Die große Chance

Scorpio

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Die große Chance

Fassungslos starrte Tobias auf den Brief in seinen Händen. Er konnte nicht glauben, was er da las: „.... nach Auswertung des schriftlichen Tests und des Bewerbungsgesprächs vor der Kommission ...... trotz Erreichung der Mindestanforderungen ..... leider kein positiver Bescheid für die Zulassung zum Hebammen-Studium.“ Höfliche Floskeln, keine Begründung - Ende - Aus. Er wusste nicht, ob er in dem Augenblick weinen oder laut schreien sollte. Das war nun schon die zweite Absage, bis zum Ende der Bewerbungsfrist blieb ihm nicht mehr viel Zeit.

Welche Ungerechtigkeit dies doch war! Tobias war sich sicher, dass er sehr gut bei den Aufnahmetests gewesen war. Einzig die Tatsache, dass er ein Mann war, ließ sich nun mal nicht wegleugnen; einer unter mehr als 500 Bewerberinnen an sechs Ausbildungs-Standorten. Einer, der dennoch berechtigt war, am Auswahlverfahren teilzunehmen. Doch Tobias wusste instinktiv, dass nicht nur die Vielzahl an Bewerberinnen ihn aus der Auswahl gepusht hatte. 13 : 1 war das Verhältnis Bewerberinnen : Ausbildungsplätze. Die Chance, angenommen zu werden, demnach verschwindend klein. Einen Mann zuzulassen, würde jedenfalls ziemlich Staub aufwirbeln im Berufsbild der Hebammen. Gibt es doch für männliche Hebammen - so sie das Auswahlverfahren überhaupt bestehen - nicht mal eine angemessene Berufsbezeichnung. Dem deutschen “Entbindungspfleger“ konnte Tobias auch nichts abgewinnen - nicht wirklich sexy, dieser Name für eine Tätigkeit, die mit so viel Schmerz und Glück gleichermaßen verbunden ist. Tobias zerknüllte den abschlägigen Brief und ging erst mal ins Bett.

„Warum hast du dir auch so etwas Spezielles ausgesucht?“, fragte die Mutter tags drauf. „Da wirst du es immer schwer haben, Anerkennung zu finden. Es gibt zu viele Vorurteile, dass Männer diesen Beruf genauso ausüben können wie Frauen. Und es fehlt an Vertrauen“. „Der Bua wird schon wissen, was er tut“, tönte da die Oma. „Jeder lebt sein Leben nach seiner Façon. Lass ihn werden, was er will.“ Die Oma hatte immer zu ihm gehalten. Tobias drückte sie liebevoll an sich. Sie war nicht nur seine leibliche - , sondern auch seine Seelenverwandte. Sie hatte immer Verständnis für seine Eigenheiten, seinen Lebensstil und auch für seine manchmal speziellen Freizeitbeschäftigungen. Als er mit 15 zuerst den EMOS, dann den Punks und zuletzt den Gothics angehörte, hatte sie ihn vor den Nachbarn verteidigt. - „Ach geh, die blauen Haare, das vergeht schon wieder.“ Er liebte immer schon das Spiel mit den traditionellen Geschlechterrollen. Der androgyne Look der EMOS, schwarze Kleidung mit Totenkopf-Applikationen, enge Röhrenhosen zu hohen Doc Martens oder Chucks, dazu Nasenpiercings, Metallketten und schwarz geschminkte Augen faszinierten ihn eine lange Zeit. Derart verkleidet sah er manches Mal fremd aus, wie ein Wesen aus einer anderen Welt. Gleichzeitig aber auch schön und unnahbar. Er hatte ein feines Gespür für Mode und Stil, auch wenn es nicht immer den Vorstellungen seiner Umwelt entsprach. - Auch musikalisch orientierte er sich zu dieser Zeit neu. Der Dachboden des elterlichen Einfamilienhauses in der 3.000 Seelen-Gemeinde Mitterbach bebte nicht selten unter den mächtigen Bässen von Psychobilly und Folkpunk; später gesellten sich Techno, Hip-Hop und Electro dazu. All das machte Tobias aus. Er war feinfühlig, trendy, zielgerichtet und unkonventionell.

„Der Bua von der Kirchenwirtin geht in die Stadt und wird Arzt. Des hat sie mir am Markt erzählt“, brachte die Mutter ein. „Mir ist bis heut ein Rätsel, warum der die Aufnahmeprüfung gschafft hat, und du net.“ Das war tatsächlich so und ein wunder Punkt für Tobias. Genau DAS war ja seine ursprüngliche Idee gewesen. Medizin wollte er studieren, Facharzt dazu machen, Orthopädie oder Gynäkologie. Schon Monate vor der Matura hatte er für die Aufnahmeprüfung gestrebert, Allgemeinwissen, Physik, Chemie und Multiple Choice-Beispiele. Als er dann im Frühsommer von der Wiener MedUni informiert wurde, dass er nicht positiv bewertet worden war, war er tagelang frustriert und unansprechbar. 7.500 Bewerber auf 740 Studienplätze, da blieb so mancher Bewerber auf der Strecke, der den Mindestkriterien noch entsprochen hätte. Leider gab es über Rankings keine Information. Es gab viel Wirbel um die Ergebnisse damals, und in den Rektoraten wurde fleißig, jedoch zwecklos interveniert. Das tat Tobias nicht. Er hatte plötzlich einen Plan B....

Noch acht Wochen Zeit bis zum Ende der Bewerbungsfrist. Nicht viel Zeit, aber machbar. Tobias hatte gründlich recherchiert. Er durfte sich mehrfach bewerben. Und er hatte es sich nun mal in den Kopf gesetzt, wenn schon nicht Medizin, so wollte er wenigstens das Hebammen-Studium beginnen. Schließlich wollte er bis vor nicht allzu langer Zeit noch Gynäkologe werden. Als Hebamme würde er seinem ursprünglichen Wunschberuf ein Stück weit näher kommen.

„Warum machst nicht was G‘scheites, Bua“, nörgelte der Vater nun schon zum wiederholten Male. Tobias wusste, dass der Vater nie ein Befürworter seiner „hochfliegenden“ Ideen war. Als Wirt und Gasthausbesitzer lagen seine Qualitäten eindeutig nicht im Anstrebern von lateinischen Bezeichnungen für Muskeln und Knochen. Lieber verkochte er die in den riesigen Töpfen seiner Wirtshausküche. „Koch solltest du lernen, das ist was Handfestes. Essen müssen die Leut‘ immer. Und nach der Lehr‘ kannst beim Kirchenwirt anfangen.“ „Aber der Bua hat so zarte Händ“, verteidigte ihn die Oma. „Der kann zeichnen und schneidern, und g‘scheit ist er a. Aus dem wird kein Kochlöffelschwinger“. „Und wer übernimmt hernach das Gasthaus?“, polterte der Vater. „Jetzt hat er gar nichts. Und als einziger Mann in der Geburtshilfe wird er noch zum Gespött der ganzen Ortschaft.“ Es entsponn sich ein heftiger Streit und niemand bemerkte, dass Tobias hinauf auf den Dachboden verschwunden war.

Für Tobias stand fest, er würde seinen eigenen Weg gehen, wie er es immer schon getan hatte. Auf Spotify klickte er einen Song der Sex Pistols an, laut genug, um die Streitereien von unten nicht mehr zu hören. Dann kramte er in seinen alten Kisten aus der Schulzeit, legte sich auf die Couch und dachte nach. - In den nächsten Tagen war von Tobias im Gasthaus nicht viel zu sehen. Er kaufte ein im Ort, kam vollbepackt mit Papiertragtaschen nach Hause und verschwand am Dachboden. Noch einmal füllte er die Online-Bewerbung für das Hebammen-Studium aus, meldete sich zum Aufnahmetest am Campus an. Diesmal würde es klappen, das wusste er.... Und so ging er relativ entspannt zur Prüfung. - Zwei Wochen später hatte Tobias die Einladung zum Aufnahmegespräch vor der Kommission im Briefkasten. Bereits in sechs Tagen sollte es soweit sein. Er jubelte laut und stürmte auf den Dachboden, wo er bis spät in die Nacht hinein herumkramte.

Die Aufnahmekommission hatte sich am Tag X bereits im Hörsaal eingefunden. Das Foyer des Campus war schon brechend voll. Die letzte Möglichkeit, in diesem Studienjahr zum Studium zugelassen zu werden. In der Luft lag eine gespannte Atmosphäre von Aufregung und Anspannung. Die Kandidaten wurden einzeln in den Hörsaal gerufen. Tobias musste ziemlich warten, bis sein Nachname, beginnend mit „W“, aufgerufen wurde, und er beobachtete, wie die eine oder andere mit fröhlichem Gesicht oder hängenden Schultern wieder aus dem Hörsaal kam.

„Cornelia Wulff“ tönte es da plötzlich und Tobias zuckte zusammen. Jetzt war Konzentration angesagt. Er zupfte an seinem nachtschwarzen Kleid, es saß eng, aber nicht unangemessen. Dazu trug er hochhackige Stiefeln, eine lange Statement-Kette, einen Silberarmreif und dezentes Makeup. Seine langen schwarzen Haare glänzten im künstlichen Licht, und er bemerkte, wie ihm einige bewundernde Blicke auf dem Weg in den Hörsaal folgten.

