Die Wohnung am Babystrich

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Nina K

Mitglied
Die Wohnung am Babystrich


Da steht er nun also am Fenster und starrt auf die Straße. Gegenüber an der Hauswand im Schatten lehnt sie noch immer. Gerade hat sie wieder das Päckchen Tabak aus ihrer Tasche gekramt, hält es eingeklemmt zwischen Ringfinger und dem kleinen und dreht geschickt eine Zigarette. Sie ist schmaler geworden und das Gesicht etwas grauer, findet er plötzlich. Aus der Entfernung meint er die Schatten unter ihren Augen erkennen zu können; ganz sicher sieht er aber das Rot ihrer Lippen.

Nun steh ich hier mindestens schon eine Stunde. Und der Typ gegenüber hängt wie blöde am Fenster. Wenn der meine Beine so geil findet, dann soll er doch zahlen. Hoffentlich regnet es heute mal nicht. Den blauen Kombi kenne ich doch? Wenn der hält, sag ich nein; Scheißkerl, was der alles wollte. Nur vielleicht kommt kein anderer – fuck, nun fährt er vorbei.

Als sie da unten das erste Mal stand, da war sie noch fesselnd. Langsam verliert sie die Jugend und wird eine von ihnen. Dann konzentriert er sich auf ihre Beine, die schwarzen Netzstrümpfe und der Mini so kurz, dass man die Strapse noch sieht. Und er stellt sich vor, wie seine Hand ihre Schenkel streift und langsam höher gleitend und da macht er mal schnell seine Hose auf. Als er fertig ist und nach dem Taschentuch kramt, fühlt er sich ein wenig schuldig.

So, der hält jetzt, sonst krieg ich 'nen Kaffee und drei Natrovalin. Los, kurbel die Scheibe runter und frag! „Vierzig kost das“ da lach ich doch drüber. „Zehn extra, wenn Du ein Zimmer willst“ und nun der Schleck über meine Lippen, vielleicht beißt er an und mir bleibt das stinkende Auto erspart? „Park mal da drüben, das Hotel ist da hinten“, mindestens 10 Natrovalin brauche ich.

Er starrt wieder runter und sieht sie verhandeln. Dann parkt der Kerl. Plötzlich überlegt er, wie es gelaufen wäre, wenn er sie am ersten Abend, als er sie sah, angesprochen hätte. Wenn er sie heimgenommen hätte in eine wirkliche Welt und in ihr hätte kommen können. Wäre sie weniger grau und er weniger ärmlich?
 
D

Denschie

Gast
Hallo Nina,
die Idee der Geschichte finde ich richtig gut. Prostitution hat sowieso schon etwas anrüchiges, und dann noch "der Babystrich" (falls es das Wort überhaupt gibt und es nicht nur eine SAT 1-Schöpfung ist)- mir gefällt es. Der Mann, der hin und her gerissen ist, weil er sie erst geil findet und dann darüber nachdenkt, ob er ihr ein nettes Heim hätte bieten können/müssen ist auch sehr gelungen.
So, der hält jetzt, sonst krieg ich ‚\'nen Kaffee und drei Natrovalin.
Da ist ein Tippfehler.
Er starrt wieder runter und sieht sie verhandeln und dass der Kerl parkt.
Das ist etwas komisch formuliert. Vielleicht: Er starrt wieder runter und sieht sie verhandeln. Der Kerl parkt.
Viele Grüße,
Denschie
 

Nina K

Mitglied
Hallo Denschie,

ich freue mich über Deine Anmerkungen. Den Tippfehler habe ich berichtigt und den merwürdigen Satzbau umformuliert. Vielen Dank für die Hilfe.

Lieben Gruß
Nina
 
A

AndreasGaertner

Gast
Hallo Nina,

Du beschreibst die Anbahnung eines widerlichen GeschÄFTSverkehrs zwischen abartigen Freiern und gestrandetem "Baby" erschreckend nahe.

Hier noch was förmliches:

Und er stellt sich vor, wie seine Hand ihre Schenkel streift und langsam höher gleite[strike]nd[/strike] t[blue],[/blue]und da macht er mal schnell seine Hose auf.

Los, kurbel die Scheibe runter und frag! befiehlt sie ihm gedanklich „Vierzig kost[blue]et[/blue] das“ würde sie dem Freier abverlangen, wenn dieser die Scheibe denn runterkurbelte, oder? da lach ich doch drüber.Dein Lachen steht für sich alleine. Diesen Satzteil solltest Du logisch in Deine vorangestellte Vorstellung eines wahrscheinlichen Ablaufs einbauen.

