Die Zeit der Glühwürmchen

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Ralph Ronneberger

Foren-Redakteur
Teammitglied
Die Zeit der Glühwürmchen


Die Schatten waren länger geworden. Sie hatten sich langsam über die niedrige Brustwehr geschoben und reichten jetzt bereits weit in den flachen Graben hinein. Erst hatten sie nur Pauls Füße, dann seine Oberschenkel und später auch Bauch und Brustkorb bedeckt. Nun, wo sie endlich auf seinen Kopf fielen, wurden sie von einem schwachen Aufatmen empfangen. Paul spürte, wie sich auch noch ein feiner Lufthauch zu dem Schatten gesellte, und wie beide vereint etwas von der ersehnten Kühlung brachten. Nur den quälenden Durst vermochten sie nicht zu mildern. Der saß nach wie vor schmerzhaft dörrend in der Kehle, hatte die Zunge in der trockenen Mundhöhle immer mehr verpelzen lassen und beherrschte seit Stunden Pauls ganzes Sein.

Langsam drehte er sich zur Seite, suchte mit beiden Händen nach der Feldflasche und begann sie mit verzweifelter Hartnäckigkeit zu schütteln.
„Leer!“ Er hätte nicht sagen können, wie oft in den vergangenen Stunden diese vernichtende Feststellung schon über seine aufgeplatzten Lippen gekommen war. Zuerst sachlich quittierend, dann wütend herausschreiend und schließlich nur noch dumpf resignierend.
Sein verstörter Blick fiel auf den toten Tom.
„Hast mir alles weggesoffen, Bruder. Und wozu? Nur, um dann doch zu sterben.“
Paul lachte wütend in das von einem langen Todeskampf entstellte und nun zur Fratze erstarrte Gesicht des Kameraden. Es war ein kurzes, trockenes Lachen, das schließlich in einem Hustenanfall mündete. Ihm war, als zöge jemand Stacheldraht durch seine Luftröhre.
„Du hast es genau gewusst und trotzdem immer wieder um Wasser gebettelt. Ich hätte dir nichts geben sollen. War doch klar, dass Du mit deinem zerfetzten Bauch drauf gehen würdest.“
Mit einem scheuen Blick streifte er dieses klumpige Gemisch aus schwarz geronnenem Blut, herausquellenden Eingeweiden und Uniformfetzen, das einmal Toms Unterleib gewesen war. ‚Kaum zu glauben, dass so eine winzige Granate ein solch großes Loch reißen kann’, dachte er und besaß Mühe, eine aufkommende Übelkeit zu überwinden.

Anfangs hatten sie sich noch lustig gemacht über das schwach tastende Feuer des „Kirschkernspuckers“, wie sie den kleinen und total veralteten Granatwerfer des Gegners verächtlich nannten. Und dann plötzlich das dumpfe Bersten mitten im Graben. Die Druckwelle hatte Paul gegen die Brustwehr geschleudert. Betäubt und von lockerem Sand überschüttet, hatte er eine ganze Weile reglos dagelegen, um Luft gerungen und Staub gehustet. Viel später erst hörte er Toms gellende Schreie. Paul wusste sofort, dem war nicht mehr zu helfen, doch er ahnte nicht, wie schwer Tom sterben würde. Das nur von Angst und Schmerz bestimmte Brüllen war zwar rasch schwächer geworden, aber es wurde zu einem auf- und abschwellendes Stöhnen, das sich über Stunden hinzog. Nun lag er ganz still. In den gebrochenen Augen schien eine einzige Frage festgeschrieben zu sein: WARUM?
Paul riss sich von dem Anblick los, der ihm zusätzliche Angst einflößte. Angst um das eigene Schicksal. Wann würden sie im Bataillonsstab endlich bemerken, dass ihr vorgeschobener Posten praktisch ausgeschaltet war? Wann würden sie kommen, um ihn hier raus zu holen? Würden sie überhaupt kommen?
„Scheiße! Verdammte Scheiße! Wo bleibt ihr denn?“ hörte er sich brüllen. In Wirklichkeit drang sein heiseres Krächzen kaum über den Rand der Sandmulde hinaus.
Paul griff sich stöhnend an die Stirn. Vorsichtig befingerte er den durchgebluteten Notverband, bevor er sich ächzend wieder in die Rückenlage fallen ließ.
„Oh verdammt!“ Diesmal war es wirklich nur ein Flüstern. In seinem Kopf tobte wieder hämmernder Schmerz. Er spürte nicht, wie sich seine Hände im Sand verkrallten und wie die in derben Schuhen steckenden Füße in hektischem Zucken tiefe Furchen in die Grabensohle wühlten. Er war sich auch der pendelnden Bewegungen seines Kopfes kaum bewußt, nahm nur wechselnde Bilder wahr, ohne sie wirklich in sich aufzunehmen.
Kopf nach links – ein steil in den Himmel ragender MG-Lauf, von dem klobigen Gurtkasten halb verdeckt.
Kopf gerade – ein langsam sich violett färbender Himmel.
Kopf nach links – der tote Tom.
Die Drehungen wurden rhythmischer, passten sich ungewollt dem Herzschlag an, besaßen plötzlich etwas von der Präzision eines Regulators. Ganz allmählich begann der Schmerz zu verdumpfen.
Irgendwann hielt er fröstelnd inne. Es war Nacht geworden. Mit ihr kam die Kälte. Das bis dahin verhaltene Gewittergrumeln schien allmählich näher zu kommen. Zuckendes Wetterleuchten ließ jeweils für Bruchteile von Sekunden die kalt flimmernden Sterne am pechschwarzen Firmament verblassen.
„Es wird bald regnen‘ dachte er. Mühsam, aber mit aufkeimender Hoffnung richtete er sich auf, stützte sich auf beide Ellenbogen und versuchte nach regenschwangeren Wolken Ausschau zu halten.
„Bald“, flüsterte er mit pfeifendem Atem. Als er den Kopf in den Nacken legte, erfaßte ihn ein wohltuendes Schwindelgefühl. Der Boden schien auf einmal zu wanken, die Grabenkanten fingen an, sich zu verwerfen, die Konturen lösten sich auf und dann begann alles um ihn langsam zu rotieren. Plötzlich hing Tom direkt über ihm, starrte mit höhnischem Grinsen auf ihn herab. In den toten Augen spiegelten sich die immer häufiger werdenden Blitze.
„Geh weg! Laß mich in Ruhe! Du hast es hinter dir!“
Und während sich sein Brustkorb in schmerzhaftem Keuchen hob und senkte, glaubte er den Toten röcheln zu hören.
Endlich verschwand das entstellte Gesicht aus seinem Blickfeld. Dafür drohte nun der Gurtkasten auf ihn zu stürzen. Die Hände schützend vor das Gesicht geworfen, sank Paul zurück. Sein Körper wand sich vergeblich, um wegzukommen – panische Angst ließ das Herz rasen, presste die ausgetrocknete Kehle zusammen und versperrte dem Angstschrei den Weg. Nur ein qualvolles Gurgeln entrang sich der Mundhöhle. Der schwere Kasten mit der gegurteten Munition polterte dicht an seinem Kopf vorbei.
Dem kurzen Aufatmen folgten neue Ängste. Was war das plötzlich für ein Geräusch? Es klang wie ein leises Zischen. Unwirklich, aber seltsam vertraut. Da war es wieder! Dieses eindringlich sanfte „Pssst“ - diesmal ganz dicht an seinem Ohr. Und noch einmal: „Pssst. Sei ganz ruhig. Kann es sein, dass Du schlecht geträumt hast?“
Ungläubiges Lauschen. Dann die zögernde Frage: “Maria?“
Seine verwirrten Blicke suchten in der Dunkelheit nach dem so nahen Gesicht der Geliebten. Und da waren sie, die wohlbekannten hellen Blauaugen. Langsam schälten sich nun auch die Konturen ihrer Züge aus der Nacht. Er sah ein warmes Lächeln auf schmalen Lippen, zwischen denen spielerisch ein Grashalm auf und ab wippte. Wieder ein Spuk, der ihn narren wollte? Oder gar Realität? Es musste ganz einfach wahr sein. Spürte er doch sogar einen Hauch von ihren unverkennbaren Duft. Ja, er brauchte nur die Hand auszustrecken, um seine Finger in ihrem dichten Haar zu vergraben.
Uff - er hatte tatsächlich nur geträumt.
„Maria.“
Eine unbeschreibliche Erleichterung durchflutete seinen Körper bis hinauf in die Haarwurzeln. Wirklich – alles nur ein verdammt böser Traum. In sein Lachen mischten sich Tränen.
„Habe ich lange geschlafen?“ fragte er schließlich zögernd. Irgendwie war es ihm schon peinlich, so sang und klanglos neben ihr eingepennt zu sein.
„Ja, lange. Tief und fest. Typisch Mann. Ein wenig Zärtlichkeit danach hätte mir ganz gut getan“, schmollte sie.
Oh, wie wohl das tat. Er wollte wenigstens zum Schein gegen den Vorwurf protestieren, ließ es aber dann. Viel zu sehr hielt ihn dieser schreckliche Traum immer noch gefangen. Viel zu sehr gab er sich der Erleichterung hin.
„Möchtest Du eine Zigarette?“ fragte Maria und ließ den Grashalm achtlos zu Boden schweben.
„Nein. Aber etwas zu Trinken. Ich habe wahnsinnigen Durst.“ Er spürte, wie der Traum zu verblassen begann.
„Tut mir leid. Aber damit kann ich nicht dienen. Alles restlos ausgepichelt.“
Er hörte ihr Lachen und lauschte diesen Tönen, die ihm nun auch den allerletzten Rest von Beklemmung nahmen.
„Laß uns gehen“, sagte er. „Es wird ohnehin bald regnen. Bei einem Gewitter sollte man auch nicht auf einer Wiese herum liegen.“
Besorgt schaute er zum Himmel, wo trotz der in der Ferne flammenden Blitze und dem heftigen Donnergrollen keine Wolke auszumachen war.
Plötzlich zuckte er zusammen. Ein feiner Leuchtpunkt zirpte irrsinnig schnell über seinen Kopf hinweg. Und da waren auf einmal noch mehr. Sie durchtobten, feine Linien in die Dunkelheit malend, den Raum zwischen seinem Gesicht und dem Firmament.
„Was ist das?“ fragte er verwirrt und glaubte, schon wieder in einen Traum verfallen zu sein. Doch da war Marias gurrende Stimme.
„Glühwürmchen. Schau doch nur – die vielen vielen Glühwürmchen!“
Er glaubte zu hören, wie sie begeistert in die Hände klatschte. „Noch nie habe ich so viele Glühwürmchen auf einmal gesehen!“
Paul stimmte in ihr befreiendes Lachen ein. Und er wunderte sich ein wenig mit ihr. Tatsächlich so viele Glühwürmchen auf einmal hatte er auch noch nie zu Gesicht bekommen.
„Rasch! Fang mir eins! Wenn es erst regnet, verschwinden sie.“
„Aber sie sind wahnsinnig schnell“, wagte er einzuwenden.
„Du schaffst das schon. Du musst dich nur geschickt anstellen. Bitte, Paul. Ich habe noch nie ein Glühwürmchen aus der Nähe gesehen, geschweige denn, in der Hand gehalten.“
Ihre Begeisterung wirkte ansteckend.
„Überredet“, brummte er schließlich und erhob sich taumelnd. Die Müdigkeit saß ihm doch noch arg in den Knochen.
‚Kein Wunder nach einem so ausgiebigen Liebesspiel auf weichgrüner Dämmerwiese‘, dachte er und lächelte in sich hinein.
„Warte. Ich versuche es.“ Mit zwei drei Schritten überwand er die kleine Bodenwelle, hinter der sie vor neugierigen Blicken geschützt, die letzten Stunden verbracht hatten. Gespannt blickte er nach vorn. Nichts zu sehen, außer den unablässig zuckenden Blitzen. Doch da! Ein ganzer Schwarm dieser geheimnisvollen Leuchtkäfer! Wie auf einer Perlenschnur aufgereiht, rasten sie direkt auf ihn zu. Noch ehe er reagieren konnte, huschten sie vorbei. Aber da näherte sich schon der nächste Pulk – auf unmittelbarer Augenhöhe sausten sie heran. Blitzschnell streckte er eine Hand aus. Ein ungewöhnlich harter Schlag. Krampfhaft schlossen sich die Finger. Die Freude über den Fang ließ den plötzlichen Schmerz in den Hintergrund treten.
„Ich habe eins! Ich habe eins!“ jubelte er. Damit drehte er sich um und trat stolz den Rückweg an. Da spürte er die Feuchtigkeit zwischen den Fingern.
‚Ich habe zu fest zugepackt‘, dachte er. ‚Nun ist das Käferchen nur noch Matsch.‘
Enttäuscht führte er die Faust dicht vor die Augen und öffnete die Finger. Eine klebrige Flüssigkeit quoll hervor und lief ihm warm den Unterarm hinab. Wie kam in ein solch kleines Insekt soviel Flüssigkeit...?
„Hast Du eins?“ hörte er Maria rufen. Wieso stand sie auf einmal direkt neben ihm?
„Ich habe es zerquetscht“, stammelte er. „Tut mir leid, aber ich versuche es gleich noch einmal.“
„Ja – fang es mir! Na los!“ Sie schlug ihm aufmunternd zwischen die Schulterblätter. Es schmerzte. Warum schlug Maria so hart? Ich geb mir doch Mühe. Warte – gleich....