Die Kommission war gelangweilt, schon 35 Bewerberinnen an diesem Tag. Die Vorsitzende fragte Cornelia kurz nach ihren Daten, musterte die Zeugniskopien zwei Sekunden lang (die Vier in Mathe störte sie nicht im mindesten) und stellte routiniert ihre Fragen: Wer, warum, weshalb, wozu und wohin soll’s gehen? Tobias aka Cornelia konnte hier glänzen, mündliche Prüfungen waren immer schon ein Kinderspiel für ihn, er war eloquent und außerdem gut vorbereitet. Nach exakt 15 Minuten nickte die Vorsitzende freundlich: „Sie werden in acht Tagen von uns hören.“ Und Tobias aka Cornelia beobachtete, wie sie seine Unterlagen auf den Stapel rechts von ihr legte, auf den ganz dünnen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Interessante Idee und auch recht gut umgesetzt, wenn auch nicht wirklich glaubwürdig, was dem Lesevergnügen jedoch keinen Abbruch tut :cool: Ich nehme außerdem an, dass du gut über Auswahlverfahren etc. recherchiert hast oder einfach sowieso drüber Bescheid wusstest.

Hm, ich persönlich würde auf jeden Fall eine TV erkennen, egal, wie gut geschminkt und zurechtgenacht sie ist, halte es aber nicht für unmöglich, dass sich manche Leute täuschen lassen. Schwieriger ist die Sache mit den Zeugnissen: wie hat er das gemacht? Ist das überhaupt so erlaubt? Und: muss er jetzt nicht immer als Cornelia arbeiten gehen, wenn er als Cornelia die Prüfung bestanden hat und genommen wird?

Aber das sind Fragen, die für die gelungene Geschichte eigentlich keine Rolle spielen :) auf jeden Fall habe ich sie sehr gerne gelesen.
 

Scorpio

Mitglied
Liebe Delfine,

das Ganze war ein Spass an einem verregneten Sonntagnachmittag - was hier ja keiner wissen kann.
Ich hab die Geschichte vorw. für den Fanclub von Conchita geschrieben, dem ich angehöre - ja, genau, DIE Conchita! Es war nur eine Gedankenspielerei, mit ein bisschen ernstem Hintergrund:

Alle Facts zum Studium stimmen tatsächlich so ( ich bin aus dem FH-Sektor), und wir würden tatsächlich viel mehr Männer für nicht traditionell männliche Studien brauchen, als sich bewerben. Auch die Schere zwischen Bewerbungs- und Studienplätzen ist in Ö. - leider - exakt so.

Der Lebensweg von Tobias aka Cornelia stimmt wiederum im Großen und Ganzen - mit ein bisschen dichterischer Abweichung - mit dem von Conchita überein. Nur, dass der natürlich nicht Hebamme studieren wollte. Im Gegensatz, er ist und bleibt ein erfolgreicher und genialer Sänger und Showman, und bringt im kommenden Frühjahr das nächste, sein drittes Album ( Elektro und Techno!) heraus.
 
Lieber Scorpio,

das ist interessant! Einen Zusammenhang mit Conchita hatte ich natürlich nicht hergestellt. Dass die Geschichte dir Spaß gemacht hat, glaube ich gerne :) mir hat es auch Spaß gemacht, sie zu lesen. Und danke für die Erklärungen zu den Facts.

LG SilberneDelfine
 

Scorpio

Mitglied
Die große Chance

Fassungslos starrte Tobias auf den Brief in seinen Händen. Er konnte nicht glauben, was er da las: „.... nach Auswertung des schriftlichen Tests und des Bewerbungsgesprächs vor der Kommission ...... trotz Erreichung der Mindestanforderungen ..... leider kein positiver Bescheid für die Zulassung zum Hebammen-Studium.“ Höfliche Floskeln, keine Begründung - Ende - Aus. Er wusste nicht, ob er in dem Augenblick weinen oder laut schreien sollte. Das war nun schon die zweite Absage, bis zum Ende der Bewerbungsfrist blieb ihm nicht mehr viel Zeit.

Welche Ungerechtigkeit dies doch war! Tobias war sich sicher, dass er sehr gut bei den Tests und auch vor den Bewerber-Kommissionen gewesen war. Einzig die Tatsache, dass er ein Mann war, ließ sich nun mal nicht wegleugnen; einer unter mehr als 500 Bewerberinnen an sechs Ausbildungs-Standorten in Österreich. Einer, der dennoch berechtigt war, am Auswahlverfahren teilzunehmen. Er hatte es mehrfach überprüft, Zugangsvoraussetzungen gelesen und sogar beim Fachverband Hebammen angerufen: Gemäß Akkreditierungsbescheid sind Männer und Frauen gleichermaßen zum Studium Hebamme zugelassen. Doch Tobias fühlte instinktiv, dass nicht nur die Vielzahl an Bewerberinnen ihn aus dem Auswahlverfahren gepusht hatte. 13 : 1 war das Verhältnis Bewerberinnen : Ausbildungsplätze. Die Chance, angenommen zu werden, demnach verschwindend klein. Einen Mann zuzulassen, würde jedenfalls ziemlich Staub aufwirbeln im Berufsbild der Hebammen. Gibt es doch für männliche Hebammen - so sie das Auswahlverfahren überhaupt bestehen - nicht mal eine angemessene Berufsbezeichnung. Dem deutschen “Entbindungspfleger“ konnte Tobias auch nichts abgewinnen - nicht wirklich sexy, dieser Name für eine Tätigkeit, die mit so viel Schmerz und Glück gleichermaßen verbunden ist. Tobias zerknüllte den abschlägigen Brief und ging erst mal ins Bett.

„Warum hast du dir auch so etwas Spezielles ausgesucht?“, fragte die Mutter tags drauf. „Da wirst du es immer schwer haben, Anerkennung zu finden. Es gibt zu viele Vorurteile, dass Männer diesen Beruf genauso ausüben können wie Frauen. Und es fehlt an Vertrauen“. „Der Bua wird schon wissen, was er tut“, tönte da die Oma. „Jeder lebt sein Leben nach seiner Façon. Lass ihn werden, was er will.“ Die Oma hatte immer zu ihm gehalten. Tobias drückte sie liebevoll an sich. Sie war nicht nur seine leibliche - , sondern auch seine Seelenverwandte. Sie hatte immer Verständnis für seine Eigenheiten, seinen Lebensstil und auch für seine manchmal speziellen Freizeitbeschäftigungen. Als er mit 15 zuerst den EMOS, dann den Punks und zuletzt den Gothics angehörte, hatte sie ihn vor den Nachbarn verteidigt. - „Ach geh, die blauen Haare, das vergeht schon wieder.“ Er liebte immer schon das Spiel mit den traditionellen Geschlechterrollen. Der androgyne Look der EMOS, schwarze Kleidung mit Totenkopf-Applikationen, enge Röhrenhosen zu hohen Doc Martens oder Chucks, dazu Nasenpiercings, Metallketten und schwarz geschminkte Augen faszinierten ihn eine lange Zeit. Derart verkleidet sah er manches Mal fremd aus, wie ein Wesen aus einer anderen Welt. Gleichzeitig aber auch schön und unnahbar. Er hatte ein feines Gespür für Mode und Stil, auch wenn es nicht immer den Vorstellungen seiner Umwelt entsprach. - Auch musikalisch orientierte er sich zu dieser Zeit neu. Der Dachboden des elterlichen Einfamilienhauses in der 3.000 Seelen-Gemeinde Mitterbach bebte nicht selten unter den mächtigen Bässen von Psychobilly und Folkpunk; später gesellten sich Techno, Hip-Hop und Electro dazu. All das machte Tobias aus. Er war feinfühlig, trendy, zielgerichtet und unkonventionell.

„Der Bua von der Kirchenwirtin geht in die Stadt und wird Arzt. Des hat sie mir am Markt erzählt“, brachte die Mutter ein. „Mir ist bis heut ein Rätsel, warum der die Aufnahmeprüfung gschafft hat, und du net.“ Das war tatsächlich so und ein wunder Punkt für Tobias. Genau DAS war ja seine ursprüngliche Idee gewesen. Medizin wollte er studieren, Facharzt dazu machen, Orthopädie oder Gynäkologie. Schon Monate vor der Matura hatte er für die Aufnahmeprüfung gestrebert, Allgemeinwissen, Physik, Chemie und Multiple Choice-Beispiele. Als er dann im Frühsommer von der Wiener MedUni informiert wurde, dass er nicht positiv bewertet war, war er tagelang frustriert und unansprechbar. 7.500 Bewerber auf 740 Studienplätze, davon 25 Prozent an Studierende aus dem EWR und Drittstaaten - da blieb so mancher Bewerber auf der Strecke, der den Mindestkriterien noch entsprochen hätte. Leider gab es über Rankings keine Information. Es gab viel Wirbel um die Ergebnisse, und in den Rektoraten wurde fleißig, jedoch zwecklos interveniert. Das tat Tobias nicht. Er hatte plötzlich einen Plan B....

Noch acht Wochen Zeit bis zum Ende der Bewerbungsfrist am Campus. Die größte Fachhochschule des Landes hatte nicht nur die meisten Bewerber im Department Gesundheitswissenschaften, sie bot auch den längsten Bewerbungs-Zeitraum. Bis Ende September gab es Aufnahmegespräche und Tests. Nicht viel Zeit, aber machbar. Tobias hatte gründlich recherchiert. Er durfte sich mehrfach bewerben, was aber die Chancen nicht unbedingt erhöhte. Aber Tobias hatte sich nun mal in den Kopf gesetzt, wenn schon nicht Medizin, so wollte er wenigstens das Hebammen-Studium angehen. Schließlich wollte er doch bis vor nicht allzu langer Zeit noch Gynäkologe werden. Als Hebamme würde er seinem ursprünglichen Wunschberuf ein Stück weit näher kommen.

