Die Tätowierung

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moehrle

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Die Tätowierung

1.
Noch vor wenigen Stunden hatte Pierre im schicken Anzug an einem Sektfrühstück teilgenommen, und mit den Damen, der sogenannten feinen Gesellschaft herum gescherzt. Nun stand er in seiner Hotelsuite, nackt, bis auf eine speckige, verschmutzte Unterhose, den Mund beschmiert mit Resten von Erbrochenem und fuchtelte wild mit einem langen Fleischermesser vor dem Gesicht des Hotelpagen herum. Er hatte nur die bestellten Krabbencocktails und den Champagner bringen wollen, doch jetzt saß er gefesselt und starr vor Angst auf dem antiken Eichenstuhl, die Nylonfesseln schmerzten an seinen Handgelenken. Eine Situation, die jeder Beschreibung spottete.
„Sie werden bald nach mir suchen.“, sagte der Page mit leiser, hoher Stimme.
„Halts Maul Pisspage. Es ist immer das gleiche mit ihnen, erst winseln sie, dann drohen sie und am Ende winseln sie schon wieder.“
Das hörte sich in den Ohren des Pagen überhaupt nicht gut an, es klang als würde dieser Typ so etwas regelmäßig machen. Besonderes Missfallen fand er an der Aussage „am Ende“. Nein, das gefiel ihm überhaupt nicht. Pierre bewegte sich vor ihm auf und ab, das Messer in der einen, ein großformatiges Bild einer jungen Frau in der Anderen Hand. Seine Körpersprache signalisierte absolute Ruhe, doch in seinen Augen brannte ein irres Feuer. Er hielt dem Pagen das Foto der Frau vor das verschwitze Gesicht. Sie war etwa Anfang Zwanzig, blond und sah überaus knackig aus.
„Sie gefällt dir, stimmt´s ? Würdest ihn gerne mal reinstecken ?“
Welchem Mann würde sie nicht gefallen, dachte sich der Page, doch behielt es Intelligenterweise für sich. Außerdem war sein Kopf gerade nicht frei für sexuelle Gedanken. Er war gerade irgendwie mit etwas anderem beschäftigt, zum Beispiel mit dem Versuch zu Überleben. Er antwortete Nichts.
„Du brauchst nichts zu sagen, Pisspage. Ich sehe es an deinen Augen. Du bist nicht der Erste der sie auf diese Weise ansieht.“
Der Mann in der Unterhose drehte das Bild und betrachtete es. Seine Augen nahmen für Sekundenbruchteile einen gutmütigen Glanz an, bevor das irre Feuer zurückkehrte. Dann kratzte er mit dem Messer über die Fotooberfläche. Klarer Speichel tropfte ihm dabei vom Kinn. Ohne vom Bild aufzusehen sprach er weiter.
„Wie heißt du, Page?“
„Bernhard.“, sagte er mit brüchiger Stimme und Panik in den Augen.
„Bernhard ? Ein schöner, alter deutscher Name. Naja, Bernhard, ich habe dich nicht eingeladen, um dir Bilder von hübschen Frauen zu zeigen. Ich habe eine Frage an dich.“
Bernhard nickte verstört.
„In diesem Hotel hat gestern abend ein Mann eingecheckt. Ein Anwalt mit dem Namen Milo. Er ist so etwas wie der Superstar seiner Branche und zur Zeit in einen wirklich pikanten Fall verwickelt. Ich schätze deshalb hat er hier auch unter einem falschen Namen eingecheckt und betritt und verlässt das Hotel durch einen der Hintereingänge. Nun kommen wir zu deinem Platz in diesem Spiel. Du bist hier zwar nur der Laufbursche, aber selbst Mr.Superstaranwalt wird sich wohl etwas zu essen oder zu trinken auf sein Zimmer bringen lassen.“
Er hielt dem zitternden Pagen das scharfe Messer direkt unter den Kehlkopf und der spürte die grässliche Berührung der eiskalten Klinge.
„Also. In welcher Suite wohnt unser Freund ? Er hat eine der ganz Großen gemietet, hab ich recht ?“
Bernhard fing an zu schluchzen und sein ganzer Körper bebte.