Die feindlichen Soldaten, die im Morgengrauen die dünne Frontlinie durchbrachen, fanden Paul mit dem Gesicht nach unten über der Brustwehr hängen. Die Leuchtspurgeschosse hatten seinen Rücken zerfetzt.
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
echt

umwerfend, deine geschichte. da bekommt man direkt eine gänsehaut. volle punktzahl, mein lieber!
ganz lieb grüßt
 

Schakim

Mitglied
Die letzten Erinnerungen vor dem Ende...

Hallo, Ralph!

Ich staune, wie gekonnt verpackt Du die letzten Gedanken, eines bereits dem Tod geweihten Soldaten, zu einer so meisterhaft erzählten Geschichte herausgearbeitet hast! Bis am Schluss bleibt die Spannung erhalten!


Wünsche ein schönes Wochenende!
Schakim
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
lieber

ralph, ein paar fehlerchen haben sich in deinen text eingeschlichen, die ich erst nach wiederholtem lesen entdeckte. bin mit dem stift drübergegangen und habe alle korrekturvorsZeit der Glühwürmchen


Die Schatten waren länger geworden. Sie hatten sich langsam über die niedrige Brustwehr geschoben und reichten jetzt (V)weit in den flachen Graben hinein. Erst hatten sie nur Pauls Füße, dann seine Oberschenkel und später auch Bauch und Brustkorb bedeckt. Nun, wo sie endlich auf seinen Kopf fielen, wurden sie von einem schwachen Aufatmen empfangen. Paul spürte, wie sich auch noch ein feiner Lufthauch zu dem Schatten gesellte, und wie beide vereint etwas von der ersehnten Kühlung brachten. Nur den quälenden Durst vermochten sie nicht zu mildern. Der saß nach wie vor schmerzhaft dörrend in der Kehle, hatte die Zunge in der trockenen Mundhöhle immer mehr verpelzen lassen und beherrschte seit Stunden Pauls ganzes Sein.
Langsam drehte er sich zur Seite, suchte mit beiden Händen nach der leeren Feldflasche und begann sie mit verzweifelter Hartnäckigkeit zu schütteln.
„Leer!“ Er hätte nicht sagen können, wie oft in den vergangenen Stunden diese vernichtende Feststellung schon über seine aufgeplatzten Lippen gekommen war. Zuerst sachlich quittierend, dann wütend herausschreiend und schließlich nur noch dumpf resignierend.
Sein verstörter Blick fiel auf den toten Tom.
„Hast mir alles weggesoffen, Bruder. Und wozu? Nur, um dann doch zu sterben.“
Paul lachte wütend mitten in das von einem langen Todeskampf entstellte und nun zur Fratze erstarrte Gesicht des Kameraden. Es war ein kurzes, trockenes Lachen, das schließlich in einem Hustenanfall mündete(besser wäre endete, mündete würde einen H. erfordern). Ihm war, als zöge jemand Stacheldraht durch seine Luftröhre.
„Du hast es genau gewusst und trotzdem immer wieder um Wasser gebettelt. Ich hätte dir nichts geben sollen. War doch klar, dass Du mit deinem zerfetzten Bauch drauf gehen würdest.“
Mit einem scheuen Blick streifte er dieses klumpige Gemisch aus schwarz geronnenem Blut, herausquellenden Eingeweiden und Uniformfetzen, das einmal Toms Unterleib gewesen war. ‚Kaum zu glauben, dass so eine winzige Granate (war es nicht nur ein granatsplitter?)ein solch großes Loch reißen kann’, dachte er und besaß Mühe, eine aufkommende Übelkeit zu überwinden.
Anfangs hatten sie sich noch lustig gemacht über das schwach tastende Feuer des „Kirschkernspuckers“, wie sie den kleinen und total veralteten Granatwerfer des Gegners verächtlich nannten. Und dann plötzlich das dumpfe Bersten mitten im Graben. Die Druckwelle hatte Paul gegen die Brustwehr geschleudert. Betäubt und von lockerem Sand überschüttet, hatte er eine ganze Weile reglos dagelegen, um Luft gerungen und Staub gehustet. Viel später erst hörte er Toms gellende Schreie. Paul wusste sofort, dem war nicht mehr zu helfen, doch er ahnte nicht, wie schwer Tom sterben würde. Das nur von Angst und Schmerz bestimmte Brüllen wurde zwar rasch schwächer, aber es wurde zu einem auf- und abschwellenden Stöhnen, das sich über Stunden hinzog. Nun lag er ganz still. In den gebrochenen Augen schien eine einzige Frage festgeschrieben zu sein: WARUM?
Paul riss sich von dem Anblick los, der ihm zusätzliche Angst einflößte. Angst um das eigene Schicksal. Wann würden sie im Bataillonsstab endlich bemerken, dass ihr vorgeschobener Posten praktisch ausgeschaltet war? Wann würden sie kommen, um ihn hier raus zu holen? Würden sie überhaupt kommen?
„Scheiße! Verdammte Scheiße! Wo bleibt ihr denn?“, hörte er sich brüllen. In Wirklichkeit drang sein heiseres Krächzen kaum über den Rand der Sandmulde hinaus.
Paul griff sich stöhnend an die Stirn. Vorsichtig befingerte er den durchgebluteten Notverband, bevor er sich ächzend wieder in die Rückenlage fallen ließ.
„Oh verdammt!“ Diesmal war es wirklich nur ein Flüstern. In seinem Kopf tobte wieder hämmernder Schmerz. Er spürte nicht, wie sich seine Hände im Sand verkrallten und wie die in klobigen Schuhen steckenden Füße in hektischem Zucken tiefe Furchen in die Grabensohle wühlten. Er war sich auch der pendelnden Bewegungen seines Kopfes kaum bewusst, nahm nur wechselnde Bilder wahr, ohne sie wirklich in sich aufzunehmen.
Kopf nach links – ein steil in den Himmel ragender MG-Lauf, von dem klobigen Gurtkasten halb verdeckt.
Kopf gerade – ein langsam sich violett färbender Himmel.
Kopf nach links – der tote Tom.
Die Drehungen wurden rhythmischer, passten sich ungewollt dem Herzschlag an, besaßen plötzlich etwas von der Präzision eines Regulators. Ganz allmählich begann der Schmerz zu verdumpfen.
Irgendwann hielt er fröstelnd inne. Es war Nacht geworden. Mit ihr kam die Kälte. Das bis dahin verhaltene Gewittergrummeln schien allmählich näher zu kommen. Zuckendes Wetterleuchten ließ jeweils für Bruchteile von Sekunden die kalt flimmernden Sterne am pechschwarzen Firmament verblassen.
„Es wird bald regnen‘ dachte er. Mühsam, aber mit aufkeimender Hoffnung, richtete er sich auf, stützte sich auf beide Ellenbogen und versuchte nach regenschwangeren Wolken Ausschau zu halten.
