Die Spinne

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Alpha

Mitglied
Die Spinne

Ich bin ein Mörder.
Jawohl.

Ich habe gemordet, und das nicht einmal ohne Gewissen. Es tat mir das Herz weh, mein Gewissen schrie, und ich habe dennoch meine abscheuliche Tat zu ende geführt. Dabei fing doch alles ganz harmlos an.
Ich wollte ins Bad, blieb aber schon vor lauter Entsetzen in der Türschwelle stehen und starrte auf die Dusche mir gegenüber. Da saß sie, ganz still und friedlich. Eine große, schwarze Spinne, und mich ergriff sofort ein tiefes Ekelgefühl, wie es den meisten Menschen bei einem solchen Anblick ergeht. Ich stand immer noch in der Tür und rührte mich nicht. Ob sie wohl zucken, gar die Flucht ergreifen würde, wenn ich mich bewege? Mich schauderte. Aber dann ging ich doch auf sie zu, und es war nicht der Mut, der mich führte, sondern die Gedanken des Mordes. Ich wollte sie vernichten, mit ihr das Ekelgefühl austreiben.
Doch ich stand noch ein wenig an der Dusche, betrachtete mein Opfer, das da so friedlich und nichts ahnend im Duschbecken ruhte. Sie war nicht einmal dick, wie so viele eklige Spinnen. Ich würde sogar behaupten, für eine Spinne hatte sie eine richtig tolle Figur, sportlich und wohlgeformt und so... Die Beine ,passend zum Körper, nicht zu dick und nicht zu lang, hielten den Körper in ruhiger Schwebe und verliefen geschwungen bogenförmig zum Boden. Auf dem Körper eines feines Muster, soweit ich das erkennen konnte (so lange betrachtete ich die Spinne nun auch wieder nicht). Aber augenblicklich waren meine Gedanken wieder bei meinem Plan, ich hatte den Duschkopf fest im Auge.
Würde sie jetzt weglaufen? Wenn ich mich leicht über sie beuge, um nach dem Duschkopf zu greifen? Schließlich stand ich verdächtig nahe am Duschbecken, sie wäre im Nu bei mir, mit ihren kleinen, flinken, sportlichen Beinen.
Doch ich hoffte auf ihre Beinchen, dass sie sie nur weit genug an ihren Körper ran ziehen konnten! Wie sollte sie sonst durch eines der Löcher im Abfluss passen, war sie doch selbst schon so groß wie der Abfluss?
Vorbei mit dem Denken, mein Ekel drängte zur Tat, ich griff nach dem Duschkopf, zog den Griff der Wasserhahns hoch und zielte auf das schwarze Tier.
Sie reagierte, wie ich es erwartet hatte, und zog brav ihr Beinchen an. Wie klein sie auf einmal war.
Ich zielte mit dem Duschkopf, so dass der dünne Wasserstrom im Duschbecken die Spinne zum Abfluss drängte - und schwups! da lag sie drin. Aber in eines der Löcher passte sie noch nicht. Noch nicht. Ich ließ das Wasser nun direkt in den Abfluss regnen, und schon im gleichen Augenblick
war das Tierchen völlig mit Wasser bedeckt. Nur eine Frage der Zeit, bis es sie durch das kleine Loch drücken würde. Ha! Das war’s passiert, weg war sie! Ich schwenkte den Duschkopf ab, machte das Wasser aus. Aus dem Abfluss kamen Luftbläschen. Luftbläschen kamen doch sonst nie, dachte ich. War sie weg? Oje, mir wurde bang! Was sah ich da? Kleine schwarze Beinchen kamen zum Vorschein, tasteten aus dem Loch, krallten sich fest, wo eigentlich nichts zum Festhalten war. Und da war sie wieder. Aufgetaucht und nass glänzend, die kleine Spinne mit ihrem unglaublichen Lebenswillen. Ein Schauer ergriff mich erneut, und mein Ekel schien einen neuen Höhepunkt zu stürmen, wie sie da wieder aus dem Loch gekrochen kam.
Ich handelte schnell, bevor sie auf eine trockene Stelle im Duschbecken flüchten konnte - Wasser an! Immer drauf halten, genau auf den Abfluss, genau auf das kleine Tier im Abflussloch. Und wieder zog sie sich blitzschnell zu einem kleinen, lebenden Bällchen zusammen. Es dauerte nicht lange, da wurde sie wieder durch die Wassermassen hinab gedrückt. Und wieder stießen Luftblasen hinauf, und ich hielt den Wasserstrahl noch lange auf das Abflussloch, völlig starr vor Angst, sie würde noch einmal auftauchen. Heißes Wasser musste es nun sein! Ich musste mir ja sicher gehen, ich musste meinen Plan sorgfältig und gewissenhaft ausführen, und das bedeutete: Weg mit der Spinne! Ob tot oder lebendig! Und während ich mich bei diesen Gedanken erwischte, bei diesem Hoffen auf den Tod, bei diesem unmenschlichen Handeln einem Tier gegenüber, dass doch nur um sein Leben gekämpft und fast gesiegt hatte, zog sich mein Innerstes tief in meiner Brust zusammen, ein bitterer Schmerz, ein unsagliches Schuldgefühl und Wehleid ergriff mich.
Was hatte ich nur getan? Zu welchem schwächlichen Handeln hatte ich - Mensch - mich da hinreißen lassen? Und während elendige Scham mich erdrückte, ich mich krümmte in meiner Trauer und Schuld, da riss mein Gewissen mich zu Boden, sog mich mit aller Kraft ins Abflussloch, dem unschuldigen Tierchen hinterher. Und immer noch hielt ich ihn krampfhaft fest, den Duschkopf, mit meiner blutigen Mörderhand.
 

