Die kleine Wolke Rumpel

Fallanda

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Die kleine Wolke Rumpel

Lange Zeit schon hatte es in dem kleinen abgelegenen Ort Höhenhausen nicht mehr geregnet. Der Sommer war heiß und trocken und die Menschen sehnten sich mehr als nach nur einer kühlen Erfrischung. Höhenhausen lag hoch oben in den Bergen und der Weg zu der nächstgelegen Wasserquelle war weit und beschwerlich. Das verbliebene Wasser im Ort war schnell knapp geworden und alle mussten sehr sorgsam damit umgehen. Selbst das Vieh auf den Weiden musste Wasser einsparen und bekam nur kleine Mengen zu trinken, das es bis auf den letzten Tropfen aus den Trögen leckte.
Ganz besonders litten die Kinder. Sie hatten Sommerferien und sich auf eine schöne Zeit ohne Hausaufgaben und andere Pflichten gefreut. Jetzt aber mussten sie arbeiten und mit den Erwachsenen nach Wasser graben, es an das Vieh verteilen oder die Felder wässern. Das Schlimme daran war, dass sie sich nicht einmal in den Pausen in dem kleinen sonst so gut gefüllten Bergsee austoben und abkühlen konnten. Bis auf den Grund war das Wasser abgesunken und es reichte kaum, um mit den Füßen Spritzer aufzuklatschen.
Manchmal waren in der Ferne größere Wolken zu sehen, die unter den Menschen die Hoffnung auf Regen erweckten. Aber immer wieder wurden diese von dem Wind zurück getrieben oder blieben in den Berggipfeln hängen, wo sie schnell kleiner wurden und dann verschwanden. So erreichte nicht ein einziger Tropfen das durstige Höhenhausen und enttäuscht wandten die Menschen ihren Blick auf den ausgetrockneten Boden und setzen ihre Arbeit fort.
Wenn es nicht bald ausgiebig regnen sollte, würden sie ihr Zuhause verlassen und woanders leben müssen.

Zur gleichen Zeit trieben gar nicht so weit entfernt mehrere Wolken über das Land.
Unter ihnen war die kleine Wolke Rumpel. Sie war ganz hübsch anzusehen. Unter dem blauen Himmel strahlte sie in zartem Weiß und beinahe überall hatte sie kleine Beulen, die wie samtige Kissen aus allen Seiten heraus knubbelten. Wenn Rumpel wollte, dann konnte sie ihre Form verändern. Dabei ahmte sie am liebsten ein Schäfchen mit kleinem Schwänzchen und vier knubbeligen Beinchen nach. Denn dann guckten die Menschen nach oben zu ihr auf, zeigten mit dem Finger auf sie und lachten vor Freude.
Rumpel liebte es, eine Wolke zu sein und alles unter ihr zu beobachten. Einst war sie aus vielen kleinen Wassertropfen über dem großen Ozean geboren wurden. Seitdem hatte sie wunderschöne Landschaften gesehen. Zuerst die Küste, wo der Ozean endete und die Wellen auf das Ufer schlugen. Dann scheinbar unendlich weite Wiesen, auf denen Tiere friedlich grasten und Blumen kunterbunt blühten. Und Felder mit hochgewachsenen Ähren, die sich im Wind wiegten und geheimnisvolle Wälder, durch deren Baumkronen sie spähte, um einen Blick auf das scheue Wild zu erhaschen.
Das alles war so friedlich gewesen und Rumpel hatte sich daran erfreut. Aber noch viel interessanter waren die Menschen. Auf dem Land freuten sich diese meistens sehr, Rumpel und die anderen Wolken zu sehen. Denn Wolken konnten den Regen mit sich bringen und der war wichtig, dass alles so schön wachsen und gedeihen konnte.
In der Stadt dagegen mochten die Menschen die Wolken nicht so gerne sehen. Hier gab es auch kaum etwas, was zwischen den vielen Betonklötzen wachsen konnte. Und wenn Rumpel mit besonders dicken und dunklen Wolken über den Städten unterwegs war, gab es sogar Menschen, die drohend ihre Fäuste erhoben, als könnten sie damit die Wolken wieder verjagen.
Das ärgerte Rumpel immer und sie blies dann die Backen auf und drückte, so fest sie konnte, damit ein paar wenige Tropfen hinunter auf die Köpfe der schimpfenden Menschen platschten. Die anderen Wolken lachten Rumpel aus, denn richtig regnen lassen konnte sie es nämlich nicht und mehr außer den paar Tropfen und ein bisschen Rumpeln schaffte sie nicht. Sie war ja auch viel zu klein dafür. Aber das störte Rumpel nicht.
Oftmals zeigten ihr die großen dunklen Wolken wie es richtig gemacht wurde und es regnete in Strömen, wenn sie sich zusammentaten und gemeinsam drückten. Dann donnerte und polterte es im Himmel ohrenbetäubend, dass selbst Rumpel etwas Angst bekam. Manchmal waren sie sogar so stark, dass es richtig hell aufblitzte.
Ab und zu luden die großen Wolken Rumpel ein, sich ihnen anzuschließen und mitzumachen. Aber Rumpel wollte nicht. Es war einfach zu schön, sich nur gemütlich vom Wind treiben zu lassen und das lustige Verhalten der Menschen zu beobachten, wenn die dicken Tropfen hinab prasselten und sie hin und her sprangen, als ob sie ihnen ausweichen könnten.

