Pablo Sanchez
Mitglied
Strahlendes Blau in getupftem Weiß, endlose Tage und träges Treiben, drückende Hitze und brennende Leidenschaft der Herzen - das ist er, unser Bilderbuchsommer. Spürst du ihn, wenn du selbst im Urlaub nicht loslassen kannst, mein Freund?
Herr A öffnete die Augen. Gleißendes Sonnenlicht malte seine Welt in stechendem Weiß; gackernde Tauben und schrille Stimmen von spielenden Kindern bohrten sich in seine Ohren wie rostige Nadeln in frisches Fleisch. Orientierungslos blinzelte er. Er lag quer auf einer alten Holzbank, deren grüner Lack an vielen Stellen abblätterte und die Welt um ihn herum kippte; sie kippte, doch seltsamerweise fiel niemand in das unendliche Nichts zwischen blauem Himmel und grüner Wiese. Menschen und Tiere trippelten munter auf und ab wie Spinnen an der Wand. Er seufzte. Sein Rücken schmerzte und das Gesicht glühte sonnenverbrannt. Weder ein laues Lüften noch eine angenehme Briese kühlte seinen verschwitzten Körper. Jene völlige Windstille wirkte auf ihn beinahe bedrohlich.
Behäbig, mühsam erhob sich Herr A. Alles drehte sich sofort um neunzig Grad - ein kurzer Abschied von der Querwelt und schon hieß es: guten Tag, geliebte Realität. Noch begriff er sie nicht in all ihrer Pracht - ihrer schrecklichen Freude und wunderbaren Trauer. Sein Verstand lief auf Sparflamme. Die Gehirnzellen machten gerade Urlaub an der Karibikküste, schlürften süß saftige Cocktails mit Hütchen auf ganz gemütlichen Liegestühlen am weitläufig weißen Sandstrand; überm Horizont einzig das weiche Blau des Ozeanhimmels.
Herr A lächelte. Irgendwo bellten irgendwelche Hunde von irgendwem lauthals; ein Moderator kündigte die neuste Attraktion des Parks mit der Art gehetzter Fröhlichkeit an, die nur einen Schluss zuließ: sein letzter Schnee war vor wenigen Minuten gefallen. Doch die wirren Geräusche und bunten Eindrücke störten Herrn A hier und heute nicht. Zu träge und matt war er im Angesicht dieser schwülen Hitze.
»Ein Königreich für Wasser«, entwich es seiner trockenen Kehle.
Buchstäblich augenblicklich kam die Antwort:
»Hier bitte. Ein Wasser mit extra Sodiumkalifatisultanat aus dem friedlich-fröhlichen Syrien. Wissenschaftlichen Studien zufolge hundert Prozent gesünder als herkömmliche Soft-Drinks wie Cola oder Eistee. Nehmen sie, trinken sie!«
Völlig perplex drehte Herr sich um. Ihm blieb kaum die Zeit, das Gesicht der jungen Frau zu studieren, schon drückte sie ihm die Flasche in die Hand.
»Äh, ja danke...«, erwiderte er mit einem halbherzig verwirrten Lächeln.
Da saßen sie nun - er mit der Flasche, sie unentwegt lächelnd - ohne weitere Worte zu wechseln; ein eingefrorener Moment, eine gesprungene Schallplatte, ein zu langsam ladendes Video im Internet. Drückende Stille gesellte sich zur drückenden Hitze. Hastig nahm er einen tiefen Schluck und sah auf. Noch immer saß die dort, hier neben ihm, lächelnd und nichtssagend. Verstört nahm er einen weiteren Schluck und betrachtete alsbald die seltsame Flasche genauer. Rot war sie, rot und grün und blau, gelbe und weiße, nein graue Punkte hatte sie. Kurz gesagt: sie war bestialisch bunt.
Zögerlich sprach er: »Eine schöne Flasche ist das...dieses Sodikalidings schmeckt wirklich erfrischend...äh, denke ich.«
Er lachte nervös.
»Haben sie weitere Wünsche, Anregungen, oder Kommentare? Möchten sie mehr erfahren und über unsere Angebote stets auf dem laufenden gehalten werden?! Installieren sie doch gleich unsere kostenlose "Happydrink-App", erhältlich für alle Plattformen - eine Innovation von "Pure Oil lmt. inc.", oder einfach: "Poli"!«
Die Geschwindigkeit, mit der ihr jene Worte in herzlich höflichem Befehlston über die Lippen galoppierten, schüchterten ihn ein.
