Die Seele des Gartens

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Mira

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Die Seele des Gartens

Ich hocke keuchend im Gras und entferne mühsam das verhasste Moos zwischen den Platten, die den Weg in unseren frisch geschorenen Rasen säumen. Mein Mann ist gerade dabei den Jägerzaun auszubessern, was längst überfällig ist und die Thujahecke zu stuzen. Die Sonne tut
ihr übriges, der Schweiß trieft, und die Kinder weigern sich zu helfen. Heute Mittag gibt es nur Salat, überlege ich mir, während ich mich aufrichte, weil mir der Kopf zu platzen scheint. Meine Brille fällt ins Gras, meine Wirbelsäule gibt ein gequältes Knacksen von sich. Ausgerechnet in diesem Augenblick läuft dieser Mensch den Weg entlang, er grüßt meinen Mann und winkt mir zu. Ich sehe aufgrund meiner starken Kurzsichtigkeit nur ein verschwommenes Etwas an mir vorbeilaufen und blicke ihm mit verkniffenem Gesichtsausdruck nach, bis dieser seltsame Schatten im Nachbarhaus verschwunden ist. Ich weiß, was jetzt kommt. Es ist jedes Wochenende dasselbe, wenn die Sonne scheint. Grund genug für mich, den Garten zu verlassen und sich um das Mittagessen zu kümmern. Mein Mann fängt an zu meckern, ich solle doch gefälligst noch das restliche Moos abkratzen, ob er denn in diesem Garten immer alles alleine machen müsse. Soll er doch; ich jedenfalls ertrage es nicht, die Blicke dieses Menschen auf meinem Rücken zu spüren. Vom Küchenfenster aus beobachte ich, wie sich dieser Mensch in die Sonne knallt. Er legt sich nackt in seine ungepflegte Wiese und hat ein Lächeln auf seinen Lippen, das ich von Tag zu Tag mehr hasse. Ich habe mir schon überlegt, dunkle Vorhänge für das Küchenfenster zu kaufen, um den Anblick dieses Menschen nicht mehr ertragen zu müssen. Meine Kinder halten mich deshalb für verrückt, mein Mann versucht mich zu beschwichtigen, wenn ich nach einem hysterischen Anfall fast anfange zu flennen. Um das alles auf ein erträgliches Maß zu bringen, und um meine Nerven zu schonen, habe ich beschlossen, jedes Mal, wenn ich in der Küche zu tun habe und mein Blick unweigerlich auf diesen Menschen fällt, einfach meine Brille abzunehmen. Es ist die einzige Situation, in der ich Gott für meine Kurzsichtigkeit dankbar bin. Doch leider ist es damit nicht getan. Es ist nicht nur die entwürdigende Nacktheit dieses Menschen, die mich stört (ich bin mir sicher, er würde sich auch dann nackt in die Sonne legen, wenn ich nicht existierte). Was mich fast in den Wahnsinn treibt, ist allein der Gedanke an dieses abscheuliche selbstzufriedene Lächeln auf seinen Lippen, während er sich oft den ganzen Tag, ohne sich zu rühren, der Sonne hingibt. Seine weiße makellose Haut scheint mich regelrecht blenden zu wollen. Eine Haut, die nie bräunt, die sich nie verbrennt, dieser Mensch, der nie zu schwitzen scheint, er ist gebaut aus Porzellan. Er liegt im Gras, und ich schwöre, dass ich noch nie so was wie ein Sonnenschirm über seinem Körper gesehen habe. Ich habe noch nie erlebt, dass er sich mit einem Sonnenöl einreibt, seine Haut ist und bleibt makellos weiß, nie sind an ihr Pigmentflecken zu entdecken, er ist ein Mensch, der niemals bräunt. Mein Mann meint, dass ihm vielleicht seine üppig blühenden Rosen genug Schatten spendeten. Diese Argumentation lasse ich jedoch schlicht und einfach nicht gelten. Meist bricht aus mir unglaublicher Hass hervor, wenn ich mit solch einer irrationalen, im Tran daher geplapperten Begründung konfrontiert werde. Ich werfe meinem Mann vor, mich nicht ernst zu nehmen, ob er denn nicht einsehe, dass dieser Mensch und seine verdammten Rosen so nicht existieren können, wie ich es Wochenende für Wochenende gezwungen bin zu sehen. Ein Mensch, der niemals schwitzt, verbrennt, bräunt, dürfe es nicht geben. Meist quellen mir die Augen fast aus dem Kopf, ich schreie mich immer heiser, bis ich schließlich so hässlich aussehe, dass mein Mann vorsichtshalber ein paar Schritte vor mir zurückweicht. Wahrscheinlich werde dieser Mensch nicht einmal von Mücken gestochen, tobe ich weiter, er könne sich nicht mal ein Bein brechen und vergiften lasse er sich auch nicht. Mein Mann schüttelt verständnislos den Kopf, zeigt mir einen Vogel und flüchtet mit der Heckenschere in den Garten zur Thujahecke. Ach, er soll sich doch zum Teufel scheren, er und seine Hecke. Das schreie ich ihm zwar nicht nach, aber ich wünsche mir jedes Mal, dass er sich bei der Schnippelei endlich einmal einen Finger abschneidet, damit unsere Thujahecke nicht immer die am besten rechtwinklig gepflegteste der ganzen Häuserzeile bleibt. Irgendwann habe ich ihm das beim Essen ins Gesicht geschrieen, wobei er sich ganz fürchterlich an einer Kartoffel verschluckte. Die Kinder würgten schnell ihr Essen hinunter und verkrochen sich in ihre Zimmer. Daraufhin entbrannte ein längst fälliger Streit, und als mein Mann sich nach dem verdammten Essen tatsächlich in die Finger schnitt, redete er den ganzen Tag kein Wort mehr mit mir. Und an allem war und ist dieser unausstehliche Mensch schuld, der nie bräunt, nie schwitzt und nie einen Hitzschlag bekommt.

Ich stelle fest, dass es mich krankhaft ans Küchenfenster zieht und ich nur darauf lauere, wann dieser Mensch sich endlich rührt oder wann ihn endlich die Sonne ausgedörrt hat. Doch ich sehe nur einen zufriedenen Menschen splitternackt im hohen Gras liegen, über ihm wunderbar rote Rosen, die anscheinend nie der Pflege bedürfen und die zu allem Überfluss penetrant süß duften. Was treibt er da? Warum legt er sich stundenlang ins Gras, hat er nichts Besseres zu tun? Mit Entsetzen registriere ich, dass er bis zur Abendessenszeit regungslos auf dem Rücken in seinem Garten liegt und mir vom Stehen am Küchenfenster die Beine angeschwollen sind. Die Zeit scheint stillzustehen, die Luft ist noch erfüllt vom Schnippeln der Heckenscheren oder vom Rattern der unzähligen Rasenmäher ringsum in der Nachbarschaft. Aus den Zimmern meiner Kinder ertönt gnadenlos das Hämmern und Bummern der Stereoanlagen, die nur dazu da sind, um ewig zu quälen. Wahrscheinlich wundern sie sich, dass ich nicht fluchend zu ihnen hoch stürme oder den Strom abschalte, was sofort ausgenutzt wird, um in Wettstreit mit den lautesten und ältesten Mähern zu treten. In der Häuserzeile gegenüber planscht ein Nachbar in seinem Privat-Miniswimming-Pool, der fast den ganzen Garten belegt, verdeckt von einer Fichtenhecke, bei der man unten durchglotzen kann.

Als es endlich anfängt, Abend zu werden, die Hitze minimal nachlässt, der letzte Mäher abgestellt ist und so nach und nach die Abendluft mit beißendem Grillrauch geschwängert wird, gebe ich es auf und lege meine geschwollenen Beine hoch. Aus den Augenwinkeln nehme ich gerade noch wahr, wie sich dieser Mensch aufrichtet, zufrieden gähnt und sich endlich in sein Haus zurückzieht. Ich atme auf und erst jetzt bemerke ich, wie lange ich regungslos aus dem Fenster gestarrt habe. Meinem Mann, der gerade noch den letzten leichtsinnigen Löwenzahn aus unserem Garten ausgestanzt hat, erzähle ich nichts davon. Ich gebe vor, erschöpft von der Arbeit zu sein, als er in die Küche tritt und mich verwundert fragt, was denn mit mir los sei. Ich dusche mich eiskalt und es gelingt mir nur schwer, einen Weinkrampf zu unterdrücken. Schließlich fange ich doch noch an zu heulen, weil ich die verdammte Hornbrille verlegt habe, ach, der Teufel soll sie holen. Natürlich bleibe ich auffallend lang im Bad, ich schäme mich meiner Tränen. Am liebsten würde ich sofort ins Bett gehen, aber es ist Wochenende und wir müssen leider grillen, denn der Sommer ist ja so schön und in der schlechten Jahreszeit kann man die Abende nicht annähernd so gut ausnutzen. Mein Mann ruft mich schon ungeduldig, er wirkt gereizt, wahrscheinlich weil die Kinder wieder unerwartet abgesagt haben und wir morgen leider noch Mal grillen müssen, damit wir nicht auf dem Fleisch sitzen bleiben. Die Luft im Badezimmer riecht schon nach Grill, und mir fällt gerade noch ein, die Fenster in unserem Schlafzimmer zu schließen, damit der Gestank uns nicht beim Einschlafen stört.
Ich schleppe mich zum Grill und versuche, eine gutgelaunte Miene vorzuspielen. Der Abend verläuft ganz nett, es gibt eine gute Flasche Wein, dann noch eine und je angeheiterter ich werde, desto kurzsichtiger werde ich. Doch nicht mal in diesem Zustand entgeht mir, dass sich wieder dieser Mensch in seinen Garten setzt. Er scheint sich wohl frisch geduscht zu haben. Seine braunroten Haare fallen feucht auf die Schultern, seine weiße Haut wird durch einen schwarzen Bademantel verdeckt, jedoch bleibt seine helle Brust entblößt. Das Licht aus dem Innern seines Hauses beleuchtet die Terrasse, auf der er mit einem Buch in den Händen in seinem Liegestuhl sitzt. Auf dem Tisch, der links neben ihm steht, flackern unruhig mehrere Kerzen. Ich werde hysterisch, als ich einen Knochenschädel auf dem Tisch zu sehen glaube. Mein Mann versucht mich zu beruhigen und versichert mir, dass ich ohne meine Brille nur Gespenster sehe und mir alles nur einbilde, ich solle nicht so schreien, man müsse sich meiner ja schämen, was sollen denn die Nachbarn denken. Er wird so wütend, dass er mir ins Gesicht schlägt und mich ins Haus zerren muss, da ich versuche, mit dem Grill um mich zu schmeißen. Unglaubliche Hassgefühle keimen in mir auf, ich verfluche lauthals diesen Menschen, der mein Gekreische nicht wahrnimmt oder nicht wahrnehmen will. Mein Mann versucht mir einen Apfel in den Mund zu stopfen, damit ich endlich aufhöre zu schreien. Er zittert am ganzen Leib, seine Schlagadern am Hals sind beachtlich geschwollen, er weiß nicht wie jetzt handeln, denn so hat er mich noch nie erlebt. Ich werde schließlich im Schlafzimmer eingesperrt, den Apfel schleudere ich geradewegs auf seine Nase, als er verzweifelt versucht, die Tür hinter sich zu schließen.
Was dann passiert ist weiß ich nicht mehr. Irgendwann muss ich mich wohl wieder beruhigt haben, wahrscheinlich bin ich sogar eingeschlafen. Das erste, was ich klaren Verstandes wahrnehme, ist ein Sonnenstrahl, der mir ins Gesicht scheint. Und das Erste, was mir an Gedanken durch den Kopf schießt, ist ein Schamgefühl und die Angst, dass dies ein ganz fürchterlicher Sonntag werden wird.
Mein Mann hat auf der Couch im Wohnzimmer übernachtet, er hat sich wohl nicht zu mir reingetraut. Sein Nasenbein wurde durch den Apfelschmiss gebrochen, in seinem Gesicht sitzt eine geschwollene Knolle. Er beachtet mich nicht, als ich die Treppe hinunter geschlichen komme. Über den weiteren Verlauf des Tages gibt es nicht viel zu erzählen. Wir sprechen kein Wort miteinander, er murmelt irgendwas von einer Irren, die ihn ruiniert hat, und die Kinder lassen sich nicht blicken. Die Sauerei im Garten, der umgeschmissene Grill, wird im Laufe des Tages aufgeräumt, ich glaube, heute müssen wir Gott sei Dank nicht mehr grillen.

In der kommenden Woche gelingt es mir, mich einigermaßen zu regenerieren. Ich schwöre mir, nie wieder einen Tropfen Alkohol anzurühren, solange dieser Mensch in meiner Nachbarschaft wohnt. Die Knolle im Gesicht meines Mannes schmerzt noch, aber ich verspüre kein schlechtes Gewissen. Es wundert mich, wie gleichgültig mir das ist. Die Kinder lassen sich nie blicken, ihre Anwesenheit wird nur durch die Stereoanlage kundgetan. Am liebsten würde ich ihnen sagen, dass sie ruhig runter zum Fernsehen kommen können, denn ihre Eltern streiten sich nicht, ich verspreche, nie mehr zu schreien, ich bin ganz ruhig, gottlob.

