Die Regeln des Spiels

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catalina

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Die Regeln des Spiels

Sie war sehr früh am Morgen gekommen. Als er die Tür öffnete, fürchtete sie ihre Beine würden vor Müdigkeit unter ihr nachgeben. Sie blinzelte um die aufsteigende Dunkelheit zu vertreiben.
- Was tust du hier ?
Sie zuckte die Schultern, wusste es selbst nicht genau und ging nur schweigend an ihm vorbei ins Haus.
- Hast du Kaffee ?
Er deutete stumm in die Küche, folgte ihr nur mit Blicken und blieb im Flur stehen. Dann setzte er sich und lehnte sich gegen die Wand.
Die Kaffeemaschine dröhnte in ihren Ohren. Sie öffnete einige Schränke, bevor sie eine Tasse gefunden hatte. Sie fuhr mit dem Finger über den Rand, spürte die raue Stelle an der das Keramik gesprungen war.
Dann erst blickte sie ihn zum ersten Mal bewusst an. Die Müdigkeit ließ die Wirklichkeit verschwimmen und sie empfand seine Silhouette im dunklen Flur als verzehrt.
- Geh schlafen !
Sagte sie nur, hörte ihre Stimme wie ein Echo. Sie wollte noch eine Zigarette rauchen. Er wirkte müde. Es war erst kurz vor Fünf. Doch er stand nicht auf.
Der Kaffee plätscherte in die Tasse, die Maschine surrte. Sonst war es still.
Sie verbrannte sich die Zunge, fluchte leise und setzte sich neben ihn.
- Was tust du hier ?
Seine Stimme klang rau. Sie roch den Alkohol, wandte leicht den Kopf ab um gegen die Übelkeit anzukämpfen.
- Kaffee trinken.
Er mochte ihren Zynismus nicht. Nicht um diese Zeit. Sie sah es an dem leichten Verdrehen seiner Pupillen. Fast unmerklich wie er den Blick abwandte um ihn dann wieder auf sie zu richten. Sie würde es nicht sagen. Vielleicht ahnte er das ja, denn er stand auf.
- Lass uns ins Bett gehen !
Sie schüttelte den Kopf.
- Gut.
Er schwieg kurz.
- Ich gehe jetzt ins Bett. Gute Nacht !
Sie nickte. Er ging in sein Zimmer, sie stand auf, fühlte sich wie ein kleines Kind, das hinter einem anderen hertapst.
In seinem Zimmer öffnete sie die Terrassentür, setzte sich unter die halb heruntergelassene Jalousie und lehnte sich gegen den Fensterrahmen.
Das Feuerzeug zischte leise. Der Geschmack der Zigarette war ungewohnt bitter.
Sie beobachtete wie er die Decke fast bis über seinen Kopf zog und nichts blieb außer ein wirrer Haarschopf. Er schlief schnell ein. Sie beneidete ihn darum.
Sie richtete den Blick wieder nach draußen. Der Himmel war in ein kühles, dunstiges Licht gehüllt. Es würde Regen geben. Und Hitze.
Sie zog an der Zigarette. Der Wind kühlte ihr verschwitztes Gesicht. Sie hatte es ihm ja nicht gesagt. Dachte sie.
Wieder die aufsteigende Übelkeit. Sie drückte die Zigarette aus. Fast war sie versucht, sie in seinem buntkarierten Teppich auszudrücken. Es reizte sie. Vielleicht war es auch nur die Müdigkeit. Doch sie drückte nur mit den bloßen Fingern die glühende Asche aus, biss sich auf die Lippen, als der Schmerz kam und legte die Zigarette dann neben die offene Terrassentür. Den Kaffee hatte sie im Flur stehen lassen.
Sie zog sich das T-Shirt über den Kopf, warf einen Blick auf ihre schmutzigen, nackten Füße, ehe sie die Jeans auszog. Ihre Haut fühlte sich klebrig an, roch seltsam süß.
Er hatte nur eine Decke. Sie wollte ihn nicht wecken und rollte sich zusammen. Die Müdigkeit war ihr beinahe unerträglich. Gedankenfetzen im Kopf ehe sie endlich schlief.