„Bald“, flüsterte er mit pfeifendem Atem. Als er den Kopf in den Nacken legte, erfasste ihn ein wohltuendes Schwindelgefühl. Der Boden schien auf einmal zu wanken, die Grabenkanten fingen an, sich zu verwerfen, die Konturen lösten sich auf und dann begann alles um ihn langsam zu rotieren. Plötzlich hing der tote Tom direkt über ihm, starrte mit höhnischem Grinsen auf ihn herab. In den toten Augen spiegelten sich die immer häufiger werdenden Blitze.
„Geh weg! Lass mich in Ruhe! Du hast es hinter dir!“
Und während sich sein Brustkorb in schmerzhaftem Keuchen hob und senkte, glaubte er den Toten röcheln zu hören.
Endlich verschwand das entstellte Gesicht aus seinem Blickfeld. Dafür drohte nun der Gurtkasten auf ihn zu stürzen. Die Hände schützend vor das Gesicht geworfen, sank Paul zurück. Sein Körper wand sich vergeblich, um wegzukommen – panische Angst ließ das Herz rasen, presste die ausgetrocknete Kehle zusammen und versperrte dem Angstschrei den Weg. Nur ein qualvolles Gurgeln entrang sich der Mundhöhle. Der schwere Kasten mit der gegurteten Munition polterte dicht an seinem Kopf vorbei.
Dem kurzen Aufatmen folgten neue Ängste. Was war das plötzlich für ein Geräusch? Es klang(kein Komma) wie ein leises Zischen. Unwirklich, aber seltsam vertraut. Da war es wieder! Dieses eindringlich sanfte „Pssst“ - diesmal ganz dicht an seinem Ohr. Und noch einmal: „Pssst. Sei ganz ruhig. Kann es sein, dass Du schlecht geträumt hast?“
Ungläubiges Lauschen. Dann die zögernde Frage: “Maria?“
Seine verwirrten Blicke suchten in der Dunkelheit nach dem so nahen Gesicht der Geliebten. Und da waren sie, die wohlbekannten hellen Blauaugen. Langsam schälten sich nun auch die Konturen ihrer Züge aus der Nacht. Er sah ein warmes Lächeln auf schmalen Lippen, zwischen denen spielerisch ein Grashalm auf und ab wippte. Wieder ein Spuk, der ihn narren wollte? Oder gar Realität? Es musste ganz einfach wahr sein. Spürte er doch sogar einen Hauch von ihrem unverkennbaren Duft. Ja, er brauchte nur die Hand auszustrecken, um seine Finger in ihrem dichten Haar zu vergraben.
Uff - er hatte tatsächlich nur geträumt.
„Maria.“
Eine unbeschreibliche Erleichterung durchflutete seinen Körper bis hinauf in die Haarwurzeln. Wirklich – alles nur ein verdammt böser Traum. In sein Lachen mischten sich Tränen.
„Habe ich lange geschlafen?“, fragte er schließlich zögernd. Irgendwie war es ihm schon peinlich, so sang und klanglos neben ihr eingepennt zu sein.
„Ja, lange. Tief und fest. Typisch Mann. Ein wenig Zärtlichkeit danach hätte mir ganz gut getan“, schmollte sie.
Oh, wie wohl das tat. Er wollte wenigstens zum Schein gegen den Vorwurf protestieren, ließ es aber dann. Viel zu sehr hielt ihn dieser schreckliche Traum immer noch gefangen. Viel zu sehr gab er sich der Erleichterung hin.
„Möchtest Du eine Zigarette?“, fragte Maria und ließ den Grashalm achtlos zu Boden schweben.
„Nein. Aber etwas zu Trinken. Ich habe wahnsinnigen Durst.“ Er spürte, wie der Traum zu verblassen begann.
„Tut mir leid. Aber damit kann ich nicht dienen. Alles restlos ausgepichelt.“
Er hörte ihr Lachen und lauschte diesen Tönen, die ihm nun auch den allerletzten Rest von Beklemmung nahmen.
„Lass uns gehen“, sagte er. „Es wird ohnehin bald regnen. Bei einem Gewitter sollte man auch nicht auf einer Wiese herum liegen.“
Besorgt schaute er zum Himmel, wo trotz der in der Ferne flammenden Blitze und dem heftigen Donnergrollen keine Wolke auszumachen war.
Plötzlich zuckte er zusammen. Ein feiner Leuchtpunkt zirpte irrsinnig schnell über seinen Kopf hinweg. Und da waren auf einmal noch mehr. Sie durchtobten, feine Linien in die Dunkelheit malend, den Raum zwischen seinem Gesicht und dem Firmament.
„Was ist das?“, fragte er verwirrt und glaubte, schon wieder in einen Traum verfallen zu sein. Doch da war Marias gurrende Stimme.
„Glühwürmchen. Schau doch nur – die vielen vielen Glühwürmchen!“
Er glaubte zu hören, wie sie begeistert in die Hände klatschte. „Noch nie habe ich so viele Glühwürmchen auf einmal gesehen!“
Paul stimmte in ihr befreiendes Lachen ein. Und er wunderte sich ein wenig mit ihr. Tatsächlich, so viele Glühwürmchen auf einmal hatte er auch noch nie zu Gesicht bekommen.
„Rasch! Fang mir eins! Wenn es erst regnet, verschwinden sie.“
„Aber sie sind wahnsinnig schnell“, wagte er einzuwenden.
„Du schaffst das schon. Du musst dich nur geschickt anstellen. Bitte, Paul. Ich habe noch nie ein Glühwürmchen aus der Nähe gesehen, geschweige denn, in der Hand gehalten.“
Ihre Begeisterung wirkte ansteckend.
„Überredet“, brummte er schließlich und erhob sich taumelnd. Die Müdigkeit saß ihm doch noch arg in den Knochen.
‚Kein Wunder nach einem so ausgiebigen Liebesspiel auf weichgrüner Dämmerwiese‘, dachte er und lächelte in sich hinein.
„Warte. Ich versuche es.“ Mit zwei drei Schritten überwand er die kleine Bodenwelle, hinter der sie vor neugierigen Blicken geschützt, die letzten Stunden verbracht hatten. Gespannt blickte er nach vorn. Nichts zu sehen außer den unablässig zuckenden Blitzen. Doch da! Ein ganzer Schwarm dieser geheimnisvollen Leuchtkäfer! Wie auf einer Perlenschnur aufgereiht, rasten sie direkt auf ihn zu. Noch ehe er reagieren konnte, huschten sie vorbei. Aber da näherte sich schon der nächste Pulk – auf unmittelbarer Augenhöhe sausten sie heran. Blitzschnell streckte er eine Hand aus. Ein ungewöhnlich harter Schlag. Krampfhaft schlossen sich die Finger. Die Freude über den Fang ließ den plötzlichen Schmerz in den Hintergrund treten.
„Ich habe eins! Ich habe eins!“, jubelte er. Damit drehte er sich um und trat stolz den Rückweg an. Da spürte er die Feuchtigkeit zwischen den Fingern.
‚Ich habe zu fest zugepackt‘, dachte er. ‚Nun ist das Käferchen nur noch Matsch.‘
Enttäuscht führte er die Faust dicht vor die Augen und öffnete die Finger. Eine klebrige Flüssigkeit quoll hervor und lief ihm warm den Unterarm hinab. Wie kam in ein solch kleines Insekt soviel Flüssigkeit...?
„Hast Du eins?“, hörte er Maria rufen. Wieso stand sie auf einmal direkt neben ihm?
„Ich habe es zerquetscht“, stammelte er. „Tut mir leid, aber ich versuche es gleich noch einmal.“
„Ja – fang es mir! Na los!“ Sie schlug ihm aufmunternd zwischen die Schulterblätter. Es schmerzte. Warum schlug Maria so hart? Ich geb mir doch Mühe. Warte – gleich....