Der Alltag geht weiter, nun, es wird eben sehr wenig gesprochen, um nicht zu sagen gar nichts. Eine weitere Veränderung ist, dass ich die Zeit, die ich normalerweise gelangweilt vorm Fernseher vergeudet habe, jetzt am Küchenfenster verbringe. Dabei versuche ich möglichst unauffällig zu sein, nachdem ein seltsamer Blick meines Mannes mich zur Wahnsinnigen erklärt hat. Oft muss ich viele Stunden lang warten, bis dieser Mensch ein Lebenszeichen von sich gibt, an manchen Tagen betritt er Garten überhaupt nicht Wenn die Warterei mir zu lange wird, verlasse ich das Haus und schleiche mit klopfendem Herzen am Grundstück dieses Menschen vorbei. Ich laufe mehrmals denselben Weg auf und ab, ganz langsam und glotze in den Garten wie ein behindertes Kind, so dass es mir fast peinlich ist. Meine Brille habe ich noch immer nicht gefunden, dementsprechend verkniffen muss ich aussehen, ich mag gar nicht daran denken. Aufgrund meiner schlechten Augen erkenne ich sowieso nicht allzu viel. Ich sehe viele Rosen, die prägen sich mir ein, viele bunte Tupfer in der Wiese, leider kann ich nicht erkennen, was das für Pflanzen sind, wahrscheinlich allerlei Wiesenblumen.
Nachdem ich mindestens acht Mal auf und ab gegangen bin und ich beim besten Willen nicht mehr entdecken konnte, gebe ich auf. Dabei fällt mir ein, dass ich nicht einmal den Namen dieses Menschen kenne, der mittlerweile mein Leben beherrscht. Bevor ich mich zurück ins Haus verkrieche, schlendere ich ganz zufällig an seiner Haustüre vorbei und berühre fast schon mit der Nasenspitze das Namensschild und lese irgendeinen Namen in gut leserlicher Schrift. Leider kann ich ihn mir nicht merken, ich vergesse ihn, bevor ich wieder mein Küchenfenster erreicht habe. Ich beschließe somit, das nächste Mal etwas zum Aufnotieren mitzunehmen. Jedoch erweist sich das auch nicht gerade als sehr erfolgreich, denn entweder ich vergesse aufs Namensschild zu schauen oder der Bleistift bricht ab. Als es mir endlich einmal gelingt, gleichzeitig das Namensschild zu lesen, einen leistungsfähigen Bleistift und Papier dabei zu haben, muss ich verdammt noch Mal den Zettel auf dem Rückweg verloren haben, denn zu Hause befindet sich in meiner Hand nur noch der Bleistift, diesmal gut angespitzt. Mich beschleicht der Gedanke, dass dieser Mensch mir seinen Namen nicht preisgeben will. Diese Vorstellung macht mich rasend, aber ich schlucke meine Wut hinunter und stehe öfter als zuvor am Küchenfenster. Ich ertrage es kaum, diesen Menschen nicht fassen zu können, dieses namenlose Wesen, das nicht so existieren darf, wie es sehe. Dieser Mensch verletzt Gesetze, die keiner verletzen kann. Ich verstehe ja nicht viel von Naturgesetzen, von Physik und solchen Sachen, aber ich habe immer an meinen gesunden Menschenverstand geglaubt. Zwar habe ich mich noch nie für auffallend intelligent gehalten, wozu auch als Hausfrau und Mutter von zwei Kindern, ich brauche dazu nicht viel von solchen Sachen zu wissen. Doch heute bezweifle ich das zum ersten Mal und ich bemerke, dass ich beginne darüber nachzudenken.
Ich kann es drehen und wenden wie ich will, ich finde keine Erklärung für diesen Menschen, der sich so lange sonnt wie er will. Nicht die Sonne bestimmt sein Liegen im Gras, nicht die UV-Strahlung, auch nicht der Lärm der Rasenmäher, nicht Hunger, nicht Durst, nichts, nichts, nichts, sondern nur er allein. Wenn er nicht will, dass ich seinen Namen erfahre, so werde ich ihn nie kennen. Ich könnte tausend Leute beauftragen, mir doch bitte beim zufälligen Vorbeilaufen den Namen auf ein Papierchen aufzunotieren... entweder sie werden es vergessen, der Bleistift wird ihnen abrechen oder der Kugelschreiber wird in den Gulli fallen, und falls mir glücklicherweise doch jemand seinen Namen auf dem Papierchen präsentieren würde, ich möchte schwören, dass ich dann augenblicklich das Lesen verlernen werde und zwar so lange, bis das verfluchte Papierchen verbrannt ist. Aber ich bin, glaube ich, viel zu müde, dies auszuprobieren. Ich begnüge mich somit lieber mit dem Starren aus dem Küchenfenster und stelle resigniert fest, dass es mich nicht wundern sollte, wenn sich dieser Mensch vor meinen Augen in einen großen schwarzen Vogel verwandelte, um mir beim Spionieren auf den Kopf zu kacken.

An jenem Abend, an dem der Alltagstrott dadurch unterbrochen wird, indem die Familie wieder ein paar Worte miteinander wechselt, erwähne ich bei Tisch, dieser Mensch nebenan sei ein Hexer. Mein Mann verschluckt sich daraufhin ganz fürchterlich an einer Kartoffel, die Kinder beginnen plötzlich, das Essen hinunter zu würgen. Anscheinend schmerzt ihn die Knolle im Gesicht immer noch, denn er verzieht das Gesicht, als er irgendwas von psychiatrischer Behandlung redet, von verrückt und davon, dass einem dieser Mensch nebenan mittlerweile leid tun kann. Er wolle mich ins Haus sperren, wenn ich jetzt nicht sofort mit diesem Theater aufhöre. Also schweige ich lieber und verstopfe meinen Mund mit Kartoffeln, bevor er Ernst macht. Ich sage zur Beschwichtigung etwas später, ich habe das nicht wortwörtlich gemeint, es sei mir nur so rausgerutscht. Als Antwort erhalte ich ein Schweigen, wahrscheinlich glaubt mir keiner mehr, was mir nicht ganz recht ist.
Ich habe mich entlarvt, ich muss vorsichtiger werden mit dem, was ich von mir gebe. Zwanghaft versuche ich, diesen Menschen meiner Familie gegenüber nie mehr zu erwähnen, es glaubt mir ja doch keiner, also ist es besser, er bleibt mein privates Studienobjekt. Vor ihm selbst muss ich mich nicht verstecken, denn wenn er nicht will, dass ich an seinem Garten vorbei schleiche, so wird er es zu verhindern wissen. Aber wahrscheinlich ist es ihm egal… wenn er überhaupt zu Hause ist. Hin und wieder reizt mich der Gedanke, ihm ins Wohnzimmer zu schauen, scheue mich aber davor. Mein abnormes Verhalten ist sicher schon mehreren Hausfrauen in der Nachbarschaft aufgefallen, und ich träume nachts schon von bösen Gerüchten aus ihren Mäulern, die steif und fest behaupten, mich bei innigster Umarmung mit ihm im grell erleuchteten Schlafzimmer beobachtet zu haben. Ein Gerücht, das schlimmstenfalls meinem Mann zu Ohren kommen könnte. Ich mag gar nicht daran denken.
Weswegen ich mich jedoch am meisten scheue, ihm ungeniert ins Zimmer zu glotzen, ist die Angst, seinem Blick zu begegnen. Er würde mir wahrscheinlich zuwinken (er grüßt mich eigenartigerweise immer winkend, wenn wir uns auf der Straße begegnen) und ich hingegen würde ihm verkniffen zunicken, wenn ich unglücklicherweise an jenem Tag meine Hornbrille wieder verlegt haben sollte. Daran mag ich ebenfalls nicht denken. Ein Gedanke, der mich in meinen Träumen quält. Nun, selbst mit Hornbrille wollte ich nicht seinem Blick begegnen müssen, denn dann sähe es so aus, als säße ein nickender Maulwurf auf dem Fenstersims. Ein Grund, mich plötzlich abgrundtief hässlich zu finden und heimlich nachts in mein Kissen zu weinen. Natürlich tröste ich mich damit, dass mein Mann sich bestimmt nicht daran stört, jedoch hauptsächlich deshalb, weil es ihm egal ist. Wenn mir derlei durch den Kopf geht, drehe ich mich zu ihm um, betrachte die immer noch geschwollene Knolle, weswegen er unbarmherzig schnarcht und fühle mich plötzlich so unglaublich einsam. Ich beschließe, dem abzuhelfen, indem ich mir Kontaktlinsen verschreiben lassen will. Um den Beschluss zu bestärken, zerstöre ich die Brille mit einem Hammer. Was mein Mann dazu sagen wird, ist mir so unglaublich egal. Ich will schön sein. Mir wird mulmig bei dem Gedanken, für wen ich schön sein will. Ich schelte mich selbst, denn ich meine, mein Verhalten mittlerweile nicht mehr vor mir rechtfertigen zu können. Aber das weiß nur ich und dieser Mensch, nehme ich an. Es ist unser Geheimnis und ich sehe nicht mehr aus wie ein Maulwurf.

Mit meiner neuen Errungenschaft ist es mir zum ersten Mal seit langer Zeit wieder möglich, in den Spiegel zu schauen und mein Gesicht klar und ohne Hornbrille zu erkennen. Normalerweise ist es nicht meine Gewohnheit, mich selbst zu betrachten, vielleicht, um zu sehen, ob die Haare richtig sitzen oder ich einen verschmierten Mund habe. Doch jetzt starre ich regelrecht mein Spiegelbild an und muss ununterbrochen lächeln. Darüber, weil ich meine, schon lange nicht mehr gewusst zu haben, was es bedeutet, in einen Spiegel zu schauen und darüber, weil ich nicht mehr verkniffen grüßen muss, so ganz ohne Hornbrille. In dieser guten Laune sehe ich mich natürlich gezwungen, dem Ganzen noch die Krone aufzusetzen, indem ich mein teilweise vertrocknetes Make-Up aus der Schublade krame und das Blau meiner Augen hervorhebe. Ich schminke meine Lippen zartrosa und bekomme vor Glück rote Wangen. Zur meiner Freude muss ich feststellen, dass ich sehr dichtes Haar habe, das nur eine einzige weiße Strähne aufweist. Natürlich frage ich meinen Mann, ob er mich schön findet. Er grunzt verlegen, murmelt irgendwas vor sich hin, aber sonst verhält er sich so, als ob er das Wort "schön" nicht kennt. Nun, etwas anderes habe ich auch nicht erwartet. Wenn ich mein Geheimnis nicht hätte, wäre ich jetzt verletzt, würde mir verschämt das Make-Up abwaschen, schlimmstenfalls mir die Hornbrille zurückwünschen. Doch mein Geheimnis gibt mir Kraft, die zerstörte Brille aus dem Abfalleimer zu kramen und nochmals mit dem Hammer darauf herum zu schlagen, bis sie pulverisiert ist, endgültig. Verrückt, wenn ich bedenke, dass mein Geheimnis nur darin besteht, diesem Menschen ins Wohnzimmer schauen zu wollen.
Damit jedoch keiner Verdacht schöpft, zwinge ich mich, vom Küchenfenster fernzubleiben. Es fällt mir schwer, sehr schwer. Als ob dieser Mensch das wüsste, verzichtet er neuerdings an den Wochenenden auf sein Sonnenbaden, manchmal regnet es auch, Gott sei Dank. Doch ich frage mich, wer schon hinter mein kleines Geheimnis kommen sollte. Ich bin unglaublich froh, dass keiner meine Gedanken lesen kann, abgesehen von diesem Menschen wahrscheinlich, denn ich träume mittlerweile recht oft von ihm. Nichts Großartiges, in meinen Träumen steht er unter seinen Rosen, riecht daran und liegt meistens im hohen Gras und sonnt sich auf seine übliche Art, eigentlich recht langweilig, nichts Ungewöhnliches. Einmal winkt er mir im Traum zu, so, wie er es immer macht, wenn wir uns flüchtig auf der Straße begegnen. Ich grüße freundlich zurück und bringe in der Tat ein unverkrampftes Lächeln zustande, denn ich muss nicht mehr meine Augen zusammenkneifen und kann ihm klar ins Gesicht schauen. Er scheint sich darüber sichtlich zu freuen, so, als sei das sein Werk. Diese Tatsache löst in mir ein unbehagliches Gefühl aus, aber nicht lange, sagen wir, ich fühle mich dadurch eher geschmeichelt. Nun, gut, dass wahrscheinlich außer ihm keiner meine Gedanken lesen kann.
In einen meiner nächsten Träume winkt er mir nicht zu, er winkt mich zu sich her. Ich schreie ihm über unseren ausgebesserten Jägerzaun zu, ob er denn jetzt nicht zu weit gehe. Er schüttelt lachend den Kopf und sagt, was sei denn schon dabei, wenn ich mir seinen Garten mal aus der Nähe ansehe, denn offenbar sei ich eine große Verehrerin seiner Rosen, ich laufe schließlich oft genug an seinem Garten vorbei, das sei ihm nicht entgangen. Ich laufe rot an und will mich entschuldigen, doch er meint, das mache doch nichts, wie es denn wäre, wenn ich morgen Mittag mal bei ihm vorbeischaue, er würde sich freuen. Mir stockt der Atem und ich japse wie ein Fisch an Land nach Luft. Ich presse hervor, ob er das nur im Traum so meine oder ob ich morgen wahrhaftig vor seiner Tür stehen solle. Seine Antwort ist, er wolle mich wahrhaftig sehen, und er verschwindet in seinem Haus. Ich will ihm noch irgendwas entgegnen, ich wache jedoch just in diesem Moment auf. Es ist noch dunkel draußen, also drehe ich mich zur Seite und versuche weiterzuschlafen, was mir auch tatsächlich gelingt. Der Rest der Nacht verbleibt aber traumlos, jetzt liegt die Entscheidung an mir, was nun geschehen soll. Mir fällt siedendheiß ein, dass morgen Mittag niemand bei uns zu Hause sein wird. Die Kinder haben Nachmittagsunterricht, mein Mann ist um diese Zeit sowieso im Büro. Ich werde mir also nicht einreden können, dass es unmöglich ist, sich unbemerkt aus dem Haus zu schleichen. Es gibt keine Ausrede. Erfände ich eine, so würde er es bestimmt merken und das wäre mir unendlich peinlich, ich will ihn auf keinen Fall verletzen. Was bleibt mir also anderes übrig, den Mittag abzuwarten?

Je näher die Mittagszeit heranrückt, desto lauter klopft mein Herz und Zweifel quälen mich. Ich frage mich plötzlich, weshalb ich diesen Menschen fast schon unverschämt beobachtet, ausspioniert und verfolgt habe. Warum hat mich sein Sonnenbaden so aufgeregt? Schmerzhaft erinnere ich mich an den umgeschmissenen Grill, an meine hysterischen Anfälle, an das gebrochene Nasenbein meines Mannes. Was ist, wenn alles nur eine Ausgeburt meiner unzufriedenen Hausfrauenseele ist, dieser Mensch mich im Grunde verachtet, weil ich ihn penetrant durchs Küchenfenster beobachte? Er muss es doch bemerkt haben, und vielleicht hat er sich mit Absicht den ganzen Tag nackt gesonnt, um mich zu schocken. Ich male mir aus, wie er seinen Freunden erzählt, was für engstirnige, bescheuerte Nachbarn er hat. Vor allem die Frau mit der Hornbrille gafft ihm den ganzen Tag in den Garten, am liebsten würde er ihr mal die Meinung sagen, was die sich überhaupt einbildet, dieser verkniffene Maulwurf. Ich stelle mir vor, wie seine Freunde lachen, wenn er mich nachäfft. Vielleicht trägt einer seiner Freunde auch eine Hornbrille, die nimmt er sich dann, setzt sie sich auf und fängt dermaßen an zu lachen, dass es ihm nicht ganz gelingt, mich nachzumachen, dennoch gröhlen alle und aus Versehen werden ein, zwei Weingläser umgestoßen.
Mir wird speiübel bei dem Gedanken und die Tränen schießen mir in die Augen, fast werden meine Kontaktlinsen rausgewaschen. Meine Schminke rinnt mir in jämmerlichen Bächen die Backen runter. Ich fange an zu schluchzen wie eine Frau, die gerade von ihrem Mann verlassen worden ist, so ähnlich fühle ich mich auch. Irgendwann versiegen die Tränen, aber mein Mut ist auf dem Nullpunkt geblieben. Um jedoch weiterexistieren zu können, um einen berechtigten Grund aufrechterhalten zu können, die Hornbrille pulverisiert zu haben, bleibt mir nichts anderes übrig, als mich unbedingt zusammenzureißen. Ich rotze meine Nase frei, entferne die Schminke in meinem Gesicht und male alles noch mal auf, ich habe keine andere Wahl.