„Wir können es auch auf die harte Tour machen, mein junger Freund. Ich werde dich Stück für Stück anritzen. Immer nur ein ganz kleines bisschen, solange bis du verblutest. Es wird bestimmt ein paar Stunden dauern, aber hey, ich hab gerade nichts besseres zu tun.“
„Ich weiß nichts von einem Herr Milo.“, presste der Page heraus und es entsprach voll und ganz der Wahrheit.
„Natürlich nicht, Bernhard. Er hat ja auch unter einem falschen Namen eingecheckt, hast du mir denn eben nicht zugehört? Warst du in der Schule auch schon so ein beschissener Zuhörer ? Mich wundert es nicht, dass du es nur bis zum Pisspagen gebracht hast.“
Pierre bewegte die Spitze des Messers gedankenverloren über das rot angelaufene Gesicht des jungen Pagen, der innerlich kochte. Er hatte hart dafür gearbeitet den Job in diesem Hotel zu bekommen. Hotels dieser Klasse haben besonders harte und langwierige Auswahlverfahren doch Wut war in dieser Situation überhaupt nicht angebracht.
Er starrte statt dessen entsetzt auf die übergroße Narbe auf Pierres linken Oberarm, die ihm gerade erst aufgefallen war.
Es sah aus wie eine alte Tätowierung die man mit einem Reibeisen versucht hatte zu entfernen. Nur noch ein geschwungenes V und ein N waren an beiden Enden zu erkennen, dazwischen war die Haut aufgeplatzt, blutete und Eiterprusteln hatten sich hier und dort gebildet. Pierre bemerkte, dass der Junge seine Wunde anstarrte.
„Sieht aus als hätte ich versucht es mir mit Sandpapier zu entfernen, stimmt´s?“, sagte er.
„Das habe ich aber nicht. Hat sich irgendwie selbst entzündet. Eine mysteriöse Sache.“
Pierre drehte sich weg, schlürfte zum Schreibtisch und kehrte wieder mit dem Foto eines Mannes in den Dreißigern.
Er hielt es dem Pagen vor die verheulten Augen.
„Das hier ist unser Mann, Bernhard. Du wirst ihm doch sicherlich heute Morgen das Frühstück in seine Suite gebracht haben. Vielleicht sogar für zwei Personen ?“
Pierre rollte die Augen, grunzte wie ein Tier und packte die angeschaltete Lampe, die neben dem Stuhl auf einer kleinen Kommode stand und schleuderte sie mit einem attavistischen Schrei gegen die nahe Wand, wo sie laut zerbrach und Funken schlug.
Pierre atmete schwer, sein leichter Bierbauchansatz wölbte sich bei jedem Atemzug.
„Tut mir leid, Kleiner, aber so ist das wenn man den Verstand verliert und noch dazu betrunken ist.“
Er lachte.
„Man bekommt dann unkontrollierbare Ausbrüche und verliert die Gewalt über seinen Körper.“
Wie zum Beweis holte er hektisch mit dem Fleischermesser aus und schwang es in Bernhards Richtung, wobei er seine Brust nur um einen knappen Zentimeter verfehlte. Er lachte wieder, diesmal wie ein kleines, aufgedrehtes Kind.
„Kennst du ihn ?“, fragte er schließlich und wechselte schlagartig von seinem irren Lachen in einen bierernsten Ton.
Der Junge schüttelte den Kopf, ohne Pierre dabei anzusehen. Er konnte es nicht und befürchtete laut zu schreien, wenn er das tun müsste.
„Du Wurm willst mir ernsthaft erzählen, das man euch Personalsklaven nicht auf einen so wichtigen Gast vorbereitet hat ? Er hat mindestens drei Leibwächter, die alles im Auge behalten, und du erzählst mir, dass dir niemand etwas von dem hohen Besuch gesagt hat.“
„Ich bin erst seit zwei Wochen hier.“, jammerte der Page.
„Ich kenne noch nicht einmal die Stammgäste.“
Pierre schien angestrengt nachzudenken und schnalzte mit der Zunge gegen seine Unterlippe, was einen ekelhaft schmatzenden und nervtötenden Ton erzeugte.