Die feindlichen Soldaten, die im Morgengrauen die dünne Frontlinie durchbrachen, fanden Paul mit dem Gesicht nach unten über der Brustwehr hängen. Die Leuchtspurgeschosse hatten seinen Rücken zerfetzt.


chläge in klammern gesetzt. ganz lieb grüßt
 

Inu

Mitglied
Hallo ralph

Ich habe gegen Ende Deiner atemberaubenden Geschichte auf einmal entgegen aller Vernunft gehofft, das so aufwühlend geschilderte Kriegs- und Sterbeszenario sei doch nur ein böser Traum gewesen und der Mann wache in Wahrheit friedlich und geborgen neben der Geliebten auf. Deine bis zuletzt mit Hochspannung geschriebene Geschichte hat mich sehr erschüttert. Von mir diesmal die volle Punktzahl.

Lieben Gruß

Inu
 
R

Rote Socke

Gast
Lieber ralph, ich werde Dich niemehr lesen!

Ich freute mich anhand des Titels und des Anfangs auf eine angenehme Lesereise. Der heutige strahlende Frühlingsmorgen passte auch so gut dazu.
Und dann, dann wird es ernst und ernster.

Na ja, Du weißt, dass obiger Titel ein Scherz ist. Solchen Stoff lese ich besonders gern.

Aber Kammeraden schreibt man Kameraden.

Beste Grüße
Volkmar
 
S

Stoffel

Gast
Grüß Dich Ralph,
bin nun einige Male hier herum geschlichen, bis ich endlich die nötige Ruhe zum lesen hatte :)

Meine Anmerkungen dazu sind nicht dolle..
nur das, was mir so auffiel.
Ansonsten denke ich, würde ich es noch ein wenig raffen, prägnanter dann gestalten.
Aber sonst:
Prima erzählt..
macht natürlich traurig..klar.

lG
Stoffel

Frage: WAS ist "Brustwehr"?
Ist es DAS Wehr der "Brust"?(Fluss,ich der Leser weiß es ja nicht)

also..
"hatten sich langsam über das niedrige Wehr der Brust.."?

"Verzweifelte Hartnäckigkeit"..sehr gut! Kenne ich gut, es ist eine enorme Anstrengung.

"Sein verstörter Blick fiel auf seinen toten Kameraden Tom."

"Später hörte er Toms gellende Schreie..."
(bei Dir hört es sich so an, als ob er bis DAHIN taub war..aber "gellende" Schreie hört man SOFORT,denke ich..??)

"Es war Nacht geworden und mit ihr kam die Kälte..."
 
V

vicell

Gast
an den auflagen-garant..

Lieber Ralph!
Ich denke, ich brauche nichts mehr hinzuzufügen, denn eigentlich haben Reneè und flammi schon alles gesagt, was ich denke. Aber ich möchte Dir einfach nur noch mal meine Bewunderung aussprechen für die geniale Schreibweise, die man bei Dir immer wieder geniessen kann. (auch beim Vorlesen des Textes!) Beim nochmaligen Lesen sind in mir förmlich Bilder entstanden, die das ganze umso eindringlicher für mich gemacht haben. So etwas schafft kein noch so guter Film meiner Meinung nach.
Ich bin sehr froh, jemanden wie Dich zu kennen, denn Deine Arbeiten bedeuten wirklichen Gewinn für mich.

So, das wars, ich wünsche Dir und Christine noch eine schöne Woche und bis bald!
 

Ralph Ronneberger

Foren-Redakteur
Teammitglied
So, Leute,

nun wird es aber langsam Zeit, dass ich auf eure Kommentare, für die ich mich herzlich bedanken möchte, endlich reagiere. Ich weiß, mein Verhalten grenzt schon an Unhöflichkeit, und der von mir so oft wiederholte Stoßseufzer „Keine Zeit!“ taugt in diesem Falle nicht als Ausrede.

@Reneé
die Geschichte stimmt mich nachdenklich in der jetzigen Situation. Ich wünschte, es wären wirklich nur Glühwürmchen.
Ja, Reneé. Ich hätte es mir auch gewünscht. Aber Leuchtspurgeschosse kommen mitunter ( und zur Zeit ganz bestimmt) häufiger vor, als die kleinen harmlosen Käferchen.


@ Michael:
Ja – mit dem “eingepennt“ war ich mir anfangs auch nicht sicher. Aber dann dachte ich mir: ‚Nimm dieses Wort, denn so würde er sich wahrscheinlich ausdrücken, wenn er tatsächlich neben ihr ziemlich sang- und klanglos eingeschlafen wäre. In diesem flapsigen Ausdruck soll sich seine Erleichterung wiederspiegeln.


@ schakim:
Danke für dein Lob. „Über deinen Satz: „Bis am Schluss bleibt die Spannung erhalten!“ habe ich mich besonders gefreut.


@ flammarion:
Vielen Dank auch Dir für das Lob. Und ganz besonderen Dank für die Mühe, mit der Du deinen „Rotstift“ über den Text hast wandern lassen. Ich hoffe, nun alle „Fehlerchen“ ausgemerzt zu haben. Nur zwei Dinge ignoriere ich mal großkotzig gg – Ich lasse das Lachen weiter münden und bleibe bei der Granate. Von einem Splitter war nie die Rede. Aber... von der Sache her hättest wahrscheinlich Du Recht. Eine Granate hätte den armen Kerl völlig zerfetzt. Ich denke nach.