Vor ein paar Tagen war Rumpel über einer Stadt mit ganz vielen anderen Wolken in einer Luftströmung aufeinandergetroffen. Der Wind trieb sie gemeinsam in den Süden und die meisten machten sich Sorgen. Es war ein heißer Sommer und die Sonne brannte so stark, dass sich manche Wolken scheinbar ins Nichts auflösten. Besonders die Kleinen waren betroffen, aber auch die Großen, die es jetzt oftmals auseinander trieb und in viele Kleinere aufteilte.
Rumpel hatte sich unter einer großen Wolke vor der Sonne versteckt. Sie wusste, dass es nicht schlimm war, von der Sonne aufgelöst zu werden. Denn wirklich für immer verschwinden würde keine Wolke. Die feinen Wassertropfen, aus denen sie bestanden, würden kaum sichtbar irgendwo wieder aufeinandertreffen und sich zu einer neuen Wolke vereinen.
Dennoch wollte keine der Wolken von der Sonne aufgelöst werden. Sie alle hatten weite Wege hinter sich gebracht und waren neugierig darauf, was es noch auf der Welt zu sehen gab.

Als sie in die Berge kamen, drehte der Wind und die Wolken atmeten auf. Denn über den Bergen war die Sonne besonders stark und auch die Gefahr, in den Gipfeln hängenzubleiben bestand. Nun aber trieb sie der Wind in eine andere Richtung und sie waren beruhigt.
Nur Rumpel war traurig. So weit war sie noch nie gewesen und ihre Neugier, was sich wohl hinter den Berggipfeln befand, war sehr groß. Sie wollte es wissen, vergaß die Gefahr und schaffte es, sich aus dem Wind zu lösen.
Langsam trieb sie an den Gipfelrand und dann konnte sie es auch schon sehen. Zwischen den Gipfeln blickte Rumpel genau auf den kleinen Ort Höhenhausen. Es musste einmal sehr schön hier gewesen sein, wenn man sich vorstellte, wie es nach einem ordentlichen Regenschauer aussah. Jetzt aber war alles so ausgetrocknet, viele Pflanzen in der Sonne verdorrt und die Tiere und Menschen sahen erschöpft und ausgelaugt aus.

Kinder hatten Rumpel am Himmel entdeckt und rannten ihr jetzt aufgeregt entgegen. Sie streckten einladend ihre Arme in die Luft und riefen nach ihr. Auch die Erwachsenen blickten hoffnungsvoll in den Himmel.
Rumpel wollte näher heran und wehrte sich gegen den Wind, der sie zurück blasen wollte. Es war nicht einfach und sie musste mächtig gegen ihn ankämpfen, aber sie schaffte es und schwebte über den Ort. Die Kinder freuten sich und bettelten um Regen. Wild tanzten sie im Kreis, als könnten sie ihn damit herbei beschwören.
Rumpel hatte Mitleid. Noch nie war sie so freundlich empfangen wurden und noch nie hatte sie einen Flecken auf der Welt gesehen, der den Regen so nötig hatte. Sie wollte helfen, blies die Backen auf und drückte und drückte. Es rumpelte ein bisschen und ein paar Tropfen konnten ihr entweichen. Aber sie waren so wenig und klein, dass sie unter der Sonne sofort verdampften und den Boden gar nicht erst berührten.
Rumpel strengte sich noch mehr an. So sehr, dass sie glaubte bald zu platzen. Aber es half nichts. Zudem kam hinzu, dass die Sonne so stark war, dass Rumpel an den Enden schon auflöste und kleiner wurde. Bald würde sie verschwunden sein und der kleine Ort weiter vertrocknen.