„Warum machst nicht was G‘scheites, Bua“, nörgelte der Vater nun schon zum wiederholten Male. Tobias wusste, dass der Vater nie ein Befürworter seiner „hochfliegenden“ Ideen war. Als Wirt und Gasthausbesitzer lagen seine Qualitäten eindeutig nicht im Anstrebern von lateinischen Bezeichnungen für Muskeln und Knochen. Lieber verkochte er die in den riesigen Töpfen seiner Wirtshausküche. „Koch solltest du lernen, das ist was Handfestes. Essen müssen die Leut‘ immer. Und nach der Lehr‘ kannst beim Kirchenwirt anfangen.“ „Aber der Bua hat so zarte Händ“, verteidigte ihn die Oma. „Der kann zeichnen und schneidern, und g‘scheit ist er a. Aus dem wird kein Kochlöffelschwinger“. „Und wer übernimmt hernach das Gasthaus?“, polterte der Vater. „Jetzt hat er gar nichts. Und als einziger Mann in der Geburtshilfe wird er noch zum Gespött der ganzen Ortschaft.“ Es entsponn sich ein heftiger Streit und niemand bemerkte, dass Tobias hinauf auf den Dachboden verschwunden war.

Für Tobias stand fest, er würde seinen eigenen Weg gehen, wie er es immer schon getan hatte. Auf Spotify klickte er einen Song der Sex Pistols an, laut genug, um die Streitereien von unten nicht mehr zu hören. Dann kramte er in seinen alten Kisten aus der Schulzeit, legte sich auf die Couch und dachte nach. - In den nächsten Tagen war von Tobias im Gasthaus nicht viel zu sehen. Er kaufte ein im Ort, kam vollbepackt mit Papiertragtaschen nach Hause und verschwand auf den Dachboden. Noch einmal füllte er die Online-Bewerbung für das Hebammen-Studium aus, meldete sich zum Aufnahmetest am Campus an. Bereits zwei Mal hatte er für diesen Test gelernt, diesmal würde es klappen, das wusste er.... Und so ging er relativ entspannt zur Prüfung. - Zwei Wochen später hatte Tobias die Einladung zum Aufnahmegespräch vor der Kommission im Briefkasten. Bereits in sechs Tagen sollte es soweit sein. Er jubelte laut und stürmte auf den Dachboden, wo er bis spät in die Nacht hinein herumkramte.

Die Aufnahmekommission hatte sich am Tag X bereits im Hörsaal eingefunden. Das Foyer des Campus war schon brechend voll. Die letzte Möglichkeit, in diesem Studienjahr zum Studium zugelassen zu werden. In der Luft lag eine gespannte Atmosphäre von Aufregung und Anspannung. Die Kandidaten wurden einzeln in den Hörsaal gerufen. Tobias musste ziemlich warten, bis sein Nachname, beginnend mit „W“, aufgerufen wurde, und er beobachtete, wie die eine oder andere mit fröhlichem Gesicht oder hängenden Schultern wieder aus dem Hörsaal kam.

„Cornelia Wulff“ tönte es da plötzlich und Tobias zuckte zusammen. Jetzt war Konzentration angesagt. Er zupfte an seinem nachtschwarzen Kleid, es saß eng, aber nicht unangemessen. Dazu trug er hochhackige Stiefeln, eine lange Statement-Kette, einen Silberarmreif und dezentes Makeup. Seine langen schwarzen Haare glänzten im künstlichen Licht, und er bemerkte, dass ihm einige bewundernde Blicke auf dem Weg in den Hörsaal folgten.

Die Kommission war gelangweilt, schon 35 Bewerberinnen an diesem Tag. Die Vorsitzende fragte Cornelia kurz nach ihren Daten, musterte die Zeugniskopien zwei Sekunden lang (die Vier in Mathe im Reifeprüfungszeugnis störte sie nicht im mindesten) und stellte routiniert ihre Fragen: Wer, warum, weshalb, wozu und wohin soll’s gehen? Tobias aka Cornelia konnte hier glänzen, mündliche Prüfungen waren immer schon ein Kinderspiel für ihn, er war eloquent und außerdem gut vorbereitet. Nach exakt 15 Minuten nickte die Vorsitzende freundlich: „Sie werden in acht Tagen von uns hören.“ Und Tobias aka Cornelia beobachtete, wie sie seine Unterlagen auf den Stapel rechts von ihr legte, auf den ganz dünnen.
 

Scorpio

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Die große Chance

Fassungslos starrte Tobias auf den Brief in seinen Händen. Er konnte nicht glauben, was er da las: „.... nach Auswertung des schriftlichen Tests und des Bewerbungsgesprächs vor der Kommission ...... trotz Erreichung der Mindestanforderungen ..... leider kein positiver Bescheid für die Zulassung zum Hebammen-Studium.“ Höfliche Floskeln, keine Begründung - Ende - Aus. Er wusste nicht, ob er in dem Augenblick weinen oder laut schreien sollte. Das war nun schon die zweite Absage, bis zum Ende der Bewerbungsfrist blieb ihm nicht mehr viel Zeit.

Welche Ungerechtigkeit dies doch war! Tobias war sich sicher, dass er sehr gut bei den Tests und auch vor den Bewerber-Kommissionen gewesen war. Einzig die Tatsache, dass er ein Mann war, ließ sich nun mal nicht wegleugnen; einer unter mehr als 500 Bewerberinnen an sechs Ausbildungs-Standorten in Österreich. Einer, der dennoch berechtigt war, am Auswahlverfahren teilzunehmen. Er hatte es mehrfach überprüft, Zugangsvoraussetzungen gelesen und sogar beim Fachverband Hebammen angerufen: Gemäß Akkreditierungsbescheid sind Männer und Frauen gleichermaßen zum Studium Hebamme zugelassen. Doch Tobias fühlte instinktiv, dass nicht nur die Vielzahl an Bewerberinnen ihn aus dem Auswahlverfahren gepusht hatte. 13 : 1 war das Verhältnis Bewerberinnen : Ausbildungsplätze. Die Chance, angenommen zu werden, demnach verschwindend klein. Einen Mann zuzulassen, würde jedenfalls ziemlich Staub aufwirbeln im Berufsbild der Hebammen. Gibt es doch für männliche Hebammen - so sie das Auswahlverfahren überhaupt bestehen - nicht mal eine angemessene Berufsbezeichnung. Dem deutschen “Entbindungspfleger“ konnte Tobias auch nichts abgewinnen - nicht wirklich sexy, dieser Name für eine Tätigkeit, die mit so viel Schmerz und Glück gleichermaßen verbunden ist. Tobias zerknüllte den abschlägigen Brief und ging erst mal ins Bett.

„Warum hast du dir auch so etwas Spezielles ausgesucht?“, fragte die Mutter tags drauf. „Da wirst du es immer schwer haben, Anerkennung zu finden. Es gibt zu viele Vorurteile, dass Männer diesen Beruf genauso ausüben können wie Frauen. Und es fehlt an Vertrauen“. „Der Bua wird schon wissen, was er tut“, tönte da die Oma. „Jeder lebt sein Leben nach seiner Façon. Lass ihn werden, was er will.“ Die Oma hatte immer zu ihm gehalten. Tobias drückte sie liebevoll an sich. Sie war nicht nur seine leibliche - , sondern auch seine Seelenverwandte. Sie hatte immer Verständnis für seine Eigenheiten, seinen Lebensstil und auch für seine manchmal speziellen Freizeitbeschäftigungen. Als er mit 15 zuerst den EMOS, dann den Punks und zuletzt den Gothics angehörte, hatte sie ihn vor den Nachbarn verteidigt. - „Ach geh, die blauen Haare, das vergeht schon wieder.“ Er liebte immer schon das Spiel mit den traditionellen Geschlechterrollen. Der androgyne Look der EMOS, schwarze Kleidung mit Totenkopf-Applikationen, enge Röhrenhosen zu hohen Doc Martens oder Chucks, dazu Nasenpiercings, Metallketten und schwarz geschminkte Augen faszinierten ihn eine lange Zeit. Derart verkleidet sah er manches Mal fremd aus, wie ein Wesen aus einer anderen Welt. Gleichzeitig aber auch schön und unnahbar. Er hatte ein feines Gespür für Mode und Stil, auch wenn es nicht immer den Vorstellungen seiner Umwelt entsprach. - Auch musikalisch orientierte er sich zu dieser Zeit neu. Der Dachboden des elterlichen Einfamilienhauses in der 3.000 Seelen-Gemeinde Mitterbach bebte nicht selten unter den mächtigen Bässen von Psychobilly und Folkpunk; später gesellten sich Techno, Hip-Hop und Electro dazu. All das machte Tobias aus. Er war feinfühlig, trendy, zielgerichtet und unkonventionell.

„Der Bua von der Kirchenwirtin geht in die Stadt und wird Arzt. Des hat sie mir am Markt erzählt“, brachte die Mutter ein. „Mir ist bis heut ein Rätsel, warum der die Aufnahmeprüfung gschafft hat, und du net.“ Das war tatsächlich so und ein wunder Punkt für Tobias. Genau DAS war ja seine ursprüngliche Idee gewesen. Medizin wollte er studieren, Facharzt dazu machen, Orthopädie oder Gynäkologie. Schon Monate vor der Matura hatte er für die Aufnahmeprüfung gestrebert, Allgemeinwissen, Physik, Chemie und Multiple Choice-Beispiele. Als er dann im Frühsommer von der Wiener MedUni informiert wurde, dass er nicht positiv bewertet war, war er tagelang frustriert und unansprechbar. 7.500 Bewerber auf 740 Studienplätze, davon 25 Prozent an Studierende aus dem EWR und Drittstaaten - da blieb so mancher Bewerber auf der Strecke, der den Mindestkriterien noch entsprochen hätte. Leider gab es über Rankings keine Information. Es gab viel Wirbel um die Ergebnisse, und in den Rektoraten wurde fleißig, jedoch zwecklos interveniert. Das tat Tobias nicht. Er hatte plötzlich einen Plan B....