@ Inu:
„Deine bis zuletzt mit Hochspannung geschriebene Geschichte hat mich sehr erschüttert“.
Danke Inu. Genau das sollte die Geschichte ja auch. Aber ich war mir nicht sicher, ob das gelingen könnte. Ich schreibe viel lieber heitere, auch ironische Sachen. Doch da will momentan einfach nichts über die Tastatur kommen.


@ Kammmmerad Rote Socke:
Du glaubst nicht, wieviel Prügel ich schon wegen dieses Fehlers bezogen habe. (Familie eingeschlossen)
Ansonsten freue ich mich, dass Du auch solchen Stoff gern liest. Ich fürchte nämlich, diese Art von Stoff wird mir so schnell nicht ausgehen.


@ Stoffel:
Schön, dass auch dir die kleine Geschichte gefallen hat. Du schreibst unter anderem: „Ansonsten denke ich, würde ich es noch ein wenig raffen, prägnanter dann gestalten“
Hier magst Du Recht haben. Ich weiß, dass ich mich oft zu langatmig über das Papier bewege, aber noch habe ich kein Mittel dagegen gefunden.
Deine Frage nach der „Brustwehr“ hat mich zunächst verwundert, aber dann musste ich feststellen, dass dieser Begriff tatsächlich nicht so wahnsinnig geläufig ist. Also – unter einer Brustwehr versteht man eine brusthohe Schutzvorrichtung aus Holz, Ziegeln oder Stein. Nicht selten dienen auch Sandsäcke zur Herstellung einer Brustwehr. Der dahinter verborgene Kämpfer soll, wenn er sich aufrichtet, bis in Brusthöhe weitgehend vor feindlichem Feuer geschützt sein.

„bei Dir hört es sich so an, als ob er bis DAHIN taub war..aber "gellende" Schreie hört man SOFORT,denke ich..??)“
Ja, gellende Schreie sollte man sofort hören, wenn man nicht taub ist. Aber wenn in unmittelbarer Nähe eine Granate krepiert, dann kann es schon sein, dass man für einige Zeit betäubt ist. Ich habe das selbst schon erlebt – allerdings mit Übungsgranaten.


@vicell: Einfach nur Danke. Ansonsten siehst Du mich sprachlos und mit roten Ohren am PC sitzen und mich freuen. Bis bald.


Viele Grüße an alle von
Ralph
 
S

Stoffel

Gast
Guten Morgen Ralph,

ach so..ja, klar. Ich sehe es nu vor mir, was gemeint. Sorry, ich Dämlack dachte an einen kleinen Fluss Namens "Brust"...*smile*

Ja, ich denke mal, wenn der Kopf sehr beansprucht ist, vieles um einen rum abgeht, dann kann man sogar einen Knall oder sonst etwas um sich herum nicht hören.
Ich kenne es das Phänomen.

Danke für Deine Erklärung.

lG
schönen Sonntag
Stoffel
 
P

Poet

Gast
Zuerst sachlich quittierend, dann wütend herausschreiend und schließlich nur noch dumpf resignierend. ([red] ja, der Satz liest sich gut, aber so richtig gut in den Text fügt er sich doch nicht ein [/red].)

Kaum zu glauben, dass so eine winzige Granate ein solch großes Loch reißen kann’, dachte er und besaß Mühe, eine aufkommende Übelkeit zu überwinden. ([red]also, Paul ist ein Soldat, nicht? In Ordnung. Als solcher muss er wissen, dass das Einschussloch immer klein ist. Das Austrittsloch dagegen ist immer viel größer. Sein Freund Tom liegt also mit einem zerfetzten Bauch. Er ist ganz sicher nicht direkt von einer Granate getroffen worden, sonst wäre vom Tom nicht viel übrig geblieben. Ein Granatensplitter (Im Volksmund Schrapnelle genannt) hat ihn aufgeschlitzt.[/red])

Paul wusste sofort, dem war nicht mehr zu helfen, doch er ahnte nicht, wie schwer Tom sterben würde. ([red]Tom war schwer verwundet. Dennoch verlangte er die ganze Zeit Wasser vom Paul. Du hast vergessen, dass der Kerl einen aufgeschlitzten Bauch hat.
Als ich Eingeweide las, dachte ich, du schreibst hier eine Story, die Realitäts- bezogen ist. Realität ist, dass Menschen mit solchen Verletzungen – in den meisten Fällen – an einem Schock sterben[/red].)

Das nur von Angst und Schmerz bestimmte Brüllen war zwar rasch schwächer geworden, aber es wurde zu einem auf- und abschwellendes Stöhnen ([red]abschwellenden Stöhnen[/red])

Er spürte nicht, wie sich seine Hände im Sand verkrallten und wie die in derben Schuhen steckenden Füße in hektischem Zucken tiefe Furchen in die Grabensohle wühlten. ([red]wie hat er dann die Abfolge registriert? Er hat es nicht gespürt, also musste er es gesehen haben. Was du vermutlich hier erklären wolltest ist, dass er all das nicht wahrgenommen hat[/red])

Er war sich auch der pendelnden Bewegungen seines Kopfes kaum bewußt ([red]bewusst[/red])

Ganz allmählich begann der Schmerz zu verdumpfen. ([red]wie verdumpfen? Er spürte sie nicht mehr? Oder sie würden weniger?[/red])

Das bis dahin verhaltene Gewittergrumeln ([red]das ist Umgangssprache[/red])


Als er den Kopf in den Nacken legte, erfaßte ([red]erfasste[/red])


Geh weg! Laß ([red]Lass[/red]) mich in Ruhe! Du hast es hinter dir!“


Der schwere Kasten mit der gegurteten ([red]gegürteten. Es heißt ja auch Gürtel und nicht Gurtel[/red]) Munition polterte dicht an seinem Kopf vorbei.

Eine unbeschreibliche Erleichterung durchflutete seinen Körper bis hinauf in die Haarwurzeln. ([red]die Haarwurzel[/red])


Tut mir leid. ([red]Leid, doch großgeschrieben. Neue Rechtschreibung.[/red])

Ein feiner Leuchtpunkt zirpte irrsinnig ([red]was ist irrsinnig? Womit kannst du es vergleichen? Diesen Ausdruck wirst du in der Literatur kaum finden, weil es keine passende Formulierung ist.[/red]) schnell über seinen Kopf hinweg.


[blue]Glühwürmchen[/blue]. Schau doch nur – die vielen[red], [/red]vielen [blue]Glühwürmchen[/blue]!“
Er glaubte zu hören, wie sie begeistert in die Hände klatschte. „Noch nie habe ich so viele [blue]Glühwürmchen[/blue] auf einmal gesehen!“
Paul stimmte in ihr befreiendes Lachen ein. Und er wunderte sich ein wenig mit ihr. Tatsächlich so viele [blue]Glühwürmchen[/blue] auf einmal hatte er auch noch nie zu Gesicht bekommen.
„Rasch! Fang mir eins! Wenn es erst regnet, verschwinden sie.“


[red]Welches Wort hier wird zu oft wiederholt?[/red]

Aber sie sind wahnsinnig schnell“, wagte er einzuwenden.([red]Das ist leider nicht wahr. Glühwürmchen sind eigentlich langsame Flieger. Man kann sie mühelos einfangen[/red])


„Du schaffst das schon. Du musst dich nur geschickt anstellen. Bitte, Paul. Ich habe noch nie ein Glühwürmchen aus der Nähe gesehen, geschweige denn, in der Hand gehalten.“ ([red]Wenn das ein Weißkopfadler wäre, und man würde ihn fliegen sehen, dann könntest du sagen: ich habe den Vogel noch nie aus nächster Nähe gesehen. Weil der Adler ein großer Vogel ist. Aber ein Glühwürmchen hat schon jeder Mal aus der Nähe gesehen, weil sie so klein sind.[/red])

Mit zwei drei Schritten überwand er die kleine Bodenwelle, hinter der sie vor neugierigen Blicken geschützt, die letzten Stunden verbracht hatten. ([red]Hast du den Satz schon mal gelesen? Da stimmt was nicht[/red])

Wie auf einer Perlenschnur aufgereiht, rasten ([red]rasen ist gut. Hey, die fliegen noch langsamer als die Fliegen[/red]) sie direkt auf ihn zu.