Als sie wach wurde, fühlte sie sich erschöpft. Die Wärme des Zimmers legte sich feucht auf ihre Haut. Ihr Kopf pochte. Wie spät war es ?
Die Tür zum Zimmer stand offen, irgendwo im Haus hatte jemand Musik angemacht. Ihr Mund fühlte sich trocken an.
Als sie sich aufrichtete, wurde sie sich erst bewusst, dass er sie zugedeckt hatte.
Sie nahm das zerknitterte T-Shirt vom Boden, zog es sich im Gehen über. Es war kein schnelles Gehen. Eher ein Schleppen. Ihre Beine kamen ihr dünn vor. Eklig dünn.
Die Kaffeetasse stand nicht mehr im Flur. Wie spät war es ? Welcher Tag war heute ?
Sie ging in die Küche. Trank beinahe gierige einige Schlücke Wasser aus einer der zerbeulten Plastikflaschen.
- Morgen !
Plötzlich stand er in der Küchentür. Erschrocken zuckte sie zusammen, ließ beinahe die Wasserflasche fallen.
- Wie spät ist es ?
- Drei Uhr.
- Nachts ?
Er lachte. Sie blickte aus dem Fenster, das helle Licht schmerzte in ihren Augen. Es war Tag. Tag. Wieso diese überflüssige Frage. Sie dachte, es wäre Nacht. Es war alles so dunkel.
- Willst du duschen ?
Sie war noch zu benommen. Er schob sie ins Bad, zog ihr das T-Shirt über den Kopf.
- Setzt dich in die Badewanne.
Es war so irreal. Sie spürte die Kühle der Fliesen unter ihren nackten Füßen, den Druck seiner Hand auf ihrem Rücken um sie zur Wanne zu führen.
Ihr war schwindlig. Die Übelkeit kroch ihre Kehle hinauf, dann plötzlich die Erinnerung.
Der Wein. Sie drückte seinen Arm beiseite, übergab sich ins Waschbecken. Roter Brei.
Ihr blasses, nassgeschwitztes Gesicht im Spiegel. Ihre Hände zitterten. Seine Hand, die sie ruhig am Arm hielt, damit sie nicht fiel.
- Du solltest Wasser trinken. Etwas essen.
Er stellte den Wasserhahn an.
- Alles in Ordnung ?
Sie wollte Nein sagen. Nickte nur. Sie wusch sich das Gesicht. Er drückte sie bestimmter zur Badewanne. Ließ warmes Wasser ein.
- Ich mach dir einen Tee.
Hör auf, dachte sie. Hör auf. Komm her, pass auf mich auf. Geh nicht. Wortbrocken. Widersprüchlich.
Er ging in die Küche. Sie sank in das warme Wasser.
Irgendwann kam er wieder, stellte eine Tasse Tee neben ihr ab. Es war dieselbe. Sie sah den kleinen Sprung im Keramik.
Sein Telefon klingelte. Sie tauchte im Wasser unter. Verschloss fest die Augen. Werde wach. Werde wach. Flüsterte sie. Wasser drang in ihren Mund. Ihre Lungen schienen bersten zu wollen. Ihr Körper schob sich wie von allein nach oben. Sie holte Luft.
Er lehnte neben der Wanne. Das Telefon klingelte nicht mehr.
- Kannst lange die Luft anhalten.
Es fühlte sich gut an. Dieser belanglose Satz. Er nahm ein Handtuch und hielt es ihr hin. Sie zog das Höschen unter Wasser aus, ließ es auf der Oberfläche schwimmen und wickelte sich in das blaue Frotteehandtuch.
Schön, dachte sie. Nur schön. Sie nahm die Tasse Tee, lief durch den Flur, hinterließ nasse Tapsen auf den Fliesen.
- Hast du eine Hose ?
Fragte sie. Er gab ihr eine Jeans.
- Die ist zu kurz.
Stellte sie fest. Er gab ihr eine Andere. Sie stand einen Moment in seinem Zimmer, Wassertropfen auf der noch nassen Haut. Sie fror. Nur an den Beinen war ihr warm.
Er zog noch einen Pulli aus dem Schrank.
Dann setzten sie sich auf die Terrasse, rauchten eine Zigarette, schwiegen.
- Danke.
Sagte sie dann.
- Wofür ?
- Für den Tee.
Er antwortete nicht, starrte in den Himmel. Sie war an der Reihe.
- Wie geht’s dir ?
Er zog an seiner Zigarette, schien über ihre Frage nachzudenken, in sich hineinzuhorchen.
- Erschöpft.
Das war alles, was er sagte. Sie lehnte sich in dem Plastikstuhl, in dem sie saß, zurück.
- Warum ?
- Weißt du.
Sie nickte. Obwohl sie unsicher war. Er zog wieder an seiner Zigarette und sie beobachtete den Rauch, der aus seinem Mund quoll.
- Was brauchst du ?
- Wofür ?
- Um die Erschöpfung zu vertreiben.
Er setzte ein gespieltes Lächeln auf. Ein müdes Lächeln.
- Ruhe.
- Vor was ?
Er antwortete nicht, beobachtete nur wie die Zigarette im Aschenbecher verglühte. Zuckte dann die Schultern.
Sie ließ ihn. Drückte die Zigarette aus. An zwei Fingern hatte sie eine Brandblase. Die Haut spannte sich weiß an den Stellen. Es tat weh.
Er stand auf.
- Hast du Hunger ?
Sie schüttelte den Kopf.
- Du solltest etwas essen.
- Nein.
Sein Blick verharrte kurz an der Wölbung ihres Mundes, als wäre er sich unsicher, ob sie wirklich etwas gesagt hatte. Dann drehte er sich um, ging in sein Zimmer.