Schließlich denke ich, dass die Zeit gekommen ist, mein Herz klopft wie wild, und ich glaube, so etwas wie Lampenfieber zu haben. Sicherheitshalber werfe ich noch einen Blick aus dem Küchenfenster, aber im Garten ist niemand zu sehen, was mir auch nicht weiterhilft. Es bleibt mir somit nichts anderes übrig, als aus dem Haus zu gehen, hinter mir schlägt die Tür zu, wobei mir einfällt, dass ich die verdammten Schlüssel vergessen habe. Ich atme tief durch, und ich weiß nicht wie ich es schaffe, plötzlich vor der Haustür dieses Menschen zu stehen. Ich schließe die Augen, drücke den Klingelknopf und ich warte auf so eine Art großen Knall. Das Erste, was natürlich vor dem Knall passieren wird, ist, dass er die Tür öffnet, was dann auch geschieht. Er grüßt mich freundlich, schön, dass ich gekommen sei. Ich druckse irgendwas daher, laufe rot an und nehme seine mir dargebotene Hand an. Sie ist trocken und ganz warm. Ich zwinge mich, ihm ins Gesicht zu schauen, aber er macht es mir leicht, da er warme braune Augen hat. Es stört mich nicht, dass sein Gesicht, genauso seine warme Hand sehr hellhäutig sind, ich meine keinen Widerspruch zur Sonne darin zu entdecken. Ich lache befreit auf, als sei es das Normalste auf der Welt. Er blickt mich derart an, als ob er genau wüsste, was in mir vorgeht, aber auch das scheint plötzlich zur Normalität zu gehören. Ich solle mir doch seine Rosen ansehen, sagt er, während er mir seine Hand auf die Schulter legt und mich hineinbittet.
Ich druckse immer noch herum, ich habe bis jetzt noch kein vernünftiges Wort herausgebracht, aber ich strahle und kann mich gar nicht recht beruhigen, es ist mir fast schon peinlich. Wie gerne würde ich ihm sagen, wie bescheuert ich mich aufgeführt habe, wie viele Stunden ich wie eine Irre am Küchenfenster verweilt bin, dass es mir nie gelungen ist, seinen Namen zu merken, aber den will ich auf einmal gar nicht mehr wissen, denn der ist nebensächlich. Die Gedanken sind da, aber so wirr, dass ich aufgeben muss, sie in Worte zu packen. Ich schnappe nach Luft, aber kein Laut kommt mir über die Lippen. Er lächelt mich nur an, ganz warm, schüttelt den Kopf und legt mir die Hand auf den Mund. Er meint zu mir, ich solle nicht zu viel auf einmal sagen wollen. Ich nicke und tatsächlich beruhige ich mich.
Die ersten Worte, die ich zu ihm sage sind belanglos. Doch dann, ich weiß nicht warum, fällt mir die pulverisierte Hornbrille ein und prompt erzähle ich die Geschichte, wobei ich mir am liebsten die Zunge abbeißen würde. Ich sähe schön aus, sagt er daraufhin ganz ernst, streicht mir die weiße Haarsträhne aus dem Gesicht und schaut mich lange an, bis ich seinem Blick nicht mehr standhalten kann. Er sagt das in einer Art und Weise, als habe es eine Hornbrille nie gegeben, als kenne er den verkniffenen Maulwurf nicht, als sei alles nur ein Traum gewesen, aus dem er mich geweckt hat. Er lächelt mich an, ich solle ihm in den Garten folgen.
Es ist das erste Mal, dass ich diesen Garten nicht versteckt hinter der Hecke anschaue. Um wie vieles deutlicher sehe ich jetzt die vielen bunten Blumen in der Wiese, ich erkenne an ihnen jedes Detail, ich habe nie gewusst, das sie so zart sind. Vielleicht sind die Kontaktlinsen besser als die Hornbrille, ich weiß nicht woran das liegt, vielleicht, weil ich mich so freue, vielleicht, weil ich seine warme Hand immer noch auf meiner Schulter spüre, er ganz nah bei mir steht und der Duft der Rosen mich regelrecht betäubt. Es überkommt mich der Wunsch, mich in diese Wiese zu legen und mich zu sonnen. Ich sage ihm das, und er erwidert, ich solle mir keinen Zwang antun. Wir ziehen uns aus und legen uns nebeneinander ins Gras, ich weiß nicht, was in mich gefahren ist. Ich liege rücklings in der Wiese und nehme die kleine Wiesenwelt in mich auf. Gedanken an eventuell entsetzte Nachbarn oder an meinen Mann, der statt meiner durch das Küchenfenster schauen könnte, sind unendlich weit entfernt. Es existieren nur er, die Rosen, die Wiese. Ich spüre eine wunderbare Kraft in mich einströmen, die Sonne kann mich nicht verbrennen, ich werde weder Durst verspüren noch schwitzen. Dafür brauche ich keine Erklärung, die ist plötzlich unwichtig geworden, und ich will nicht fragen. Stattdessen sage ich zu ihm, dass ich ihn liebe. Jedoch nicht in der Art und Weise, wie eine Frau es einem Mann sagt oder vielleicht doch? Ich liebe diese kleine Welt hier, ihn, die Sonne, seine weiße Haut, den Duft. Wir sind das Licht, die Wärme. Die Sonne versengt uns in dieser kleinen Welt die Haut nicht, weil es seine Sonne ist. Es ist nicht die Sonne, die mich samstags im Garten schwitzen lässt, nicht die Sonne, vor der wir uns stöhnend verstecken, nur, um sie abends im beißendem Fettdunst wegzugrillen. Sie ist eine Sonne, die nur für ihn und mich scheint, keine Sonne für Rasenmäher, Thujahecken und Schnippelscheren. Seine Rosen bedürfen der Pflege nicht, weil es seine sind, sie liegen in seiner Seele, seine Seele offenbart sich in ihnen. Er braucht sie nicht zu stutzen, genauso wenig, wie er seine Seele bearbeiten muss. Er liegt in sich ruhend, fest in seiner Welt verankert, die er mir jetzt vorlegt.

Wir liegen regungslos im Gras bis die Sonne untergeht. Ich fühle mich entspannt wie noch nie, als ich mich erhebe und strecke. Jetzt habe ich genau dasselbe Lächeln auf meinen Lippen, das ich vor einiger Zeit an ihm immer gehasst habe. Überrascht stelle ich es fest und sage es ihm. Er lächelt nur, steht auf und geht ins Haus, ich folge ihm.
Da fällt mir der vergessene Schlüssel ein und dass ein paar Meter weiter eine ganz andere Welt existiert. Als könne er meine Gedanken erraten, meint er, ich solle doch bei ihm bleiben. Warum eigentlich nicht? So kommt es, dass ich die Nacht bei ihm und mit ihm verbringe und bin glücklich. Die andere Welt will ich nicht mehr betreten, aber das brauche ich gar nicht mehr, versichert er mir. Ich weiß, dass ich ihm das glauben darf, und an das Morgen brauche ich nicht mehr zu denken.
 

Mira

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Die Seele des Gartens

Ich hocke keuchend im Gras und entferne mühsam das verhasste Moos zwischen den Platten, die den Weg in unseren frisch geschorenen Rasen säumen. Mein Mann ist gerade dabei, den Jägerzaun auszubessern, was längst überfällig ist und die Thujahecke zu stutzen. Die Sonne tut
ihr übriges, der Schweiß trieft, und die Kinder weigern sich zu helfen. Heute Mittag gibt es nur Salat, überlege ich mir, während ich mich aufrichte, weil mir der Kopf zu platzen scheint. Meine Brille fällt ins Gras, meine Wirbelsäule gibt ein gequältes Knacksen von sich. Ausgerechnet in diesem Augenblick läuft dieser Mensch den Weg entlang, er grüßt meinen Mann und winkt mir zu. Ich sehe aufgrund meiner starken Kurzsichtigkeit nur ein verschwommenes Etwas an mir vorbeilaufen und blicke ihm mit verkniffenem Gesichtsausdruck nach, bis dieser seltsame Schatten im Nachbarhaus verschwunden ist. Ich weiß, was jetzt kommt. Es ist jedes Wochenende dasselbe, wenn die Sonne scheint. Grund genug für mich, den Garten zu verlassen und sich um das Mittagessen zu kümmern. Mein Mann fängt an zu meckern, ich solle doch gefälligst noch das restliche Moos abkratzen, ob er denn in diesem Garten immer alles alleine machen müsse. Soll er doch; ich jedenfalls ertrage es nicht, die Blicke dieses Menschen auf meinem Rücken zu spüren. Vom Küchenfenster aus beobachte ich, wie sich dieser Mensch in die Sonne knallt. Er legt sich nackt in seine ungepflegte Wiese und hat ein Lächeln auf seinen Lippen, das ich von Tag zu Tag mehr hasse. Ich habe mir schon überlegt, dunkle Vorhänge für das Küchenfenster zu kaufen, um den Anblick dieses Menschen nicht mehr ertragen zu müssen. Meine Kinder halten mich deshalb für verrückt, mein Mann versucht mich zu beschwichtigen, wenn ich nach einem hysterischen Anfall fast anfange zu flennen. Um das alles auf ein erträgliches Maß zu bringen, und um meine Nerven zu schonen, habe ich beschlossen, jedes Mal, wenn ich in der Küche zu tun habe und mein Blick unweigerlich auf diesen Menschen fällt, einfach meine Brille abzunehmen. Es ist die einzige Situation, in der ich Gott für meine Kurzsichtigkeit dankbar bin. Doch leider ist es damit nicht getan. Es ist nicht nur die entwürdigende Nacktheit dieses Menschen, die mich stört (ich bin mir sicher, er würde sich auch dann nackt in die Sonne legen, wenn ich nicht existierte). Was mich fast in den Wahnsinn treibt, ist allein der Gedanke an dieses abscheuliche selbstzufriedene Lächeln auf seinen Lippen, während er sich oft den ganzen Tag, ohne sich zu rühren, der Sonne hingibt. Seine weiße makellose Haut scheint mich regelrecht blenden zu wollen. Eine Haut, die nie bräunt, die sich nie verbrennt, dieser Mensch, der nie zu schwitzen scheint, er ist gebaut aus Porzellan. Er liegt im Gras, und ich schwöre, dass ich noch nie so was wie ein Sonnenschirm über seinem Körper gesehen habe. Ich habe noch nie erlebt, dass er sich mit einem Sonnenöl einreibt, seine Haut ist und bleibt makellos weiß, nie sind an ihr Pigmentflecken zu entdecken, er ist ein Mensch, der niemals bräunt. Mein Mann meint, dass ihm vielleicht seine üppig blühenden Rosen genug Schatten spendeten. Diese Argumentation lasse ich jedoch schlicht und einfach nicht gelten. Meist bricht aus mir unglaublicher Hass hervor, wenn ich mit solch einer irrationalen, im Tran daher geplapperten Begründung konfrontiert werde. Ich werfe meinem Mann vor, mich nicht ernst zu nehmen, ob er denn nicht einsehe, dass dieser Mensch und seine verdammten Rosen so nicht existieren können, wie ich es Wochenende für Wochenende gezwungen bin zu sehen. Ein Mensch, der niemals schwitzt, verbrennt, bräunt, dürfe es nicht geben. Meist quellen mir die Augen fast aus dem Kopf, ich schreie mich immer heiser, bis ich schließlich so hässlich aussehe, dass mein Mann vorsichtshalber ein paar Schritte vor mir zurückweicht. Wahrscheinlich werde dieser Mensch nicht einmal von Mücken gestochen, tobe ich weiter, er könne sich nicht mal ein Bein brechen und vergiften lasse er sich auch nicht. Mein Mann schüttelt verständnislos den Kopf, zeigt mir einen Vogel und flüchtet mit der Heckenschere in den Garten zur Thujahecke. Ach, er soll sich doch zum Teufel scheren, er und seine Hecke. Das schreie ich ihm zwar nicht nach, aber ich wünsche mir jedes Mal, dass er sich bei der Schnippelei endlich einmal einen Finger abschneidet, damit unsere Thujahecke nicht immer die am besten rechtwinklig gepflegteste der ganzen Häuserzeile bleibt. Irgendwann habe ich ihm das beim Essen ins Gesicht geschrieen, wobei er sich ganz fürchterlich an einer Kartoffel verschluckte. Die Kinder würgten schnell ihr Essen hinunter und verkrochen sich in ihre Zimmer. Daraufhin entbrannte ein längst fälliger Streit, und als mein Mann sich nach dem verdammten Essen tatsächlich in die Finger schnitt, redete er den ganzen Tag kein Wort mehr mit mir. Und an allem war und ist dieser unausstehliche Mensch schuld, der nie bräunt, nie schwitzt und nie einen Hitzschlag bekommt.

Ich stelle fest, dass es mich krankhaft ans Küchenfenster zieht und ich nur darauf lauere, wann dieser Mensch sich endlich rührt oder wann ihn endlich die Sonne ausgedörrt hat. Doch ich sehe nur einen zufriedenen Menschen splitternackt im hohen Gras liegen, über ihm wunderbar rote Rosen, die anscheinend nie der Pflege bedürfen und die zu allem Überfluss penetrant süß duften. Was treibt er da? Warum legt er sich stundenlang ins Gras, hat er nichts Besseres zu tun? Mit Entsetzen registriere ich, dass er bis zur Abendessenszeit regungslos auf dem Rücken in seinem Garten liegt und mir vom Stehen am Küchenfenster die Beine angeschwollen sind. Die Zeit scheint stillzustehen, die Luft ist noch erfüllt vom Schnippeln der Heckenscheren oder vom Rattern der unzähligen Rasenmäher ringsum in der Nachbarschaft. Aus den Zimmern meiner Kinder ertönt gnadenlos das Hämmern und Bummern der Stereoanlagen, die nur dazu da sind, um ewig zu quälen. Wahrscheinlich wundern sie sich, dass ich nicht fluchend zu ihnen hoch stürme oder den Strom abschalte, was sofort ausgenutzt wird, um in Wettstreit mit den lautesten und ältesten Mähern zu treten. In der Häuserzeile gegenüber planscht ein Nachbar in seinem Privat-Miniswimming-Pool, der fast den ganzen Garten belegt, verdeckt von einer Fichtenhecke, bei der man unten durchglotzen kann.

