
„Hast du endlich auch eingesehen, dass es unmöglich ist? Es sind noch genug da. Aber hol sie dir selber!“
„Nein, gib mir doch bitte eine von den Spaghetti rüber! Ich möchte etwas ausprobieren.“
Trudi seufzte in Angesicht von so viel Faulheit, reichte ihm aber eine mit dem Mäulchen an das Gitter. Rettich packte eilig die Spaghetti unter den Verschluss des Türchens, der nur zugeschnippst war und drückte mit seinem langen Schwanz an das andere Ende der rohen Nudel.
Es machte ‚Klack‘ und die Spaghetti war zerbrochen und in zwei Teilen auf den Boden gefallen.
„Was machst du denn da?“, fragte Trudi ungläubig.
„Ich versuche das Türchen aufzuhebeln. Dann können wir hinaus. Gib mir nochmal eine.“
Jetzt hatte Trudi verstanden. „Die wird auch nur wieder brechen. Du musst mehrere auf einmal benutzen“, sagte sie überzeugt und schleppte eine Spaghetti nach der anderen zu Rettich heran, der sie im Mäulchen sammelte und mit dem Schwanz gerade hielt. Bald war auch die letzte Spaghetti aufgesammelt und aufgeregt hockte Trudi unter Rettich auf dem Käfigboden.
„Wir haben nur einen Versuch. Mehr sind nicht übrig“, sagte sie beunruhigt.
„Wenn du nicht schon so viele gefressen hättest, wären es vielleicht zwei Versuche gewesen“, nuschelte Rettich mit vollem Mäulchen.
Trudi verdrehte nur die Augen und kletterte über die Nudeln.
„Auf drei“, sagte sie und zählte, während Rettich konzentriert die Nudeln hielt. Als es dann bei Drei soweit war, sprang sie auf das andere Ende der Nudeln.
Dieses Mal machte es nicht nur ‚Klack‘, sondern auch ‚Plong‘. Einige Spaghetti waren zerbrochen, aber das Türchen, das war nun auf.
„Hurra!“, rief Trudi und auch Rettich freute sich.
„Jetzt aber schnell los“, forderte er und Trudi stimmte ohne Widerwort zu.

Sie hangelten sich an der Außenseite des Käfigs herab auf den Tisch. Das war nicht schwer, denn das hatten sie schon oftmals getan. Und auch der weitere Weg war gewohnt einfach. Auf dem Tisch liefen sie zu einer Ecke und suchten mit den Pfötchen nach dem Tischbein. Als sie ihn sicher gegriffen hatten, rutschten sie kopfüber am Tischbein hinab auf den Boden. Dabei ruderten sie mit dem Schwanz hin und her, um nicht aus dem Gleichgewicht zu kommen.
Auf dem Boden angekommen, tapsten sie zur Zimmertür und guckten durch den offenen Spalt.
„Wo lang?“, fragte Trudi.
Rettich schnüffelte sorgfältig nach dem süßen Geruch.
„Wir müssen durch den Flur und dann nach links, in das Wohnzimmer.“
„Dann los!“, quiekte Trudi siegessicher und war beinahe schon losgelaufen.
„Warte“, hielt Rettich sie auf. „Wir müssen vorsichtig sein. Denk daran, dass sie uns nicht sehen dürfen.“
„Ja, du hast recht. Was schlägst du vor?“
Wieder überlegte Rettich eine Weile und meinte dann: „Am besten wir laufen immer von einem zum nächsten Versteck. Zuerst hinter die Kommode und wenn von dort die Luft rein ist, weiter zu den Schuhen und dann hinter den Schirmständer, der direkt an der Wohnzimmertür steht.“
„In Ordnung“, willigte Trudi ein.

Zuerst horchten beide ganz genau, ob vielleicht gerade jemand in den Flur laufen wollte. Aber sie hörten nur das Geklapper von Geschirr und unverständliches Gerede aus dem Wohnzimmer. Nichts sprach dagegen, die Chance zu nutzen und loszulaufen.
Rettich lief voran und tapste zur Kommode. Trudi folgte und beide glaubten sich schon sicher am ersten Versteck, als plötzlich einer der fremden Menschen an die Wohnzimmertür trat. Verschreckt bremsten beide ab und verharrten mit wild pochenden Herzen, aber stocksteif, an dem Ort, an dem sie gerade waren. Würde der Mensch jetzt in den Flur schauen, wären sie ertappt gewesen.
Aber sie hatten Glück. Der Mensch kehrte um und sie hörten das müde Quietschen der Couch, als er sich wieder zu den anderen setzte.
„Puh!“, piepste Trudi erleichtert.
„Wir müssen leiser laufen“, flüsterte Rettich ihr zu und lief mit langgestreckten Beinchen auf den Zehenspitzen weiter. Trudi folgte wieder auf gleiche Weise. Und mit leisem Tipp und Tapp erreichten sie die sichere Kommode.