Es sind mir auch ein wenig zu viele "er" in Deiner Geschichte.

Wenn er sie heimgenommen hätte in eine wirkliche Welt und in ihr hätte kommen können.

Mit diesem Satz zeigst Du eindrücklich, daß der Spanner am Fenster, sich selbst moralischen Vorsatz vorheuchelnd, die gleiche mindere Geilheit in sich birgt, wie die Freier, die es wagen, das Mädchen an zu sprechen.

So hältst Du dem Leser einen eindrücklichen Spiegel des doppelbödigen und degenerativen Denkens innerhalb unser Gesellschaft vor.

Viele Grüsse

Andreas
 

Nina K

Mitglied
Sie hasst das Kopfsteinpflaster der Strasse. Rutschig bei Nässe ist es. Jeder Schritt mit den kniehohen schwarzen Pfennigabsatzstiefeln muss wohl überlegt werden, sonst bleibt man stecken. Die Imbissbude vom Ferdi ist fast ein Zuhause. Wie selbstverständlich öffnet er den Flachmann und schüttet ihn in ihren Kaffee, wenn sie kommt. Und zu Ferdi geht sie auch heute als erstes. Ein Päckchen Tabak, die Blättchen und den Kaffee braucht sie halt. „Tigerlady heut?“ frotzeld Ferdi und versenkt seine Augegen in das knappe Top. Das Kindergesicht formt einen eiskalten Blick und Ferdi ist still.

„Sie ist immer noch nicht da“ denkt er und starrt auf seine Armbanduhr; „gleich halb fünf und ab vier ist sie eigentlich immer doch da“. Er starrt auf die grauen Mauern der Fischauktionshallen und denkt plötzlich an Lena. Weich war sie und noch jung. Ein wenig unerfahren und darum hing sie an ihm. Wie ihre Augen ihm folgten, wenn er durch das Zimmer schlich. Es gab ja auch nur das eine Zimmer, mehr Geld hatten sie nicht. Die Dusche war eng und Lena so nah. Noch immer lehnt sie nicht an der Mauer. „Das Luder“ denkt er und schämt sich.

„Du hast inzwischen über 80,- Euro auf dem Zettel“, meint Ferdi bedrängend. „Ach ja, und was soll mir das sagen?“ Und wieder zerrt sie all ihren Hass in den Blick und Ferdi ist still. „Schreib auf“, nuschelt sie und verlässt staksend den Kiosk. Die Novemberluft fängt sie ein und Gänsehaut sammelt sich in ihren Beinen. Plötzlich wird ihr schlecht, weil sie an ihre Mutter denken muss. Sie saß starr auf dem Klo, die Nadel im Arm und dies verkrümmte Gesicht. Kurz würgt der Kurze im Hals, dann tobt wieder Ruhe. Sie hat ihren Platz gefunden, presst einen Stiefel mit angewinkeltem Knie an die Wand und hält Ausschau.

„Sie ist nur eine Hure“, denkt er und geht in die Küche. Auf dem Herd steht die Pfanne mit Nasi Goreng von gestern und da wird ihm schlecht. Vater hätte niemals etwas weg geworfen und doch fühlt er die Schimmelschicht von dem Reis auf der Zunge. Im Kühlschrank findet er noch ein Bier und ploppt gierig den Deckel. Zurück am Fenster guckt er auf die „Hure“ hinunter und hat sie ganz plötzlich sehr lieb. Sie könnte seine Tochter sein, dann würde er sie da raus holen. Aber sie ist halt Geliebte und mehr will er nicht. „Die Phantasie stirbt immer zuerst“, denkt er. Dann ploppt schon das zweite Bier.
 

Nina K

Mitglied
Ferdi denkt mal wieder darüber nach, warum „dieses Kind“ ihn so linken kann. Dann schreibt er sechs Euro auf ihren Zettel. „Sytra“ steht oben drüber, doch manchmal denkt er an sie als „die Lady“. Das kratzende Geräusch, das seine Finger im Acht-Tage-Bart verursachen, scheucht eine Fliege auf. Sie prallt ein paar Mal gegen die milchige Scheibe, ehe er sie mit der grünen Klatsche erschlägt. Und weil es dann plötzlich so still ist, macht er das Radio an; die „Alsterwelle“ ist voreingestellt, denn die alten Schlager mag Ferdi nun mal.