Sie legte eine CD ein. Er lag auf dem Bett, beobachtete sie kurz bevor sein Blick wieder leer wurde. Sie setzte sich neben ihn, hatte den Drang ihm über den Bauch zu streichen. Ihn zu beruhigen wie es bei Kleinkindern gemacht wird.
Doch dann legte sie sich nur neben ihn. Er sagte nichts. Sie fühlte sich schwer innerlich.
War sich unsicher, was sie tun sollte.
Schließlich zog sie ihn vorsichtig an sich und nahm ihn in den Arm. Er ließ sie gewähren.
Sie spürte sein leichtes Zittern. Schloß die Augen, wusste nicht ob er weinte. Wollte es nicht wissen. Es war ihr nicht gleichgültig.
Sie strich ihm über den Kopf, wartete, lauschte auf das Lied, das gedämpft aus den Lautsprechern drang. Sein Zittern schwächte ab, wurde ruhiger.
Sie öffnete die Augen, leichte Entspannung. Er hob den Kopf. Sein Gesicht war dicht vor ihrem. Beängstigend vertraut. Still, dachte sie. Still.
Er setzte sich hin.
- Essen wir was.
Er ließ kein Nein gelten.

In der Küche. Das trockene Brot, das ihr den Mund zu verkleben schien.
- Käse ?
Sie schüttelte den Kopf, beobachtete wie er Käse und Salami auf einem Brötchen aufeinanderstapelte. Dann hineinbiss. Mit jungenhafter Art kaute.
Kleiner Junge. Kleiner Junge. Wechselspiel des Beschützens. Er schien gefasster. Was war schon ein Schein ? Er existierte nur für den Moment.
Sie hatte Durst. Trank einen halben Liter Wasser bis er anfing zu lachen. Wasserflecken auf seinem Pulli und auf den weißen Fliesen.
Die Nacht vor den Fenstern. Lass uns Wein trinken, wollte sie sagen. Lass uns barfuss über eine Wiese gehen. Wo ist der Ring von Orion, wollte sie ihn fragen.
Doch es genügte ein Lächeln. Er verstand das schon. Sie vertraute darauf.
 

Lillia

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Der Titel hat mich neugierig gemacht und gefaellt mir. Der Text gefaellt mir, ich habe ihn sehr gerne gelesen.
Ich mag die Athmosphaere und ich bewundere den Dialog. Mich erinnert das Ganze an die Art junge Literatur, die gerade ganz gut verkauft wird (zB. Judith Hermann) aber das ist ja nichts Schlechtes. Mich interessiert, ob Du das bewusst gemacht hast? Oder in letzter Zeit viel Derartiges gelesen hast?

Gestolpert bin ich irgendwo ueber ..."stellt sie fest." das unterbricht meinen Lesefluss.

Auch finde ich den Schluss enttaeuschend, dabei bin ich eigtl gar kein Freund von Schlusspointen, weil man dafuer m.E. schon richtig was drauf haben muss, damit's gut wird.
Aber die ganze Zeit schwebt zwischen den beiden etwas, von dem ich als Leserin hoffe, spaeter zu erfahren was es ist. Dann kommt nichts mehr.
Wenn das die ganze Zeit nicht da waere, ginge zwar etwas Spannung verloren, aber das wuerde den Text nicht weniger gut machen.

Gruesse
-lilli-
 



 
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