Die blinde Besucherin

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Inge Anna

Mitglied
Die blinde Besucherin

Welt der Farben -
Reichtum seines Lebens;
im Glück erfüllter Stunden
fließen ihm Worte
aus tiefster Seele -
und es ist ihm wichtig,
sie - die aufmerksam Lauschende -
teilhaben zu lassen
an der Freude seines Schaffens.
Und dann berühren ihre Hände,
in scheuem Echo
behutsam
den Rahmen der Leinwand,
doch es scheint ihr
als verfolgten sie
die Schatten der Aussperrung.​
 

Vera-Lena

Mitglied
zugespitzt

Liebe Inge Anna,

das ist nun eine sehr zugespitzte Situation, wenn ein Maler einem anderen Menschen, der keine Farben wahrnehmen kann etwas von seiner Arbeit erzählt.
In Deinem Text wird aber sehr deutlich, wieviel der Maler durch seine Begeisterung der Zuhörerin schenken kann. Auch wenn sie dann wiederum wahrnimmt, dass ihr etwas fehlt, ist sie doch von ihm beschenkt worden.
Wenn einem jemand von einem Film erzählt oder einem Buch, das er gelesen hat, gibt er ja auch ganz viel von sich selbst mit hinein.
Ich empfinde Deinen Text als einen glücklichen Augenblick für Beide.

Liebe Grüße ins maienhafte Saarland von Vera-Lena
 
K

Klopfstock

Gast
Ich für meinen Teil stelle mir eine Situation vor, in der
dieser Maler gar nicht weiß, daß die Besucherin blind ist.
Vielleicht nimmt er nur eine Person wahr, ohne sie richtig
angeschaut zu haben und im Überschwang erzählt er von seinen Werken. Oft sind Künstler Egozentriker, die nur sich selber "sehen" und andere nur wahrnehmen als Statisten
für ihre eigenen Auftritte;) - so könnte es auch gewesen sein.....
Liebe Inge Anna, Dein Gedicht gefällt mir, auch wenn
meine Interpretation vielleicht gar nicht zutrifft.

Dir einen schönen Abend
und ganz liebe Grüße
Irene :)
 

Inge Anna

Mitglied
Liebe Vera-Lena
ich hatte
bereits in frühester Jugend den brennenden Wunsch, irgendwann einmal das Atelier eines Malers betreten zu dürfen. Eine Früherblindung hat meinen Augen die Welt der Farben versperrt, mich andererseits jedoch mit einem Lebensvorrat an Vorstellungskraft ausgerüstet. Ja, vielleicht wird mir eines Tages besagter Künstler seine Schätze zeigen und mich im Hochgefühl unvergesslicher Stunden dem Himmel näherbringen.
Ich danke Dir für Deinen lieben, ausführlichen Kommentar und grüße Dich herzlich
Inge Anna
 

Inge Anna

Mitglied
Liebe Irene,
habe lange überlegt und dann doch meinen ganzen Mut aufgewendet, den Beitrag hier zu posten. Ja, es trifft zu, dass Künstler oft nur sich selber sehen. Meinen Maler im Gedicht möchte ich mir fast als Heiligen vorstellen. Hab' herzlichen Dank für Deinen mir sehr wichtigen Antwortkommentar.
Lieb grüßend und noch einen schönen Tag wünschend
Inge Anna
 
Liebe Inge Anna,
der von dir dargestellte Maler vermittelt mit Leidenschaft die Farben seines Bildes an die blinde Besucherin, er möchte sie teilhaben lassen an der ihr unbekannten Welt. Du lässt sein Vorhaben scheitern. Das erzeugt Trauer, gibt zugleich deinem Gedicht Schönheit.
Vielleicht könnte der Schluss schärfer formuliert werden: Die Schatten des Ausgeschlossenseins verwehren den Zugang.

Liebe Grüße
Wilhelm Riedel
 

Inge Anna

Mitglied
Lieber Wilhelm Riedel,
ja, der Künstler wollte sie, die blinde Besucherin, teilhaben lassen an der Freude seines Schaffens. Die Schatten des Ausgeschlossenseins üben ihre Macht aus, doch unbesiegbar sind sie nicht, meine ich. Über die Formulierung der Schlusszeilen werde ich nochmals nachdenken.
Vielen Dank fürs Kommentieren und liebe Grüße von
Inge Anna
 
S

Sheerie

Gast
Liebe Inge Anna,

verstehen wird, wer auf dem Weg zum Blindsein ist oder bereits dort angekommen.
Danke sehr, mit liebem Gruß Sheerie.
 
H

Harald

Gast
Liebe Inge Anna,

Dein berührendes Gedicht erinnerte mich an einen sehr lieben Mitbewohner in unserem Haus, der leider im Alter erblindete. Er wohnte in einem Blindenheim, lernte sich zu behaupten und besuchte manchmal auch seinen alten Stadtteil, das Nonntal.

Einmal traf ich ihn, wie er zusammen mit einer anderen Blinden an der Kirche entlang schritt. Ich begrüßte ihn. Er stellte mir seine Begleiterin namentlich vor und sagte dann: „Ich zeige ihr jetzt das Nonntal!“

Und ich bin sicher, er hat ihr mehr davon gezeigt, als die meisten sehen.

Liebe Grüße
Harald
 

Inge Anna

Mitglied
Die blinde Besucheri

Lieber Harald,
Späterbllindete Menschen können sich meist nur schwer mit der neuen Situation abfinden. Ich selbst bin ja, wenn man es mal so ausdrücken darf, mit dieser Behinderung aufgewachsen, sozusagen in engster Verbindung. Ich liebe das Leben und meine Farben finde ich in der Musik (Farbtöne). Danke, Harald, für Deine Antwortzeilen und liebe Grüße von
Inge Anna
 



 
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