Als es endlich anfängt, Abend zu werden, die Hitze minimal nachlässt, der letzte Mäher abgestellt ist und so nach und nach die Abendluft mit beißendem Grillrauch geschwängert wird, gebe ich es auf und lege meine geschwollenen Beine hoch. Aus den Augenwinkeln nehme ich gerade noch wahr, wie sich dieser Mensch aufrichtet, zufrieden gähnt und sich endlich in sein Haus zurückzieht. Ich atme auf und erst jetzt bemerke ich, wie lange ich regungslos aus dem Fenster gestarrt habe. Meinem Mann, der gerade noch den letzten leichtsinnigen Löwenzahn aus unserem Garten ausgestanzt hat, erzähle ich nichts davon. Ich gebe vor, erschöpft von der Arbeit zu sein, als er in die Küche tritt und mich verwundert fragt, was denn mit mir los sei. Ich dusche mich eiskalt und es gelingt mir nur schwer, einen Weinkrampf zu unterdrücken. Schließlich fange ich doch noch an zu heulen, weil ich die verdammte Hornbrille verlegt habe, ach, der Teufel soll sie holen. Natürlich bleibe ich auffallend lang im Bad, ich schäme mich meiner Tränen. Am liebsten würde ich sofort ins Bett gehen, aber es ist Wochenende und wir müssen leider grillen, denn der Sommer ist ja so schön und in der schlechten Jahreszeit kann man die Abende nicht annähernd so gut ausnutzen. Mein Mann ruft mich schon ungeduldig, er wirkt gereizt, wahrscheinlich weil die Kinder wieder unerwartet abgesagt haben und wir morgen leider noch Mal grillen müssen, damit wir nicht auf dem Fleisch sitzen bleiben. Die Luft im Badezimmer riecht schon nach Grill, und mir fällt gerade noch ein, die Fenster in unserem Schlafzimmer zu schließen, damit der Gestank uns nicht beim Einschlafen stört.
Ich schleppe mich zum Grill und versuche, eine gutgelaunte Miene vorzuspielen. Der Abend verläuft ganz nett, es gibt eine gute Flasche Wein, dann noch eine und je angeheiterter ich werde, desto kurzsichtiger werde ich. Doch nicht mal in diesem Zustand entgeht mir, dass sich wieder dieser Mensch in seinen Garten setzt. Er scheint sich wohl frisch geduscht zu haben. Seine braunroten Haare fallen feucht auf die Schultern, seine weiße Haut wird durch einen schwarzen Bademantel verdeckt, jedoch bleibt seine helle Brust entblößt. Das Licht aus dem Innern seines Hauses beleuchtet die Terrasse, auf der er mit einem Buch in den Händen in seinem Liegestuhl sitzt. Auf dem Tisch, der links neben ihm steht, flackern unruhig mehrere Kerzen. Ich werde hysterisch, als ich einen Knochenschädel auf dem Tisch zu sehen glaube. Mein Mann versucht mich zu beruhigen und versichert mir, dass ich ohne meine Brille nur Gespenster sehe und mir alles nur einbilde, ich solle nicht so schreien, man müsse sich meiner ja schämen, was sollen denn die Nachbarn denken. Er wird so wütend, dass er mir ins Gesicht schlägt und mich ins Haus zerren muss, da ich versuche, mit dem Grill um mich zu schmeißen. Unglaubliche Hassgefühle keimen in mir auf, ich verfluche lauthals diesen Menschen, der mein Gekreische nicht wahrnimmt oder nicht wahrnehmen will. Mein Mann versucht mir einen Apfel in den Mund zu stopfen, damit ich endlich aufhöre zu schreien. Er zittert am ganzen Leib, seine Schlagadern am Hals sind beachtlich geschwollen, er weiß nicht wie jetzt handeln, denn so hat er mich noch nie erlebt. Ich werde schließlich im Schlafzimmer eingesperrt, den Apfel schleudere ich geradewegs auf seine Nase, als er verzweifelt versucht, die Tür hinter sich zu schließen.
Was dann passiert ist weiß ich nicht mehr. Irgendwann muss ich mich wohl wieder beruhigt haben, wahrscheinlich bin ich sogar eingeschlafen. Das erste, was ich klaren Verstandes wahrnehme, ist ein Sonnenstrahl, der mir ins Gesicht scheint. Und das Erste, was mir an Gedanken durch den Kopf schießt, ist ein Schamgefühl und die Angst, dass dies ein ganz fürchterlicher Sonntag werden wird.
Mein Mann hat auf der Couch im Wohnzimmer übernachtet, er hat sich wohl nicht zu mir reingetraut. Sein Nasenbein wurde durch den Apfelschmiss gebrochen, in seinem Gesicht sitzt eine geschwollene Knolle. Er beachtet mich nicht, als ich die Treppe hinunter geschlichen komme. Über den weiteren Verlauf des Tages gibt es nicht viel zu erzählen. Wir sprechen kein Wort miteinander, er murmelt irgendwas von einer Irren, die ihn ruiniert hat, und die Kinder lassen sich nicht blicken. Die Sauerei im Garten, der umgeschmissene Grill, wird im Laufe des Tages aufgeräumt, ich glaube, heute müssen wir Gott sei Dank nicht mehr grillen.

In der kommenden Woche gelingt es mir, mich einigermaßen zu regenerieren. Ich schwöre mir, nie wieder einen Tropfen Alkohol anzurühren, solange dieser Mensch in meiner Nachbarschaft wohnt. Die Knolle im Gesicht meines Mannes schmerzt noch, aber ich verspüre kein schlechtes Gewissen. Es wundert mich, wie gleichgültig mir das ist. Die Kinder lassen sich nie blicken, ihre Anwesenheit wird nur durch die Stereoanlage kundgetan. Am liebsten würde ich ihnen sagen, dass sie ruhig runter zum Fernsehen kommen können, denn ihre Eltern streiten sich nicht, ich verspreche, nie mehr zu schreien, ich bin ganz ruhig, gottlob.

Der Alltag geht weiter, nun, es wird eben sehr wenig gesprochen, um nicht zu sagen gar nichts. Eine weitere Veränderung ist, dass ich die Zeit, die ich normalerweise gelangweilt vorm Fernseher vergeudet habe, jetzt am Küchenfenster verbringe. Dabei versuche ich möglichst unauffällig zu sein, nachdem ein seltsamer Blick meines Mannes mich zur Wahnsinnigen erklärt hat. Oft muss ich viele Stunden lang warten, bis dieser Mensch ein Lebenszeichen von sich gibt, an manchen Tagen betritt er Garten überhaupt nicht Wenn die Warterei mir zu lange wird, verlasse ich das Haus und schleiche mit klopfendem Herzen am Grundstück dieses Menschen vorbei. Ich laufe mehrmals denselben Weg auf und ab, ganz langsam und glotze in den Garten wie ein behindertes Kind, so dass es mir fast peinlich ist. Meine Brille habe ich noch immer nicht gefunden, dementsprechend verkniffen muss ich aussehen, ich mag gar nicht daran denken. Aufgrund meiner schlechten Augen erkenne ich sowieso nicht allzu viel. Ich sehe viele Rosen, die prägen sich mir ein, viele bunte Tupfer in der Wiese, leider kann ich nicht erkennen, was das für Pflanzen sind, wahrscheinlich allerlei Wiesenblumen.
Nachdem ich mindestens acht Mal auf und ab gegangen bin und ich beim besten Willen nicht mehr entdecken konnte, gebe ich auf. Dabei fällt mir ein, dass ich nicht einmal den Namen dieses Menschen kenne, der mittlerweile mein Leben beherrscht. Bevor ich mich zurück ins Haus verkrieche, schlendere ich ganz zufällig an seiner Haustüre vorbei und berühre fast schon mit der Nasenspitze das Namensschild und lese irgendeinen Namen in gut leserlicher Schrift. Leider kann ich ihn mir nicht merken, ich vergesse ihn, bevor ich wieder mein Küchenfenster erreicht habe. Ich beschließe somit, das nächste Mal etwas zum Aufnotieren mitzunehmen. Jedoch erweist sich das auch nicht gerade als sehr erfolgreich, denn entweder ich vergesse aufs Namensschild zu schauen oder der Bleistift bricht ab. Als es mir endlich einmal gelingt, gleichzeitig das Namensschild zu lesen, einen leistungsfähigen Bleistift und Papier dabei zu haben, muss ich verdammt noch Mal den Zettel auf dem Rückweg verloren haben, denn zu Hause befindet sich in meiner Hand nur noch der Bleistift, diesmal gut angespitzt. Mich beschleicht der Gedanke, dass dieser Mensch mir seinen Namen nicht preisgeben will. Diese Vorstellung macht mich rasend, aber ich schlucke meine Wut hinunter und stehe öfter als zuvor am Küchenfenster. Ich ertrage es kaum, diesen Menschen nicht fassen zu können, dieses namenlose Wesen, das nicht so existieren darf, wie es sehe. Dieser Mensch verletzt Gesetze, die keiner verletzen kann. Ich verstehe ja nicht viel von Naturgesetzen, von Physik und solchen Sachen, aber ich habe immer an meinen gesunden Menschenverstand geglaubt. Zwar habe ich mich noch nie für auffallend intelligent gehalten, wozu auch als Hausfrau und Mutter von zwei Kindern, ich brauche dazu nicht viel von solchen Sachen zu wissen. Doch heute bezweifle ich das zum ersten Mal und ich bemerke, dass ich beginne darüber nachzudenken.
Ich kann es drehen und wenden wie ich will, ich finde keine Erklärung für diesen Menschen, der sich so lange sonnt wie er will. Nicht die Sonne bestimmt sein Liegen im Gras, nicht die UV-Strahlung, auch nicht der Lärm der Rasenmäher, nicht Hunger, nicht Durst, nichts, nichts, nichts, sondern nur er allein. Wenn er nicht will, dass ich seinen Namen erfahre, so werde ich ihn nie kennen. Ich könnte tausend Leute beauftragen, mir doch bitte beim zufälligen Vorbeilaufen den Namen auf ein Papierchen aufzunotieren... entweder sie werden es vergessen, der Bleistift wird ihnen abrechen oder der Kugelschreiber wird in den Gulli fallen, und falls mir glücklicherweise doch jemand seinen Namen auf dem Papierchen präsentieren würde, ich möchte schwören, dass ich dann augenblicklich das Lesen verlernen werde und zwar so lange, bis das verfluchte Papierchen verbrannt ist. Aber ich bin, glaube ich, viel zu müde, dies auszuprobieren. Ich begnüge mich somit lieber mit dem Starren aus dem Küchenfenster und stelle resigniert fest, dass es mich nicht wundern sollte, wenn sich dieser Mensch vor meinen Augen in einen großen schwarzen Vogel verwandelte, um mir beim Spionieren auf den Kopf zu kacken.

An jenem Abend, an dem der Alltagstrott dadurch unterbrochen wird, indem die Familie wieder ein paar Worte miteinander wechselt, erwähne ich bei Tisch, dieser Mensch nebenan sei ein Hexer. Mein Mann verschluckt sich daraufhin ganz fürchterlich an einer Kartoffel, die Kinder beginnen plötzlich, das Essen hinunter zu würgen. Anscheinend schmerzt ihn die Knolle im Gesicht immer noch, denn er verzieht das Gesicht, als er irgendwas von psychiatrischer Behandlung redet, von verrückt und davon, dass einem dieser Mensch nebenan mittlerweile leid tun kann. Er wolle mich ins Haus sperren, wenn ich jetzt nicht sofort mit diesem Theater aufhöre. Also schweige ich lieber und verstopfe meinen Mund mit Kartoffeln, bevor er Ernst macht. Ich sage zur Beschwichtigung etwas später, ich habe das nicht wortwörtlich gemeint, es sei mir nur so rausgerutscht. Als Antwort erhalte ich ein Schweigen, wahrscheinlich glaubt mir keiner mehr, was mir nicht ganz recht ist.
Ich habe mich entlarvt, ich muss vorsichtiger werden mit dem, was ich von mir gebe. Zwanghaft versuche ich, diesen Menschen meiner Familie gegenüber nie mehr zu erwähnen, es glaubt mir ja doch keiner, also ist es besser, er bleibt mein privates Studienobjekt. Vor ihm selbst muss ich mich nicht verstecken, denn wenn er nicht will, dass ich an seinem Garten vorbei schleiche, so wird er es zu verhindern wissen. Aber wahrscheinlich ist es ihm egal… wenn er überhaupt zu Hause ist. Hin und wieder reizt mich der Gedanke, ihm ins Wohnzimmer zu schauen, scheue mich aber davor. Mein abnormes Verhalten ist sicher schon mehreren Hausfrauen in der Nachbarschaft aufgefallen, und ich träume nachts schon von bösen Gerüchten aus ihren Mäulern, die steif und fest behaupten, mich bei innigster Umarmung mit ihm im grell erleuchteten Schlafzimmer beobachtet zu haben. Ein Gerücht, das schlimmstenfalls meinem Mann zu Ohren kommen könnte. Ich mag gar nicht daran denken.
Weswegen ich mich jedoch am meisten scheue, ihm ungeniert ins Zimmer zu glotzen, ist die Angst, seinem Blick zu begegnen. Er würde mir wahrscheinlich zuwinken (er grüßt mich eigenartigerweise immer winkend, wenn wir uns auf der Straße begegnen) und ich hingegen würde ihm verkniffen zunicken, wenn ich unglücklicherweise an jenem Tag meine Hornbrille wieder verlegt haben sollte. Daran mag ich ebenfalls nicht denken. Ein Gedanke, der mich in meinen Träumen quält. Nun, selbst mit Hornbrille wollte ich nicht seinem Blick begegnen müssen, denn dann sähe es so aus, als säße ein nickender Maulwurf auf dem Fenstersims. Ein Grund, mich plötzlich abgrundtief hässlich zu finden und heimlich nachts in mein Kissen zu weinen. Natürlich tröste ich mich damit, dass mein Mann sich bestimmt nicht daran stört, jedoch hauptsächlich deshalb, weil es ihm egal ist. Wenn mir derlei durch den Kopf geht, drehe ich mich zu ihm um, betrachte die immer noch geschwollene Knolle, weswegen er unbarmherzig schnarcht und fühle mich plötzlich so unglaublich einsam. Ich beschließe, dem abzuhelfen, indem ich mir Kontaktlinsen verschreiben lassen will. Um den Beschluss zu bestärken, zerstöre ich die Brille mit einem Hammer. Was mein Mann dazu sagen wird, ist mir so unglaublich egal. Ich will schön sein. Mir wird mulmig bei dem Gedanken, für wen ich schön sein will. Ich schelte mich selbst, denn ich meine, mein Verhalten mittlerweile nicht mehr vor mir rechtfertigen zu können. Aber das weiß nur ich und dieser Mensch, nehme ich an. Es ist unser Geheimnis und ich sehe nicht mehr aus wie ein Maulwurf.