‚Ich habe zu fest zugepackt‘, dachte er. ‚Nun ist das Käferchen nur noch Matsch.‘ ([red]Ich bin mir sicher, dass man dafür eine viel treffende Formulierung finden kann[/red])


Enttäuscht führte er die Faust dicht vor die Augen und öffnete die Finger. Eine klebrige Flüssigkeit quoll hervor und lief ihm warm den Unterarm hinab.([red]das war aber ein wahnsinnig großer und saftiger Leuchtkäfer. In Wirklichkeit sind sie aber sehr klein. Wenn man sie zerdrück (was ich ein paar Male als Kind machte, dann knackt es, es gibt nur ein kleines Geräusch…mehr nicht.[/red])

Warum schlug Maria so hart? Ich geb[red]'[/red] mir doch Mühe. Warte – gleich....

Die Leuchtspurgeschosse hatten seinen Rücken zerfetzt. ([red]zerschossen. Schon vergessen? Eintrittsloch ist niemals groß.[/red])

Ja, der Krieg ist immer hässlich. Du hast eine einfache Geschichte aus dem Schützgraben erzählt, wo ein eingekesselter, verletzter Soldat die letzten Stunden seines Lebens durchlebt.
Den Tod wolltest du ein bisschen poetisch, beinahe romantisch darstellen. Auf der anderen Seite beschreibst du den Paul, der mit dem aufgeschlitzten Bauch qualvoll verstarb.
Welche Wahrheit und wie viel Realität mutest du deinen Leser zu? Von ein wenig Blut und Eingeweide wird doch keiner Ohnmächtig. Du wolltest damit klar deiner Story die Tiefe, das Schwere, das Unausweichliche verleihen. Aber das hast du nicht geschafft. Warum?
Weil du die ganze Zeit ganz klar an der Oberfläche geschwommen bist.
Wäre deine Geschichte eine Ballerina, die auf einem Seil die Balance übt, würde sie sofort umkippen. Die Geschichte hat kein Gleichgewicht. Viel zu lange hältst du dich mit den Glühwürmchen auf.
Kannst du dich in die Situation hineinversetzen? Du liegst im Schützgraben, hast Durst, dein Kammrad ist tot, du bist vermutlich der Nächste, überall Krieg und Zerrstörung. Was suchst du dort? Für wenn kämpfst du? Die Verzweiflung müsste dir die Augen auskratzen.
Und dann erscheint dir die Maria im Traum. Sie fragt dich ob du eine Zigarette willst (?).

Wenn man in der Trance ist, bzw. wenn man schläft, dann wird man von dem beeinflusst, was man hört und was man am eigenen Körper spürt. Wenn du während des Schlafs irgendwo eine Kirchenglocke hörst, könnte es durchaus sein, dass dein Unterbewusstsein das Geräusch aufnimmt und es sofort in das Geträumte einbaut. Den Trick mit der Hand und dem warmen Wasser kennst du vermutlich schon.
Wenn dein Protagonist also eingeschlafen war, konnte sein Traum durch die Leuchtspurgeschosse nicht beeinflusst sein, weil das ein optischer Reiz war, den er beim besten Willen nicht wahrnehmen konnte.
Aber man wurde den Schluss sowieso schlucken, wenn man nicht darüber großartig nachdenkt.

Ich hab’s eben getan.

Lieben Gruß, Poet.
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
entschuldigung

Bester Poet, wenn ich damals schon gewusst hätte, dass deine Muttersprache nicht deutsch ist, hätte ich dir ganz anders geantwortet. Warum steht das nicht in deinem Profil? Wenn man in deinem Profil etwas mehr über dich erfahren würde, würde man wahrscheinlich anders mit dir umgehen.
Der Schützengraben schützt die Soldaten, Soldaten schießen, sind also Schützen. Deshalb wird es immer Schützengraben heißen und nicht Schützgraben. Schutzgraben ist eine ganz andere Variante, für Arbeiter nämlich.
Die Patronen sind im Patronengurt gegurtet. Gürtel ist ein Bekleidungsstück, Gurt ein Werkzeug. Deshalb wird es im Deutschen niemals einen Patronengürtel geben, es wäre zu lächerlich. Und du weißt ja schon, dass der Deutsche nichts so sehr hasst, wie Lächerlichkeit . . .
Ganz lieb grüßt
 
Hallo

Grausam, irgendwie wollte ich dem Soldaten beim Lesen meine Wasser Flache reichen. Lese Kriegsgeschehen nie, will mir das nicht antun, aber ich konnte nicht aufhören zu lesen, obwohl ich wußte das er stirbt. Das komische war, ich konnte ihn sehen, seinen Durst spüren, seine Hoffnung, das ist Lesen für mich.

Lieben Gruß Stephanie
 
Gut gelungen

Eine gut gelungene Geschichte, auch wenn ich keine Ahnung habe, was "Leuchtspurgeschosse" sind und mit Krieg, Kampf u.ä. habe ich es auch nicht so. Das finde ich kein besonders interessantes Thema. Auch Geschichten, die mit dem Tod enden, sind absolut nicht mein Ding. Das gibt es in der Realität schon genug, wir sollten uns beim Schreiben mit Positiverem beschäftigen, eine hoffnungsvolle Perspektive für die Welt bieten.

Ich schließe mich dem Kommentar mit dem Ausrutscher "eingepennt" an. Das paßt nicht zum Stil der Geschichte, und es gibt noch einige andere solche umgangssprachlichen Ausrutscher, aber ansonsten: sehr gut. Wenn man pessimistische Geschichten mag ...
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
also,

beste rechtschreibfetischistin, pessimistisch würde ich diese geschichte nicht nennen wollen, eher schwermütig, aber auch etwas romantisch.
lg
 

Pola Lilith

Mitglied
Gekonnt ! Nein, meisterhaft erzählt !

Gut hat mir auch gefallen, daß Maria nicht in's Klischee abgestürzt ist, wie ich anfangs mit deren "blauen Augen" befürchtete - die Kurve hast du mit großem Raffinesse hinbekommen.

Ich wünsche Dir weiter viel Erfolg !

Gruß, Pola

http://www.pola-lilith.de
 
D

Dominik Klama

Gast
Anti-Kriegs-Geschichte. Ein verwundeter, von den eigenen Truppen abgeschnittener Soldat, der am Verdursten ist und vermutlich auch ohne weitere Ereignisse nicht mehr lange am Leben bliebe, hat, als während eines weiteren Geschosshagels ein tödlicher Rückenschuss ihn nahezu unbemerkt trifft, eine Vision vom friedlichen Zusammensein mit einer Frau auf einer abendlichen Glühwürmchenwiese.

Ich weiß es längst – und es muss mir da unten niemand hinschreiben, die absolute Mehrheit hier zu Forum ist NICHT meiner Ansicht, dennoch halte ich fest an ihr. Warum nur gibt’s unter Lesern ewig und immer Pluspunkte für Geschichten, die sich den „schönen“ Dingen des Lebens widmen, die sich gegen alles Böse auf der Welt aussprechen und uns eine Welt malen, die es zwar nirgendwo gibt, die wir uns alle (auch ich) uns aber oft wünschen? Also, wer GEGEN Krieg schreibt, hat immer einen Vorteil. Ähnlich, wer über Blumen und Sommer und Kinder und schöne Frauen und Liebe Lachen und Schlagobers schreibt. Andererseits könnte man aber auch über Warzen und Fußpilz und Propagandaminister und Vielweiberei und das Arbeitsamt schreiben. Das ginge durchaus an, brächte aber keine Bonuspunkte. Nun würde ja ich sagen, ein gut geschriebener Text über Mundgeruch ist besser als ein schlechter über Weihnachtssterne. Aber sonst meinen das offenbar eher wenig Leute, habe ich den Eindruck.

Und wenn ich nun hingehe und eine Text FÜR den Frieden und GEGEN den Krieg schreibe und außerdem einen Text, in dem eine grüne Wiese mit zwei jungen Liebenden drauf und putzigen Glühwürmchen vorkommt, in dem eine junge Frau (warum eigentlich nie eine Rheuma-kranke Alte?) das Emblem des Friedens darstellt, dann hab ich vorab schon so viele Pluspunkteier im Korb, dass es ziemlich egal ist, was jetzt noch kommt, meine wird am Ende immer mehr Applaus einheimsen als die Fußpilz- oder Achselschweißgeschichte.

