Die Schreibmaschine

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Eskarina

Mitglied
Großvater saß in seinem Büro unter dem Dach und schrieb. In dem Raum mit den schrägen Wänden vereinten sich Düfte von gefettetem Leder, Leim, Druckerschwärze und Unmengen alter Bücher. Wann immer ich heute ein Antiquariat oder ein Auktionshaus betrete, fühle ich mich unwillkürlich daran erinnert.
Zu Großvaters Füßen auf dem Teppich sitzend, konnte ich mir keinen besseren Platz auf der Welt erdenken. Das mochte auch daran liegen, dass kein Winkel, keine Schublade und keine alte Zigarrenkiste, gefüllt mit Briefen und Urkunden, für meine forschenden Kinderhände verschlossen blieb. Hier durfte ich untersuchen, stöbern und entdecken.
Auf Zehenspitzen balancierend, klaubte ich das alte Jagdhorn von der Wand und versuchte ihm ein paar dünne Töne zu entlocken. Ich spielte mit der bronzenen Briefwaage, betrachtete vergilbte Fotoaufnahmen und versuchte, meinen Großvater unter den schneidigen Soldaten in ihren Uniformen auszumachen.
Wann immer ich eine Frage hatte, unterbrach er seine Arbeit und erklärte mir geduldig und mit einer Erzählerstimme, wie nur alte Männer sie haben, was ich wissen wollte. Staunend betastete ich Orden in Form eines krummen, hakigen Kreuzes und betrachtete Geldscheine, auf denen Zahlen mit so vielen Nullen standen, dass ich sie mir nicht einmal vorzustellen vermochte.
Wenn ich in meinem Forscherdrang ermüdete, rollte ich mich wie eine Katze auf der kratzigen, altmodischen Couch zusammen und lauschte den schweren, langsamen Anschlägen auf der Schreibmaschine. Tack, tack, tacktack, tack – Großvater benutzte immer nur den Zeigefinder zum Schreiben und dieser fand die Lettern mit der Zielgenauigkeit und Wucht eines beutejagenden Raubvogels. Dann das Knarzen, wenn er die Schreibwalze per Hand zurück schob, bis sie geräuschvoll einrastete.
Es war eine eigene kleine Welt für mich, dieses Büro unterm Dach. Das Tacken und Klacken, das Rattern und Klappern der Schreibmaschine gab ihren Rhythmus vor.

Lux, 04.01.2012
 

wüstenrose

Mitglied
Hallo Eskarina,
Herzlich Willkommen!
Wie hier "Großvaters Reich" beschrieben wird, das finde ich gelungen und die dort herrschende Atmosphäre wird sehr schön greifbar, spürbar.
Vom Ende des Textes war ich dagegen etwas enttäuscht: Ich hatte noch einen originellen Abschluss erwartet: irgendwas, was einen nochmal aufhorchen lässt; stattdessen wird eher lapidar festgestellt, dass diese Welt nun nicht mehr ist.
Vielleicht nochmal den Schluss überdenken?

lg wüstenrose
 
K

KaGeb

Gast
Hallo Eskarina,

ich kann den Prot. "stöbern" sehen und fühle mich mit ihm wohl in seiner Erinnerung.

Was mir auffiel:

Wann immer ich heute ein Antiquariat oder ein Auktionshaus betrete, fühle ich mich unwillkürlich daran erinnert. Zu Großvaters Füßen auf dem Teppich sitzend, konnte ich mir keinen besseren Platz auf der Welt erdenken.
"Wann immer" nutzt du weiter unten im Text nochmals - würde ich ändern in z.B. "Wenn". Danach vielleicht eine Satzkopplung wie zum Beispiel:
[red]Wenn ich heute ein Antiquariat oder Auktionshaus betrete, erinnere ich mich unwillkürlich daran, wie ich zu seinen Füßen auf dem Teppich saß - kein besserer Platz auf der Welt fällt mir ein.[/red]


Auf Zehenspitzen [blue][strike]balancierend,[/strike][/blue] klaubte ich das alte Jagdhorn von der Wand und versuchte ihm [blue][strike]ein paar dünne[/strike][/blue] Töne zu entlocken. Ich spielte mit der bronzenen Briefwaage, betrachtete vergilbte Fotoaufnahmen und versuchte, meinen Großvater unter den schneidigen Soldaten in ihren Uniformen auszumachen.
[blue]Wann immer[/blue][red](doppelt)[/red] ich eine Frage hatte, unterbrach er seine Arbeit und erklärte mir [blue][strike]geduldig und mit einer Erzählerstimme, wie nur alte Männer sie haben[/strike][/blue] [red]mit brüchiger Stimme[/red], was ich wissen wollte. Staunend betastete ich Orden in Form eines krummen, hakigen Kreuzes und betrachtete Geldscheine, auf denen Zahlen mit so vielen Nullen standen, dass ich sie mir nicht einmal vorzustellen vermochte.
Wenn ich in meinem Forscherdrang ermüdete, rollte ich mich wie eine Katze auf der kratzigen, altmodischen Couch zusammen und lauschte den schweren, langsamen Anschlägen auf der Schreibmaschine. Tack, tack, tacktack, tack – Großvater benutzte immer nur den Zeigefinder zum Schreiben und dieser fand die Lettern mit der Zielgenauigkeit und Wucht eines [blue][strike]beutejagenden [/strike][/blue][red]("Raubvogel" reicht zum Verständis IMHO völlig aus)[/red] Raubvogels. Dann das Knarzen, wenn er die Schreibwalze per Hand zurück schob, bis sie geräuschvoll einrastete.
Es war eine eigene kleine Welt für mich, dieses Büro unterm Dach. Das Tacken und Klacken, das Rattern und Klappern der Schreibmaschine gab ihren Rhythmus vor.

LG kageb
 



 
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