Mit meiner neuen Errungenschaft ist es mir zum ersten Mal seit langer Zeit wieder möglich, in den Spiegel zu schauen und mein Gesicht klar und ohne Hornbrille zu erkennen. Normalerweise ist es nicht meine Gewohnheit, mich selbst zu betrachten, vielleicht, um zu sehen, ob die Haare richtig sitzen oder ich einen verschmierten Mund habe. Doch jetzt starre ich regelrecht mein Spiegelbild an und muss ununterbrochen lächeln. Darüber, weil ich meine, schon lange nicht mehr gewusst zu haben, was es bedeutet, in einen Spiegel zu schauen und darüber, weil ich nicht mehr verkniffen grüßen muss, so ganz ohne Hornbrille. In dieser guten Laune sehe ich mich natürlich gezwungen, dem Ganzen noch die Krone aufzusetzen, indem ich mein teilweise vertrocknetes Make-Up aus der Schublade krame und das Blau meiner Augen hervorhebe. Ich schminke meine Lippen zartrosa und bekomme vor Glück rote Wangen. Zur meiner Freude muss ich feststellen, dass ich sehr dichtes Haar habe, das nur eine einzige weiße Strähne aufweist. Natürlich frage ich meinen Mann, ob er mich schön findet. Er grunzt verlegen, murmelt irgendwas vor sich hin, aber sonst verhält er sich so, als ob er das Wort "schön" nicht kennt. Nun, etwas anderes habe ich auch nicht erwartet. Wenn ich mein Geheimnis nicht hätte, wäre ich jetzt verletzt, würde mir verschämt das Make-Up abwaschen, schlimmstenfalls mir die Hornbrille zurückwünschen. Doch mein Geheimnis gibt mir Kraft, die zerstörte Brille aus dem Abfalleimer zu kramen und nochmals mit dem Hammer darauf herum zu schlagen, bis sie pulverisiert ist, endgültig. Verrückt, wenn ich bedenke, dass mein Geheimnis nur darin besteht, diesem Menschen ins Wohnzimmer schauen zu wollen.
Damit jedoch keiner Verdacht schöpft, zwinge ich mich, vom Küchenfenster fernzubleiben. Es fällt mir schwer, sehr schwer. Als ob dieser Mensch das wüsste, verzichtet er neuerdings an den Wochenenden auf sein Sonnenbaden, manchmal regnet es auch, Gott sei Dank. Doch ich frage mich, wer schon hinter mein kleines Geheimnis kommen sollte. Ich bin unglaublich froh, dass keiner meine Gedanken lesen kann, abgesehen von diesem Menschen wahrscheinlich, denn ich träume mittlerweile recht oft von ihm. Nichts Großartiges, in meinen Träumen steht er unter seinen Rosen, riecht daran und liegt meistens im hohen Gras und sonnt sich auf seine übliche Art, eigentlich recht langweilig, nichts Ungewöhnliches. Einmal winkt er mir im Traum zu, so, wie er es immer macht, wenn wir uns flüchtig auf der Straße begegnen. Ich grüße freundlich zurück und bringe in der Tat ein unverkrampftes Lächeln zustande, denn ich muss nicht mehr meine Augen zusammenkneifen und kann ihm klar ins Gesicht schauen. Er scheint sich darüber sichtlich zu freuen, so, als sei das sein Werk. Diese Tatsache löst in mir ein unbehagliches Gefühl aus, aber nicht lange, sagen wir, ich fühle mich dadurch eher geschmeichelt. Nun, gut, dass wahrscheinlich außer ihm keiner meine Gedanken lesen kann.
In einen meiner nächsten Träume winkt er mir nicht zu, er winkt mich zu sich her. Ich schreie ihm über unseren ausgebesserten Jägerzaun zu, ob er denn jetzt nicht zu weit gehe. Er schüttelt lachend den Kopf und sagt, was sei denn schon dabei, wenn ich mir seinen Garten mal aus der Nähe ansehe, denn offenbar sei ich eine große Verehrerin seiner Rosen, ich laufe schließlich oft genug an seinem Garten vorbei, das sei ihm nicht entgangen. Ich laufe rot an und will mich entschuldigen, doch er meint, das mache doch nichts, wie es denn wäre, wenn ich morgen Mittag mal bei ihm vorbeischaue, er würde sich freuen. Mir stockt der Atem und ich japse wie ein Fisch an Land nach Luft. Ich presse hervor, ob er das nur im Traum so meine oder ob ich morgen wahrhaftig vor seiner Tür stehen solle. Seine Antwort ist, er wolle mich wahrhaftig sehen, und er verschwindet in seinem Haus. Ich will ihm noch irgendwas entgegnen, ich wache jedoch just in diesem Moment auf. Es ist noch dunkel draußen, also drehe ich mich zur Seite und versuche weiterzuschlafen, was mir auch tatsächlich gelingt. Der Rest der Nacht verbleibt aber traumlos, jetzt liegt die Entscheidung an mir, was nun geschehen soll. Mir fällt siedendheiß ein, dass morgen Mittag niemand bei uns zu Hause sein wird. Die Kinder haben Nachmittagsunterricht, mein Mann ist um diese Zeit sowieso im Büro. Ich werde mir also nicht einreden können, dass es unmöglich ist, sich unbemerkt aus dem Haus zu schleichen. Es gibt keine Ausrede. Erfände ich eine, so würde er es bestimmt merken und das wäre mir unendlich peinlich, ich will ihn auf keinen Fall verletzen. Was bleibt mir also anderes übrig, den Mittag abzuwarten?

Je näher die Mittagszeit heranrückt, desto lauter klopft mein Herz und Zweifel quälen mich. Ich frage mich plötzlich, weshalb ich diesen Menschen fast schon unverschämt beobachtet, ausspioniert und verfolgt habe. Warum hat mich sein Sonnenbaden so aufgeregt? Schmerzhaft erinnere ich mich an den umgeschmissenen Grill, an meine hysterischen Anfälle, an das gebrochene Nasenbein meines Mannes. Was ist, wenn alles nur eine Ausgeburt meiner unzufriedenen Hausfrauenseele ist, dieser Mensch mich im Grunde verachtet, weil ich ihn penetrant durchs Küchenfenster beobachte? Er muss es doch bemerkt haben, und vielleicht hat er sich mit Absicht den ganzen Tag nackt gesonnt, um mich zu schocken. Ich male mir aus, wie er seinen Freunden erzählt, was für engstirnige, bescheuerte Nachbarn er hat. Vor allem die Frau mit der Hornbrille gafft ihm den ganzen Tag in den Garten, am liebsten würde er ihr mal die Meinung sagen, was die sich überhaupt einbildet, dieser verkniffene Maulwurf. Ich stelle mir vor, wie seine Freunde lachen, wenn er mich nachäfft. Vielleicht trägt einer seiner Freunde auch eine Hornbrille, die nimmt er sich dann, setzt sie sich auf und fängt dermaßen an zu lachen, dass es ihm nicht ganz gelingt, mich nachzumachen, dennoch gröhlen alle und aus Versehen werden ein, zwei Weingläser umgestoßen.
Mir wird speiübel bei dem Gedanken und die Tränen schießen mir in die Augen, fast werden meine Kontaktlinsen rausgewaschen. Meine Schminke rinnt mir in jämmerlichen Bächen die Backen runter. Ich fange an zu schluchzen wie eine Frau, die gerade von ihrem Mann verlassen worden ist, so ähnlich fühle ich mich auch. Irgendwann versiegen die Tränen, aber mein Mut ist auf dem Nullpunkt geblieben. Um jedoch weiterexistieren zu können, um einen berechtigten Grund aufrechterhalten zu können, die Hornbrille pulverisiert zu haben, bleibt mir nichts anderes übrig, als mich unbedingt zusammenzureißen. Ich rotze meine Nase frei, entferne die Schminke in meinem Gesicht und male alles noch mal auf, ich habe keine andere Wahl.

Schließlich denke ich, dass die Zeit gekommen ist, mein Herz klopft wie wild, und ich glaube, so etwas wie Lampenfieber zu haben. Sicherheitshalber werfe ich noch einen Blick aus dem Küchenfenster, aber im Garten ist niemand zu sehen, was mir auch nicht weiterhilft. Es bleibt mir somit nichts anderes übrig, als aus dem Haus zu gehen, hinter mir schlägt die Tür zu, wobei mir einfällt, dass ich die verdammten Schlüssel vergessen habe. Ich atme tief durch, und ich weiß nicht wie ich es schaffe, plötzlich vor der Haustür dieses Menschen zu stehen. Ich schließe die Augen, drücke den Klingelknopf und ich warte auf so eine Art großen Knall. Das Erste, was natürlich vor dem Knall passieren wird, ist, dass er die Tür öffnet, was dann auch geschieht. Er grüßt mich freundlich, schön, dass ich gekommen sei. Ich druckse irgendwas daher, laufe rot an und nehme seine mir dargebotene Hand an. Sie ist trocken und ganz warm. Ich zwinge mich, ihm ins Gesicht zu schauen, aber er macht es mir leicht, da er warme braune Augen hat. Es stört mich nicht, dass sein Gesicht, genauso seine warme Hand sehr hellhäutig sind, ich meine keinen Widerspruch zur Sonne darin zu entdecken. Ich lache befreit auf, als sei es das Normalste auf der Welt. Er blickt mich derart an, als ob er genau wüsste, was in mir vorgeht, aber auch das scheint plötzlich zur Normalität zu gehören. Ich solle mir doch seine Rosen ansehen, sagt er, während er mir seine Hand auf die Schulter legt und mich hineinbittet.
Ich druckse immer noch herum, ich habe bis jetzt noch kein vernünftiges Wort herausgebracht, aber ich strahle und kann mich gar nicht recht beruhigen, es ist mir fast schon peinlich. Wie gerne würde ich ihm sagen, wie bescheuert ich mich aufgeführt habe, wie viele Stunden ich wie eine Irre am Küchenfenster verweilt bin, dass es mir nie gelungen ist, seinen Namen zu merken, aber den will ich auf einmal gar nicht mehr wissen, denn der ist nebensächlich. Die Gedanken sind da, aber so wirr, dass ich aufgeben muss, sie in Worte zu packen. Ich schnappe nach Luft, aber kein Laut kommt mir über die Lippen. Er lächelt mich nur an, ganz warm, schüttelt den Kopf und legt mir die Hand auf den Mund. Er meint zu mir, ich solle nicht zu viel auf einmal sagen wollen. Ich nicke und tatsächlich beruhige ich mich.
Die ersten Worte, die ich zu ihm sage sind belanglos. Doch dann, ich weiß nicht warum, fällt mir die pulverisierte Hornbrille ein und prompt erzähle ich die Geschichte, wobei ich mir am liebsten die Zunge abbeißen würde. Ich sähe schön aus, sagt er daraufhin ganz ernst, streicht mir die weiße Haarsträhne aus dem Gesicht und schaut mich lange an, bis ich seinem Blick nicht mehr standhalten kann. Er sagt das in einer Art und Weise, als habe es eine Hornbrille nie gegeben, als kenne er den verkniffenen Maulwurf nicht, als sei alles nur ein Traum gewesen, aus dem er mich geweckt hat. Er lächelt mich an, ich solle ihm in den Garten folgen.
Es ist das erste Mal, dass ich diesen Garten nicht versteckt hinter der Hecke anschaue. Um wie vieles deutlicher sehe ich jetzt die vielen bunten Blumen in der Wiese, ich erkenne an ihnen jedes Detail, ich habe nie gewusst, das sie so zart sind. Vielleicht sind die Kontaktlinsen besser als die Hornbrille, ich weiß nicht woran das liegt, vielleicht, weil ich mich so freue, vielleicht, weil ich seine warme Hand immer noch auf meiner Schulter spüre, er ganz nah bei mir steht und der Duft der Rosen mich regelrecht betäubt. Es überkommt mich der Wunsch, mich in diese Wiese zu legen und mich zu sonnen. Ich sage ihm das, und er erwidert, ich solle mir keinen Zwang antun. Wir ziehen uns aus und legen uns nebeneinander ins Gras, ich weiß nicht, was in mich gefahren ist. Ich liege rücklings in der Wiese und nehme die kleine Wiesenwelt in mich auf. Gedanken an eventuell entsetzte Nachbarn oder an meinen Mann, der statt meiner durch das Küchenfenster schauen könnte, sind unendlich weit entfernt. Es existieren nur er, die Rosen, die Wiese. Ich spüre eine wunderbare Kraft in mich einströmen, die Sonne kann mich nicht verbrennen, ich werde weder Durst verspüren noch schwitzen. Dafür brauche ich keine Erklärung, die ist plötzlich unwichtig geworden, und ich will nicht fragen. Stattdessen sage ich zu ihm, dass ich ihn liebe. Jedoch nicht in der Art und Weise, wie eine Frau es einem Mann sagt oder vielleicht doch? Ich liebe diese kleine Welt hier, ihn, die Sonne, seine weiße Haut, den Duft. Wir sind das Licht, die Wärme. Die Sonne versengt uns in dieser kleinen Welt die Haut nicht, weil es seine Sonne ist. Es ist nicht die Sonne, die mich samstags im Garten schwitzen lässt, nicht die Sonne, vor der wir uns stöhnend verstecken, nur, um sie abends im beißendem Fettdunst wegzugrillen. Sie ist eine Sonne, die nur für ihn und mich scheint, keine Sonne für Rasenmäher, Thujahecken und Schnippelscheren. Seine Rosen bedürfen der Pflege nicht, weil es seine sind, sie liegen in seiner Seele, seine Seele offenbart sich in ihnen. Er braucht sie nicht zu stutzen, genauso wenig, wie er seine Seele bearbeiten muss. Er liegt in sich ruhend, fest in seiner Welt verankert, die er mir jetzt vorlegt.

