Die Regenbogenbrücke zum Katzenhimmel

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Anonym

Gast
Wie lange ich da schon so im Pflegebett lag, wußte ich längst nicht mehr. Es hätten Wochen oder auch Jahre sein können. Irgendwann kommt das Zeitgefühl abhanden, wenn ausweglose, chronische Schmerzen die gesamte Aufmerksamkeit vereinnahmen, wenn die Zeit nutzlos ohne irgendwelche Höhepunkte verstreicht, wenn lieblose, immer wiederkehrende Maßnahmen am eigenen Selbst den einzigen Lebensrhythmus vorgeben, der doch vom Takt des Herzschlags bestimmt sein sollte. Die Klage bei Schmerzen hatte ich aufgegeben, die Pfleger wollten sie nicht hören und wischten sie immer eilig beiseite. Und wirklich ändern hätte ohnehin niemand etwas können an meiner aussichtslosen Situation.

Mein bittersüßer Trost waren die Erinnerungen, die sich ab und zu einstellten. Die Bilder aller Katzen, die mein Leben still und aufmerksam begleitet hatten, die genauso wie ich gewußt hatten, daß man einander auch einfach mal lassen muß. Ich hatte sie allesamt überlebt, hatte sie alle nach mehr oder weniger langer Gemeinschaft bis zur Regenbogenbrücke begleitet, um ihnen den bitteren Rest zu ersparen, der mir offenbar noch bevorstand. Hier im Heim war leider kein Ort für Katzen, sie wären nicht geduldet worden.

An irgendeinem dieser Tage klopfte es bei Einbruch der Dämmerung an meine Zimmertür, ein scharfer, hölzerner Ton, danach Stille. Die Pfleger traten stets ohne Aufforderung ein, eilig im engen Korsett ihrer Pflichten, in das ein seelenloser, medizinischer Dienst sie gezwungen hatte.

Dieses Mal aber öffnete niemand einfach so, offenbar wurde meine Aufforderung zum Eintreten abgewartet. Nach langer, stiller Pause gab ich das verlangte Signal, woraufhin eine dunkle Gestalt in langem Umhang den Raum betrat und mich ernst betrachtete. Von ihrem Gesicht nahm ich nur den Blick unter einer Art Kapuze wahr, der mich in der Dunkelheit eher aus einem Paar Höhlen betrachtete als mit menschlichen Augen. Die Stimme ließ mich frösteln wie ein kühler Lufthauch, als sie zugleich leise und bestimmt begann: "Ich komme nur im Auftrag eines höheren, des unumstößlichen Prinzips der Vergänglichkeit." Als die Gestalt dies sagte, hatte ich es mir vorher bereits gedacht. Sie fuhr fort: "Hast du am Ende einen Wunsch?" Ich wußte keine Antwort, was hätte ich mir wünschen können? Aufschub? Ein "Weiter so" meiner Tage? Wie lange denn eigentlich? Und warum? Die Vergangenheit war ja nun festgeschrieben, samt Abbau und Verfall, ein Wunsch hätte doch höchstens noch die Zukunft betreffen können?

Während der düstere Besucher ruhig abwartend neben meinem Pflegebett stand, als hätten wir alle Zeit der Welt, erinnerte ich mich plötzlich meiner christlich abendländischen Prägung, die mich am Ende unbemerkt durch die vielen Jahrzehnte meines Lebens begleitet hatte. Die menschliche Zeit: ein Wimpernschlag nur in der Gesamtheit des Universums, eine Vielzahl an Wimpernschlägen jedoch im Leben eines einzelnen Menschen. Mein Besucher verharrte einfach abwartend, ich war am Zug.