Jetzt wurde es schwieriger. Zu den Schuhen mussten sie einmal quer durch den langen Flur laufen. Zuerst horchten sie wieder und auch dieses Mal war zunächst nichts zu hören, was gefährlich werden könnte. Rettich zögerte nicht lange und lief wieder vor Trudi voran auf die Schuhe zu. Der Weg war jetzt wesentlich länger und als sie die Hälfte geschafft hatten, hörten sie plötzlich die Couch erneut quietschen. Der Mensch von eben war wieder aufgestanden und kam jetzt direkt auf den Flur zu.
Rettich sah nur eine Möglichkeit. Er achtete nicht länger darauf, leise zu sein. Jetzt musste es einfach nur schnell gehen und er rannte auf einen Turnschuh zu, der am nächsten stand.
Er hatte ihn erreicht, sprang hinein und verkroch sich im Inneren. Gerade noch rechtzeitig, denn der Mensch war jetzt im Flur und steuerte auf die Tür in der Mitte zu, die zum Badezimmer führte. Rettich atmete erleichtert auf, denn er war nicht gesehen worden. ‚Aber wo war Trudi?‘, schreckte es in ihm auf.
Vorsichtig streckte er die Nase aus dem Schuh und schaute über den Flur. Trudi war nicht zu sehen. Sie war doch genau hinter ihm gewesen, oder nicht? Nervös knabberte Rettich auf einem Schnürsenkel. Ihr war doch hoffentlich nichts zugestoßen?
Der Mensch verschwand im Badezimmer und schloss die Tür hinter sich.
„Trudi!“, rief Rettich leise.
„Ich bin hier“, piepste es mit zittriger Stimme und Rettich sah Trudi an der Wand, nur wenige Meter vor den Schuhen. Sie hatte erkannt, es nicht rechtzeitig quer zu den Schuhen zu schaffen und war schnurstracks geradeaus an die Wand gelaufen, an der sie nun starr vor Angst lehnte.
„Schnell, lauf zu den Schuhen!“, rief Rettich voller Sorge.
„Ich trau mich nicht.“
„Du schaffst das! Lauf!“, forderte Rettich und endlich bewegte sich Trudi. Erst ganz langsam an der Wand entlang und dann, als es nicht mehr so weit war, rannte sie los und schlüpfte in den erstbesten freien Schuh.
Es war ein offener Damenschuh und Trudi war vollkommen darin zu sehen. Aber es war zu spät, sich noch ein besseres Versteck auszusuchen, denn die Badezimmertür öffnete sich wieder und schon stand der Mensch im Flur.
Rettich duckte sich in seinem Turnschuh, nicht ohne seinen Schnürsenkel mitzunehmen und ihn weiterhin aufgeregt anzufressen. Trudi dagegen blieb nichts anderes übrig, als sich so klein wie möglich zu machen und zu hoffen, nicht entdeckt zu werden.
Es klappte. Der Mensch hatte eine Weile im Flur gestanden und gelauscht, als hätte er etwas Ungewöhnliches gehört, sich dann aber doch dazu entschieden, dass nichts sein konnte. Und er war zurück in das Wohnzimmer gegangen, ohne eine der Ratten zu entdecken.

„Das war knapp“, sagte Rettich und spuckte den abgeknabberten Schnürsenkel aus.
„Ich hab ausversehen in den Schuh gemacht“, antwortete Trudi verlegen.
„Egal. Lass und weiter gehen. Wir sind ganz nah am Ziel“, munterte Rettich auf und Trudi stimmte immer noch etwas peinlich gerührt zu. Nach der Aufregung wollte sie auch nicht mehr umkehren. Außerdem war nun der süße Geruch stärker als zuvor und lockte ihre feine Nase.