2.
Dann klopfte es an der Tür. Pierre legte hektisch den Zeigefinger auf seine Lippen und drohte dem Pagen mit einer eindeutigen Handbewegung über seiner Kehle an, was passieren würde, wenn er die Klappe aufreißen würde.
„Zimmerservice“, erklang die freundliche Stimme einer jungen Frau auf dem Flur.
„Ich möchte Ihr Zimmer reinigen.“
Pierre grinste den Jungen diabolisch an. Ihm hing immer noch getrocknete Kotze an den Mundwinkeln und am Kinn.
„Scheint als wird das heute eine kleine Party. Ein flotter Dreier. Na, bist du schon scharf?“
Er schlug ihm kurz mit der Handfläche auf die Wange und schlich dann zur Tür. Davor blieb er stehen, sah zu Bernhard, grinste erneut wie ein Dämon in menschlicher Gestalt und drehte langsam den Schlüssel im Schloss herum.
Als er die Tür einen Spalt öffnete, sah ihn das junge Mädchen, dass mit frischen Handtüchern und einem Eimer voller Putzzeug und Seife, vor der Tür wartete, mit einem Anflug von Entsetzen an, schließlich stand vor ihr ein Mann, nur in einer Unterhose, die noch dazu dreckig war. Außerdem roch er wie ein Straßenpenner und hatte den Mund mit widerlichem braunen Zeug beschmiert. Hätte sie das Messer hinter seinem Rücken sehen können, hätte sie dieses Entsetzten mit Sicherheit nicht unterdrücken können, aber trotz des Ekels den sie empfand, lächelte sie Pierre freundlich an. Der lächelte dümmlich zurück und musterte sie von unten nach oben.
„Darf ich ihr Zimmer reinigen ?“, fragte sie zögerlich und konnte die Angst in ihrer Stimme kaum unterdrücken. Sie hatten es in den Einführungstagen eingetrichtert bekommen: Immer nett und freundlich zu den Gästen sein. Egal ob sie unfreundlich sind, oder dich mit Erbrochenem im Gesicht anstarrten und versuchten dich mit ihren Blicken auszuziehen.
„Oh ja.“, sagte Pierre nicht einmal unfreundlich.
„Ich bin ein sehr schmutziger Junge.“
Jetzt wurde dem jungen Mädchen regelrecht schlecht.
Pierre packte sie wie ein Blitz mit der rechten Hand am Arm und zog sie in seine Suite. Mit der Linken hielt er ihr wie ein Profi den Mund zu um ihr Schreien zu unterbinden. Sie hatte keine Chance sich zu wehren. Sie strampelte zwar wild und versuchte ihre Arme aus seinem kalten Griff zu befreien, aber es gelang ihr nicht. Der Page rief ihr zu sie solle aufhören sich zu wehren.
„Er hat ein Messer!“, schrie er panisch.
Pierre schleuderte sie von sich, sie landete auf dem Teppichboden und starrte mit funkelnden Augen auf das Messer in Pierres Hand.
„Es ist mindestens so scharf wie es aussieht, Süße und jetzt hol dir ganz ruhig einen Stuhl, setz dich neben deinen Kollegen hier und entspann dich ein wenig.“
Zögerlich stand sie auf, die giftgrünen Augen unablässig auf den Mann in der Unterhose gerichtet und nahm sich einen Stuhl aus der Essecke. Sie überlegte, ob sie den Stuhl auf Pierre schleudern sollte, doch sie bezweifelte, dass das genügen würde ihn nieder zu strecken, denn sie hatte das irre Feuer in seinen Augen gesehen. Solche Leute lassen sich durch nichts aufhalten.


3.
