Die kleinen Geister aus Warsow

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Die kleinen Gespenster aus Warsow

Seit Jahrhunderten hausten Gespenster in dem Turm der alten Kirche in Warsow. Wenn um Mitternacht die Turmuhr zwölf Mal schlug, geisterten sie durch den Ort. Sie schauten in die Fenster und trieben so manchen Schabernack. Manchmal wurden sie auch erwischt, wenn eines der Kinder wach in seinem Bettchen lag und nicht schlafen konnte, weil der Mond so hell ins Kinderzimmer schien. Seltsamerweise schrieen sich die Menschenkinder bei ihrem Anblick die Seele aus dem Leib. Dann mussten die kleinen Geister schnellstens verschwinden, denn blitzschnell standen die Eltern im Zimmer um zu sehen, ob ihrem Sprössling etwas geschehen sei. „Ich habe ein Gespenst gesehen“, kreischten die Kleinen. Natürlich glaubte es ihnen niemand. Es folgten stets die gleichen Sätze wie: „Oh, mein Schatz, mein kleines Herzi du, na, na, nicht weinen kleiner Hosenmatz, Mama und Papa sind ja hier. Du hast nur geträumt, kleines Dummerle, es gibt keine Gespenster.“ Doch das schreiende Menschlein ließ sich erst beruhigen, als die Eltern das Fenster schlossen und die Tür weit offen ließen. Nun glaubte es manchmal tatsächlich, dass alles nur ein Traum war.

Lustig war es, wenn man ungestört in einem der Kinderzimmer mit den vielen Sachen spielen konnte, wie bei dem kleinen Tobias. Anschließend hinterließen die übermütigen Spukgestalten immer ein fürchterliches Chaos. Natürlich konnte er seiner Mutter am nächsten Morgen beim Wecken nicht glaubhaft machen, dass diese Unordnung von alleine kam, denn er hatte ja am Abend zuvor aufgeräumt und nachts fest geschlafen.
Manchmal spukten die Geister in der Nacht durch die stillen Straßen des Dorfes, in der Hoffnung, einen späten Heimkehrer ärgern zu können. Wenn das Wirtshaus schloss, schwankte manch ein Zeitgenosse bierselig nach Hause. Dann schwebten die Gespenster heulend um ihn herum und grinsten ihm frech ins Gesicht. Schlagartig wurde der Mann wieder nüchtern. Erschrocken beschloss er, nicht mehr zu trinken, du meine Güte, er hatte ja schon Halluzinationen. Kopfschüttelnd ging er seines Weges. „Na so was, ich habe schon Erscheinungen.“

Um 1 Uhr nachts, war es aber mit dem Spaß vorbei. Alle kleinen Gespenster mussten pünktlich bei Ende der Geisterstunde im Kirchturm sein. „Schade“, immer wenn es am schönsten ist, müssen wir zurück“, maulten sie. Zu gerne wären sie auch mal zu dem lustigen Fest, dass die Menschen einmal im Jahr feierten und Halloween nannten, geschwebt. Morgen, am Tag vor Allerheiligen, war es wieder soweit. Doch alles Betteln half nichts.
“Wir brauchen unsere ganze Kraft zum Spuken, darum benötigen alle Gespenster die Ruhepause bis zur nächsten Mitternacht“, hieß es stets von den älteren. Egal, dieses mal beschlossen sie heimlich, am folgenden Abend ihre Ruhezeit zu verkürzen. Sie wollten doch so gerne bei dem Kürbisfest mitmachen. Ein paar Stunden Schlaf weniger würde sicher nicht viel ausmachen. Sobald es dunkel wurde, fegten die Spukgestalten aus dem Kirchturm und hielten nach den Kindern Ausschau.

Da bog die wilde Horde auch schon mit Radau um die Ecke. Hui, sahen die aber grauselig aus, da erschreckte man sich ja sogar als Gespenst! Hexen, Vampire, und, jetzt mussten sie aber lachen, Geistergestalten, die aussahen wie sie selbst. Von den Jungs und Mädchen unbemerkt schwebten sie heran und mischten sich unter die lustige Gruppe. Jeder begutachtete das Kostüm des anderen. „Hey, du siehst ja spitze aus in deinem Vampirkostüm, habe dich erst gar nicht erkannt“, meinte Klausi bewundert zu seinem Freund Jakob. Die beiden Hexen Svenja und Lilli sahen ganz furcht erregend aus mit ihren Fratzenmasken und den bunten Lumpen. Drohend hoben sie ihre Reisigbesen in Richtung der Jungs. „Wenn hier alles vorbei ist, werden wir euch Bengels mit auf die Reise ins Hexenland nehmen“, keiften sie so böse wie es ging. Die Stimmung war jetzt schon toll. Die als Gespenster verkleideten Kameraden unter ihnen heulten: „Hui, hui, wir werden heute Abend im Dorf spuken, dass es eine wahre Pracht ist, hui, hui.“ Julius, der älteste, war als Magier verkleidet. Um die Schultern trug er einen dunklen Umhang und einem reich verzierten, spitzen Hut. Drohend hob er einen glitzernden Zauberstab: „Ich werde jeden, der uns keine Süßigkeiten gibt, in eine hässliche dicke Kröte verzaubern“, grollte er mit tiefer Stimme.