Der Weg bis zum Schirmständer verlief ohne weitere Zwischenfälle. Dennoch war Trudi noch so sehr verängstigt, dass Rettich alleine um die Ecke in das Wohnzimmer gucken und den Weg erkunden musste.
„Das wird leicht“, sagte er zuversichtlich. „Wir können direkt links hinter der Couch entlang. Keiner wird uns hören, da ist überall Teppich.“
„Hast du es schon gesehen?“
„Noch nicht. Es steht auf dem Tisch neben der Couch. Wenn wir am anderen Ende der Couch sind, überlegen wir, wie es weiter geht.“
Gesagt, getan. Völlig unbemerkt liefen sie hinter der Couch entlang und gelangten so ganz nah an den Tisch, auf dem das süße Essen lockte. Aber ab hier war guter Rat teuer.

Der Tisch war viel zu hoch, um an einem Bein hinauf zu hangeln. Das würden sie nicht schaffen. Also saßen sie nebeneinander an der hinteren Ecke der Couch und überlegten gemeinsam, wie sie weiter vorgehen sollten.
„Die Heizung am Fenster könnten wir schaffen“, dachte Trudi laut nach.
„Schon, aber die Schlucht zwischen Heizung und Tisch ist zu groß. Soweit können wir nicht springen“, wand Rettich die Idee ab und überlegte weiter: „Am einfachsten wäre, auf die Couchlehne zu klettern und von da aus zu springen.“
„Viel zu gefährlich!“, lehnte Trudi ihrerseits ab.
„Hm, was ist mit der Zimmerpalme? Wenn die uns trägt, können wir oben hinauf und von dort ist es nicht so weit zum Tisch“, schlug Rettich vor, denn die Palme war wirklich nicht weit vom Tisch entfernt. Nur vielleicht etwas zu schwach, um eine Ratte zu tragen. Aber das war nicht sicher. Es könnte klappen. Sie mussten es nur ausprobieren.
„Eine andere Möglichkeit sehe ich nicht“, sagte Rettich und Trudi willigte ein, die Palme zu testen.

Da Rettich um einiges mutiger war, meldete er sich bereit, es als erstes zu versuchen. Er sprang in den Palmentopf und klammerte sich an den Stamm. Am Anfang war es gar nicht so schwer, hinauf zu klettern. Aber umso höher er kam, umso dünner wurde der Stamm und umso wackeliger war die Palme. Als Rettich kurz vor den Blättern angekommen war, schwankte die Palme schon hin und her und er musste mächtig mit seinem Schwanz rudern, um nicht herunter zu fallen.
Trudi sah von untern in sicherer Stellung alles mit an und hielt den Atem an, als die Palme sich mit Rettich gefährlich bog. Immer wieder hörte sie nach den Menschen, ob sie etwas mitbekamen. Aber bisher waren sie genug mit sich selbst beschäftigt und ihr Gerede laut genug, dass sie das ‚Wisch‘ und ‚Wusch‘ der schwankenden Palme nicht hörten.
Dann hatte es Rettich mit einem geschickten Satz irgendwie geschafft, oben auf den Kopf der Palme zu gelangen. Trudi freute sich schon. Aber als Rettich zum Sprung auf den Tisch ansetzte, kippte die Palme so unerwartet in eine andere Richtung, dass er ins Rutschen kam und sich nur noch gerade so mit den Pfötchen an einem Blatt halten konnte.

Trudi hatte vor Schreck leicht aufgeschrien, aber handelte sofort. Ohne nachzudenken, dass man sie entdecken konnte, kletterte sie selbst auf die Palme, um Rettich zu retten. Denn sie wusste genau, dass wenn er hinunter fiel, es laut genug sein würde, dass die Menschen es hörten. Dann würde alles vorbei sein. Deshalb musste sie einfach handeln.
Geschickt sprang sie hinauf und hatte dabei weniger Mühe als Rettich zuvor. Denn er hing an einer Seite so am Blatt, dass sie das prima für sich ausnutzen konnte und im Gleichgewicht auf der anderen Seite kletterte. So war sie schnell oben auf der Palme und konnte Rettich ihren Schwanz als Hilfe zur Verfügung stellen.
Rettich klammerte sich an Trudi’s Schwanz mit den Pfötchen und benutzte seinen eigenen Schwanz, um sich hinaufzuziehen. Dann war er endlich oben und sie beide richteten sich auf der Palme aus, dass sie aufhörte zu schwanken und sowohl Trudi als auch Rettich sicheren Halt hatten.