Nachdem Pierre auch sie gefesselt hatte zeigte er ihr ebenfalls das Foto des Anwalts. Sie kannte den Mann. Er hatte gestern Abend in der Suite im obersten Stockwerk eingecheckt, wo sie zusammen mit den anderen Zimmermädchen zuvor stundenlang alles gereinigt hatte, was es zu reinigen gab. Der Vorarbeiter hatte bei so ziemlich jeder Gelegenheit erwähnt, welch ein wichtiger Kunde dieser Gast war und welch einen hohen Wert er auf Sauberkeit legte. Sie ließ es sich nicht anmerken, dass sie ihn erkannte, zumindest hoffte sie das. Pierre hielt ihr das Messer genau zwischen die Augen und hörte nicht damit auf ihren Körper mit lüsternen Blicken zu betrachten.
„Du bist wirklich ein niedliches Ding, wirklich zu schade.“, sagte er und strich ihr mit der Rückseite seiner Hand über die Brüste, die zwischen dem straff gespannten Seil heraus lugten. Hätte sie nicht ihre Hände auf dem Rücken festgeknotet gehabt, sie hätte ihm reflexartig eine gescheuert, ohne die Konsequenzen zu bedenken.
Sie zitterte nicht, im Gegensatz zu Bernhard, der wimmerte und heulte, wie ein kleines Kind. Sie blieb völlig ruhig, zwar innerlich angespannt bis zum Brechen, aber nicht gewillt diesem Sadisten die Befriedigung der Angst zu geben, nach der er sich sehnte.
„Ich will nur wissen, in welchem Zimmer er ist, dann lass ich euch Beide gehen.“, sagte Pierre und breitete die Arme aus, wie ein Marktschreier, der seine Ware anpreist.
„Ich weiß es doch nicht...“, wimmerte Bernhard immer und immer wieder. Das Mädchen schwieg und sah sich ihren Peiniger genau an, als wolle sie sein Gesicht festhalten , um es nachher bei der Polizei besser identifizieren zu können. Das Auffälligste an ihm war die großflächige Narbe am Oberarm, die wohl von einem Tatoo stammte. Ihr gefasster, stechender Blick machte Pierre ein Stück nervös.
Dann sagte sie etwas , von dem sie selbst nicht wusste, ob es Mut oder Schwachsinnigkeit war:
„Die Frau auf dem Bild, das war Ihre, oder? Sie hat Sie verlassen.“
Zum Ersten mal war es jetzt Pierre, der verwirrt aussah und die Kleine mit wirren Augen ansah. Bernhard schüttelte heulend den Kopf, er konnte sich ziemlich genau vorstellen, dass das ein riesiger Fehler war.
„Was hast du da gesagt, du kleine Nutte ?“
Er gab ihr eine schallende Ohrfeige.
„Sie hat mich nicht verlassen. Sie wurde mir entrissen. Wage es nicht noch einmal mich so dumm anzuquatschen, oder du wirst es nicht überleben, Süße.“
Seine Stimme klang laut und schrill. Gerade an der Grenze zum Hysterischen.
„Dieser scheiß Anwalt hat sie entführt.“
Pierre lief hektisch das Zimmer auf und ab und ließ das Messer zwischen seinen Fingern kreisen.
Er kam zu ihr zurück, presste sein Gesicht ganz nah an ihres.
„Wo ist er, wo ist dieses Arschloch?“
Das Zimmermädchen blieb unglaublich gelassen. Ihre Wange brannte nach der Ohrfeige, aber sie hätte lieber die Luft angehalten, als irgendeine Schmerzensregung zu zeigen. Sie schüttelte den Kopf ganz bedächtig. Pierre dachte nach, schloss einen kurzen Moment die Augen und rannte mit staksigen Schritten ins Schlafzimmer seiner Suite.
Er kam zurück mit einer riesigen Vogelvoliere vor sich, in der ein ein Meter großer, urhäßlicher Geier hockte, der bei jeder Bewegung des Käfigs krächzte und versuchte seine Schwingen auszubreiten.
„Das hier ist mein Freund.“, erklärte Pierre, als wäre er immer noch auf einem Sektfrühstück, und zeigte auf den grotesken Vogel.
Dem Zimmermädchen stockte der Atem, seit sie ein kleines Kind war hatte sie fürchterliche Angst vor Vögeln gehabt. Sogar die Tauben in der Stadt waren ihr unheimlich. Es gab nicht viel, vor dem sie sich fürchtete, aber Federtiere gehörten aus irgendeinem Grund definitiv dazu. Irgendwie schien dieser Scheißkerl das gewusst zu haben, dachte sie.