Trotzdem kann eines Tages ein böser Mensch wie ich kommen und sagen: „Na, was haben wir denn hier? Zwei Geschichten zu einer verbunden. Da trennen wir die doch einfach mal auf und sehen sie einzeln an, bevor wir sie wieder zusammen angucken. Könnte ja was bringen, so vorzugehen, man weiß nie.“ Und dann bekomme ich eine Geschichte, na eigentlich nur eine Situation von zwei jungen Liebenden, die von feuchtfröhlichen Nachtinsekten umzingelt werden. Welche alles andere als aufregend ist. Von neu wollen wir mal nicht reden. Was ist schon neu unter der Sonne? Und ich bekomme eine Geschichte von einem im Sterben liegenden Soldaten, die so in der Art von Hemingway oder so etwas ist. Remarque, was weiß ich, ich lese keine Kriegsbücher, wie ich auch nicht Horror oder SF lese, man kann nicht alles lesen, die Zeit reicht nicht.

Diese Soldatengeschichte ist nun auch nicht gerade der unerhörteste Einfall auf der Welt. Sondern erzählt uns etwas, was wir alle schon irgendwie von irgendwoher kennen. Mir fiel gerade der Schluss von dem Film „Abbitte“ mit dem von mir sehr geschätzten James McAvoy ein. Der stirbt da im Weltkrieg an einer Blutvergiftung. Und das ist die Verfilmung eines viel gelesenen Romans (ich hab ihn nicht gelesen) von Ian McEwan. Wie gesagt, dergleichen kommt öfter vor, man kennt das. Nun bestünde in dieser Situation die Herausforderung für den Autor darin, die Sache so zu schildern, wie man sie nicht kennt. Nämlich etwas fühl-, seh-, verstehbar zu machen, was man bisher beim Konsum solcher Fiktionen immer übersehen hatte. Leistet Ralph das? Wer ihn hier mit der Neunzig-Prozent-Note juriert hat, scheint das wohl zu glauben. Ich nicht.

Oder aber die besondere Leistung des Verfassers bestünde darin, dass er aus umfassender Sachkenntnis heraus etwas zu erzählen hat, was sich die Leute, die zu Hause am Schreibtisch geblieben sind, schlicht und ergreifend niemals ausdenken können. Hemingway war nun mal mehr als einmal im Krieg und hat vermutlich dort Menschen getötet, gewiss aber zugesehen, wie andere neben ihm gestorben sind. Eine Erfahrung, die Ralph nicht hat, sondern simuliert. Das spürt man.

Ich sage etwas noch Streitbareres und bestimmt Umstritteneres: Ernst Jünger war nicht zufällig ein Typ, der den Nazis relativ nahe kam, Musterknabe der Demokratie war er gewiss nicht und ist er auch nicht geworden, als ihm Kohl das Bundesverdienstkreuz umhängte. Ernst Jünger schrieb Bücher über den Krieg, vor allem ein Buch, „In Stahlgewittern“ über den Stellungskrieg im Ersten Weltkrieg, die man, wenn man es unbedingt so haben wollte, sich irgendwie schon auch als Anti-Kriegs- und also vielleicht pazifistische Bücher zurechtlegen konnte. Aber jedes Kind (na ja, nicht jedes Kind, nicht mehr heute) weiß, dass Jünger eine Kriegsfaszination empfand, die nicht wirklich anti-Krieg sein konnte. Er war eher lebenslang so einer, der stolz drauf war, „in Stahlgewittern“ gestählt worden zu sein. Aber wenn ich dieses „In Stahlgewittern“ lese, dann merke ich, dass sich da jemand wirklich auskennt, wie es bei so etwas zugeht. Da ich keinerlei Bedürfnis habe, selbst einmal in so einem Graben zu liegen, ist das dann wohl meine einzige Chance, diesen Teil der menschlichen Realität auf eine vermittelte, aber gut vermittelte Art kennen zu lernen. Dafür muss ich dem „Nazi“ (sag ich mal) Jünger dankbar sein, was immer ich sonst von ihm halte. Ralph Ronneberger muss ich nicht dankbar sein. Über Kriege habe ich von ihm nichts erfahren, was ich so nicht schon wusste.

Und noch’n paar Details.

Ich finde, vieles hier ist ziemlich ungelenk ausgedrückt. Ein Beispiel von vielen möglichen:
„Kaum zu glauben, dachte er und besaß Mühe, eine aufkommende Übelkeit zu überwinden.“ Mir völlig neu, dass man Mühe besitzen kann. Und selbst „hatte Mühe, eine aufkommende Übelkeit zu überwinden“ würde mir nicht gefallen, „mühte sich, seine Übelkeit zu unterdrücken“ klänge wohl besser und würde kaum etwas anderes aussagen.

Bemerkenswerte Liebe zum Nominalstil. Beispiel: „Er war sich der pendelnden Bewegungen seines Kopfes kaum bewusst.“ Mag ja lieb sein, wenn jemand dem Genitiv in unser aller Erinnerung halten will. Aber es geht auch so: „Ihm fiel nicht mehr auf, dass sein Kopf sich die ganze Zeit hin und her bewegte wie ein Pendel.“ (Oder Regulator, falls das noch Leute verstehen, ohne den Fremdwörter-Duden zu bemühen.)

Ebenso liebt es Ralph, irgendwie expressionistisch, was ja zur Grabenkriegthematik nicht mal übel passt, an sich eher unbelebte, irgendwie abstrakte Subjekte als Akteure in seinen Sätzen auftreten zu lassen:
„Panische Angst ließ das Herz rasen, presste die ausgetrocknete Kehle zusammen und versperrte dem Angstschrei den Weg.“
Die ersten beiden Sätze dieser Aufzählung dessen, was die Angst tut, akzeptiere ich willig. Auch der dritte Teil ist nicht falsch. Aber klingt das denn nicht besser?: „Panische Angst machte sein Herz rasen, presste ihm die Kehle zusammen. Er wollte schreien, aber er brachte nichts heraus.“

Oder: „Die Schatten hatten sich langsam über die Brustwehr geschoben und reichten weit hinein in den Graben. Zuerst hatten sie seine Füße, seine Oberschenkel, schließlich Bauch und Brust bedeckt. Nun, wo sie endlich auf seinen Kopf fielen, wurden sie von einem schwachen Aufatmen empfangen.“
Zum letzten Satz. „Als sie endlich seinen Kopf erreichten, atmete Paul erleichtert auf.“ Das gefiele mir besser. Warum das Nominalisieren? Warum in einer Tour die Schatten als Satzsubjekte? Nur weil man einmal damit angefangen hat, darf man so schnell nicht wieder zu dem Menschen Paul als Subjekt zurückkehren? Oder soll das allen Ernstes was aussagen über die Entsubjektivierung des Menschen im Krieg?

„Es wird bald regnen, dachte er mit aufkeimender Hoffnung.“ Zeichen für aufkommenden Regen werden in relativ vielen Geschichten als Signale einer Befreiung erlebt. Aber warum hier? Stirbt es sich leichter in einem voll Wasser laufendem Graben, im Matsch? Kommt die rettende Hilfe besser voran, wenn der Boden nass wird? Hört das feindliche Feuer auf, wenn die Projektile den Regen durchschlagen müssen? Nein, wahrscheinlich liegt es daran, dass man dann trinken kann. Man hält einfach die leere Feldflasche hoch und lässt sie voll regnen.