Noch acht Wochen Zeit bis zum Ende der Bewerbungsfrist am Campus. Die größte Fachhochschule des Landes hatte nicht nur die meisten Bewerber im Department Gesundheitswissenschaften, sie bot auch den längsten Bewerbungs-Zeitraum. Bis Ende September gab es Aufnahmegespräche und Tests. Nicht viel Zeit, aber machbar. Tobias hatte gründlich recherchiert. Er durfte sich mehrfach bewerben, was aber die Chancen nicht unbedingt erhöhte. Aber Tobias hatte sich nun mal in den Kopf gesetzt, wenn schon nicht Medizin, so wollte er wenigstens das Hebammen-Studium angehen. Schließlich wollte er doch bis vor nicht allzu langer Zeit noch Gynäkologe werden. Als Hebamme würde er seinem ursprünglichen Wunschberuf ein Stück weit näher kommen.

„Warum machst nicht was G‘scheites, Bua“, nörgelte der Vater nun schon zum wiederholten Male. Tobias wusste, dass der Vater nie ein Befürworter seiner „hochfliegenden“ Ideen war. Als Wirt und Gasthausbesitzer lagen seine Qualitäten eindeutig nicht im Anstrebern von lateinischen Bezeichnungen für Muskeln und Knochen. Lieber verkochte er die in den riesigen Töpfen seiner Wirtshausküche. „Koch solltest du lernen, das ist was Handfestes. Essen müssen die Leut‘ immer. Und nach der Lehr‘ kannst beim Kirchenwirt anfangen.“ „Aber der Bua hat so zarte Händ“, verteidigte ihn die Oma. „Der kann zeichnen und schneidern, und g‘scheit ist er a. Aus dem wird kein Kochlöffelschwinger“. „Und wer übernimmt hernach das Gasthaus?“, polterte der Vater. „Jetzt hat er gar nichts. Und als einziger Mann in der Geburtshilfe wird er noch zum Gespött der ganzen Ortschaft.“ Es entsponn sich ein heftiger Streit und niemand bemerkte, dass Tobias hinauf auf den Dachboden verschwunden war.

Für Tobias stand fest, er würde seinen eigenen Weg gehen, wie er es immer schon getan hatte. Auf Spotify klickte er einen Song der Sofa Surfers an, laut genug, um die Streitereien von unten nicht mehr zu hören. Dann kramte er in seinen alten Kisten aus der Schulzeit, legte sich auf die Couch und dachte nach. - In den nächsten Tagen war von Tobias im Gasthaus nicht viel zu sehen. Er kaufte ein im Ort, kam vollbepackt mit Papiertragtaschen nach Hause und verschwand auf den Dachboden. Noch einmal füllte er die Online-Bewerbung für das Hebammen-Studium aus, meldete sich zum Aufnahmetest am Campus an. Bereits zwei Mal hatte er für diesen Test gelernt, diesmal würde es klappen, das wusste er.... Und so ging er relativ entspannt zur Prüfung. - Zwei Wochen später hatte Tobias die Einladung zum Aufnahmegespräch vor der Kommission im Briefkasten. Bereits in sechs Tagen sollte es soweit sein. Er jubelte laut und stürmte auf den Dachboden, wo er bis spät in die Nacht hinein herumkramte.

Die Aufnahmekommission hatte sich am Tag X bereits im Hörsaal eingefunden. Das Foyer des Campus war schon brechend voll. Die letzte Möglichkeit, in diesem Studienjahr zum Studium zugelassen zu werden. In der Luft lag eine gespannte Atmosphäre von Aufregung und Anspannung. Die Kandidaten wurden einzeln in den Hörsaal gerufen. Tobias musste ziemlich warten, bis sein Nachname, beginnend mit „W“, aufgerufen wurde, und er beobachtete, wie die eine oder andere mit fröhlichem Gesicht oder hängenden Schultern wieder aus dem Hörsaal kam.

„Cornelia Wulff“ tönte es da plötzlich und Tobias zuckte zusammen. Jetzt war Konzentration angesagt. Er zupfte an seinem nachtschwarzen Kleid, es saß eng, aber nicht unangemessen. Dazu trug er hochhackige Stiefeln, eine lange Statement-Kette, einen Silberarmreif und dezentes Makeup. Seine langen schwarzen Haare glänzten im künstlichen Licht, und er bemerkte, dass ihm einige bewundernde Blicke auf dem Weg in den Hörsaal folgten.

Die Kommission war gelangweilt, schon 35 Bewerberinnen an diesem Tag. Die Vorsitzende fragte Cornelia kurz nach ihren Daten, musterte die Zeugniskopien zwei Sekunden lang (die Vier in Mathe im Reifeprüfungszeugnis störte sie nicht im mindesten) und stellte routiniert ihre Fragen: Wer, warum, weshalb, wozu und wohin soll’s gehen? Tobias aka Cornelia konnte hier glänzen, mündliche Prüfungen waren immer schon ein Kinderspiel für ihn, er war eloquent und außerdem gut vorbereitet. Nach exakt 15 Minuten nickte die Vorsitzende freundlich: „Sie werden in acht Tagen von uns hören.“ Und Tobias aka Cornelia beobachtete, wie sie seine Unterlagen auf den Stapel rechts von ihr legte, auf den ganz dünnen.
 

Scorpio

Mitglied
Die große Chance

Fassungslos starrte Tobias auf den Brief in seinen Händen. Er konnte nicht glauben, was er da las: „.... nach Auswertung des schriftlichen Tests und des Bewerbungsgesprächs vor der Kommission ...... trotz Erreichung der Mindestanforderungen ..... leider kein positiver Bescheid für die Zulassung zum Hebammen-Studium.“ Höfliche Floskeln, keine Begründung - Ende - Aus. Er wusste nicht, ob er in dem Augenblick weinen oder laut schreien sollte. Das war nun schon die zweite Absage, bis zum Ende der Bewerbungsfrist blieb ihm nicht mehr viel Zeit.

Welche Ungerechtigkeit dies doch war! Tobias war sich sicher, dass er sehr gut bei den Tests und auch vor den Bewerber-Kommissionen gewesen war. Einzig die Tatsache, dass er ein Mann war, ließ sich nun mal nicht wegleugnen; einer unter mehr als 500 Bewerberinnen an sechs Ausbildungs-Standorten in Österreich. Einer, der dennoch berechtigt war, am Auswahlverfahren teilzunehmen. Er hatte es mehrfach überprüft, Zugangsvoraussetzungen gelesen und sogar beim Fachverband Hebammen angerufen: Gemäß Akkreditierungsbescheid sind Männer und Frauen gleichermaßen zum Studium Hebamme zugelassen. Doch Tobias fühlte instinktiv, dass nicht nur die Vielzahl an Bewerberinnen ihn aus dem Auswahlverfahren gepusht hatte. 13 zu 1 war das Verhältnis Bewerberinnen : Ausbildungsplätze. Die Chance, angenommen zu werden, demnach verschwindend klein. Einen Mann zuzulassen, würde jedenfalls ziemlich Staub aufwirbeln im Berufsbild der Hebammen. Gibt es doch für männliche Hebammen - so sie das Auswahlverfahren überhaupt bestehen - nicht mal eine angemessene Berufsbezeichnung. Dem deutschen “Entbindungspfleger“ konnte Tobias auch nichts abgewinnen - nicht wirklich sexy, dieser Name für eine Tätigkeit, die mit so viel Schmerz und Glück gleichermaßen verbunden ist. Tobias zerknüllte den abschlägigen Brief und ging erst mal ins Bett.

„Warum hast du dir auch so etwas Spezielles ausgesucht?“, fragte die Mutter tags drauf. „Da wirst du es immer schwer haben, Anerkennung zu finden. Es gibt zu viele Vorurteile, dass Männer diesen Beruf genauso ausüben können wie Frauen. Und es fehlt an Vertrauen“. „Der Bua wird schon wissen, was er tut“, tönte da die Oma. „Jeder lebt sein Leben nach seiner Façon. Lass ihn werden, was er will.“ Die Oma hatte immer zu ihm gehalten. Tobias drückte sie liebevoll an sich. Sie war nicht nur seine leibliche -, sondern auch seine Seelenverwandte. Sie hatte immer Verständnis für seine Eigenheiten, seinen Lebensstil und auch für seine manchmal speziellen Freizeitbeschäftigungen. Als er mit 15 zuerst den EMOS, dann den Punks und zuletzt den Gothics angehörte, hatte sie ihn vor den Nachbarn verteidigt. - „Ach geh, die blauen Haare, das vergeht schon wieder.“ Er liebte immer schon das Spiel mit den traditionellen Geschlechterrollen. Der androgyne Look der EMOS, schwarze Kleidung mit Totenkopf-Applikationen, enge Röhrenhosen zu hohen Doc Martens oder Chucks, dazu Nasenpiercings, Metallketten und schwarz geschminkte Augen faszinierten ihn eine lange Zeit. Derart verkleidet sah er manches Mal fremd aus, wie ein Wesen aus einer anderen Welt. Gleichzeitig aber auch schön und unnahbar. Er hatte ein feines Gespür für Mode und Stil, auch wenn es nicht immer den Vorstellungen seiner Umwelt entsprach. - Auch musikalisch orientierte er sich zu dieser Zeit neu. Der Dachboden des elterlichen Einfamilienhauses in der 3.000 Seelen-Gemeinde Mitterbach bebte nicht selten unter den mächtigen Bässen von Psychobilly und Folkpunk; später gesellten sich Techno, Hip-Hop und Electro dazu. All das machte Tobias aus. Er war feinfühlig, trendy, zielgerichtet und unkonventionell.