Pierre stellte den Käfig etwa zwei Meter vor den Beiden ab, schlenderte pfeifend zum Servierwagen und nahm sich die zwei Krabbencocktails, die der Page ihm vor noch keiner halben Stunde gebracht hatte.
Das Telefon klingelte.
Pierre schaute erschrocken auf, registrierte, von wo das klingeln kam und sah seine Geißeln böse an.
„Ihr haltet die Klappe, verstanden.“
Er strich sich die wirren haare glatt, als hätte er ein Bildtelefon und hob den Hörer ab.
„Ja? Ja, der ist hier. Ich bräuchte den Jungen hier oben noch ein bißchen. Ja, das verstehe ich.“
Pierre klang auf einmal so erschreckend normal, das Olga, das Zimmermädchen eine Gänsehaut bekam.
„Ich werde sie natürlich großzügig entschädigen. Nein danke, dass wird nicht nötig sein. Wir kommen schon zurecht hier oben. Ich glaube er amüsiert sich ebenfalls. Ja. Wiederhören.“
Pierre legte auf und lachte schallend. Bernhard schluchzte noch heftiger als zuvor.
„Die werden jetzt da unten glauben, das ich mit dir hier irgendwelche Schwulenspielchen treibe. Es hat sie aber nicht sonderlich interessiert, solange sie entschädigt werden.“
Pierre nahm die Cocktails wieder in die Hand. Dann stellte er sich über Bernhard und Olga, und verteilte die kleinen Krabben auf ihren Oberkörpern. Besonderen Spaß hatte er daran, dem Zimmermädchen die Schalentiere in den Auschnitt zu stopfen, die dabei keine Miene verzog.
„Ihr könnt euch vorstellen was passiert, wenn ich den alten Jungen hier jetzt raus lasse, oder ?“
In Olga brodelte es beim Anblick des widerlichen Vogels, der krächzend den haarlosen Kopf auf und ab bewegte und versuchte den langen Hals durch die Gitterstäbe zu pressen. Jetzt bemerkte Pierre, dass das Mädchen zitterte.
„Aha, unsere kleine Miss Eiskalt hat also Angst vor kleinen vögelchen. Das ist wirklich gut zu wissen.“
„Ich kann verstehen, dass ihre Frau mit dem Anwalt durchgebrannt ist.“, sagte sie trocken und Bernhard betete die Decke an, sie solle doch endlich damit aufhören, alles nur noch schlimmer zu machen.
Erneut bekam sie von Pierre eine saftige Ohrfeige. Ihre linke Wange war nun so rot wie ein Feuerwehrauto und die dunkelblonden Haare hingen ihr wirr im Gesicht.
„Wo wohnt der Anwalt?“, fragte er mit einer tödlichen Endgültigkeit in seiner Stimme. Er öffnete seine linke Faust, in der ein kleiner, silberner Schlüssel lag, der Schlüssel für den Vogelkäfig. Damit wedelte er vor dem mit Haaren bedeckten Gesicht der jungen Russin herum. Er hatte ihre Schwachstelle gefunden, und musste sie jetzt nur noch knacken. Aber sie startete zur Gegenoffensive.
„Sie sind geistig völlig derangiert! Er hat ihre Frau nicht entführt.“, rief sie.
„Sie hat es wahrscheinlich bei Ihnen nicht mehr ausgehalten , sie verdammter Psychopath.“
Pierre sah sie verdutzt an.
„Oh, du hast das böse P-Wort gesagt. Ts-Ts-Ts-Ts.“
Er schwang seinen erhobenen Zeigefinger vor ihren Augen hin und her.
Nun brachen bei Olga, die sich die ganze Zeit so gut unter Kontrolle hatte alle Dämme. Sie heulte wie ein Schloßhund und war sich sicher, das ihr junges Leben heute ein jähes Ende finden würde.
„Nenn mir das Zimmer.“, schrie er sie an.
„Nenn mir das Zimmer, du verdammte Nutte.“
Dann schlug er sie wieder und wieder.