Pritt

Mitglied
na...kommentar...

Hallo Alpha!

Herrlich! Als großer Insekten- und Spinnenliebhaber bin ich zwar bis ins Mark erschüttert, über solch einen -vermutlich authentischen- Fall zu lesen, doch das Vergnügen lässt mich Dir (oder dem 'anderen' Mörder) verzeihen.
Habe wirklich fast nix zu meckern. Du solltest lediglich zwei Sätze vertauschen, aus Verständnisgründen:

"Doch ich hoffte auf ihre Beinchen, dass sie sie nur weit genug an ihren Körper ran ziehen konnten! Wie sollte sie sonst durch eines der Löcher im Abfluss passen, war sie doch selbst schon so groß wie der Abfluss?"

Da Du vorher über ihre Beine als flinkes Fortbewegungsmittel sprichst, klingt es verwirrend, wenn Du plötzlich auf sie hoffst. Erst der Folgesatz macht den Gedanken verständlich. Vielleicht schreibst Du besser, dass Du 'auch' auf sie hoffst, eben weil sie so schlank und deshalb vielleicht 'gummiartig' oder 'dehnbar' aussehen,so dass sie danach durch den Ausguss passt? Das würde ich dann aber im selben Satz schreiben.

Ansonsten bin ich wirklich begeistert. Sehr schön auch die Verniedlichungsformen wie 'Beinchen' und 'Bällchen'. Hätte ich nicht ohnehin schon Mitleid mit dem Tierchen, so spätestens an dieser Stelle.

Viel Spaß in den Weiten des Ausgusses wünscht ... Pritt
 

Alpha

Mitglied
Ich danke dir für deine Mühen :) Werde den Text bei Gelegenheit überarbeiten.

Liebe Grüße, Alpha
 

Holomino

Mitglied
Halt drauf, verdammt, haaaaaaaaaaalt drauf!

Nee, wirklich, ich hab herzlich gelacht (das originellste fand ich mit der "tollen Figur"), vielen dank für die netten zehn Minuten!
 



 
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