Die kleinen Geister aus dem Kirchturm kicherten. So etwas Witziges wie diese bunte Schar hatten sie schon lange nicht mehr gesehen. Plötzlich wurden sie von einer der schaurigen Hexen entdeckt. „Oh, wie originell, so hab ich mir immer echte Gespenster vorgestellt“, rief sie begeistert. Wie macht ihr das nur mit dem Schweben? Unglaublich.“ Staunend wurden sie von den Kindern umringt. Als sie die weißen Gewänder der echten Geister neugierig anfassen wollten, glitten ihre Hände durch sie hindurch. „Hihi, das kitzelt aber“, gibbelte eines von ihnen.
“Geht ja nicht, ihr seid irgendwie durchsichtig, man kann euch nicht wirklich berühren. Wie seid ihr bloß auf diese grandiose Idee gekommen, klasse“, riefen die Trabanten. „Kitzelt wohl“, lachten die Spukgestalten, „wir sind reale Gespenster und wohnen in Warsow. Im Turm der Kirche haben wir unser Zuhause.“ Die ganze Rasselbande lachte: „Ja, ja, ihr könnt uns später noch den Trick verraten, nun müssen wir mit dem Spuk beginnen.“

Kettenrasseln, pfeifen und Geschrei schallte jetzt durch die Straßen des Dorfes. Bereitwillig bekam die Truppe an jeder Haustüre Schleckereien, die sie dann schnell in ihren mitgebrachten Taschen verschwinden ließen. „Du, Klausi“, wisperte das kleinste der Turmgespenster, „könntest du netterweise unsere Süßigkeiten mit in deine Tasche stecken? Sieh mal, wir haben nichts dabei. Außerdem können Geister ja nichts essen, oder? Ihr könnt nachher unsere Süßigkeiten unter euch allen aufteilen.“ Klausi schielte ihn von der Seite an: „Mensch, wenn ich dich so ansehe, glaube ich allmählich doch du könntest echt sein. Na gut, ich mach`s.“
So viel Spaß wie an diesem Abend hatten die kleinen Gespenster noch nie. Mit den Kindern tobten sie fröhlich umher. Als sie auch das letzte der Häuser erfolgreich besucht hatten, machte sich die lustige Gesellschaft müde und verschwitzt auf den Nachhauseweg. Nun war es an der Zeit, sich von den Kindern zu verabschieden.

„Macht´s gut, Freunde“, sagten sie, „wir müssen in die andere Richtung. Ihr wisst ja, wir wohnen in Warsow. Es war ein tolles Halloween, schon seit Jahren wollten wir da mal mitmachen. Wir wären sehr gerne im nächsten Jahr wieder dabei, wenn ihr nichts dagegen habt.“
Die Kinder lachten: „Natürlich gerne, doch bevor ihr nach Hause geht, müsst ihr uns noch den Trick mit dem Schweben verraten.“
„Was denn für ein Trick?“, kicherten die kleinen Geister, „glaubt ihr immer noch nicht dass es uns gibt? Bis zum nächsten Jahr, Kameraden.“ Sie erhoben sie sich in den Abendhimmel und schwebten leise schwatzend davon.

Sprachlos sahen die Dorfkinder hinter ihnen her. „Menschenskinder, das wird uns niemand glauben“, fasste sich Julius als erster. „Die sind ja so nett“, schwärmten die Mädels.
„Dann gibt es ja doch Gespenster und ich habe das nicht nur geträumt“, stellte Jakob murmelnd fest.
„Wollen wir nicht gleich morgen Abend mal nach Warsow zur Kirche gehen und nachsehen ob sie tatsächlich in dem alten Turm wohnen?“, fragte Svenja aufgeregt. Begeistert wurde die Idee von den anderen aufgegriffen, und so verabredeten sie sich für den nächsten Tag.

Die kleinen Gespenster aus dem Kirchturm aber waren so müde, dass sie die Geisterstunde der nächsten Nacht prompt verschliefen. Ihre großen Kameraden lächelten nachsichtig. Natürlich hatte man ihr heimliches Verschwinden bemerkt, doch sie drückten beide Gespensteraugen zu, Halloween war ja nur einmal im Jahr.

Wie groß war die Enttäuschung, als die Kinder am folgenden Tag trotz langem umhersuchen nichts, aber auch gar nichts fanden, was sie an ihre Gespensterfreunde erinnerte.
Nachdem viele Wochen vergangen waren ohne dass sie etwas von ihnen sahen und hörten, verschwand allmählich die Erinnerung an die kleinen Geistwesen. Die jedoch freuten sich, verborgen in dem alten Turm, schon jetzt auf das Kürbisfest im nächsten Jahr.

Märchentante
 

Ully

Mitglied
Wie immer

habe ich Deine Geschichte mit Begeisterung
gelesen.
Vielleicht hättest Du ein wenig Schabernack
der echten Gespenster mehr beschreiben können.

LG Ully
 
Hallo Ully,

hatte ich auch erst vor, doch dann wäre sie vielleicht für die 3-6jährigen, für die dieses Werk gedacht ist, zu lang geworden. Du weisst ja, ich kann mich dann manchmal nicht mehr bremsen, lach. Ich freue mich aber, dass Dir diese Geschichte auch gefällt.

Liebe Grüße
Märchentante
 

Wendy

Mitglied
Liebe Märchentante,

ganz so doll haben mir die Zähne vor lauter Angst nicht geklappert. Ich habe deine niedliche Geschichte sehr gerne gelesen. Die Idee ist prima, "Echte" Geister mit verkleideten Spukgestalten zu vermischen.

Herzliche Grüße

Wendy
 



 
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