Stand nicht geschrieben, daß ein jeder am großen Tor gewogen würde samt den Worten, Werken und Gedanken seines Lebens? Wie war denn mein Umgang mit meinesgleichen gewesen? Zu Beginn gleich enttäuscht, hatte es mir an allem gemangelt, was zu meinen Gunsten in die Waagschale hätte fallen können.
Der Umgang mit Katzen hingegen war immer ein freundlicher gewesen, bestimmt von dem Respekt und der Würde, die sie mich gelehrt hatten, meine eigenen Gefährten genauso wie die heimatlosen Streuner, denen ich wiederholt etwas zugesteckt hatte. Ich hatte es gern getan und selbst den Kratzbürsten ihr raues Verhalten nicht übel genommen. Es hat doch alles seine Gründe!

"Ja," antwortete ich jetzt der Gestalt in meinem Raum, "einen Wunsch habe ich! Ich möchte in den Katzenhimmel." "So sei es" kam die Antwort aus der Kapuze, woraufhin der seltsame Gast sich abwandte und davonging, wobei er jedoch die Tür einen Spaltbreit offen ließ.

Eine kleine rosa Nase schob sich jetzt hindurch, ich erkannte sogar die winzigen Nasenlöcher, die aufmerksam prüfend arbeiteten. "Mein Schneewittchen" rief ich überwältigt, "du"? Schneewittchen, von Geburt an taub, sprang mit einer zierlichen Bewegung auf meine Knie. Wir hatten von Beginn an über die Beobachtung miteinander kommuniziert, sie hob den Kopf und blickte mir mit ihren klugen Augen ins Gesicht. Dann ahmte sie wie immer nach, was sie an mir bemerkte, klappte das kleine Mäulchen zur Antwort tonlos ein paarmal auf und zu, so, wie sie mich wahrnahm.
Hinter ihr schob sich das Geschwisterpaar Benni und Lina herein, glänzend silbergrau wie locker gefüllte Seidenkissen. Benni hatte als Gastgeschenk eine Maus für mich mitgebracht, wie so manches Mal in seinem Leben. "Wie lieb von dir", lobte ich seinen guten Willen und bedachte, daß ich mich im Katzenhimmel wohl an diese Art der Ernährung würde gewöhnen müssen. Ob es dort auch einen Apfelbaum gab, war mir nicht bekannt. Es gab Schlimmeres! Der immer gleichen, lieblosen Einheitskost des Pflegeheims war ich längst überdrüssig.
Es folgten Tom und Jerry, das gesprächige, orientalische Bruderpaar, immer noch unzertrennlich wie ihr ganzes Leben lang. Sie flankierten meine Seiten, ihre Pelzchen wärmten mich wohltuend, das gleichmäßige Schnurren ließ meine Lider angenehm schwer werden. Das Sprechen wurde mir mühsam, aber mein Schneewittchen verstand mich ohne Ton. "Vertragt ihr euch denn alle miteinander?"
staunte ich in Erinnerung an manche Rauferei. "Ja, ja, ja", Schneewittchen klappte ein paar Male ihr rosiges Schnäuzchen auf und zu.
Und während sie weiter durch den Türspalt hereinschmeichelten und ihr Schnurren und ihre Wärme mich durchdrangen und erfüllten, war mir so wohl wie zu den besten Zeiten meines Lebens.
Ich spürte mich in einen wunderbaren, traumlosen Schlaf sinken, der kein Ende mehr kennen würde.

Die Pfleger mögen am nächsten Morgen noch irgend etwas von mir vorgefunden haben, mir war es gleichgültig. Ich hatte längst in meine neue Heimat gefunden, wo ich freudig erwartet und willkommen geheißen wurde, jenseits der Regenbogenbrücke,
 

Anonym

Gast
Hallo kad, danke für Deine Grüße! So ganz versteckt bin ich hier nicht, Du hast mich ja gefunden. Es freut mich am meisten, wenn mein Textinhalt ohne Ansehen des Autors erreichen kann. LG A.
 

kad sgard

Mitglied
guten morgen ..

stimmt, haste auch recht :)


irgenwann will ich auch in den katzenhimmel und meine süße, die mich nach 21 jahren verlassen hat, wieder in meine arme schließen.



einen schönen (mutter)tag
und lg

kad
 

Anonym

Gast
Dann haben wir ja denselben Weg! LG A.
 



 
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