»Ich äh, tja besitze leider kein Smartphone. Es tut mir leid.«
Sofort wurde ihre Miene hart und das ewige Lächeln gefror. Enttäuscht, entrüstet und empört entgegnete sie:
»Kein Smartphone?! Das ist doch ein Witz. Das muss doch ein Witz sein. Sagen sie, dass das nur ein Witz war. Sagen sie es!«
Er schüttelte demütig den Kopf. Fassungslos fügte sie hinzu:
»Wirklich, wie können sie denn überhaupt leben?!«
Wütend sprang sie auf, entriss ihm die Flasche und rannte wild gestikulierend davon.
Herr A brauchte selbst einen Moment um sich zu beruhigen. Er begriff nicht, was gerade passiert war; wieder und wieder spulte er die Szene vor seinem inneren Auge ab. Es war als sähe er etwas Fremdes, einen schlechten Horrorfilm mit billiger-, oder besser: günstiger Gesellschaftskritik. Resigniert erhob er sich und ging von dannen. Aus der Ferne ereilte ihn die Stimme des Moderators in Fetzen: »Jetzt...noch besser...zwei für...kostenlose App...Welt...
kleines...verbessern.«
Niedergeschlagen wanderte er eine Seitenstraße entlang und zählte gesenkten Hauptes die Steine am Boden.
»Einzig sie währen ewig...«, murmelte er geistesabwesend - versunken in Erinnerungen an vergangene Kinder- und Jugendtage. Eine einsame Träne rann sein Gesicht herab, floss flüchtig über Wange und Kinn hinweg zum Abhang - bereit zum Absprung in die Ungewissheit. Die Welt drehte sich schnell, immer schneller im freien Fall; dann kam das Ende: ein plötzlicher Platscher.
Erneut hatte Herr R ihn eingeholt.
Herr A blieb nichts anderes übrig, als weiter vorwärts zu vergehen, während seine Träne im warmen Licht des Sommers versiegte.
Schließe deine Augen, mein Freund und erinnere dich: das Leben ist ein unerbittlicher Strom, der dich mitreißt, aus dem es kein Entrinnen gibt, kein Innehalten, kein Zurückdrehen. Wer nicht mit ihm schwimmt, ertrinkt in seiner unermesslichen Tiefe - verloren und allein. Denn ein begradigter Fluss ist frei von Seitenarmen.
[Anmerkung: diese Kurzgeschichte versteht sich als Fortsetzung im Geiste; inhaltliche und ausdrückliche Ähnlichkeit zum ersten Teil existiert nur in Ansätzen]
Herr A öffnete die Augen. Gleißendes Sonnenlicht malte seine Welt in stechendem Weiß; gackernde Tauben und schrille Stimmen von spielenden Kindern bohrten sich in seine Ohren wie rostige Nadeln in frisches Fleisch. Orientierungslos blinzelte er. Er lag quer auf einer alten Holzbank, deren grüner Lack an vielen Stellen abblätterte und die Welt um ihn herum kippte; sie kippte, doch seltsamerweise fiel niemand in das unendliche Nichts zwischen blauem Himmel und grüner Wiese. Menschen und Tiere trippelten munter auf und ab wie Spinnen an der Wand. Er seufzte. Sein Rücken schmerzte und das Gesicht glühte sonnenverbrannt. Weder ein laues Lüften noch eine angenehme Briese kühlte seinen verschwitzten Körper. Jene völlige Windstille wirkte auf ihn beinahe bedrohlich.
Behäbig, mühsam erhob sich Herr A. Alles drehte sich sofort um neunzig Grad - ein kurzer Abschied von der Querwelt und schon hieß es: guten Tag, geliebte Realität. Noch begriff er sie nicht in all ihrer Pracht - ihrer schrecklichen Freude und wunderbaren Trauer. Sein Verstand lief auf Sparflamme. Die Gehirnzellen machten gerade Urlaub an der Karibikküste, schlürften süß saftige Cocktails mit Hütchen auf ganz gemütlichen Liegestühlen am weitläufig weißen Sandstrand; überm Horizont einzig das weiche Blau des Ozeanhimmels.
Herr A lächelte. Irgendwo bellten irgendwelche Hunde von irgendwem lauthals; ein Moderator kündigte die neuste Attraktion des Parks mit der Art gehetzter Fröhlichkeit an, die nur einen Schluss zuließ: sein letzter Schnee war vor wenigen Minuten gefallen. Doch die wirren Geräusche und bunten Eindrücke störten Herrn A hier und heute nicht. Zu träge und matt war er im Angesicht dieser schwülen Hitze.
»Ein Königreich für Wasser«, entwich es seiner trockenen Kehle.