Traurig gab Rumpel auf und ergab sich dem Wind, der sie zurück über die Gipfel trieb. Sie blickte noch einmal zurück auf die enttäuschten Gesichter der Kinder und auf die verzweifelten Erwachsenen, die sich den Schweiß von der Stirn wischten und wieder ihrer harten Arbeit nachgingen.
Dann war Rumpel auch schon außer Sichtweite. Aber sie überlegte angestrengt, wie sie den lieben Menschen helfen konnte.

Zuerst traf Rumpel auf andere kleine Wolken, denen sie erzählte, was sie in dem Ort gesehen hatte. Auch sie hatten Mitleid und bedauerten die Menschen dort sehr. Aber als Rumpel fragte, ob sie helfen wollten, damit es dort regnen konnte, verneinten diese. Denn sie glaubten, es würde ja doch nichts helfen und die Sonne hätte sie schneller aufgelöst als das nur ein einziger Tropfen herab regnen könnte. Darauf suchte Rumpel andere Wolken und erzählte auch ihnen die Geschichte. Aber es war immer das Gleiche, was sie zu hören bekam. So wenige Wolken würden ja nichts ausrichten können und sich nur umsonst der Sonne opfern.
Sogar die größeren Wolken trauten sich nicht, Rumpel zu helfen. Und manche, die von Rumpel und dem kleinen Ort in den Bergen bereits von anderen Wolken gehört hatten, trieben schnell aus dem Weg, bevor Rumpel auch sie fragen konnte.

Rumpel war richtig wütend auf die anderen Wolken. Sie wusste, dass sie es nicht alleine schaffen würde und enttäuscht ließ sie sich von dem Wind hin und her tragen.
Aber wohin sie auch der Wind trug, nichts konnte sie mehr erheitern. Die traurigen Gesichter der Kinder gingen ihr einfach nicht mehr aus dem Sinn.
Und dann fasste sie einen Entschluss und es war ihr egal, was die anderen Wolken davon hielten. Rumpel wollte den Menschen helfen! Und wenn sich sonst keiner anschließen wollte, dann musste sie es eben noch einmal alleine versuchen. Dieses Mal würde sie einfach noch stärker drücken und rumpeln und vielleicht würde die Sonne auch Gnade zeigen und es könnten wenigstens ein paar Tropfen die Menschen erfreuen.

Fest entschlossen ritt Rumpel auf den Luftströmungen zurück zu dem Ort. Die anderen Wolken sahen ihr in Angesicht von so viel Mut bewundernd nach, glaubten aber nicht, dass sie es schaffen würde.
Bald hatte Rumpel Höhenhausen erreicht und wieder schauten ihr die Menschen hoffnungsvoll entgegen. Die Sonne brannte beinahe heißer als zuvor und Rumpel war klar, dass sie sich auflösen würde. Also musste es schnell gehen und sie positionierte sich genau über den Kindern, blies die Backen stärker als jemals zuvor auf und drückte mit aller Kraft.
Erst ein, zwei, drei und dann viele kleine Tropfen entwichen ihr mit leichtem Rumpeln und machten sich auf die Reise nach unten. Die meisten wurden sofort von der Sonne aufgesaugt, aber ein paar wenige schafften es diesmal und fielen sanft auf den Boden. Es war kaum so viel, dass es für ein ganzes Glas Wasser reichte, aber die Kinder waren dankbar und freuten sich, denn schon zu lange war kein einziger Tropfen mehr gefallen. Und auch die Erwachsenen schmunzelten ein wenig. Auch wenn sie wussten, es würde nichts helfen. Die Tropfen verschwanden auf dem heißen Boden, kurz nach ihrem Aufschlag. Es war einfach nicht genug.