Nach vorne gebeugt hing sie gefesselt auf dem Stuhl, das linke Auge dick geschwollen, die Lippen aufgeplatzt und die langen Haare blutverschmiert.
„Wenn ich dich so ansehe, erinnerst du mich an meine Frau. Dieselben festen Schenkel, dieselben Brüste, sogar die gleichen Lippen.“
Er fuhr ihr mit dem Daumen über die vollen Lippen, genau über die Stelle die aufgeplatzt war. Olga zuckte vor Schmerz zusammen.
„Du hast sogar den selben trotzigen Ausdruck in deinen Augen.“
Dann schlug er sie erneut.
„Ich weiß wo er ist.“, entfuhr es ihr leise, doch sie war nur schwer zu verstehen, denn ihr Mund war mit Blut gefüllt.
Pierre ließ von ihr ab und legte ein seriös wirkendes Lächeln auf.
„Sieh an. Du bist sogar genau so ein verlogenes Miststück wie meine Frau. Die Ähnlichkeit ist wirklich verblüffend. Hätte ich nur ein bißchen mehr Zeit, würde ich austesten, ob du ihr auch in anderen Bereichen so ähnlich bist.“
Er überlegte kurz.
„Vielleicht später. Ich habe noch etwas Wichtiges zu erledigen. Und jetzt: das Zimmer!“
„Er ist in der Suite im 11.Stock.“
Olga ließ ihren Kopf sinken, atmete schwer und schämte sich für das was sie getan hatte. Sie dachte sie wäre stark genug, doch sie war es anscheinend nicht.
„Wenn diese Info falsch war, komme ich wieder und werde ganz schlimme Sachen anstellen mit dir. Mit euch Beiden. Ich habe jede Menge Werkzeug dabei, mir wird sicherlich etwas Lustiges einfallen. Aber vorher...“
Pierre streichelte Olgas Körper mit beiden Händen und eine kleine Erektion zeichnete sich unter seinem engen Slip ab. Er drehte sich auf dem Fleck um und marschierte zur Tür, griff sich den Morgenmantel, der an einem Haken neben der Tür hing und schwang ihn um sich. Dann hielt er inne und dachte angestrengt nach, stakste zurück zu Olga, tastete sie ab, fand den Universalschlüssel für die Zimmer und den Privataufzug an ihrem Gürtel und steckte ihn in die Tasche seines Morgenmantels.
„Und lass deine schmierigen Finger von Ihr, Pisspage.“, richtete er seine Worte an den immer noch schluchzenden Bernhard.
„Sie gehört mir.“


4.
Pierre schlenderte den Flur entlang, seine nackten Füße schlürften über den rauhen Teppichboden. Die anderen Gäste drehten sich nach ihm um, schüttelten verächtlich die Köpfe und tuschelten hinter seinem Rücken. Er bekam davon nichts mit, sein Verstand war ein heilloses Chaos, die Außenwelt hatte nur noch wenig, bis überhaupt keinen Einfluß mehr auf ihn. Vor dem Aufzug standen eine handvoll anderer Gäste, die warteten. Alle waren adrett gekleidet, es war Zeit für das Abendessen. Die Frauen trugen Abendrobe und die Männer Anzug mit Krawatte. Pierre starrte an ihnen vorbei ins Leere und bemerkte nicht einmal, dass die Damen und Herren vor ihm ein paar Schritte zurückwichen. Er roch nach Alkohol, Schweiß, Kotze und einem süßlichen Hauch von völligem geistigen Zerfall.
Die Leute diskutierten kurz und leise und entschieden sich dann doch lieber die drei Stockwerke zu laufen, als mit Pierre den engen Aufzug zu benutzen. Eine gute Entscheidung. Das fand Pierre auch.
Der Aufzug kam und es klingelte kurz, als er sich träge öffnete.
Er war leer.
Pierre stieg ein, betätigte mit dem Schlüssel des Zimmermädchens den Knopf für die private 11. Etage, und die Tür schloß sich mit dem selben klingeln. Ein monotones Brummen begleitet den Lift auf seinem Weg nach Oben.