Wir liegen regungslos im Gras bis die Sonne untergeht. Ich fühle mich entspannt wie noch nie, als ich mich erhebe und strecke. Jetzt habe ich genau dasselbe Lächeln auf meinen Lippen, das ich vor einiger Zeit an ihm immer gehasst habe. Überrascht stelle ich es fest und sage es ihm. Er lächelt nur, steht auf und geht ins Haus, ich folge ihm.
Da fällt mir der vergessene Schlüssel ein und dass ein paar Meter weiter eine ganz andere Welt existiert. Als könne er meine Gedanken erraten, meint er, ich solle doch bei ihm bleiben. Warum eigentlich nicht? So kommt es, dass ich die Nacht bei ihm und mit ihm verbringe und bin glücklich. Die andere Welt will ich nicht mehr betreten, aber das brauche ich gar nicht mehr, versichert er mir. Ich weiß, dass ich ihm das glauben darf, und an das Morgen brauche ich nicht mehr zu denken.
 

Ellen

Mitglied
Hallo Mira

Ich finde diese Geschichte sehr interessant,ein wenig beklemmmend teilweise,
und bis zum Schluss spannend erzählt.

Lg Ellen
 

Clara

Mitglied
Hallo Mira
Wenn ich so den Titel lese, die Seele des Gartens und dann diese rasende Hausfrau erfahre wie sie flucht, wütet und sehnsuchtsvoll und neugierig in des Nachbarsgarten schaut, dann wird mir ganz anders. Ich liebe Gartenarbeit aber ich bin kein Pedant.
Die verfluchte Hornbrille ist eine gute Metapher für Kurzsichtigkeit, nicht wahrnehmen, nicht einmal sich selbst erkennen – denn mit Haftschalen gings ja auf einmal. Mangelndes Selbstbild und das innere war irgendwie auch wertlos.
Eine arg unzufriedene Frau – sicher auch in anderer Hinsicht.
Zwei eigenartige Männer, den Pedanten der mehr als grob wird, den man eigentlich verlassen müsste. Dann jenen, der wie eine Skulptur im Garten liegt – ein Schönling – ein Nichtstuer -
ein Warmherziger, der das Leben leicht nimmt. (Au mann auch solche könnten mich auf die Palme bringen)
Erst zum Schluss – die Seele des Gartens – das ist nicht dieser Schönling, sondern der Genuss nach dem Schweiss – die Blumen, die Sonne – man sieht wofür man geackert hat. Es fehlt dennoch weiterhin die warme Hand, die das mit einem geniesst, auch wenn frau ganz krumm und verunzelt wirkt, schmutzig gar oder ihr die sorgsam gekämmten Haare ins Gesicht hängen.
Die Seele des Gartens – ich weiss nicht so recht – sie ist da, aber sie ist auch nur da, wenn wir sie wahrnehmen können.
Bin noch nicht ganz durchdacht nach diesem langen Text.
Kleine Korrekturen per Email ist mir zu müssig das noch rauszupflücken




Die Seele des Gartens

Ich hocke keuchend im Gras und entferne mühsam das verhasste Moos zwischen den Platten, die den Weg in unseren frisch geschorenen Rasen säumen. Mein Mann ist gerade dabei, den Jägerzaun auszubessern, was längst überfällig ist und die Thujahecke zu stutzen. Die Sonne tut
ihr übriges (WOZU? , der Schweiß trieft, und die Kinder weigern sich zu helfen.

Heute Mittag gibt es nur Salat, überlege ich mir, während ich mich aufrichte, weil mir der Kopf zu platzen scheint. Meine Brille fällt ins Gras, meine Wirbelsäule gibt ein gequältes Knacksen von sich. Ausgerechnet in diesem Augenblick läuft dieser Mensch den Weg entlang, er grüßt meinen Mann und winkt mir zu. Ich sehe aufgrund meiner starken Kurzsichtigkeit nur ein verschwommenes Etwas an mir vorbeilaufen und blicke ihm mit verkniffenem Gesichtsausdruck nach, bis dieser seltsame Schatten im Nachbarhaus verschwunden ist. Ich weiß, was jetzt kommt.
Es ist jedes Wochenende dasselbe, wenn die Sonne scheint. Grund genug für mich, den Garten zu verlassen um und sich um das Mittagessen zu kümmern. Mein Mann fängt an zu meckern, ich solle doch gefälligst noch das restliche Moos abkratzen, ob er denn in diesem Garten immer alles alleine machen müsse. Soll er doch; ich jedenfalls ertrage es nicht, die Blicke dieses Menschen auf meinem Rücken zu spüren. Vom Küchenfenster aus beobachte ich, wie sich dieser Mensch in die Sonne knallt. Er legt sich nackt in seine ungepflegte Wiese und hat ein Lächeln auf seinen Lippen, das ich von Tag zu Tag mehr hasse. Ich habe mir schon überlegt, dunkle Vorhänge für das Küchenfenster zu kaufen, um den Anblick dieses Menschen nicht mehr ertragen zu müssen. Meine Kinder halten mich deshalb für verrückt, mein Mann versucht mich zu beschwichtigen, wenn ich nach einem hysterischen Anfall fast anfange zu flennen (umgangssprachl).

Um das alles auf ein erträgliches Maß zu bringen, und um meine Nerven zu schonen, habe ich beschlossen, jedes Mal, wenn ich in der Küche zu tun habe und mein Blick unweigerlich auf diesen Menschen fällt, einfach meine Brille abzunehmen. Es ist die einzige Situation, in der ich Gott für meine Kurzsichtigkeit dankbar bin. Doch leider ist es damit nicht getan. Es ist nicht nur die entwürdigende Nacktheit dieses Menschen, die mich stört (ich bin mir sicher, er würde sich auch dann nackt in die Sonne legen, wenn ich nicht existierte). Was mich fast in den Wahnsinn treibt, ist allein der Gedanke an dieses abscheuliche selbstzufriedene Lächeln auf seinen Lippen, während er sich oft den ganzen Tag, ohne sich zu rühren, der Sonne hingibt. Seine weiße makellose Haut scheint mich regelrecht blenden zu wollen. Eine Haut, die nie bräunt, die sich nie verbrennt, dieser Mensch, der nie zu schwitzen scheint, er ist gebaut aus Porzellan. Er liegt im Gras, und ich schwöre, dass ich noch nie so was wie ein Sonnenschirm über seinem Körper gesehen habe. Ich habe noch nie erlebt, dass er sich mit einem Sonnenöl einreibt, seine Haut ist und bleibt makellos weiß, nie sind an ihr Pigmentflecken zu entdecken, er ist ein Mensch, der niemals bräunt (Wiederholung).

Mein Mann meint, dass ihm vielleicht seine üppig blühenden Rosen genug Schatten spendeten. Diese Argumentation lasse ich jedoch schlicht und einfach nicht gelten. Meist bricht aus mir unglaublicher Hass hervor, wenn ich mit solch einer irrationalen, im Tran daher geplapperten Begründung konfrontiert werde. Ich werfe meinem Mann vor, mich nicht ernst zu nehmen, ob er denn nicht einsehe, dass dieser Mensch und seine verdammten Rosen so nicht existieren können, wie ich es Wochenende für Wochenende gezwungen bin zu sehen.
Ein Mensch, der niemals schwitzt, verbrennt, bräunt, dürfe es nicht geben. Meist quellen mir die Augen fast aus dem Kopf, ich schreie mich immer heiser, bis ich schließlich so hässlich aussehe, dass mein Mann vorsichtshalber ein paar Schritte vor mir zurückweicht. Wahrscheinlich werde dieser Mensch nicht einmal von Mücken gestochen, tobe ich weiter, er könne sich nicht mal ein Bein brechen und vergiften lasse er sich auch nicht. Mein Mann schüttelt verständnislos den Kopf, zeigt mir einen Vogel und flüchtet mit der Heckenschere in den Garten zur Thujahecke. Ach, er soll sich doch zum Teufel scheren, er und seine Hecke. Das schreie ich ihm zwar nicht nach, aber ich wünsche mir jedes Mal, dass er sich bei der Schnippelei endlich einmal einen Finger abschneidet, damit unsere Thujahecke nicht immer die am besten rechtwinklig gepflegteste der ganzen Häuserzeile bleibt. (der Kontrast zwischen ungepflegt-makellos und Zwanghaft-bemakelt der beiden Männer ist bis hierhin schon gut dargestellt)
Irgendwann habe ich ihm das beim Essen ins Gesicht geschrieen, wobei er sich ganz fürchterlich an einer Kartoffel verschluckte. Die Kinder würgten schnell ihr Essen hinunter und verkrochen sich in ihre Zimmer. Daraufhin entbrannte ein längst fälliger Streit, und als mein Mann sich nach dem verdammten Essen tatsächlich in die Finger schnitt, redete er den ganzen Tag kein Wort mehr mit mir. Und an allem war und ist dieser unausstehliche Mensch schuld, der nie bräunt, nie schwitzt und nie einen Hitzschlag bekommt. (Sie ist aber ganz schön in Fahrt)

Ich stelle fest, dass es mich krankhaft ans Küchenfenster zieht und ich nur darauf lauere, wann dieser Mensch sich endlich rührt oder wann ihn endlich die Sonne ausgedörrt hat.(Kicher, ja) Doch ich sehe nur einen zufriedenen Menschen splitternackt im hohen Gras liegen, über ihm wunderbar rote Rosen, die anscheinend nie der Pflege bedürfen und die zu allem Überfluss penetrant süß duften. Was treibt er da? Warum legt er sich stundenlang ins Gras, hat er nichts Besseres zu tun? (ich denke gerade an eine Skulptur, die dort liegen könnte – eine Fata Morgana ihrerseits- Wunschgedanke) Mit Entsetzen registriere ich, dass er bis zur Abendessenszeit regungslos auf dem Rücken in seinem Garten liegt und mir vom Stehen am Küchenfenster die Beine angeschwollen sind. Die Zeit scheint stillzustehen, die Luft ist noch erfüllt vom Schnippeln der Heckenscheren oder vom Rattern der unzähligen Rasenmäher ringsum in der Nachbarschaft. Aus den Zimmern meiner Kinder ertönt gnadenlos das Hämmern und Bummern der Stereoanlagen, die nur dazu da sind, um ewig zu quälen. Wahrscheinlich wundern sie sich, dass ich nicht fluchend zu ihnen hoch stürme oder den Strom abschalte, was sofort ausgenutzt wird, um in Wettstreit mit den lautesten und ältesten Mähern zu treten. In der Häuserzeile gegenüber planscht ein Nachbar in seinem Privat-Miniswimming-Pool, der fast den ganzen Garten belegt, verdeckt von einer Fichtenhecke, bei der man unten durchglotzen (glotzen – Umgangssprache) kann.

Als es endlich anfängt, Abend zu werden, die Hitze minimal nachlässt, der letzte Mäher abgestellt ist und so nach und nach die Abendluft mit beißendem Grillrauch geschwängert wird, gebe ich es auf und lege meine geschwollenen Beine hoch. Aus den Augenwinkeln nehme ich gerade noch wahr, wie sich dieser Mensch aufrichtet, zufrieden gähnt und sich endlich in sein Haus zurückzieht. Ich atme auf und erst jetzt bemerke ich, wie lange ich regungslos aus dem Fenster gestarrt habe. Meinem Mann, der gerade noch den letzten leichtsinnigen (der ist eher beharrlich) Löwenzahn aus unserem Garten ausgestanzt hat, erzähle ich nichts davon. Ich gebe vor, erschöpft von der Arbeit zu sein, als er in die Küche tritt und mich verwundert fragt, was denn mit mir los sei. Ich dusche mich eiskalt und es gelingt mir nur schwer, einen Weinkrampf zu unterdrücken. Schließlich fange ich doch noch an zu heulen, weil ich die verdammte Hornbrille verlegt habe, ach, der Teufel soll sie holen. Natürlich bleibe ich auffallend lang im Bad, ich schäme mich meiner Tränen. Am liebsten würde ich sofort ins Bett gehen, aber es ist Wochenende und wir müssen leider grillen, denn der Sommer ist ja so schön und in der schlechten Jahreszeit kann man die Abende nicht annähernd so gut ausnutzen. Mein Mann ruft mich schon ungeduldig, er wirkt gereizt, wahrscheinlich weil die Kinder wieder unerwartet abgesagt haben!!!!! Welche denn noch? Oben sind Jugendliche und wir morgen leider noch Mal grillen müssen, damit wir nicht auf dem Fleisch sitzen bleiben. Die Luft im Badezimmer riecht schon nach Grill, und mir fällt gerade noch ein, die Fenster in unserem Schlafzimmer zu schließen, damit der Gestank uns nicht beim Einschlafen stört.
Ich schleppe mich zum Grill und versuche, eine gutgelaunte Miene vorzuspielen. Der Abend verläuft ganz nett, es gibt eine gute Flasche Wein, dann noch eine und je angeheiterter ich werde, desto kurzsichtiger werde ich. Doch nicht mal in diesem Zustand entgeht mir, dass sich wieder dieser Mensch in seinen Garten setzt. Er scheint sich wohl frisch geduscht zu haben. Seine braunroten Haare fallen feucht auf die Schultern, seine weiße Haut wird durch einen schwarzen Bademantel verdeckt, jedoch bleibt seine helle Brust entblößt. Das Licht aus dem Innern seines Hauses beleuchtet die Terrasse, auf der er mit einem Buch in den Händen in seinem Liegestuhl sitzt. Auf dem Tisch, der links neben ihm steht, flackern unruhig mehrere Kerzen. Ich werde hysterisch, als ich einen Knochenschädel auf dem Tisch zu sehen glaube. Mein Mann versucht mich zu beruhigen und versichert mir, dass ich ohne meine Brille nur Gespenster sehe und mir alles nur einbilde, ich solle nicht so schreien, man müsse sich meiner ja schämen, was sollen denn die Nachbarn denken. Er wird so wütend, dass er mir ins Gesicht schlägt und mich ins Haus zerren muss, da ich versuche, mit dem Grill um mich zu schmeißen. Unglaubliche Hassgefühle keimen in mir auf, ich verfluche lauthals diesen Menschen, der mein Gekreische nicht wahrnimmt oder nicht wahrnehmen will (der eigene oder fremde Mann?). Mein Mann versucht mir einen Apfel in den Mund zu stopfen, damit ich endlich aufhöre zu schreien. Er zittert am ganzen Leib, seine Schlagadern am Hals sind beachtlich geschwollen, er weiß nicht wie jetzt handeln, denn so hat er mich noch nie erlebt. Ich werde schließlich im Schlafzimmer eingesperrt, den Apfel schleudere ich geradewegs auf seine Nase, als er verzweifelt versucht, die Tür hinter sich zu schließen.
Was dann passiert ist weiß ich nicht mehr. Irgendwann muss ich mich wohl wieder beruhigt haben, wahrscheinlich bin ich sogar eingeschlafen. Das erste, was ich klaren Verstandes wahrnehme, ist ein Sonnenstrahl, der mir ins Gesicht scheint. Und das Erste, was mir an Gedanken durch den Kopf schießt, ist ein Schamgefühl und die Angst, dass dies ein ganz fürchterlicher Sonntag werden wird.
Mein Mann hat auf der Couch im Wohnzimmer übernachtet, er hat sich wohl nicht zu mir reingetraut. Sein Nasenbein wurde durch den Apfelschmiss gebrochen, in seinem Gesicht sitzt eine geschwollene Knolle (Unwahrscheinlich – der muss noch unreif sein). Er beachtet mich nicht, als ich die Treppe hinunter geschlichen komme. Über den weiteren Verlauf des Tages gibt es nicht viel zu erzählen. Wir sprechen kein Wort miteinander, er murmelt irgendwas von einer Irren, die ihn ruiniert hat, und die Kinder lassen sich nicht blicken. Die Sauerei im Garten, der umgeschmissene Grill, wird im Laufe des Tages aufgeräumt, ich glaube, heute müssen wir Gott sei Dank nicht mehr grillen.