„Der Bua von der Kirchenwirtin geht in die Stadt und wird Arzt. Des hat sie mir am Markt erzählt“, brachte die Mutter ein. „Mir ist bis heut ein Rätsel, warum der die Aufnahmeprüfung gschafft hat, und du net.“ Das war tatsächlich so und ein wunder Punkt für Tobias. Genau DAS war ja seine ursprüngliche Idee gewesen. Medizin wollte er studieren, Facharzt dazu machen, Orthopädie oder Gynäkologie. Schon Monate vor der Matura hatte er für die Aufnahmeprüfung gestrebert, Allgemeinwissen, Physik, Chemie und Multiple Choice-Beispiele. Als er dann im Frühsommer von der Wiener MedUni informiert wurde, dass er nicht positiv bewertet war, war er tagelang frustriert und unansprechbar. 7.500 Bewerber auf 740 Studienplätze, davon 25 Prozent an Studierende aus dem EWR und Drittstaaten - da blieb so mancher Bewerber auf der Strecke, der den Mindestkriterien noch entsprochen hätte. Leider gab es über Rankings keine Information. Es gab viel Wirbel um die Ergebnisse, und in den Rektoraten wurde fleißig, jedoch zwecklos interveniert. Das tat Tobias nicht. Er hatte plötzlich einen Plan B....

Noch acht Wochen Zeit bis zum Ende der Bewerbungsfrist am Campus. Die größte Fachhochschule des Landes hatte nicht nur die meisten Bewerber im Department Gesundheitswissenschaften, sie bot auch den längsten Bewerbungs-Zeitraum. Bis Ende September gab es Aufnahmegespräche und Tests. Nicht viel Zeit, aber machbar. Tobias hatte gründlich recherchiert. Er durfte sich mehrfach bewerben, was aber die Chancen nicht unbedingt erhöhte. Aber Tobias hatte sich nun mal in den Kopf gesetzt, wenn schon nicht Medizin, so wollte er wenigstens das Hebammen-Studium angehen. Schließlich wollte er doch bis vor nicht allzu langer Zeit noch Gynäkologe werden. Als Hebamme würde er seinem ursprünglichen Wunschberuf ein Stück weit näherkommen.

„Warum machst nicht was G‘scheites, Bua“, nörgelte der Vater nun schon zum wiederholten Male. Tobias wusste, dass der Vater nie ein Befürworter seiner „hochfliegenden“ Ideen war. Als Wirt und Gasthausbesitzer lagen seine Qualitäten eindeutig nicht im Anstrebern von lateinischen Bezeichnungen für Muskeln und Knochen. Lieber verkochte er die in den riesigen Töpfen seiner Wirtshausküche. „Koch solltest du lernen, das ist was Handfestes. Essen müssen die Leut‘ immer. Und nach der Lehr‘ kannst beim Kirchenwirt anfangen.“ „Aber der Bua hat so zarte Händ“, verteidigte ihn die Oma. „Der kann zeichnen und schneidern, und g‘scheit ist er a. Aus dem wird kein Kochlöffelschwinger“. „Und wer übernimmt hernach das Gasthaus?“, polterte der Vater. „Jetzt hat er gar nichts. Und als einziger Mann in der Geburtshilfe wird er noch zum Gespött der ganzen Ortschaft.“ Es entsponn sich ein heftiger Streit und niemand bemerkte, dass Tobias hinauf auf den Dachboden verschwunden war.

Für Tobias stand fest, er würde seinen eigenen Weg gehen, wie er es immer schon getan hatte. Auf Spotify klickte er einen Song der Sofa Surfers an, laut genug, um die Streitereien von unten nicht mehr zu hören. Dann kramte er in seinen alten Kisten aus der Schulzeit, legte sich auf die Couch und dachte nach. - In den nächsten Tagen war von Tobias im Gasthaus nicht viel zu sehen. Er kaufte ein im Ort, kam vollbepackt mit Papiertragtaschen nach Hause und verschwand auf den Dachboden. Noch einmal füllte er die Online-Bewerbung für das Hebammen-Studium aus, meldete sich zum Aufnahmetest am Campus an. Bereits zwei Mal hatte er für diesen Test gelernt, diesmal würde es klappen, das wusste er.... Und so ging er relativ entspannt zur Prüfung. - Zwei Wochen später hatte Tobias die Einladung zum Aufnahmegespräch vor der Kommission im Briefkasten. Bereits in sechs Tagen sollte es soweit sein. Er jubelte laut und stürmte auf den Dachboden, wo er bis spät in die Nacht hinein herumkramte.

Die Aufnahmekommission hatte sich am Tag X bereits im Hörsaal eingefunden. Das Foyer des Campus war schon brechend voll. Die letzte Möglichkeit, in diesem Studienjahr zum Studium zugelassen zu werden. In der Luft lag eine gespannte Atmosphäre von Aufregung und Anspannung. Die Kandidaten wurden einzeln in den Hörsaal gerufen. Tobias musste ziemlich warten, bis sein Nachname, beginnend mit „W“, aufgerufen wurde, und er beobachtete, wie die eine oder andere mit fröhlichem Gesicht oder hängenden Schultern wieder aus dem Hörsaal kam.

„Cornelia Wulff“ tönte es da plötzlich und Tobias zuckte zusammen. Jetzt war Konzentration angesagt. Er zupfte an seinem nachtschwarzen Kleid, es saß eng, aber nicht unangemessen. Dazu trug er hochhackige Stiefeln, eine lange Statement-Kette, einen Silberarmreif und dezentes Makeup. Seine langen schwarzen Haare glänzten im künstlichen Licht, und er bemerkte, dass ihm einige bewundernde Blicke auf dem Weg in den Hörsaal folgten.

Die Kommission war gelangweilt, schon 35 Bewerberinnen an diesem Tag. Die Vorsitzende fragte Cornelia kurz nach ihren Daten, musterte die Zeugniskopien zwei Sekunden lang (die Vier in Mathe im Reifeprüfungszeugnis störte sie nicht im mindesten) und stellte routiniert ihre Fragen: Wer, warum, weshalb, wozu und wohin soll’s gehen? Tobias aka Cornelia konnte hier glänzen, mündliche Prüfungen waren immer schon ein Kinderspiel für ihn, er war eloquent und außerdem gut vorbereitet. Nach exakt 15 Minuten nickte die Vorsitzende freundlich: „Sie werden in acht Tagen von uns hören.“ Und Tobias aka Cornelia beobachtete, wie sie seine Unterlagen auf den Stapel rechts von ihr legte, auf den ganz dünnen.
 

Scorpio

Mitglied
Die große Chance

Fassungslos starrte Tobias auf den Brief in seinen Händen. Er konnte nicht glauben, was er da las: „.... nach Auswertung des schriftlichen Tests und des Bewerbungsgesprächs vor der Kommission ...... trotz Erreichung der Mindestanforderungen ..... leider kein positiver Bescheid für die Zulassung zum Hebammen-Studium.“ Höfliche Floskeln, keine Begründung - Ende - Aus. Er wusste nicht, ob er in dem Augenblick weinen oder laut schreien sollte. Das war nun schon die zweite Absage, bis zum Ende der Bewerbungsfrist blieb ihm nicht mehr viel Zeit.

Welche Ungerechtigkeit dies doch war! Tobias war sich sicher, dass er sehr gut bei den Tests und auch vor den Bewerber-Kommissionen gewesen war. Einzig die Tatsache, dass er ein Mann war, ließ sich nun mal nicht wegleugnen; einer unter mehr als 500 Bewerberinnen an sechs Ausbildungs-Standorten in Österreich. Einer, der dennoch berechtigt war, am Auswahlverfahren teilzunehmen. Er hatte es mehrfach überprüft, Zugangsvoraussetzungen gelesen und sogar beim Fachverband Hebammen angerufen: Gemäß Akkreditierungsbescheid sind Männer und Frauen gleichermaßen zum Studium Hebamme zugelassen. Doch Tobias fühlte instinktiv, dass nicht nur die Vielzahl an Bewerberinnen ihn aus dem Auswahlverfahren gepusht hatte. 13 zu 1 war das Verhältnis Bewerberinnen zu Ausbildungsplätze. Die Chance, angenommen zu werden, demnach verschwindend klein. Einen Mann zuzulassen, würde jedenfalls ziemlich Staub aufwirbeln im Berufsbild der Hebammen. Gibt es doch für männliche Hebammen - so sie das Auswahlverfahren überhaupt bestehen - nicht mal eine angemessene Berufsbezeichnung. Dem deutschen “Entbindungspfleger“ konnte Tobias auch nichts abgewinnen - nicht wirklich sexy, dieser Name für eine Tätigkeit, die mit so viel Schmerz und Glück gleichermaßen verbunden ist. Tobias zerknüllte den abschlägigen Brief und ging erst mal ins Bett.

„Warum hast du dir auch so etwas Spezielles ausgesucht?“, fragte die Mutter tags drauf. „Da wirst du es immer schwer haben, Anerkennung zu finden. Es gibt zu viele Vorurteile, dass Männer diesen Beruf genauso ausüben können wie Frauen. Und es fehlt an Vertrauen“. „Der Bua wird schon wissen, was er tut“, tönte da die Oma. „Jeder lebt sein Leben nach seiner Façon. Lass ihn werden, was er will.“ Die Oma hatte immer zu ihm gehalten. Tobias drückte sie liebevoll an sich. Sie war nicht nur seine leibliche -, sondern auch seine Seelenverwandte. Sie hatte immer Verständnis für seine Eigenheiten, seinen Lebensstil und auch für seine manchmal speziellen Freizeitbeschäftigungen. Als er mit 15 zuerst den EMOS, dann den Punks und zuletzt den Gothics angehörte, hatte sie ihn vor den Nachbarn verteidigt. - „Ach geh, die blauen Haare, das vergeht schon wieder.“ Er liebte immer schon das Spiel mit den traditionellen Geschlechterrollen. Der androgyne Look der EMOS, schwarze Kleidung mit Totenkopf-Applikationen, enge Röhrenhosen zu hohen Doc Martens oder Chucks, dazu Nasenpiercings, Metallketten und schwarz geschminkte Augen faszinierten ihn eine lange Zeit. Derart verkleidet sah er manches Mal fremd aus, wie ein Wesen aus einer anderen Welt. Gleichzeitig aber auch schön und unnahbar. Er hatte ein feines Gespür für Mode und Stil, auch wenn es nicht immer den Vorstellungen seiner Umwelt entsprach. - Auch musikalisch orientierte er sich zu dieser Zeit neu. Der Dachboden des elterlichen Einfamilienhauses in der 3.000 Seelen-Gemeinde Mitterbach bebte nicht selten unter den mächtigen Bässen von Psychobilly und Folkpunk; später gesellten sich Techno, Hip-Hop und Electro dazu. All das machte Tobias aus. Er war feinfühlig, trendy, zielgerichtet und unkonventionell.