„Langsam schälten sich nun auch die Konturen ihrer Züge aus der Nacht.“ Ja, unser Autor liebt die Häufung von Substantiven. Da erscheint dem Protagonisten also Maria. Geht aber auch so einfach: „Langsam schälten sich ihre Züge aus der Nacht“ oder „Langsam schälte sich ihr Gesicht aus der Finsternis.“

„Er brauchte nur die Hand auszustrecken, um seine Finger in ihrem Haar zu vergraben. Uff - er hatte tatsächlich nur geträumt. „Maria.“ Eine unbeschreibliche Erleichterung durchflutete seinen Körper. Uff, alles nur ein böser Traum. Tränen mischten sich in sein Lachen.“
Früher ging’s mir mal so, dass ich einen Text, den ich schon Jahre zuvor mit der Hand geschrieben hatte, nach und nach in den Computer eintippte. Was mir überhaupt keinen Spaß machte. Deshalb tippte ich in einem Rutsch immer nur eine einzige Seite. Und die nicht der Zahlenfolge nach, sondern ich fertigte aus den Seitenzahlen des Manuskripts Lose, die ich dann aus einem Hut zog. Ich schrieb den Text also nicht in der richtige Reihenfolge in den Computer, sondern mal hier und mal dort was. Wenn ich dann so im Schwung war, dichtete ich, da die Sätze ja oben und unten auf den Seiten meist mittendrin anfingen oder aufhörten, am Anfang und am Ende gern was dazu, erinnerte mich aber nicht mehr daran, wenn es an der Reihe war, die Seite davor oder danach zu erfassen. Sodass schließlich öfter seltsame Doppelungen im Text standen. Per Markieren mit der Maus griff ich (in Word) nun Sätze heraus, verschob sie ein wenig, sodass im Bereich dieser Übergangszonen immer zwei davon hintereinander standen, die praktisch denselben Inhalt, aber nicht ganz denselben Wortlaut hatten. Ich schaute mir dann die beiden eine kurze Weile an und löschte den, der mir weniger gefiel. Dann ließ ich den Text ziemlich lange liegen und als ich ihn wieder aufrief, musste ich feststellen, dass seltsamerweise mehr als einmal ein Satz VOR einem anderen gelandet war, der entsprechend der Erzähllogik hätte HINTER ihm stehen müssen. Das gefiel mir dann so gut, dass ich es von nun an manchmal absichtlich falsch hinschob, obwohl ich es durchaus richtig geschrieben hatte.

Etwa so: „Das Ei hatte er nicht lange genug gekocht. Der Dotter spritzte weit über das weiße Tischtuch. Frank schlug mit einem einzigem beherzten Hieb die Schneide des Messers ins obere Drittel des Frühstückseis. „Scheiße“, entfuhr es ihm, „heute Morgen geht auch wirklich alles schief!“ Allerdings beschlichen mich dann erhebliche Zweifel, ob meine Leser gewillt sein würden, durch dieses „episch verfremdete Prosatheater“ mit mir zu gehen – oder ob am Ende nicht alles nur auf mich zurückfallen und man sagen würde: „Der hat fürchterlich flüchtig und schlampig geschrieben.“ Und dann machte ich wieder alles „richtig“, was ich so mühsam „falsch“ gemacht hatte.
Das würde hier dann also so aussehen: „Eine unbeschreibliche Erleichterung durchflutete seinen Körper. „Maria!“ Er brauchte nur die Hand auszustrecken, um seine Finger in ihrem Haar zu vergraben. Uff, alles nur ein böser Traum. Tränen mischten sich in sein Lachen. Alles hatte er nur geträumt.“

(Nachdem ich das geschrieben hatte, merkte ich, dass ich den Text nicht verstanden hatte. Der erwartet von mir an dieser Stelle, dass ich ihm abkaufe, dass die Kriegsszene vom Beginn „nur ein Traum gewesen“ ist und nunmehr bereit bin zu denken, der Traum, der hier erst eingeleitet wird, sei vielleicht die Wirklichkeit. Was ich ihm aber keine Sekunde abgekauft habe. Die gewisse Holprigkeit der Sätze in diesem Absatz erklärt sich also daraus, dass Ralph eine Schwebe zu erreichen sucht: Eines ist ein Traum, eines ist wahr, welches, wisst ihr jetzt nicht mehr, ich sage es euch später dann. Also mir hätte er es nicht mehr sagen müssen.)

[Übrigens, by the way, ich hatte auch mal den unheimlich kreativen Einfall, in ein Buch alle Träume aus anderen (Prosa-) Büchern zu „kleben“, sie ein wenig hin und her und durcheinander zu schieben, aber selber nicht ein einziges Wort zu texten. Das geht leicht. Träume werden immer wieder irgendwo beschrieben. Das hätte den eminenten Vorteil gehabt, dass all die anderen Bücher statt der Traumsequenzen lauter Löcher gehabt hätten, was sie mich viel lieber hätte lesen lassen. Und das eine Buch mit dem Traum-Salat wäre letztlich wohl auch nicht ganz übel geworden.]

„Ein feiner Leuchtpunkt zirpte irrsinnig schnell über seinen Kopf hinweg. Und da waren auf einmal noch mehr. Sie durchtobten, feine Linien in die Dunkelheit malend, den Raum zwischen seinem Gesicht und dem Firmament.“

Ich habe den Eindruck, das zu dieser Metapher, die Geschosse mit Glühwürmchen vergleicht (bzw. der Vision, dass die einen die anderen seien) aus berufenerem Munde, nämlich von jemandem, der sowohl echte Leuchtkäferchen wie echte Geschosse erlebt hat, Ausgezeichnetes gesagt wurde. Ich gehe jetzt hier nur noch einmal sozusagen inner-sprachlich ein auf diese Bildlichkeit: Er liegt, ein Punkt zirpt schnell über seinen Kopf weg. Da würde ich mal annehmen, der Punkt hat sich halbwegs waagrecht bewegt. Dann weitere Punkte. Sie toben in dem Raum zwischen seinem Gesicht und dem Firmament. Diese Weiteren bewegen sich nun also reichlich senkrecht. Tja – und einerseits zirpt da etwas irrsinnig schnell (also mindestens Formel-1-mäßig) vorbei, aber andererseits „malt“ dieses Etwas auch „feine“ Linien. Also nicht irgendwelche hastigen Farbexplosionsplatscher von Jackson Pollock, sondern feine Linien wie von, ähm, weiß ich, Caspar David Friedrich vielleicht. Ja, geht denn das?
 
S

suzah

Gast
hallo ralph,
eine anti-kriegs-geschichte finde ich als kriegsgegnerin im prinzip gut und wichtig, damit auch diejenigen, die keinen krieg erlebten, sich damit auseinandersetzen.
allerdings erscheint mir einiges nicht so glaubhaft, u.a. das selbstgespräch des prot, wie auch schon poet und dominik klama schrieben.
z.b. „Kaum zu glauben, dass so eine winzige Granate ein solch großes Loch reißen kann“.
es kann keine granate gewesen sein, dann wäre von ihm wohl nichts mehr übrig - und „winzig“ sind die dinger ja nun nicht.
„Kopf nach „links“ – ein steil in den Himmel ragender MG-Lauf, von dem klobigen Gurtkasten halb verdeckt.
Kopf gerade – ein langsam sich violett färbender Himmel.
Kopf nach „links“ – der tote Tom.“
sieht er vielleicht einmal auch nach rechts, du sprichst von drehbewegung?

poet, flammarion, dominik klama,
es ist hier einiges in den kommentaren gesagt worden, dem ich zum teil zustimme, jedoch:
poet: „Von ein wenig Blut und Eingeweide wird doch keiner Ohnmächtig.“
bist du militär- oder unfallarzt? das ist ein gräßlicher anblick, mir würde schlecht werden.
„Wenn dein Protagonist also eingeschlafen war, konnte sein Traum durch die Leuchtspurgeschosse nicht beeinflusst sein“
er schläft nicht, er hat diese in echtzeit höchstens sekundenlange vision, wahrscheinlich während er getroffen wird, läuft dieses für ihn wie ein „film“ ab. ich glaube, man hört auch die leuchtspurmunition "zischen", aber ich weiß es nicht.

poet und flammarion: „Der schwere Kasten mit der gegurteten (gegürteten). Es heißt ja auch Gürtel und nicht Gurtel) Munition polterte dicht an seinem Kopf vorbei.“

ralph sagt „gurtkasten“, gemeint ist doch aber eine munitionskiste. also gurte sind zum befestigen, die maschinengewehrmunition ist gegurtet, jedenfalls
so weit ich weiß, früher, also weltkrieg I, auf textilgurten, später auf metall.
patronengürtel (zum umschnallen am körper) gibt oder gab es auch, wo die gewehrpatronen hineingesteckt wurden.

dominik klama: du sagst vieles richtige zum stil. und zu hemingway, der die realität beschreibt, während jünger in „stahlgewitter“ den krieg verherrlicht. aber es ist etwas sehr mühsam, aus dem sehr langen kommentar die wichtigsten aussagen herauszuschälen.

liebe grüße suzah
 

Pola Lilith

Mitglied
Für was

denn so eine Erbsenzählerei !

Aber gut, mit der Literatur ist es wie mit der darstellenden Kunst - entweder rührt es einen an oder nicht.

Beachtlich zumindest die genaue und intensive Beschäftigung mit dem Text. - Jedem das seine !

Gruß, Pola
 



 
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