Jetzt konnten die Ratten endlich die süße Versuchung sehen, die sie veranlasst hatte, diesen abenteuerlichen Weg zu gehen. Es war eine Torte mit ganz viel Sahne und Marzipanröschen oben drauf. Die Hälfte war schon von den Menschen gegessen wurden, aber es war noch genug da, um zwei kleine Rattenmägen zu füllen.
Dieses Mal ließ Rettich Trudi den Vortritt und sie gelangte mit einem eleganten Sprung auf den Tisch, direkt hinter die Torte. Rettich folgte sogleich und sofort vergaßen sie alle Vorsichtmaßnahmen. Zu gierig waren sie auf die Torte und sie stürzten sich auf sie drauf und fraßen einen Tunnel nach dem anderen durch sie hindurch.
Es war ein Genuss und schon bald waren beide Ratten so vollgefressen, dass sie träge neben den Resten der Torte lagen und nur noch vom Appetit geplagt an ihr leckten. Bis dahin hatte sie auch noch keiner der Menschen entdeckt. Aber als Tante Irmgard sich Nachschlag holen wollte, flogen sie auf.

„Igitt! Ratten!“, schrie die Tante entsetzt und fiel der Länge nach um. Der Onkel wedelte sogleich mit einer Serviette vor ihrem Gesicht herum und schrie: „Ungeziefer. Macht es weg, schnell, macht es weg!“
Rettich und Trudi waren davon ein wenig aufgeschreckt, aber so träge von der vielen Torte, dass sie sich nicht mehr bewegen konnten.
Mutter Kottke rannte in die Küche und holte feuchte Tücher für die Tante. Vater Kottke schimpfte mit Max, dass er die Ratten nicht ordentlich weggesperrt hatte. Und Max beteuerte, er hätte sie wirklich in den Käfig gesperrt und auch keine Ahnung, wie das passieren konnte.

Letztendlich packte Max Rettich und Trudi am Schwanz und transportierte die Ratten, die sich überhaupt nicht mehr wehren konnten und wollten, zurück in sein Zimmer und in den Käfig.
„Was habt ihr euch nur dabei gedacht?“, schimpfte er sie aus. Aber als er sah, wie die beiden unter ihren vollen Bäuchen litten, ergänzte er sanfter: „Ja, mit euch wird es nie langweilig. Ruht euch gut aus. Ab morgen gibt es Schonkost und erst einmal keine Torte mehr.“

Darauf waren die Ratten alleine gelassen und sie hörten nur noch das entsetzliche Schreien, als Tante Irmgard in ihren Schuh trat, der anscheinend etwas nass sein musste und das böse Fluchen von Onkel Manfred, der seinen Turnschuh nicht mehr zubinden konnte.
Dann schliefen sie glücklich und zufrieden ein. Sie hatten ein Abenteuer erfolgreich abgeschlossen und auch wenn Max demnächst mehr Acht geben würde, dass sie nicht wieder so leicht ausbrechen konnten, hatten sie einen unvergesslichen Tag und Sahne-Marzipantorte erlebt.
 

Fallanda

Mitglied
Hallo suzah,

wenn dir die beiden vielleicht vorher vorgestellt worden wären, würdest du bestimmt auch nicht umkippen. Die Tante wusste ja nix von den Ratten. Wahrscheinlich würde ich in der Situation dann auch erschrecken.

Danke dir, auch für den Fehlerhinweis.

Liebe Grüße
Fallanda
 
Liebe Fallanda,

am letzten Wochenende musste ich an deine Ratten-Geschichte denken. Hier war Stadtfest, jemand hatte seine Ratte mit. Anton, neun Monate alt. Ich nahm ihn sofort zum Streicheln in meine Hände und war begeistert.... :D

Lieben Gruß,
Karin
 

Fallanda

Mitglied
Hallo Karin,

das klingt doch wirklich nett. Vorallem, wenn Anton mitten im Stadtfest noch so zutraulich war.
Mich freut natürlich auch, dass du dabei an Rettich und Trudi bzw. an ihre Geschichte gedacht hast. :)

Rettich hat es übrigens wirklich gegeben. Er war 'Einzelratte' von einem Freund damals und hat zu der Geschichte inspiriert. Man hatte immer das Gefühl, dass er alles durchsetzen musste, was er sich in den Kopf gesetzt hatte. Hat oftmals viel Freude bereitet, ihn zu beobachten.

Liebe Grüße
Fallanda
 



 
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