5.
Der Flur im 11.Stockwerk war kleiner als die der Restlichen. Es gab nur eine einzige Tür. Pierre hatte fest damit gerechnet, dass einer der Bodyguards vor der Tür postiert war, doch er war allein, von den Stimmen in seinem Kopf einmal abgesehen.
Er klopfte an die schwere Doppeltür aus Holz.
„Zimmerservice.“, rief er mit einer irrsinnig hohen Stimme, bei dem Versuch die Fistelstimme des jungen Pagen nachzuahmen.
Das Messer hatte über seinen Kopf erhoben im Anschlag, bereit, jede Sekunde zuzustechen. Krächzend drehte sich der Schlüssel von innen im Schloss herum. Die Tür wurde langsam aufgezogen. Ohne zu zögern stach Pierre in die sich ihm anbietende Lücke und traf den überrumpelten Leibwächter, der ein gutes Stück größer war als er selbst in die genaue Mitte seines Bauches. Ein unterdrückter Schrei entfuhr diesem. Pierre drehte das Messer im Inneren des Leibwächters herum, um möglichst viele der inneren Organe zu verletzen. Der Leibwächter sackte mit rollenden Augen zusammen und stürzte röchelnd auf den Boden.
Das Messer kreiste noch einmal unter der Bauchdecke herum, bevor es herausgezogen wurde. Pierre blickte sich in der riesigen Suite, mit Panoramablick über die ganze Stadt und die untergehende Sonne, um. Mit dem blutverschmierten Messer in der Hand stürmte er zur nächsten Tür, dass er als Schlafzimmer identifizierte. Er riss sie auf.
Zwei entsetzte Schreie schrillten durch das Zimmer. Der Anwalt lag in dem französischen Bett, die Decke bis zum Hals gezogen. Pierre erkannte ihn sofort. Sein Bild hatte sich tief in seinen Geist gebrannt. Neben dem Anwalt hatte sich etwas unter der Decke verkrochen. Pierre grinste irre und seine Hände vibrierten vor Wut.
Mit entsetzt aufgerissenen Augen starrte der Anwalt auf das blutverschmierte Messer und wusste schlagartig, dass er keine Hilfe von seinem Bodyguard mehr zu erwarten hatte.
„Das ist ja wirklich ein merkwürdiger Zufall, das ich gerade euch Beide hier treffe.“, sagte Pierre, als hätte er gerade ein paar alte Bekannte im Urlaub getroffen. Der Schatten unter der Decke bewegte sich.
„Du kannst ruhig rauskommen. Ich weiß das du es bist. Ich hab es die ganze Zeit gewusst.“
Blankes Entsetzten und ein tiefer Schock strahlten förmlich aus Dr. Milo´s Gesicht. Die Gestalt unter der Decke wand sich zitternd hervor und nun tat Pierre´s Gesicht es dem des Anwaltes gleich. Ein junger Mann, Mitte zwanzig starrte ihn ängstlich vom Bett aus an, die Satindecke ebenfalls bis zum Hals hochgezogen. Das irre Feuer in seinen Augen hatte sich mittlerweile zu einem Großbrand entwickelt.
„Wo ist meine Frau !!“, schrie er fast flehend und drohte den Beiden mit dem Messer.
„Macht ihr einen flotten Dreier, oder was?“
Diese Stimme, dachte sich der Anwalt, hatte er schon einmal gehört, das war schon eine lange Zeit her, aber er kannte sie.
Doch dieser Mann, nur mit einem Morgenmantel bekleidet, stinkend und verschmutzt, der wild mit einem blutigen Fleischermesser in der Luft herumfuchtelte hatte nur noch wenig mit dem stets gut rasierten und Anzug tragenden Geschäftsmann zu tun, den er einst kennengelernte und den er mit dieser Stimme assoziierte.
„Sind sie Pierre Lecroix ?“, fragte er unsicher, obwohl er sich dessen absolut gewiss war.
Pierre stoppte damit die Luft zu zerschneiden und funkelte ihn böse an.
