Die Selbe

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strumpfkuh

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Habe heute nach etwas gesucht, dabei alle Schränke durchwühlt und zwar nicht gefunden wonach ich gesucht habe, aber irgendwo ganz oben, ganz hinten in einem Schrank etwas Anderes, ein kleines Buch voller Gedichte aus meiner Jugend entdeckt. Es stand ein Datum auf der ersten Seite, ich errechnete, dass ich 17 Jahre alt gewesen war, als ich es schrieb. Heute bin ich nochmals 17 Jahre älter, und dieser Zufall hat mich in meinem Suchen nach dem Anderen innehalten lassen. Ich habe statt dessen diese Gedichte von vor, wie mir scheint Ewigkeiten, gelesen, und ich war ganz überrascht, denn sie waren nicht schlecht.

Ich habe in diesem Buch einen Menschen wiedergefunden, den ich vor langer Zeit einmal gut gekannt habe. Ich habe auch einen Menschen wiedergefunden, mit dem ich selbst damals sehr unzufrieden gewesen bin, den ich aber heute, wenn ich seine Gedichte lese, ja geradezu bewundere, denn er war unglaublich fähig zu fühlen. Und noch mehr als das, er konnte seine Gefühle sogar in Worte fassen, frei von der Angst, schwülstig zu klingen oder sentimental oder sonst was. Er konnte noch träumen, bunte Träume, bunte Träume von einer bunten Welt.
Es hat mich neidisch werden lassen.
Jahrelang habe ich dieses Buch nicht mehr gelesen. Hatte es in Erinnerung als unreife Worte eines unreifen Menschen und fühlte mich so viel besser, so viel erfahrener, so viel wissender, so erhaben gegenüber dieser kindlichen Person.
Und so ist es wohl wirklich.
Trotzdem haben die Worte mich bewegt. Meine eigenen Worte über Träume, die ich lange schon vergessen habe.
Wovon träumt ein 17 jähriges Mädchen wohl schon?
Von der grossen Liebe natürlich.


"Wie schön ein Kuss sein kann. Seine weichen Lippen mit leichtem, zärtlichem Druck auf den meinen. Wie gierig, wie hungrig, ich nach seinen Lippen war. Einfache zärtliche Küsse, niemals vorher habe ich einen Kuss so empfunden, wie heute abend.“

„Liebe, es ist wunderschön. Wie ein Sturm kam es über mich, und der Blitz traf mich mitten ins Herz. Der Wind nahm mich mit sich, und im siebten Himmel erwachte ich aus tiefster Bewusstlosigkeit und sah sie- die Liebe.“


Was für Gefühle! Denke ich heute. Eifersüchtig auf damals? Vielleicht ein bisschen. Aber eigentlich doch erleichtert, dass all die Jahre, die Erfahrung, die Hormone oder was auch immer, dafür gesorgt hatten, dass ich endlich auch sogar die Liebe rationaler betrachten konnte. Was will ich denn heute noch mit grossen Gefühlen? Ich bin doch froh jemanden lieben zu können, ohne ihn gleich mit Haut und Haaren fressen zu wollen. Heute träume ich doch kaum mehr davon, jemanden so zu begehren, dass ich ohne ihn nicht mehr leben könnte. Will doch eher unabhängig und selbstbewusst sein, sogar innerhalb einer Beziehung. Bin doch schliesslich auch emanzipiert und eigenständig. Und stolz darauf! Oder etwa nicht?

Wovon träumt ein 17 jähriges Mädchen noch? Davon, die Welt zu verstehen.


„Der Mensch weiss erst
was es bedeutet zu Sehen
wenn er blind ist
was es bedeutet zu Hören
wenn er taub ist
was es bedeutet zu Gehen
wenn er gelähmt ist
Merken wir immer erst zu spät
Dass wir glücklich waren?“


„Die Stärke der Jugend
liegt in ihrem Idealismus
Die Stärke der Erwachsenen
In ihrer Genügsamkeit.“

Die Worte von damals zeigten mir, dass ich heute nicht viel mehr verstand als vor so vielen Jahren. Ich habe nur gelernt, mich anzupassen.





„Die beste Eigenschaft des Menschen
ist sein Anpassungsvermögen
wie sonst sollte er mit seiner schlechtesten
der Unzufriedenheit
leben können?“

Bin ich denn gar tatsächlich unzufrieden?