Rumpel bekam davon kaum etwas mit. Zu sehr drückte und drückte sie. Die Sonne brannte noch immer erbarmungslos und Rumpel begann, sich aufzulösen. Sie war schon zur Hälfte geschrumpft. Aber das war ihr egal. Sie hörte nur das fröhliche Rufen der Kinder und sie wusste, es lohnte sich.
Schon war Rumpel nochmals um die Hälfte kleiner geworden. Sie war jetzt viel schwächer und es kamen auch keine Tropfen mehr aus ihr heraus, aber sie wollte nicht aufhören. Mit letzten Kräften blies sie tapfer in die kleinen Backen und drückte, was von ihr noch übrig war. Und das Lachen der Kinder schallte um sie herum. Aber es wurde leiser und leiser. Gleich würde Rumpel verschwunden sein.

Rumpel war schon ganz benommen und das Lachen unter ihr nicht mehr zu hören. Nur noch lauter werdendes Poltern und Krachen vernahm sie und selbst die brennende Sonne spürte sie nicht mehr. Rumpel überlegte, ob es sich so anfühlte, wenn man sich auflöste. Und sie überlegte und überlegte und die Zeit verging und es wurde kühler um sie herum und immer lauter. Jetzt müsste sie sich doch aufgelöst haben, oder nicht?
Langsam wagte Rumpel sich umzublicken.
Unter ihr tanzten die Kinder mit den Erwachsenen. Sie hüpften in Pfützen, lachten und spritzen sich mit Wasser voll. Der ganze Ort war pitschenass. Der kleine Bergsee füllte sich, aus den Wassertrögen tranken die Tiere in vollen Zügen und die Pflanzen erweckten langsam zurück zum Leben.
Rumpel konnte kaum glauben, was sie sah. Sie hatte sich nicht aufgelöst und es war kein Traum. Viele kleine und große Wolken hatten sich zusammengefunden und schützend zwischen ihr und die Sonne geschoben. Sie alle waren gekommen, um Rumpel und den Menschen in Höhenhausen zu helfen. Und sie bliesen gemeinsam in die Backen und drückten, so gut sie konnten, egal ob kleine oder große Wolke, dass ihr Regen die so lang erhoffte Erlösung brachte.

Rumpel erfuhr erstaunt, dass nach anfänglichem Zögern die anderen Wolken ihrem Beispiel gefolgt waren. Und umso mehr sich gefunden hatten, Rumpel zu helfen, umso mehr hatten sich wiederrum andere entschlossen, sich ebenfalls anzuschließen. Schließlich waren es so viele gewesen, dass die Sonne sie gar nicht angreifen konnte und sie es gemeinsam unbeschadet schafften, es ordentlich regnen zu lassen.

Die Menschen in Höhenhausen waren gerettet und sie mussten nicht ihre Heimat verlassen. Die Kinder konnten endlich ihre Sommerferien genießen und erfrischten sich so oft sie wollten in dem kleinen Bergsee. Und auch die Erwachsenen waren wieder fröhlich und gingen entspannt ihrem Tagewerk nach.

Auch in der Zeit nach diesem denkwürdigen Tag, sorgten Rumpel und ihre vielen neugewonnenen Wolkenfreunde dafür, dass in Höhenhausen nie wieder ein Mensch, ein Tier oder eine Pflanze unter Wassermangel leiden musste. Und die Geschichte von Rumpel und ihrem Mut und Willen den Menschen, die es nötig hatten, zu helfen, verbreitete sich unter den Wolken, dass sich auch in anderen Gegenden Wolken zusammenfanden, um gemeinsam dort für Regen zu sorgen, wo er gebraucht wurde.
Rumpel selbst besuchte so oft sie konnte den kleinen Ort in den Bergen. Sie war glücklich, wenn die Menschen dort glücklich waren. Und wann immer sie Rumpel über die Gipfle heran treiben sahen, blickten sie dankbar nach oben und winkten ihr fröhlich zu.
 



 
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