„Der Bua von der Kirchenwirtin geht in die Stadt und wird Arzt. Des hat sie mir am Markt erzählt“, brachte die Mutter ein. „Mir ist bis heut ein Rätsel, warum der die Aufnahmeprüfung gschafft hat, und du net.“ Das war tatsächlich so und ein wunder Punkt für Tobias. Genau DAS war ja seine ursprüngliche Idee gewesen. Medizin wollte er studieren, Facharzt dazu machen, Orthopädie oder Gynäkologie. Schon Monate vor der Matura hatte er für die Aufnahmeprüfung gestrebert, Allgemeinwissen, Physik, Chemie und Multiple Choice-Beispiele. Als er dann im Frühsommer von der Wiener MedUni informiert wurde, dass er nicht positiv bewertet war, war er tagelang frustriert und unansprechbar. 7.500 Bewerber auf 740 Studienplätze, davon 25 Prozent an Studierende aus dem EWR und Drittstaaten - da blieb so mancher Bewerber auf der Strecke, der den Mindestkriterien noch entsprochen hätte. Leider gab es über Rankings keine Information. Es gab viel Wirbel um die Ergebnisse, und in den Rektoraten wurde fleißig, jedoch zwecklos interveniert. Das tat Tobias nicht. Er hatte plötzlich einen Plan B....

Noch acht Wochen Zeit bis zum Ende der Bewerbungsfrist am Campus. Die größte Fachhochschule des Landes hatte nicht nur die meisten Bewerber im Department Gesundheitswissenschaften, sie bot auch den längsten Bewerbungs-Zeitraum. Bis Ende September gab es Aufnahmegespräche und Tests. Nicht viel Zeit, aber machbar. Tobias hatte gründlich recherchiert. Er durfte sich mehrfach bewerben, was aber die Chancen nicht unbedingt erhöhte. Aber Tobias hatte sich nun mal in den Kopf gesetzt, wenn schon nicht Medizin, so wollte er wenigstens das Hebammen-Studium angehen. Schließlich wollte er doch bis vor nicht allzu langer Zeit noch Gynäkologe werden. Als Hebamme würde er seinem ursprünglichen Wunschberuf ein Stück weit näherkommen.

„Warum machst nicht was G‘scheites, Bua“, nörgelte der Vater nun schon zum wiederholten Male. Tobias wusste, dass der Vater nie ein Befürworter seiner „hochfliegenden“ Ideen war. Als Wirt und Gasthausbesitzer lagen seine Qualitäten eindeutig nicht im Anstrebern von lateinischen Bezeichnungen für Muskeln und Knochen. Lieber verkochte er die in den riesigen Töpfen seiner Wirtshausküche. „Koch solltest du lernen, das ist was Handfestes. Essen müssen die Leut‘ immer. Und nach der Lehr‘ kannst beim Kirchenwirt anfangen.“ „Aber der Bua hat so zarte Händ“, verteidigte ihn die Oma. „Der kann zeichnen und schneidern, und g‘scheit ist er a. Aus dem wird kein Kochlöffelschwinger“. „Und wer übernimmt hernach das Gasthaus?“, polterte der Vater. „Jetzt hat er gar nichts. Und als einziger Mann in der Geburtshilfe wird er noch zum Gespött der ganzen Ortschaft.“ Es entsponn sich ein heftiger Streit und niemand bemerkte, dass Tobias hinauf auf den Dachboden verschwunden war.

Für Tobias stand fest, er würde seinen eigenen Weg gehen, wie er es immer schon getan hatte. Auf Spotify klickte er einen Song der Sofa Surfers an, laut genug, um die Streitereien von unten nicht mehr zu hören. Dann kramte er in seinen alten Kisten aus der Schulzeit, legte sich auf die Couch und dachte nach. - In den nächsten Tagen war von Tobias im Gasthaus nicht viel zu sehen. Er kaufte ein im Ort, kam vollbepackt mit Papiertragtaschen nach Hause und verschwand auf den Dachboden. Noch einmal füllte er die Online-Bewerbung für das Hebammen-Studium aus, meldete sich zum Aufnahmetest am Campus an. Bereits zwei Mal hatte er für diesen Test gelernt, diesmal würde es klappen, das wusste er.... Und so ging er relativ entspannt zur Prüfung. - Zwei Wochen später hatte Tobias die Einladung zum Aufnahmegespräch vor der Kommission im Briefkasten. Bereits in sechs Tagen sollte es soweit sein. Er jubelte laut und stürmte auf den Dachboden, wo er bis spät in die Nacht hinein herumkramte.

Die Aufnahmekommission hatte sich am Tag X bereits im Hörsaal eingefunden. Das Foyer des Campus war schon brechend voll. Die letzte Möglichkeit, in diesem Studienjahr zum Studium zugelassen zu werden. In der Luft lag eine gespannte Atmosphäre von Aufregung und Anspannung. Die Kandidaten wurden einzeln in den Hörsaal gerufen. Tobias musste ziemlich warten, bis sein Nachname, beginnend mit „W“, aufgerufen wurde, und er beobachtete, wie die eine oder andere mit fröhlichem Gesicht oder hängenden Schultern wieder aus dem Hörsaal kam.

„Cornelia Wulff“ tönte es da plötzlich und Tobias zuckte zusammen. Jetzt war Konzentration angesagt. Er zupfte an seinem nachtschwarzen Kleid, es saß eng, aber nicht unangemessen. Dazu trug er hochhackige Stiefeln, eine lange Statement-Kette, einen Silberarmreif und dezentes Makeup. Seine langen schwarzen Haare glänzten im künstlichen Licht, und er bemerkte, dass ihm einige bewundernde Blicke auf dem Weg in den Hörsaal folgten.

Die Kommission war gelangweilt, schon 35 Bewerberinnen an diesem Tag. Die Vorsitzende fragte Cornelia kurz nach ihren Daten, musterte die Zeugniskopien zwei Sekunden lang (die Vier in Mathe im Reifeprüfungszeugnis störte sie nicht im mindesten) und stellte routiniert ihre Fragen: Wer, warum, weshalb, wozu und wohin soll’s gehen? Tobias aka Cornelia konnte hier glänzen, mündliche Prüfungen waren immer schon ein Kinderspiel für ihn, er war eloquent und außerdem gut vorbereitet. Nach exakt 15 Minuten nickte die Vorsitzende freundlich: „Sie werden in acht Tagen von uns hören.“ Und Tobias aka Cornelia beobachtete, wie sie seine Unterlagen auf den Stapel rechts von ihr legte, auf den ganz dünnen.
 

Scorpio

Mitglied
Die große Chance

Fassungslos starrte Tobias auf den Brief in seinen Händen. Er konnte nicht glauben, was er da las: „.... nach Auswertung des schriftlichen Tests und des Bewerbungsgesprächs vor der Kommission ...... trotz Erreichung der Mindestanforderungen ..... leider kein positiver Bescheid für die Zulassung zum Hebammen-Studium.“ Höfliche Floskeln, keine Begründung - Ende - Aus. Er wusste nicht, ob er in dem Augenblick weinen oder laut schreien sollte. Das war nun schon die zweite Absage, bis zum Ende der Bewerbungsfrist blieb ihm nicht mehr viel Zeit.

Welche Ungerechtigkeit dies doch war! Tobias war sich sicher, dass er sehr gut bei den Tests und auch vor den Bewerber-Kommissionen gewesen war. Einzig die Tatsache, dass er ein Mann war, ließ sich nun mal nicht wegleugnen; einer unter mehr als 500 Bewerberinnen an sechs Ausbildungs-Standorten in Österreich. Einer, der dennoch berechtigt war, am Auswahlverfahren teilzunehmen. Er hatte es mehrfach überprüft, Zugangsvoraussetzungen gelesen und sogar beim Fachverband Hebammen angerufen: Gemäß Akkreditierungsbescheid sind Männer und Frauen gleichermaßen zum Studium Hebamme zugelassen. Doch Tobias fühlte instinktiv, dass nicht nur die Vielzahl an Bewerberinnen ihn aus dem Auswahlverfahren gepusht hatte. 13 zu 1 war das Verhältnis Bewerberinnen zu Ausbildungsplätze. Die Chance, angenommen zu werden, demnach verschwindend klein. Einen Mann zuzulassen, würde jedenfalls ziemlich Staub aufwirbeln im Berufsbild der Hebammen. Gibt es doch für männliche Hebammen - so sie das Auswahlverfahren überhaupt bestehen - nicht mal eine angemessene Berufsbezeichnung. Dem deutschen “Entbindungspfleger“ konnte Tobias auch nichts abgewinnen - nicht wirklich sexy, dieser Name für eine Tätigkeit, die mit so viel Schmerz und Glück gleichermaßen verbunden ist. Tobias zerknüllte den abschlägigen Brief und ging erst mal ins Bett.