In der kommenden Woche gelingt es mir, mich einigermaßen zu regenerieren. Ich schwöre mir, nie wieder einen Tropfen Alkohol anzurühren, solange dieser Mensch in meiner Nachbarschaft wohnt. Die Knolle im Gesicht meines Mannes schmerzt (ihn)noch, aber ich verspüre kein schlechtes Gewissen. Es wundert mich, wie gleichgültig mir das ist. Die Kinder lassen sich nie blicken, ihre Anwesenheit wird nur durch die Stereoanlage kundgetan. Am liebsten würde ich ihnen sagen, dass sie ruhig runter zum Fernsehen kommen können, denn ihre Eltern streiten sich nicht, ich verspreche, nie mehr zu schreien, ich bin ganz ruhig, gottlob.

Der Alltag geht weiter, nun, es wird eben sehr wenig gesprochen, um nicht zu sagen gar nichts. Eine weitere Veränderung ist, dass ich die Zeit, die ich normalerweise gelangweilt vorm Fernseher vergeudet habe, jetzt am Küchenfenster verbringe. Dabei versuche ich möglichst unauffällig zu sein, nachdem ein seltsamer Blick meines Mannes mich zur Wahnsinnigen erklärt hat. Oft muss ich viele Stunden lang warten, bis dieser Mensch ein Lebenszeichen von sich gibt, an manchen Tagen betritt er Garten überhaupt nicht Wenn die Warterei mir zu lange wird, verlasse ich das Haus und schleiche mit klopfendem Herzen am Grundstück dieses Menschen vorbei. Ich laufe mehrmals denselben Weg auf und ab, ganz langsam und glotze in den Garten wie ein behindertes Kind, so dass es mir fast peinlich ist. Meine Brille habe ich noch immer nicht gefunden, dementsprechend verkniffen muss ich aussehen, ich mag gar nicht daran denken. Aufgrund meiner schlechten Augen erkenne ich sowieso nicht allzu viel. Ich sehe viele Rosen, die prägen sich mir ein, viele bunte Tupfer in der Wiese, leider kann ich nicht erkennen, was das für Pflanzen sind, wahrscheinlich allerlei Wiesenblumen.
Nachdem ich mindestens acht Mal auf und ab gegangen bin und ich beim besten Willen nicht mehr entdecken konnte, gebe ich auf. Dabei fällt mir ein, dass ich nicht einmal den Namen dieses Menschen kenne, der mittlerweile mein Leben beherrscht. Bevor ich mich zurück ins Haus verkrieche, schlendere ich ganz zufällig an seiner Haustüre vorbei und berühre fast schon mit der Nasenspitze das Namensschild und lese irgendeinen Namen in gut leserlicher Schrift. Leider kann ich ihn mir nicht merken, ich vergesse ihn, bevor ich wieder mein Küchenfenster erreicht habe. Ich beschließe somit, das nächste Mal etwas zum Aufnotieren mitzunehmen. Jedoch erweist sich das auch nicht gerade als sehr erfolgreich, denn entweder ich vergesse aufs Namensschild zu schauen oder der Bleistift bricht ab. Als es mir endlich einmal gelingt, gleichzeitig das Namensschild zu lesen, einen leistungsfähigen Bleistift und Papier dabei zu haben, muss ich verdammt noch Mal den Zettel auf dem Rückweg verloren haben, denn zu Hause befindet sich in meiner Hand nur noch der Bleistift, diesmal gut angespitzt. Mich beschleicht der Gedanke, dass dieser Mensch mir seinen Namen nicht preisgeben will. Diese Vorstellung macht mich rasend, aber ich schlucke meine Wut hinunter und stehe öfter als zuvor am Küchenfenster. Ich ertrage es kaum, diesen Menschen nicht fassen zu können, dieses namenlose Wesen, das nicht so existieren darf, wie es sehe. Dieser Mensch verletzt Gesetze, die keiner verletzen kann. Ich verstehe ja nicht viel von Naturgesetzen, von Physik und solchen Sachen, aber ich habe immer an meinen gesunden Menschenverstand geglaubt. Zwar habe ich mich noch nie für auffallend intelligent gehalten, wozu auch als Hausfrau und Mutter von zwei Kindern, ich brauche dazu nicht viel von solchen Sachen zu wissen. Doch heute bezweifle ich das zum ersten Mal und ich bemerke, dass ich beginne darüber nachzudenken.
Ich kann es drehen und wenden wie ich will, ich finde keine Erklärung für diesen Menschen, der sich so lange sonnt wie er will. Nicht die Sonne bestimmt sein Liegen im Gras, nicht die UV-Strahlung, auch nicht der Lärm der Rasenmäher, nicht Hunger, nicht Durst, nichts, nichts, nichts, sondern nur er allein. Wenn er nicht will, dass ich seinen Namen erfahre, so werde ich ihn nie kennen. Ich könnte tausend Leute beauftragen, mir doch bitte beim zufälligen Vorbeilaufen den Namen auf ein Papierchen aufzunotieren... entweder sie werden es vergessen, der Bleistift wird ihnen abrechen oder der Kugelschreiber wird in den Gulli fallen, und falls mir glücklicherweise doch jemand seinen Namen auf dem Papierchen präsentieren würde, ich möchte schwören, dass ich dann augenblicklich das Lesen verlernen werde und zwar so lange, bis das verfluchte Papierchen verbrannt ist. Aber ich bin, glaube ich, viel zu müde, dies auszuprobieren. Ich begnüge mich somit lieber mit dem Starren aus dem Küchenfenster und stelle resigniert fest, dass es mich nicht wundern sollte, wenn sich dieser Mensch vor meinen Augen in einen großen schwarzen Vogel verwandelte, um mir beim Spionieren auf den Kopf zu kacken.

An jenem Abend, an dem der Alltagstrott dadurch unterbrochen wird, indem die Familie wieder ein paar Worte miteinander wechselt, erwähne ich bei Tisch, dieser Mensch nebenan sei ein Hexer. Mein Mann verschluckt sich daraufhin ganz fürchterlich an einer Kartoffel, die Kinder beginnen plötzlich, das Essen hinunter zu würgen. Anscheinend schmerzt ihn die Knolle im Gesicht immer noch, denn er verzieht das Gesicht, als er irgendwas von psychiatrischer Behandlung redet, von verrückt und davon, dass einem dieser Mensch nebenan mittlerweile leid tun kann. Er wolle mich ins Haus sperren, wenn ich jetzt nicht sofort mit diesem Theater aufhöre. Also schweige ich lieber und verstopfe meinen Mund mit Kartoffeln, bevor er Ernst macht. Ich sage zur Beschwichtigung etwas später, ich habe das nicht wortwörtlich gemeint, es sei mir nur so rausgerutscht. Als Antwort erhalte ich ein Schweigen, wahrscheinlich glaubt mir keiner mehr, was mir nicht ganz recht ist.
Ich habe mich entlarvt, ich muss vorsichtiger werden mit dem, was ich von mir gebe. Zwanghaft versuche ich, diesen Menschen meiner Familie gegenüber nie mehr zu erwähnen, es glaubt mir ja doch keiner, also ist es besser, er bleibt mein privates Studienobjekt. Vor ihm selbst muss ich mich nicht verstecken, denn wenn er nicht will, dass ich an seinem Garten vorbei schleiche, so wird er es zu verhindern wissen. Aber wahrscheinlich ist es ihm egal… wenn er überhaupt zu Hause ist. Hin und wieder reizt mich der Gedanke, ihm ins Wohnzimmer zu schauen, scheue mich aber davor. Mein abnormes Verhalten ist sicher schon mehreren Hausfrauen in der Nachbarschaft aufgefallen, und ich träume nachts schon von bösen Gerüchten aus ihren Mäulern, die steif und fest behaupten, mich bei innigster Umarmung mit ihm im grell erleuchteten Schlafzimmer beobachtet zu haben. Ein Gerücht, das schlimmstenfalls meinem Mann zu Ohren kommen könnte. Ich mag gar nicht daran denken.
Weswegen ich mich jedoch am meisten scheue, ihm ungeniert ins Zimmer zu glotzen, ist die Angst, seinem Blick zu begegnen. Er würde mir wahrscheinlich zuwinken (er grüßt mich eigenartigerweise immer winkend, wenn wir uns auf der Straße begegnen) und ich hingegen würde ihm verkniffen zunicken, wenn ich unglücklicherweise an jenem Tag meine Hornbrille wieder verlegt haben sollte. Daran mag ich ebenfalls nicht denken. Ein Gedanke, der mich in meinen Träumen quält. Nun, selbst mit Hornbrille wollte ich nicht seinem Blick begegnen müssen, denn dann sähe es so aus, als säße ein nickender Maulwurf auf dem Fenstersims. Ein Grund, mich plötzlich abgrundtief hässlich zu finden und heimlich nachts in mein Kissen zu weinen. Natürlich tröste ich mich damit, dass mein Mann sich bestimmt nicht daran stört, jedoch hauptsächlich deshalb, weil es ihm egal ist. Wenn mir derlei durch den Kopf geht, drehe ich mich zu ihm um, betrachte die immer noch geschwollene Knolle, weswegen er unbarmherzig schnarcht und fühle mich plötzlich so unglaublich einsam. Ich beschließe, dem abzuhelfen, indem ich mir Kontaktlinsen verschreiben lassen will. Um den Beschluss zu bestärken, zerstöre ich die Brille mit einem Hammer. Was mein Mann dazu sagen wird, ist mir so unglaublich egal. Ich will schön sein. Mir wird mulmig bei dem Gedanken, für wen ich schön sein will (ja, auch im Text stellt sie sich auf, wie eine Wetterhexe, hässlich, runtergearbeitet und freudlos). Ich schelte mich selbst, denn ich meine, mein Verhalten mittlerweile nicht mehr vor mir rechtfertigen zu können. Aber das weiß nur ich und dieser Mensch, nehme ich an. Es ist unser Geheimnis und ich sehe nicht mehr aus wie ein Maulwurf.



Mit meiner neuen Errungenschaft ist es mir zum ersten Mal seit langer Zeit wieder möglich, in den Spiegel zu schauen und mein Gesicht klar und ohne Hornbrille zu erkennen. Normalerweise ist es nicht meine Gewohnheit, mich selbst zu betrachten, vielleicht, um zu sehen, ob die Haare richtig sitzen oder ich einen verschmierten Mund habe. Doch jetzt starre ich regelrecht mein Spiegelbild an und muss ununterbrochen lächeln. Darüber, weil ich meine, schon lange nicht mehr gewusst zu haben, was es bedeutet, in einen Spiegel zu schauen und darüber, weil ich nicht mehr verkniffen grüßen muss, so ganz ohne Hornbrille. In dieser guten Laune sehe ich mich natürlich gezwungen, dem Ganzen noch die Krone aufzusetzen, indem ich mein teilweise vertrocknetes Make-Up aus der Schublade krame und das Blau meiner Augen hervorhebe. Ich schminke meine Lippen zartrosa und bekomme vor Glück rote Wangen. Zur meiner Freude muss ich feststellen, dass ich sehr dichtes Haar habe, das nur eine einzige weiße Strähne aufweist. Natürlich frage ich meinen Mann, ob er mich schön findet. Er grunzt verlegen, murmelt irgendwas vor sich hin, aber sonst verhält er sich so, als ob er das Wort "schön" nicht kennt. Nun, etwas anderes habe ich auch nicht erwartet. Wenn ich mein Geheimnis nicht hätte, wäre ich jetzt verletzt, würde mir verschämt das Make-Up abwaschen, schlimmstenfalls mir die Hornbrille zurückwünschen. Doch mein Geheimnis gibt mir Kraft, die zerstörte Brille aus dem Abfalleimer zu kramen und nochmals mit dem Hammer darauf herum zu schlagen, bis sie pulverisiert ist, endgültig. Verrückt, wenn ich bedenke, dass mein Geheimnis nur darin besteht, diesem Menschen ins Wohnzimmer schauen zu wollen. (die Brille, die Kurzsichtigkeit sind eine gute Metapher für ihr Benehmen – für ihren Wahn, die Welt nicht richtig wahrzunehmen)
Damit jedoch keiner Verdacht schöpft, zwinge ich mich, vom Küchenfenster fernzubleiben. Es fällt mir schwer, sehr schwer. Als ob dieser Mensch das wüsste, verzichtet er neuerdings an den Wochenenden auf sein Sonnenbaden, manchmal regnet es auch, Gott sei Dank. Doch ich frage mich, wer schon hinter mein kleines Geheimnis kommen sollte. Ich bin unglaublich froh, dass keiner meine Gedanken lesen kann, abgesehen von diesem Menschen wahrscheinlich, denn ich träume mittlerweile recht oft von ihm. Nichts Großartiges, in meinen Träumen steht er unter seinen Rosen, riecht daran und liegt meistens im hohen Gras und sonnt sich auf seine übliche Art, eigentlich recht langweilig, nichts Ungewöhnliches. Einmal winkt er mir im Traum zu, so, wie er es immer macht, wenn wir uns flüchtig auf der Straße begegnen. Ich grüße freundlich zurück und bringe in der Tat ein unverkrampftes Lächeln zustande, denn ich muss nicht mehr meine Augen zusammenkneifen und kann ihm klar ins Gesicht schauen. Er scheint sich darüber sichtlich zu freuen, so, als sei das sein Werk. Diese Tatsache löst in mir ein unbehagliches Gefühl aus, aber nicht lange, sagen wir, ich fühle mich dadurch eher geschmeichelt. Nun, gut, dass wahrscheinlich außer ihm keiner meine Gedanken lesen kann.

