Portrait scheiternder Egozentrik
Liebe Haremsdame,
vielen Dank für Deine wunderbare Satire. Bevor der Eindruck entsteht, ich würde Dein Werk hier als falsch eingeordnet betrachten: Deine Geschichte kommt auf dermaßen leichten Pfoten daher, dass das satirische Element sich nicht aufdrängt, aber wunderbar gelungen ist. Die Rubrik "Erzählungen" finde ich genau passend.
Am Anfang war mir nicht klar, ob die Erzählperspektive von einer Frau oder einem Mann eingenommen wurde. Das hat sich dann, nach ein paar Sätzen, aus dem Kontext Krawatte erschlossen, einem wunderbaren Klammerelement. Ansonsten setze ich in Deinen Texten immer zunächst die weibliche Perspektive voraus. Das ist aber - darauf weise ich ausdrücklich hin - ein Problem meiner Vorurteile, bzw. Erwartungen, nicht Deines Werkes. Also bitte nichts ändern!
Dass Du aus den Augen eines Mannes schriebst, hätte eine erste Andeutung sein können.
Einen ersten Wendepunkt, bzw. Hinweis entdeckte ich an der Stelle
Nun konnte sie meinen Heiratsantrag nicht mehr ablehnen.
Ich dachte mir: Wie egozentrisch!
Du hast dieses Thema dann sehr schön gesteigert und eine mögliche Erklärung geliefert, warum so viele Beziehungen und Ehen in der heutigen Zeit scheitern: an egozentrischer Ignoranz.
Ein Leser mag mit Blick auf seine eigenen Verhältnisse schmunzeln und hoffen: "Noch ist es nicht zu spät". Von daher könnte sich die Lektüre im Einzelfall als besonders wertvoll erweisen.
Besonders gefällt mir der grotesk überspitzte Schluss, in dem die gestörte Wahrnehmung, die der Protagonist schon von Anfang an hatte, besonders deutlich zu Tage tritt.
Ich halte Deine Geschichte für virtuos und habe leider gar keine Idee, was daran noch zu verbessern wäre.
Dieses Werk gehört eindeutig zu den Besten, die ich je hier gelesen habe.