„Warum hast du dir auch so etwas Spezielles ausgesucht?“, fragte die Mutter tags drauf. „Da wirst du es immer schwer haben, Anerkennung zu finden. Es gibt zu viele Vorurteile, dass Männer diesen Beruf genauso ausüben können wie Frauen. Und es fehlt an Vertrauen“. „Der Bua wird schon wissen, was er tut“, tönte da die Oma. „Jeder lebt sein Leben nach seiner Façon. Lass ihn werden, was er will.“ Die Oma hatte immer zu ihm gehalten. Tobias drückte sie liebevoll an sich. Sie war nicht nur seine leibliche -, sondern auch seine Seelenverwandte. Sie hatte immer Verständnis für seine Eigenheiten, seinen Lebensstil und auch für seine manchmal speziellen Freizeitbeschäftigungen. Als er mit 15 zuerst den EMOS, dann den Punks und zuletzt den Gothics angehörte, hatte sie ihn vor den Nachbarn verteidigt. - „Ach geh, die blauen Haare, das vergeht schon wieder.“ Er liebte immer schon das Spiel mit den traditionellen Geschlechterrollen. Der androgyne Look der EMOS, schwarze Kleidung mit Totenkopf-Applikationen, enge Röhrenhosen zu hohen Doc Martens oder Chucks, dazu Nasenpiercings, Metallketten und schwarz geschminkte Augen faszinierten ihn eine lange Zeit. Derart verkleidet sah er manches Mal fremd aus, wie ein Wesen aus einer anderen Welt. Gleichzeitig aber auch schön und unnahbar. Er hatte ein feines Gespür für Mode und Stil, auch wenn es nicht immer den Vorstellungen seiner Umwelt entsprach. - Auch musikalisch orientierte er sich zu dieser Zeit neu. Der Dachboden des elterlichen Einfamilienhauses in der 3.000 Seelen-Gemeinde Mitterbach bebte nicht selten unter den mächtigen Bässen von Psychobilly und Folkpunk; später gesellten sich Techno, Hip-Hop und Electro dazu. All das machte Tobias aus. Er war feinfühlig, trendy, zielgerichtet und unkonventionell.

„Der Bua von der Kirchenwirtin geht in die Stadt und wird Arzt. Des hat sie mir am Markt erzählt“, brachte die Mutter ein. „Mir ist bis heut ein Rätsel, warum der die Aufnahmeprüfung gschafft hat, und du net.“ Das war tatsächlich so und ein wunder Punkt für Tobias. Genau DAS war ja seine ursprüngliche Idee gewesen. Medizin wollte er studieren, Facharzt dazu machen, Orthopädie oder Gynäkologie. Schon Monate vor der Matura hatte er für die Aufnahmeprüfung gestrebert, Allgemeinwissen, Physik, Chemie und Multiple Choice-Beispiele. Als er dann im Frühsommer von der Wiener MedUni informiert wurde, dass er nicht positiv bewertet war, war er tagelang frustriert und unansprechbar. 7.500 Bewerber auf 740 Studienplätze, davon 25 Prozent an Studierende aus dem EWR und Drittstaaten - da blieb so mancher Bewerber auf der Strecke, der den Mindestkriterien noch entsprochen hätte. Leider gab es über Rankings keine Information. Es gab viel Wirbel um die Ergebnisse, und in den Rektoraten wurde fleißig, jedoch zwecklos interveniert. Das tat Tobias nicht. Er hatte plötzlich einen Plan B....

Noch acht Wochen Zeit bis zum Ende der Bewerbungsfrist am Campus. Die größte Fachhochschule des Landes hatte nicht nur die meisten Bewerber im Department Gesundheitswissenschaften, sie bot auch den längsten Bewerbungs-Zeitraum. Bis Ende September gab es Aufnahmegespräche und Tests. Nicht viel Zeit, aber machbar. Tobias hatte gründlich recherchiert. Er durfte sich mehrfach bewerben, was aber die Chancen nicht unbedingt erhöhte. Aber Tobias hatte sich nun mal in den Kopf gesetzt, wenn schon nicht Medizin, so wollte er wenigstens das Hebammen-Studium angehen. Schließlich wollte er doch bis vor nicht allzu langer Zeit noch Gynäkologe werden. Als Hebamme würde er seinem ursprünglichen Wunschberuf ein Stück weit näherkommen.

„Warum machst nicht was G‘scheites, Bua“, nörgelte der Vater nun schon zum wiederholten Male. Tobias wusste, dass der Vater nie ein Befürworter seiner „hochfliegenden“ Ideen war. Als Wirt und Gasthausbesitzer lagen seine Qualitäten eindeutig nicht im Anstrebern von lateinischen Bezeichnungen für Muskeln und Knochen. Lieber verkochte er die in den riesigen Töpfen seiner Wirtshausküche. „Koch solltest du lernen, das ist was Handfestes. Essen müssen die Leut‘ immer. Und nach der Lehr‘ kannst beim Kirchenwirt anfangen.“ „Aber der Bua hat so zarte Händ“, verteidigte ihn die Oma. „Der kann zeichnen und schneidern, und g‘scheit ist er a. Aus dem wird kein Kochlöffelschwinger“. „Und wer übernimmt hernach das Gasthaus?“, polterte der Vater. „Jetzt hat er gar nichts. Und als einziger Mann in der Geburtshilfe wird er noch zum Gespött der ganzen Ortschaft.“ Es entsponn sich ein heftiger Streit und niemand bemerkte, dass Tobias hinauf auf den Dachboden verschwunden war.

Für Tobias stand fest, er würde seinen eigenen Weg gehen, wie er es immer schon getan hatte. Auf Spotify klickte er einen Song der Sofa Surfers an, laut genug, um die Streitereien von unten nicht mehr zu hören. Dann kramte er in seinen alten Kisten aus der Schulzeit, legte sich auf die Couch und dachte nach. - In den nächsten Tagen war von Tobias im Gasthaus nicht viel zu sehen. Er kaufte ein im Ort, kam vollbepackt mit Papiertragtaschen nach Hause und verschwand auf den Dachboden. Noch einmal füllte er die Online-Bewerbung für das Hebammen-Studium aus, meldete sich zum Aufnahmetest am Campus an. Bereits zwei Mal hatte er für diesen Test gelernt, diesmal würde es klappen, das wusste er.... Und so ging er relativ entspannt zur Prüfung. - Zwei Wochen später hatte Tobias die Einladung zum Aufnahmegespräch vor der Kommission im Briefkasten. Bereits in sechs Tagen sollte es soweit sein. Er jubelte laut und stürmte auf den Dachboden, wo er bis spät in die Nacht hinein herumkramte.

Die Aufnahmekommission hatte sich am Tag X bereits im Hörsaal eingefunden. Das Foyer des Campus war schon brechend voll. Die letzte Möglichkeit, in diesem Studienjahr zum Studium zugelassen zu werden. In der Luft lag eine gespannte Atmosphäre von Aufregung und Anspannung. Die Kandidaten wurden einzeln in den Hörsaal gerufen. Tobias musste ziemlich warten, bis sein Nachname, beginnend mit „W“, aufgerufen wurde, und er beobachtete, wie die eine oder andere mit fröhlichem Gesicht oder hängenden Schultern wieder aus dem Hörsaal kam.

„Cornelia Wulff“ tönte es da plötzlich und Tobias zuckte zusammen. Jetzt war Konzentration angesagt. Er zupfte an seinem nachtschwarzen Kleid, es saß eng, aber nicht unangemessen. Dazu trug er hochhackige Stiefeln, eine lange Statement-Kette, einen Silberarmreif und dezentes Makeup. Seine langen schwarzen Haare glänzten im künstlichen Licht, und er bemerkte, wie ihm einige bewundernde Blicke auf dem Weg in den Hörsaal folgten.

Die Kommission war gelangweilt, schon 35 Bewerberinnen an diesem Tag. Die Vorsitzende fragte Cornelia kurz nach ihren Daten, musterte die Zeugniskopien zwei Sekunden lang (die Vier in Mathe im Reifeprüfungszeugnis störte sie nicht im mindesten) und stellte routiniert ihre Fragen: Wer, warum, weshalb, wozu und wohin soll’s gehen? Tobias aka Cornelia konnte hier glänzen, mündliche Prüfungen waren immer schon ein Kinderspiel für ihn, er war eloquent und außerdem gut vorbereitet. Nach exakt 15 Minuten nickte die Vorsitzende freundlich: „Sie werden in acht Tagen von uns hören.“ Und Tobias aka Cornelia beobachtete, wie sie seine Unterlagen auf den Stapel rechts von ihr legte, auf den ganz dünnen.
 

Scorpio

Mitglied
Die große Chance

Fassungslos starrte Tobias auf den Brief in seinen Händen. Er konnte nicht glauben, was er da las: „.... nach Auswertung des schriftlichen Tests und des Bewerbungsgesprächs vor der Kommission ...... trotz Erreichung der Mindestanforderungen ..... leider kein positiver Bescheid für die Zulassung zum Hebammen-Studium.“ Höfliche Floskeln, keine Begründung - Ende - Aus. Er wusste nicht, ob er in dem Augenblick weinen oder laut schreien sollte. Das war nun schon die zweite Absage, bis zum Ende der Bewerbungsfrist blieb ihm nicht mehr viel Zeit.