In einen meiner nächsten Träume winkt er mir nicht zu, er winkt mich zu sich her. Ich schreie ihm über unseren ausgebesserten Jägerzaun zu, ob er denn jetzt nicht zu weit gehe. Er schüttelt lachend den Kopf und sagt, was sei denn schon dabei, wenn ich mir seinen Garten mal aus der Nähe ansehe, denn offenbar sei ich eine große Verehrerin seiner Rosen, ich laufe schließlich oft genug an seinem Garten vorbei, das sei ihm nicht entgangen. Ich laufe rot an und will mich entschuldigen, doch er meint, das mache doch nichts, wie es denn wäre, wenn ich morgen Mittag mal bei ihm vorbeischaue, er würde sich freuen. Mir stockt der Atem und ich japse wie ein Fisch an Land nach Luft. Ich presse hervor, ob er das nur im Traum so meine oder ob ich morgen wahrhaftig vor seiner Tür stehen solle. Seine Antwort ist, er wolle mich wahrhaftig sehen, und er verschwindet in seinem Haus. Ich will ihm noch irgendwas entgegnen, ich wache jedoch just in diesem Moment auf. Es ist noch dunkel draußen, also drehe ich mich zur Seite und versuche weiterzuschlafen, was mir auch tatsächlich gelingt. Der Rest der Nacht verbleibt aber traumlos, jetzt liegt die Entscheidung an mir, was nun geschehen soll. Mir fällt siedendheiß ein, dass morgen Mittag niemand bei uns zu Hause sein wird. Die Kinder haben Nachmittagsunterricht, mein Mann ist um diese Zeit sowieso im Büro. Ich werde mir also nicht einreden können, dass es unmöglich ist, sich unbemerkt aus dem Haus zu schleichen. Es gibt keine Ausrede. Erfände ich eine, so würde er es bestimmt merken und das wäre mir unendlich peinlich, ich will ihn auf keinen Fall verletzen. Was bleibt mir also anderes übrig, den Mittag abzuwarten?
Hm, diese Einladung den Garten aufzusuchen kommt mir zu plätschernd daher – entweder sie hat wirklich den Wahn, oder der Text müsste ein bisschen deutlicher werden – schliesslich ist das ein lang ersehntes Ereignis, auch wenn ihr wohl noch nicht klar ist, welches Verlangen eigentlich in ihr schlummert.

Je näher die Mittagszeit heranrückt, desto lauter klopft mein Herz und Zweifel quälen mich. Ich frage mich plötzlich, weshalb ich diesen Menschen fast schon unverschämt beobachtet, ausspioniert und verfolgt habe. Warum hat mich sein Sonnenbaden so aufgeregt? Schmerzhaft erinnere ich mich an den umgeschmissenen Grill, an meine hysterischen Anfälle, an das gebrochene Nasenbein meines Mannes. Was ist, wenn alles nur eine Ausgeburt meiner unzufriedenen Hausfrauenseele ist, dieser Mensch mich im Grunde verachtet, weil ich ihn penetrant durchs Küchenfenster beobachte? Er muss es doch bemerkt haben, und vielleicht hat er sich mit Absicht den ganzen Tag nackt gesonnt, um mich zu schocken. Ich male mir aus, wie er seinen Freunden erzählt, was für engstirnige, bescheuerte Nachbarn er hat. Vor allem die Frau mit der Hornbrille gafft ihm den ganzen Tag in den Garten, am liebsten würde er ihr mal die Meinung sagen, was die sich überhaupt einbildet, dieser verkniffene Maulwurf. Ich stelle mir vor, wie seine Freunde lachen, wenn er mich nachäfft. Vielleicht trägt einer seiner Freunde auch eine Hornbrille, die nimmt er sich dann, setzt sie sich auf und fängt dermaßen an zu lachen, dass es ihm nicht ganz gelingt, mich nachzumachen, dennoch gröhlen alle und aus Versehen werden ein, zwei Weingläser umgestoßen.
Mir wird speiübel bei dem Gedanken und die Tränen schießen mir in die Augen, fast werden meine Kontaktlinsen rausgewaschen. Meine Schminke rinnt mir in jämmerlichen Bächen die Backen!!!bis dahin? runter. Ich fange an zu schluchzen wie eine Frau, die gerade von ihrem Mann verlassen worden ist, so ähnlich fühle ich mich auch. Irgendwann versiegen die Tränen, aber mein Mut ist auf dem Nullpunkt geblieben. Um jedoch weiterexistieren zu können, um einen berechtigten Grund aufrechterhalten zu können, die Hornbrille pulverisiert zu haben, bleibt mir nichts anderes übrig, als mich unbedingt zusammenzureißen. Ich rotze meine Nase frei, entferne die Schminke in meinem Gesicht und male alles noch mal auf, ich habe keine andere Wahl.

Schließlich denke ich, dass die Zeit gekommen ist, mein Herz klopft wie wild, und ich glaube, so etwas wie Lampenfieber zu haben. Sicherheitshalber werfe ich noch einen Blick aus dem Küchenfenster, aber im Garten ist niemand zu sehen, was mir auch nicht weiterhilft. Es bleibt mir somit nichts anderes übrig, als aus dem Haus zu gehen, hinter mir schlägt die Tür zu, wobei mir einfällt, dass ich die verdammten Schlüssel vergessen habe. Ich atme tief durch, und ich weiß nicht wie ich es schaffe, plötzlich vor der Haustür dieses Menschen zu stehen. Ich schließe die Augen, drücke den Klingelknopf und ich warte auf so eine Art großen Knall. Das Erste, was natürlich vor dem Knall passieren wird, ist, dass er die Tür öffnet, was dann auch geschieht. Er grüßt mich freundlich, schön, dass ich gekommen sei. Ich druckse irgendwas daher, laufe rot an und nehme seine mir dargebotene Hand an. Sie ist trocken und ganz warm. Ich zwinge mich, ihm ins Gesicht zu schauen, aber er macht es mir leicht, da er warme braune Augen hat. Es stört mich nicht, dass sein Gesicht, genauso seine warme Hand sehr hellhäutig sind, ich meine keinen Widerspruch zur Sonne darin zu entdecken. Ich lache befreit auf, als sei es das Normalste auf der Welt. Er blickt mich derart an, als ob er genau wüsste, was in mir vorgeht, aber auch das scheint plötzlich zur Normalität zu gehören. Ich solle mir doch seine Rosen ansehen, sagt er, während er mir seine Hand auf die Schulter legt und mich hineinbittet.
Ich druckse immer noch herum, ich habe bis jetzt noch kein vernünftiges Wort herausgebracht, aber ich strahle und kann mich gar nicht recht beruhigen, es ist mir fast schon peinlich. Wie gerne würde ich ihm sagen, wie bescheuert ich mich aufgeführt habe, wie viele Stunden ich wie eine Irre am Küchenfenster verweilt bin, dass es mir nie gelungen ist, seinen Namen zu merken, aber den will ich auf einmal gar nicht mehr wissen, denn der ist nebensächlich. Die Gedanken sind da, aber so wirr, dass ich aufgeben muss, sie in Worte zu packen. Ich schnappe nach Luft, aber kein Laut kommt mir über die Lippen. Er lächelt mich nur an, ganz warm, schüttelt den Kopf und legt mir die Hand auf den Mund. Er meint zu mir, ich solle nicht zu viel auf einmal sagen wollen. Ich nicke und tatsächlich beruhige ich mich.

Die ersten Worte, die ich zu ihm sage sind belanglos. Doch dann, ich weiß nicht warum, fällt mir die pulverisierte Hornbrille ein und prompt erzähle ich die Geschichte, wobei ich mir am liebsten die Zunge abbeißen würde. Ich sähe schön aus, sagt er daraufhin ganz ernst, streicht mir die weiße Haarsträhne aus dem Gesicht und schaut mich lange an, bis ich seinem Blick nicht mehr standhalten kann. Er sagt das in einer Art und Weise, als habe es eine Hornbrille nie gegeben, als kenne er den verkniffenen Maulwurf nicht, als sei alles nur ein Traum gewesen, aus dem er mich geweckt hat. Er lächelt mich an, ich solle ihm in den Garten folgen.
Es ist das erste Mal, dass ich diesen Garten nicht versteckt hinter der Hecke anschaue. Um wie vieles deutlicher sehe ich jetzt die vielen bunten Blumen in der Wiese, ich erkenne an ihnen jedes Detail, ich habe nie gewusst, das sie so zart sind. Vielleicht sind die Kontaktlinsen besser als die Hornbrille, ich weiß nicht woran das liegt, vielleicht, weil ich mich so freue, vielleicht, weil ich seine warme Hand immer noch auf meiner Schulter spüre, er ganz nah bei mir steht und der Duft der Rosen mich regelrecht betäubt. Es überkommt mich der Wunsch, mich in diese Wiese zu legen und mich zu sonnen. Ich sage ihm das, und er erwidert, ich solle mir keinen Zwang antun. Wir ziehen uns aus und legen uns nebeneinander ins Gras, ich weiß nicht, was in mich gefahren ist. Ich liege rücklings in der Wiese und nehme die kleine Wiesenwelt in mich auf. Gedanken an eventuell entsetzte Nachbarn oder an meinen Mann, der statt meiner durch das Küchenfenster schauen könnte, sind unendlich weit entfernt.

Es existieren nur er, die Rosen, die Wiese. Ich spüre eine wunderbare Kraft in mich einströmen, die Sonne kann mich nicht verbrennen, ich werde weder Durst verspüren noch schwitzen. Dafür brauche ich keine Erklärung, die ist plötzlich unwichtig geworden, und ich will nicht fragen. Stattdessen sage ich zu ihm, dass ich ihn liebe. Jedoch nicht in der Art und Weise, wie eine Frau es einem Mann sagt oder vielleicht doch? Ich liebe diese kleine Welt hier, ihn, die Sonne, seine weiße Haut, den Duft. Wir sind das Licht, die Wärme. Die Sonne versengt uns in dieser kleinen Welt die Haut nicht, weil es seine Sonne ist. Es ist nicht die Sonne, die mich samstags im Garten schwitzen lässt, nicht die Sonne, vor der wir uns stöhnend verstecken, nur, um sie abends im beißendem Fettdunst wegzugrillen. Sie ist eine Sonne, die nur für ihn und mich scheint, keine Sonne für Rasenmäher, Thujahecken und Schnippelscheren. Seine Rosen bedürfen der Pflege nicht, weil es seine sind, sie liegen in seiner Seele, seine Seele offenbart sich in ihnen. Er braucht sie nicht zu stutzen, genauso wenig, wie er seine Seele bearbeiten muss. Er liegt in sich ruhend, fest in seiner Welt verankert, die er mir jetzt vorlegt.

Wir liegen regungslos im Gras bis die Sonne untergeht. Ich fühle mich entspannt wie noch nie, als ich mich erhebe und strecke. Jetzt habe ich genau dasselbe Lächeln auf meinen Lippen, das ich vor einiger Zeit an ihm immer gehasst habe. Überrascht stelle ich es fest und sage es ihm. Er lächelt nur, steht auf und geht ins Haus, ich folge ihm.
Da fällt mir der vergessene Schlüssel ein und dass ein paar Meter weiter eine ganz andere Welt existiert. Als könne er meine Gedanken erraten, meint er, ich solle doch bei ihm bleiben. Warum eigentlich nicht? So kommt es, dass ich die Nacht bei ihm und mit ihm verbringe und bin glücklich. Die andere Welt will ich nicht mehr betreten, aber das brauche ich gar nicht mehr, versichert er mir. Ich weiß, dass ich ihm das glauben darf, und an das Morgen brauche ich nicht mehr zu denken.




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Ohne das Auge kann der Geist nicht dichten.
Peter Meinke
 

Mira

Mitglied
Hallo Clara,
vielen Dank für deinen Kommentar. Ich habe die Geschichte geschrieben, da hatte ich selbst noch keinen Garten. Ich war Studentin, musste aufs Diplom lernen und rings um mich herum plagten sich die Nachbarn mit Mähen, Schneiden, Löwenzahnausstechen etc., dass ich den Eindruck hatte, sie hassten diese Arbeit. Die Rasen waren kurzgeschoren und wehe, wenn dem Nachbarsjungen der Ball rüberflog. Die Frau mit der Hornbrille ist nicht erfunden, sie war meine Nachbarin. Jetzt sind ihre Kinder aus dem Haus und der Garten ist noch pedantischer. Ich wohne schon lange nicht mehr dort, habe jetzt selbst einen Garten (steche sogar an manchen Stellen den Löwenzahn aus)und habe schon wieder Nachbarn, die besorgt über meinen Zaun schauen, weil es ihnen bei mir zu wild ist. Wieder steckt dahinter eine verkniffene Hausfrau, die kaum grüßt und uns heimlich das Abwaschwasser über die Hecke kippt. Was soll man dazu sagen? Ich bin jetzt auch Hausfrau (muss nicht für immer sein), habe drei Kinder und einen Garten. Aber ich kann mir nicht vorstellen, jemals so zu enden.
Liebe Grüße
Mira
 

Clara

Mitglied
es gibtnicht umsonst viele Gerichte die sich mit Nachbarschaftskämpfen auseinandersetzen.

Es gibt Gartenbesitzer, die ihren Garten als Anlage betrachten - im Sinne von Anlageberater

Es gibt Gartenbesitzer, die sich nur an der Natur erfreuen -
Es gibt Gartenbesitzer, die sich mal körperlich austoben wollen -
Es gibt Gartenbesitzer, die möchten auf dem was ihnen gehört, ihren Besitz ausmacht, auch ohne Regeln das tun, was man anderswo nicht darf.

Die Liste liesse sich wohl endlos fortführen.

Was für eine Lärmbelästigung wenn man am studieren ist...
Es gibt Gartenbesitzer, die immer von sich hören machen... :)
 



 
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