„Sieh einer an, sie kennen sogar noch die Namen derer die sie beklauen.“
„Beklauen ? Wovon reden Sie ?“
Pierre sprang mit einem Katzenähnlichen Sprung zu ihnen ins Bett und kniete sich auf Milos Oberkörper. Der schrie und versuchte sich zu befreien. Auch der Bettgenosse schrie mit hoher Stimme.
„Meine Frau !! Wo ist meine Frau ??“
Milo fing an zu heulen. Nicht der einzige, bei dem Pierre es an diesem Tag geschaftt hatte.
„Sie sehen doch, dass ich nicht auf Frauen stehe.“, winselte er.
„Ich bin schwul, schon seit dem Mutterleib. Deshalb checkte ich auch mit falschen Namen ein.“
Sein Partner nickte zustimmend. Er musste es ja schließlich wissen.
Pierre ging darauf kein Stück ein.
„Wo habt ihr sie versteckt ?“
In diesem Moment kroch ein schwerer Schatten um die Ecke zum Schlafzimmer. Es war der Leibwächter, der sich wackelig und blutend auf seine Knie stützte, die gespannte Waffe im Anschlag.
Dann fiel ein Schuss, der Pierre seitlich am Rücken traf und ihn von Milo und vom Bett schleuderte. Er landete auf dem Boden. Mit Schmerz verzerrtem Gesicht und brennenden Augen versuchte er sich aufzurichten und riss sich den Morgenmantel vom Leib. Bilderfetzen schossen ihm durch den Kopf und ein Puzzle mit verloren geglaubten Teilen vereinte sich, als eine weitere Kugel seinen Körper durchbohrte, diesmal durch die Brust. Pierre schrie kurz auf. Dann brach er zusammen und blieb endgültig liegen, mit entsetztlich aufgerissenen Augen.


6.
Die Polizei traf kurz danach ein. Das Zimmermädchen hatte sich und den Pagen mit einem Feuerzeug befreien können, und die Polizei verständigt.
Nun waren alle Beteiligten im 11. Stockwerk versammelt. Alle außer dem schwulen Freund des Anwaltes, der sich schnell genug aus dem Staub gemacht hatte. Ein versuchter Mord war keine schlechte Werbung für einen Anwalt, im Gegensatz zu einem Verhältnis mit einem Strichjungen.
Die Polizei stellte die üblichen Fragen.
„Woher kannte er sie.“, fragte ihn ein korpulente Polizist mit einem breiten Walrossschnäuzer. Dr. Milo musste nicht lange überlegen.
„Ich habe ihn vor drei, oder vier Jahren auf einer Benefizveranstaltung kennengelernt. Wir haben uns hin und wieder auf Partys gesehen, aber keinen besonderen Kontakt gehabt.“
„Sie sagten, er hätte nach seiner Frau gesucht.“
Dr. Milo erschauderte.
„Seine Frau ist seit zwei Jahren tot.“
Er bekam eine Gänsehaut.
„Ich habe den Prozess gegen ihren vermeidlichen Mörder geleitet, doch er wurde freigesprochen. Es war ein sehr unglücklicher Unfall mit einem Baukran.“
Zwei weiß bekleidete Sanitäter stemmten Pierre LeCroixs toten Körper auf die Bahre und deckten ihn mit einem schwarzen Tuch ab. Als sie die Bahre auf das Rollgestell hoben, rutschte sein linker Arm heraus und baumelte leblos herunter.
Olga, das Zimmermädchen und Bernhard, der Page standen neben der Tür. Olga musste ihn trösten, er hatte einen schweren Schock. Sie überlegte sich, wenn das alles hier vorbei war, die Wunden in ihrem Gesicht behandeln zu lassen. Sie wollte nicht das irgendwelche Narben zurückblieben.
Als Pierres Leiche an ihnen vorbei geschoben wurde, drehte der sensible Junge seinen Kopf weg, deshalb sah er nicht das, was Olga sah. Die eiternde Narbe auf seinem Oberarm war verschwunden und die Tätowierung mit dem Namen seiner Ex-Frau war jetzt deutlich zu sehen. Vivian stand dort in schönen, verschnörkelten Buchstaben.


ENDE
 



 
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