Welche Ungerechtigkeit dies doch war! Tobias war sich sicher, dass er sehr gut bei den Tests und auch vor den Bewerber-Kommissionen gewesen war. Einzig die Tatsache, dass er ein Mann war, ließ sich nun mal nicht wegleugnen; einer unter mehr als 500 Bewerberinnen an sechs Ausbildungs-Standorten in Österreich. Einer, der dennoch berechtigt war, am Auswahlverfahren teilzunehmen. Er hatte es mehrfach überprüft, Zugangsvoraussetzungen gelesen und sogar beim Fachverband Hebammen angerufen: Gemäß Akkreditierungsbescheid sind Männer und Frauen gleichermaßen zum Studium Hebamme zugelassen. Doch Tobias fühlte instinktiv, dass nicht nur die Vielzahl an Bewerberinnen ihn aus dem Auswahlverfahren gepusht hatte. 13 zu 1 war das Verhältnis Bewerberinnen zu Ausbildungsplätze. Die Chance, angenommen zu werden, demnach verschwindend klein. Einen Mann zuzulassen, würde jedenfalls ziemlich Staub aufwirbeln im Berufsbild der Hebammen. Gibt es doch für männliche Hebammen - so sie das Auswahlverfahren überhaupt bestehen - nicht mal eine angemessene Berufsbezeichnung. Dem deutschen “Entbindungspfleger“ konnte Tobias auch nichts abgewinnen - nicht wirklich sexy, dieser Name für eine Tätigkeit, die mit so viel Schmerz und Glück gleichermaßen verbunden ist. Tobias zerknüllte den abschlägigen Brief und ging erst mal ins Bett.

„Warum hast du dir auch so etwas Spezielles ausgesucht?“, fragte die Mutter tags drauf. „Da wirst du es immer schwer haben, Anerkennung zu finden. Es gibt zu viele Vorurteile, dass Männer diesen Beruf genauso ausüben können wie Frauen. Und es fehlt an Vertrauen“. „Der Bua wird schon wissen, was er tut“, tönte da die Oma. „Jeder lebt sein Leben nach seiner Façon. Lass ihn werden, was er will.“ Die Oma hatte immer zu ihm gehalten. Tobias drückte sie liebevoll an sich. Sie war nicht nur seine leibliche -, sondern auch seine Seelenverwandte. Sie hatte immer Verständnis für seine Eigenheiten, seinen Lebensstil und auch für seine manchmal speziellen Freizeitbeschäftigungen. Als er mit 15 zuerst den EMOS, dann den Punks und zuletzt den Gothics angehörte, hatte sie ihn vor den Nachbarn verteidigt. - „Ach geh, die blauen Haare, das vergeht schon wieder.“ Er liebte immer schon das Spiel mit den traditionellen Geschlechterrollen. Der androgyne Look der EMOS, schwarze Kleidung mit Totenkopf-Applikationen, enge Röhrenhosen zu hohen Doc Martens oder Chucks, dazu Nasenpiercings, Metallketten und schwarz geschminkte Augen faszinierten ihn eine lange Zeit. Derart verkleidet sah er manches Mal fremd aus, wie ein Wesen aus einer anderen Welt. Gleichzeitig aber auch schön und unnahbar. Er hatte ein feines Gespür für Mode und Stil, auch wenn es nicht immer den Vorstellungen seiner Umwelt entsprach. - Auch musikalisch orientierte er sich zu dieser Zeit neu. Der Dachboden des elterlichen Einfamilienhauses in der 3.000 Seelen-Gemeinde Mitterbach bebte nicht selten unter den mächtigen Bässen von Psychobilly und Folkpunk; später gesellten sich Techno, Hip-Hop und Electro dazu. All das machte Tobias aus. Er war feinfühlig, trendy, zielgerichtet und unkonventionell.

„Der Bua von der Kirchenwirtin geht in die Stadt und wird Arzt. Des hat sie mir am Markt erzählt“, brachte die Mutter ein. „Mir ist bis heut ein Rätsel, warum der die Aufnahmeprüfung gschafft hat, und du net.“ Das war tatsächlich so und ein wunder Punkt für Tobias. Genau DAS war ja seine ursprüngliche Idee gewesen. Medizin wollte er studieren, Facharzt dazu machen, Orthopädie oder Gynäkologie. Schon Monate vor der Matura hatte er für die Aufnahmeprüfung gestrebert, Allgemeinwissen, Physik, Chemie und Multiple Choice-Beispiele. Als er dann im Frühsommer von der Wiener MedUni informiert wurde, dass er nicht positiv bewertet war, war er tagelang frustriert und unansprechbar. 7.500 Bewerber auf 740 Studienplätze, davon 25 Prozent an Studierende aus dem EWR und Drittstaaten - da blieb so mancher Bewerber auf der Strecke, der den Mindestkriterien noch entsprochen hätte. Leider gab es über Rankings keine Information. Es gab viel Wirbel um die Ergebnisse, und in den Rektoraten wurde fleißig, jedoch zwecklos interveniert. Das tat Tobias nicht. Er hatte plötzlich einen Plan B....

Noch acht Wochen Zeit bis zum Ende der Bewerbungsfrist am Campus. Die größte Fachhochschule des Landes hatte nicht nur die meisten Bewerber im Department Gesundheitswissenschaften, sie bot auch den längsten Bewerbungs-Zeitraum. Bis Ende September gab es Aufnahmegespräche und Tests. Nicht viel Zeit, aber machbar. Tobias hatte gründlich recherchiert. Er durfte sich mehrfach bewerben, was aber die Chancen nicht unbedingt erhöhte. Aber Tobias hatte sich nun mal in den Kopf gesetzt, wenn schon nicht Medizin, so wollte er wenigstens das Hebammen-Studium angehen. Schließlich wollte er doch bis vor nicht allzu langer Zeit noch Gynäkologe werden. Als Hebamme würde er seinem ursprünglichen Wunschberuf ein Stück weit näherkommen.

„Warum machst nicht was G‘scheites, Bua“, nörgelte der Vater nun schon zum wiederholten Male. Tobias wusste, dass der Vater nie ein Befürworter seiner „hochfliegenden“ Ideen war. Als Wirt und Gasthausbesitzer lagen seine Qualitäten eindeutig nicht im Anstrebern von lateinischen Bezeichnungen für Muskeln und Knochen. Lieber verkochte er die in den riesigen Töpfen seiner Wirtshausküche. „Koch solltest du lernen, das ist was Handfestes. Essen müssen die Leut‘ immer. Und nach der Lehr‘ kannst beim Kirchenwirt anfangen.“ „Aber der Bua hat so zarte Händ“, verteidigte ihn die Oma. „Der kann zeichnen und schneidern, und g‘scheit ist er a. Aus dem wird kein Kochlöffelschwinger“. „Und wer übernimmt hernach das Gasthaus?“, polterte der Vater. „Jetzt hat er gar nichts. Und als einziger Mann in der Geburtshilfe wird er noch zum Gespött der ganzen Ortschaft.“ Es entsponn sich ein heftiger Streit und niemand bemerkte, dass Tobias hinauf auf den Dachboden verschwunden war.

Für Tobias stand fest, er würde seinen eigenen Weg gehen, wie er es immer schon getan hatte. Auf Spotify klickte er einen Song der Sofa Surfers an, laut genug, um die Streitereien von unten nicht mehr zu hören. Dann kramte er in seinen alten Kisten aus der Schulzeit, legte sich auf die Couch und dachte nach. - In den nächsten Tagen war von Tobias im Gasthaus nicht viel zu sehen. Er kaufte ein im Ort, kam vollbepackt mit Papiertragtaschen nach Hause und verschwand auf den Dachboden. Noch einmal füllte er die Online-Bewerbung für das Hebammen-Studium aus, meldete sich zum Aufnahmetest am Campus an. Bereits zwei Mal hatte er für diesen Test gelernt, diesmal würde es klappen, das wusste er.... Und so ging er relativ entspannt zur Prüfung. - Zwei Wochen später hatte Tobias die Einladung zum Aufnahmegespräch vor der Kommission im Briefkasten. Bereits in sechs Tagen sollte es soweit sein. Er jubelte laut und stürmte auf den Dachboden, wo er bis spät in die Nacht hinein herumkramte.

Die Aufnahmekommission hatte sich am Tag X bereits im Hörsaal eingefunden. Das Foyer des Campus war schon brechend voll. Die letzte Möglichkeit, in diesem Studienjahr zum Studium zugelassen zu werden. In der Luft lag eine gespannte Atmosphäre von Aufregung und Anspannung. Die Kandidaten wurden einzeln in den Hörsaal gerufen. Tobias musste ziemlich warten, bis sein Nachname, beginnend mit „W“, aufgerufen wurde, und er beobachtete, wie die eine oder andere mit fröhlichem Gesicht oder hängenden Schultern wieder aus dem Hörsaal kam.

„Cornelia Wulff“ tönte es da plötzlich und Tobias zuckte zusammen. Jetzt war Konzentration angesagt. Er zupfte an seinem nachtschwarzen Kleid, es saß eng, aber nicht unangemessen. Dazu trug er hochhackige Stiefeln, eine lange Statement-Kette, einen Silberarmreif und dezentes Makeup. Seine langen schwarzen Haare glänzten im künstlichen Licht, und er bemerkte, wie ihm einige bewundernde Blicke auf dem Weg in den Hörsaal folgten.

Die Kommission war gelangweilt, schon 35 Bewerberinnen an diesem Tag. Die Vorsitzende fragte Cornelia kurz nach ihren Daten, musterte die Zeugniskopien zwei Sekunden lang (die Vier in Mathe im Reifeprüfungszeugnis störte sie nicht im mindesten) und stellte routiniert ihre Fragen: Wer, warum, weshalb, wozu und wohin soll’s gehen? Tobias aka Cornelia konnte hier glänzen, mündliche Prüfungen waren immer schon ein Kinderspiel für ihn, er war eloquent und außerdem gut vorbereitet. Nach exakt fünfzehn Minuten nickte die Vorsitzende freundlich: „Sie werden in acht Tagen von uns hören.“ Und Tobias aka Cornelia beobachtete, wie sie seine Unterlagen auf den Stapel rechts von ihr legte, auf den ganz dünnen.
 



 
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