"Habt ihr so zufriedenen Menschen
die ihr immer wisst, was ihr wollt
wer ihr seid und wofür ihr lebt
Habt ihr schon einmal weinen müssen
vor Glück, nur weil ihr leben dürft?“

Das ist tatsächlich lange her. Ich nehme an fast 17 Jahre. Aber ich bin froh darüber, wer will denn schon weinen? Wer will denn schon mit 34 Jahren noch träumen von der perfekten Liebe, oder den perfekten Menschen?
Ich bin doch schon froh, wenn ich mich nicht verliebe in irgendeinen, schliesslich bin ich verheiratet und möchte nicht auf dumme Gedanken kommen. Dumme Gedanken!
Bunte Träume waren das. Von einem Menschen am Anfang seines Lebens. Heute bin ich mittendrin und weise. Zufrieden stehe ich über solchen Gefühlen.



„Individuell ist
wer über die Ziele der Gesellschaft
nicht seine eigenen
und übe die eigenen Probleme
nicht die der Gesellschaft
vergisst.“

Genau. Genau so bin ich. Habe ich also doch irgendwie meine Träume erfüllt.

„Der Weg zu sich selbst
ist wie ein Puzzle
das man zusammen setzt
um ein Bild zu erkennen.“

Jawohl. Da bin ich einen grossen Schritt vorwärts gekommen. Ich kenne mich gut. Heute. Und ich bin stolz darauf.



„Erwachsen zu werden heisst
sich festzulegen
Erwachsen zu werden
heisst auch
aufgeschlossen zu bleiben
Erwachsen zu werden ist eine Utopie.“

Naja, ich denke, ich habe einen guten Mittelweg gefunden.



„Wer einmal so glücklich war
wie ich
so überschwenglich glücklich
so voller Liebe
von Kopf bis Fuss
so voller Liebe
zu einem Menschen
und zu der ganzen Welt
Wer einmal so glücklich war
wird mit dem Alltag
nicht mehr zufrieden sein.“

Doch. Doch ich bin mit dem Alltag zufrieden. Ich will diese Liebe gar nicht mehr. Diese grossen Träume, die machen nur krank. Krank vor Sehnsucht. Ich will sie nicht mehr.



„Auf der Suche nach Liebe
habe ich nach so viel Regen
endlich die Sonne entdeckt
wie lange wird es noch dauern
bis ich den Regenbogen finde?“

Ich habe den Regenbogen gefunden. Ich denke schon. Es ist zwar nicht immer die riesengrosse Liebe, aber wir verstehen uns gut. Ich liebe ihn mit jedem Tag ein wenig mehr. Es sind jetzt auch schon über 11 Jahre. Das ist eine lange Zeit. Aber davon hattest du, die 17 Jährige, keine Ahnung, von der Liebe mit der Zeit. Die Gewohnheit. Es ist auch eine grosse Form der Liebe. Wenn auch nicht so romantisch, gefühlvoll, wie du vielleicht glaubtest.
Deine grossen bunten Träume sind zwar vielleicht etwas verkümmert, vielleicht sogar nur noch schwarz- weiss, aber dafür tun sie auch nicht mehr so weh. Und ich weiss, denn ich war es ja selbst, die da geträumt hat, diese Träume tun weh. Sie tun verdammt weh, weil sie immer irgendwie unerfüllt bleiben, weil sie unerfüllbar sind, weil man sie eigentlich gar nicht erfüllen will, denn was wären die Träume ohne die Sehnsucht? Wer also träumen will, muss die Sehnsucht aushalten können. Und da wähle ich doch heute lieber die Zufriedenheit. Meistens. Ein kleines bisschen Sehnsucht bleibt dabei erhalten. Aber das wusstest du ja auch schon, als du schriebst:

„Zufriedenheit ist
Erinnerungen nicht nach zu hängen
sondern sie als schöne Erfahrungen
in sich zu behalten.“

Und so behalte ich meine bunten Träume in mir, auf dass ich sie niemals ganz vergesse.
 
R

rilesi

Gast
oh

hallo s.

danke für den interessanten einblick es tut mir gut es zu lesen. vielleicht hast du noch mehr solche einträge auf lager?


lg, von rilesi
 



 
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