Das Zimmer ist gelb tapeziert mit einem Stich Ocker und braunen Kringeln. Es ist genau die Art Tapete, die immer schmuddelig wirkt und dennoch nicht altert. Rechts neben dem Bett ist ein Handwaschbecken mit nur einem Hahn für Kaltwasser. Er guckt sich um und verliert jedwede Lust. Doch sie zieht sich schon aus und da denkt er, nun muss er es tun. Und plötzlich kehrt die Lust zurück, als sie so nackt vor ihm steht. Er spürt Macht, weil sie klein ist. „Du wirst Dir viel Zeit nehmen!“, befiehlt er und guckt plötzlich grausam.

„Was wollen die Bullen denn hier“, denkt Ferdi und geht gedanklich das Diebesgut im Lager durch. „Deswegen kommen die doch nicht zu viert?“ „Setzten Sie sich erst mal“, meint der kleine, kahle Dicke und rückt an den Selterskisten. „Sie kennen die Anne?“ Ferdi weiß gar nicht mehr, was das nun soll. Also setzt er sich hin und schüttelt den Kopf. „Die Sytra“, sagt da der dürre Schwarzhaarige und Ferdi wird schlecht. Nun nickt er und mag nicht mehr denken. „Wann haben Sie sie zuletzt gesehen?“, keift der Schwarzhaarige weiter. „Was ist mit der Lady?“ murmelt Ferdi und fühlt seine Tränen.

„Zwei Tage war sie nicht da.“ Er sitzt im Sessel am Fenster und die Augen sind rot. Der Pizzadienst bringt auch nur Bier, was er bisher nicht wusste. Immer wieder muss er dran denken, dass der Typ sie vielleicht mitgenommen hat in eine reale Welt.
„Es war Notwehr“, beteuert sie zum hundertsten Mal und will nur noch schlafen. Der dürre Schwarzhaarige keift wieder los: „Du bist eine Hure, wer soll Dir das glauben?“
Ferdi zerreißt ihren Zettel und Leila huscht in seinen Laden. „Ich brauch einen Kaffee“, murmelt Leila und ist noch so schüchtern. Ferdi sagt: „Der geht heut auf mich“ und guckt wie ein Vater - meint er.
Später sieht er sie da unten das erste Mal stehen. „Die ist nicht mal zwölf“ denkt er und ploppt schnell ein Bier.
 
D

Denschie

Gast
Liebe Nina,
so langsam komme ich doch
nicht mehr mit.
Kannst du etwas Licht ins Dunkel bringen?
Ist das jetzt eine Weiterführung?
Oder eine neue Version?
Gruß,
Denschie
 

Nina K

Mitglied
Also es ist quasi erst der Mittelteil, dann der Anfang und nun das Ende, das sich auch wieder zum Anfang schlingt. So dachte ich es zumindest, zwinker.

Danke und lieben Gruss Lines
 
D

Denschie

Gast
Cool.
Wenn auch verwirrend.
Hast du die Teile in Reihenfolge geschrieben
oder nacheinander und dann überlegt, wie sie
zusammenpassen?
Gruß,
Denschie
 

Nina K

Mitglied
Hallo denschie,

also ich habe erst den Mittelteil geschrieben. Ich habe die Geschichte noch in einem zweiten Forum veröffentlicht und als Kritik zu hören bekommen, die Gestalten seien zu farblos. Das sah ich ein und habe daher farbgebend den Anfang geschrieben. Und weil es mir Spass machte und in dem zweiten Forum auch noch ein "Nachschlag" verlangt wurde, schrieb ich noch das Ende.

Keine Absicht, sondern es wuchs. Allerdings habe ich mal versucht, es in die richtige Reihenfolge zu bringen, also den Anfang an den Anfang zu stellen. Das klappt überhaupt nicht und ich find das lustig.

Lieben Gruß
Nina
 
D

Denschie

Gast
Aha. Es klappt wirklich nicht sonderlich gut.
Das ist mir auch aufgefallen.
Also mir gefällt es am besten, wenn der Mittelteil
für sich steht. Das hängt allerdings auch damit zusammen,
dass ich es für ein Kriterium einer guten Kurzgeschichte halte, wenn es bei einem Ausschnitt bleibt und zum Ende hin eine "Pointe" folgt. Dafür müssen die agierenden Personen nicht so vielschichtig sein wie in einem Roman.
Mir reichen deine Charakterisierungen aus.
Trotzdem finde ich dein Experiment interssant.
Schönen Abend noch wünscht
Denschie
 



 
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