Buchstäblich augenblicklich kam die Antwort:
»Hier bitte. Ein Wasser mit extra Sodiumkalifatisultanat aus dem friedlich-fröhlichen Syrien. Wissenschaftlichen Studien zufolge hundert Prozent gesünder als herkömmliche Soft-Drinks wie Cola oder Eistee. Nehmen sie, trinken sie!«
Völlig perplex drehte Herr sich um. Ihm blieb kaum die Zeit, das Gesicht der jungen Frau zu studieren, schon drückte sie ihm die Flasche in die Hand.
»Äh, ja danke...«, erwiderte er mit einem halbherzig verwirrten Lächeln.
Da saßen sie nun - er mit der Flasche, sie unentwegt lächelnd - ohne weitere Worte zu wechseln; ein eingefrorener Moment, eine gesprungene Schallplatte, ein zu langsam ladendes Video im Internet. Drückende Stille gesellte sich zur drückenden Hitze. Hastig nahm er einen tiefen Schluck und sah auf. Noch immer saß die dort, hier neben ihm, lächelnd und nichtssagend. Verstört nahm er einen weiteren Schluck und betrachtete alsbald die seltsame Flasche genauer. Rot war sie, rot und grün und blau, gelbe und weiße, nein graue Punkte hatte sie. Kurz gesagt: sie war bestialisch bunt.
Zögerlich sprach er: »Eine schöne Flasche ist das...dieses Sodikalidings schmeckt wirklich erfrischend...äh, denke ich.«
Er lachte nervös.
»Haben sie weitere Wünsche, Anregungen, oder Kommentare? Möchten sie mehr erfahren und über unsere Angebote stets auf dem laufenden gehalten werden?! Installieren sie doch gleich unsere kostenlose "Happydrink-App", erhältlich für alle Plattformen - eine Innovation von "Pure Oil lmt. inc.", oder einfach: "Poli"!«
Die Geschwindigkeit, mit der ihr jene Worte in herzlich höflichem Befehlston über die Lippen galoppierten, schüchterten ihn ein.
»Ich äh, tja besitze leider kein Smartphone. Es tut mir leid.«
Sofort wurde ihre Miene hart und das ewige Lächeln gefror. Enttäuscht, entrüstet und empört entgegnete sie:
»Kein Smartphone?! Das ist doch ein Witz. Das muss doch ein Witz sein. Sagen sie, dass das nur ein Witz war. Sagen sie es!«
Er schüttelte demütig den Kopf. Fassungslos fügte sie hinzu:
»Wirklich, wie können sie denn überhaupt leben?!«
Wütend sprang sie auf, entriss ihm die Flasche und rannte wild gestikulierend davon.
Herr A brauchte selbst einen Moment um sich zu beruhigen. Er begriff nicht, was gerade passiert war; wieder und wieder spulte er die Szene vor seinem inneren Auge ab. Es war als sähe er etwas Fremdes, einen schlechten Horrorfilm mit billiger-, oder besser: günstiger Gesellschaftskritik. Resigniert erhob er sich und ging von dannen. Aus der Ferne ereilte ihn die Stimme des Moderators in Fetzen: »Jetzt...noch besser...zwei für...kostenlose App...Welt...
kleines...verbessern.«
Niedergeschlagen wanderte er eine Seitenstraße entlang und zählte gesenkten Hauptes die Steine am Boden.
»Einzig sie währen ewig...«, murmelte er geistesabwesend - versunken in Erinnerungen an vergangene Kinder- und Jugendtage. Eine einsame Träne rann sein Gesicht herab, floss flüchtig über Wange und Kinn hinweg zum Abhang - bereit zum Absprung in die Ungewissheit. Die Welt drehte sich schnell, immer schneller im freien Fall; dann kam das Ende: ein plötzlicher Platscher.
Erneut hatte Herr R ihn eingeholt.
Herr A blieb nichts anderes übrig, als weiter vorwärts zu vergehen, während seine Träne im warmen Licht des Sommers versiegte.
Schließe deine Augen, mein Freund und erinnere dich: das Leben ist ein unerbittlicher Strom, der dich mitreißt, aus dem es kein Entrinnen gibt, kein Innehalten, kein Zurückdrehen. Wer nicht mit ihm schwimmt, ertrinkt in seiner unermesslichen Tiefe - verloren und allein. Denn ein begradigter Fluss ist frei von Seitenarmen.
[Anmerkung: diese Kurzgeschichte versteht sich als Fortsetzung im Geiste; inhaltliche und ausdrückliche Ähnlichkeit zum ersten Teil existiert nur in Ansätzen]